Anleitung zur Vermeidung ausgetretener Pfade: Die Besteigung der Wolkenmauer (638 m)

Den letzte Tag vor der beginnenden Ausgangsbeschränkung widme ich einer langgehegten Wunscherfüllung. Denn seit jeher faszinieren mich Wolken. Wohin ich auch komme, Wolken begeistern mich, ich erfreue mich an ihrem Anblick und fotografiere sie andächtig, auch in vielleicht seltsamen und eher ungewöhnlichen Situationen, wovon ich später noch erzählen werde.

Und in meiner Wolkenphilie fällt es mir gar nicht schwer, diese Zuneigung auch auf Wolkenorte und Wolkendinge auszuweiten. Darum ist mein Besuch auf der imposant aufragenden Wolkenmauer lange überfällig. Nahe Großraming splittert diese Felswand in die Höhe und ist nicht nur für Kletterer ein lohnendes Ziel. Sogar ein zwergengroßes Gipfelkreuz krönt ihren höchsten Punkt.

Meinen felswandgrauen Vauwe parke ich bei der Kläranlage, dort, wo der Dammgraben in den Pechgraben einmündet. Um den Rabenreitkogel (713 m) zu besuchen, werde ich heute auch noch den Dammgraben hochsteigen, ganz wie es Helmut vorgezeigt hat, der mir wieder einmal zuvorgekommen ist. Eine Verlinkung zu Helmuts Beiträgen findet sich bei den Quellenangaben.

Schon am Beginn meiner Wanderung zeigt sich die Besonderheit der anbrechenden Zeit.

Es ist so unglaublich still. Doppelt und dreifach still ist es. Nicht nur das Lärmen menschlicher Arbeit fehlt, es sind auch keine Fahrzeuge auf der Straße und auch am Himmel nicht. Keine Kondensstreifen strichlieren den Blauhimmel. In den nächsten Monaten werden die Flugzeuge der Welt wie überflüssige Wintersachen weggepackt und eingesommert.

Das soll jedoch meine Freude an der Wanderung nicht trüben, wenn dazu noch das Sonnige und Sonntägliche zusammentreffen, kann das nur ein außergewöhnlicher  Tourentag werden.

In gedruckter Form finde ich in meiner Literatursammlung Hinweise nur bei Heitzmann (OEAV Führer OÖ Voralpen) und in einem Führerwerk aus dem Jahr 1925 von Dr. E. Stepan (Bilder aus der Eisenwurzen):

„Groß-Raming ist in naturhistorischer, geologischer und landschaftlicher Beziehung besonders interessant. Im Pechgraben sind Dolomite, weiters Kohlen und als völlig befremdende, geologische Erscheinung, eine Unzahl von Granitblöcken, auf deren größtem die 22. Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte in Wien, dem großen Naturforscher Leopold von Buch ein Denkmal setzte, welches von dem Lande Oberösterreich erhalten wird. Im Hintergrunde des Pechgrabens schließt die Wolkenmauer mit ihrem zerklüfteten Kalkgestein das Tal großartig ab.“

Bevor der Hölleitenbach in den Pechgrabenbach mündet, stumpfen dicke eiserne Stahlstifte aus dem Bachbett. Jetzt bieten sie einen überdimensionalen unnützen Anblick – und der mag den Betrachter an solch einem Tag täuschen. Jedoch nach einem Unwetter, wenn das Wasser wütend geworden alles mit sich reißend daherstürmt, werden diese rostigen Stumpfen zu Fangzähnen, die sich in das hölzerne und steinerne Schwemmgut im zornigen Bach verbeißen.

Neugierig betrachte ich die Wolkenmauer und stelle den lesenden Mitwanderern die Frage, was wohl „Möchtegern“ und „Golden Delicius“, „Duffy Duck“ und „Supercrack“, „Alf“ und „Rübezahl“ gemeinsam haben?

Es sind die Namen einiger Kletterrouten in der vor mir aufragenden Wand. In den neunziger Jahren wurden die meisten von Josef Gstöttenmayr erstbegangen und benamst. Alle im siebten Schwierigkeitsgrad oder darüber. Damit stellt sie für mich keine Aufstiegsoptionen sondern mehr eine Herunterfallmöglichkeit dar. Ich muss das von hinterherwärts angehen.

Von der Straße weg leitet mich eine Tafel zu einem Ziehweg den Bach entlang. Mit jedem Schritt weiter…

…wird daraus ein schattiger, schweigsamer Winkel. Wenn da nicht der stets dahinplaudernde Hölleitenbach…

…und die Schaumspritzer aus weißgrünen Märzenbechern wären.

Felswände drängen sich heran, und wenn ich nicht von ihm wüsste,…

…wäre dieser Wasserfall eine überraschende Attraktion.

So ein Bach in seinem ganz unterschiedlichen…

…Bachlauf drückt in mir zweierlei Gefühle aus, das der Lebendigkeit,…

…und das der Ruhe.

Die nah an den Bach herangerückte Felswand ist überzogen mit weichen wasservollen Quellmoosen, die selbst wie ein dunkelgrüner „Moosfall“ in die Schlucht stürzen.

Viel zu kurz ist das Vergnügen – die ganze Bachwanderung verläuft nur über einen halben Kilometer, da hätte mein Gemüt jetzt leicht mehr vertragen. Das hätte noch ein wenig so dahingehen können.

Über ein kleines Brückchen gelange ich zur Straße. Die wandere ich jedoch nicht weiter in Richtung Lehneralm, sondern gehe in entgegengesetzter Richtung, ein wenig bergauf, bis…

…linkerhand dieses Sträßchen einmündet. Dem folge ich nur knapp hundert Meter, bis…

…auf der rechten Seite ein weiteres Straßerl wegführt. Das bringt mich jetzt ganz freundlich zur Rückseite der Wolkenmauer.

Linkerhand öffnet sich eine Weidefläche, und vor mir kann ich einen Jagdstand sehen. Und zirka dreißig Meter vor dem Jagdstand…

…bei diesem Grenzpflock, führt ein Weg in den Jungwald.

Bis auf ein paar Serpentinen, die der Steilheit den Nerv ziehen, visiert dieser Steig direkt den höchsten Punkt an.

Steinmännchen reichen kameradschaftlich ihre unsichtbaren Hände.

Mein Haaraufrichtemuskel reagiert schnell, sobald es ausgesetzter wird. So richtig wohl…

…fühle ich mich gerade nicht. Meine Lust-Angst-Freude kann das dennoch nicht aufhalten.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Wolkenmauer (638 m) oder wie es im Kletterführer von Franz Bräuer im halben Diminutiv heißt: Wolkerlmauer. (Der ganze Diminutiv müsste dann wohl Wolkerlmäuerl lauten.)

Auf der schmalen Gipfelschneid steht ein Gipfelkreuz, das nicht größer als drei aufgerichtete, übereinander gestapelte Hamster ist.

Beim Fotografieren ist es gar nicht einfach, gebotenen Abstand zu den Abbruchkanten zu halten.

Mir ist schon bewusst, dass ich in der Hierarchie der Bergsteiger und Kletterer ein niedriggestellter Bergwanderer bin. Das stört aber meine Freude nicht, ganz im Gegenteil, ich freue mich um so mehr über mein hiersein.

Schon zehn Jahre lang befindet sich das Gipfelbuch dort oben,…

…und allzuviele Einträge hat es nicht vorzuweisen. Noch dazu sind die meisten Eintragungen vom „Hausherrn“, denn fast jeder Gipfel hat im Waldmeer der OÖ-Voralpen einen solchen „Pilotfisch“ an seiner Seite. So einer kümmert sich um die Steigpflege, errichtet Steinmännchen und besorgt sich ums Gipfelkreuz und Gipfelbuch.

An die Abbrüche gewöhne ich mich rasch und frage mich, ob sich so oder so ähnlich das auf Wolkenschweben anfühlt? Die gesäßliche Berührung verspürt jedoch keine Flügel, Federn und Flaumenweichheit.  Auf die Ewigkeit hin gesehen würde ich als Engel doch Probleme bekommen, denn der Felsen ist äußerst schroff, steinig, hart und kalt.

Die Mauer überhöht sich auch nicht über die umliegenden Gipfel. Darum muss ich trotz meines Gipfelsitzens zu den umliegenden Bergeshöhen aufschauen.

Den ganzen Grat, vom Wachtberg (680 m) über den Schratlboden (945 m)…

…bis zum Schieferstein (1206 m) und Steinernen Jäger (1185 m) habe ich 2017 überwandert. Schön war’s (zumeist): Die Überstolperung des Schiefersteins (1206 m).

Die Beiden in der Bildmitte ich erst im Vorjahr besucht: Aufschubumkehr: Wanderung auf den Höhenberg und Arthofberg.

Das sind meine nächsten Ziele, da will ich heute noch hin.

Ein letzter Blick hinab zur Straße im Pechgraben mit der Abzweigung, die ich zuvor gewandert bin, um entlang des Hölltalbaches zum Wasserfall zu gelangen.

Wieder unten angekommen, wutzle ich mich unter dem Stacheldrahtzaun auf die Weide und überschreite sie.

An ihrem höchsten Punkt mache ich noch dieses unspektakuläre Foto der Wolkenmauer und diesen…

…grottenschlechten Zoom vom Gipfelaufbau.

Meine Wolkenfaszination bestand schon immer. So weit mich meine Erinnerung zurückschauen lässt, mochte ich diese Gebilde. Manche glauben ja, Wolken seien nur etwas für Bauern, Landschaftsbetrachter, Piloten und Bergwanderer. Viele Städter richten einen ganzen Tag nicht den Blick zum Himmel. Mir geht es da anders. Selbst bei unserem Amsterdam Besuch konnte ich beim Entlangwandern und Fotografieren an den Grachten, den Himmel nicht außer Acht lassen.

Und in den beiden wichtigsten Museen Hollands (Rijksmuseum und Van Gogh Museum)…

…widmete Gabi ihre konzentrierte Aufmerksamkeit den ausgestellten Großartigkeiten,…

…während ich herumstreifte und Wolkenbilder einsammelte.

„Absurde Bildgedanken entstehen in mir beim Anblick dieses bewegten Wolkenhimmels, voller Lebewesen“. (Klaus Reichert in Wolkendienst)

„Wir sehen nicht zweimal die selbe Wolke“. (Klaus Reichert in Wolkendienst)

John Ruskin hat Wolken einmal mit dem Menschenleben verglichen. Und das Fragile unseres Daseins zeigt sich ja gerade jetzt wieder einmal sehr deutlich:

„Denn was ist euer Leben? Ein Dampf ist’s, der eine kleine Zeit währt, darnach aber verschwindet“.

„Wir sehen Wolken, sehen ihre Formen (…) sehen ihre Gestalten, von keinen Müttern geboren, wissen von ihrer Zusammensetzung und ihrem aberwitzigen Gewicht, wissen von thermischen Strömen und von den Winden, die sie schieben und zausen. Es ist alles „da“, wenn du hinschaust, mehr gibt’s nicht, und wenn du wieder hinschaust, ist nichts mehr da. Leerer blauer Himmel“. (William Turner)

Im Abstieg (ich kann meinen Vauwe sehen) habe ich diesen Blick auf meine nächsten Ziele. Vor allem den kruden Gratverlauf des Seitwegkogels finde ich interessant.

Zurück beim Auto halte ich mich nicht auf und wandere gleich den Dammgraben hoch.

Diese Straße führt weiter hinauf, als in den Karten verzeichnet.

Gleich nach diesem Plastikwassertank…

…gehe ich nicht die Straße weiter und auch nicht den Grabeneinschnitt, sondern steige links, zirka zehn Meter die Böschung hoch…

…und gelange zu diesem Ziehweg. In der Karte ist das der punktierte Pfad. Mich beschleicht das Gefühl, dass weder Wald noch…

…Wiesen frühlingserwacht sind. Da herrscht überall noch allgemeines, halbwaches Dahinschlummern.

Der Ziehweg wird zum Güterweg und windet sich um den Rabenreitkogel herum.

Wo man mit dem letzten Aufstieg beginnt, ist je nach Gusto unterschiedlich. Nach halber Umrundung steige ich einen Weidezaun entlang hoch. Der Gipfel ist nicht in den Bäumen verborgen, sondern eine freie Wiesenkuppe.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Rabenreitkogel (713 m).

Der Gipfel wäre für eine romantische Geschichte ein schön passender Schauplatz.

Der Besuch des Haingrabenecks und Bertelkogels war eine besonders schöne Frühlingstour. Sie ist in meiner Erinnerung noch immer sehr lebendig:  Von der Erleuchtung zart gestreift oder der glückliche Briefträger von Großraming. 

Da bin ich jetzt wirklich auf jedem (Wald)Gipfel gestanden.

Noch ist nicht Biertrinkenszeit. Zuvor möchte ich den Seitwegkogel besuchen, und der liegt da drüben.

Ich steige zur Senke unter der Starkstromleitung ab…

…und wandere den querenden Ziehweg bis an seinen höchsten Punkt. Danach kämpfe ich mich gegen das Unterholz des aufgeforsteten Hang fechtend, etwas mühsam, hoch. Dort oben befindet sich eine Forststraße, und es gibt herrliche …

…Aussichtsmöglichkeiten.

Der Weiterweg auf den höchsten Punkt ist kurz und einfach: Gipfelfoto Seitwegkogel (∼755 m).

Auf dem Felsspitzerl gleich neben der Forststraße befindet sich auch noch eine kleines Kreuz. Helmut hat es bei seiner Tour besucht. Ganz kurios finde ich die Auskunft zu diesem Gipfel, welche ich auch noch erhalten habe. Der Seitwegkogel wurde auch „Seekogel genannt, weil früher einmal ein großer See am Plateau des Berges war. Dort sind sie sogar mit Zillen gefahren!“ (Auskunft von Helene E. – vielen Dank dafür)

Gegenüber der hellgegrabenen Ostflanke des langgezogenen Schiefersteinrückens finde ich ein sonniges Jausenplatzerl und bin gerade sehr zufrieden mit dem ganzen Tag. Als Teil der totalen Wegfahrgesellschaft befände ich mich eigentlich jetzt gerade in Leipzig auf der Buchmesse und uneigentlich sitze ich jetzt hier – und bin auch zufrieden.

Anschließend wandere ich die Südwestflanke hinab bis zu diesem Güterweg. Der bringt mich zum großen…

… Hof Rabenreith, dessen Innenhof-Schönheit sich mir erst auf seiner Homepage auftut: Ferienhof Rabenreith

Beim Zurückwandern auf der Straße werde ich wieder einmal völlig gedankenlos, glaube den richtigen Weg verfehlt zu haben, steige die Wiese querend hoch, um erst hier wirklich unrichtig zu sein, den falschen Ziehweg zu nehmen und in einem dornigen Abstieg zu landen.

Wieder beim Auto im Pechgraben angekommen, fällt mir ein, dass gerade einmal zehn Minuten Gehzeit entfernt ein Sternekoch die elterliche Gaststätte in diesem abgelegenen Graben übernommen hat. Statt in Zermatt oder Singapur kocht Klemens Schraml jetzt hier, mit seinem Kompagnon Christopher Koller. Sie bieten „nature-based cuisine“ an – mit dem Schwerpunkt auf regionale und saisonale Produkte, welche am besten hier in der waldigen Umgebung wachsen.

Im Anstieg etwa 690 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 11,8 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region OÖ Voralpen (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Helmut Seiringer erzählt seine Wanderung (mit fantastischen Fotos) in zwei Tourenberichten:

Wolkenmauer   (abgerufen am 4.4.2020)

Rabenreitkogel (abgerufen am 4.4.2020)

Klettern im Ennstal (abgerufen am 2.4.2020)

Jetzt findet der Josef Gstöttenmayr seine neuen Touren vor allem in Sizilien: Kletterparadies Sizilien (abgerufen am 2.4.2020)

Der Kurier titelte: Sternekoch in der oberösterreichsen Einöde: Rau, aber herzlich. (abgerufen am 2.4.2020)

„Der Gipfel wäre für eine romantische Geschichte ein schön passender Schauplatz.“ habe ich mir abgewandelt von Robert Walser ausgeborgt.

Heitzmann, Harant (1996): OÖ-Voralpen. OeAV-Führer, Ennsthaler Verlag, Steyr.

Stepan (1925): Bilder aus der Eisenwurzen. Führer duch das Ybss-Enns-Erlaf- und Salzatal, in das Oetscher und Hochschwabgebiet. Verlag Zeitschrift Deutsches Vaterland, Wien.

Bräuer (1997): Kletterführer Unteres Ennstal. Eigenverlag Franz Bräuer, Steyr.

Reichert (2016): Wolkendienst. Figuren des Flüchtigen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.