Diesen letzten Tourennachtrag aus dem Jahr 2018 will ich einfach nicht ungeschrieben lassen. Er erzählt von einer wunderbaren Waldwanderung in Gaming: Zuerst vom Aufstieg über den unmarkierten Seidlsteig mit einem herrlichen Gratabstieg über den Südwestrücken, dazu den Abbieger auf den Urmannsberg, und zum guten Schluss den Rückweg über den aussichtsreichen Kirchstein.
In meinem Atschreith-Beitrag habe ich noch über meine Thrombose geklagt. Sie hat ihren Schrecken für mich jedoch schnell verloren. Man gewöhnt sich gegen alles, und je schneller das geschieht, um so besser. Wenn man sich in einem Loch befindet, lautet die erste Regel: Aufhören zu graben! Jetzt kann ich sogar schon ein wenig darüber lachen:
Kurz vor Kienberg, dort wo die Bundesstraße von Gresten einmündet, befindet sich diese „Würstelhütte“ mit vermeintlich eigenem Abbiegepfeil. Exakt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, parke ich mein Auto. Diese Vormittagsstunde ist für hungrige Nachtschwärmer zu spät und für den vorzeitigen Mittagshunger zu früh. Noch tanzen die Würstel nicht im siedenen Wasser oder rekeln sich fettig-lasziv am Grill, und somit übertrumpfen auch keine Brutzel-Wurstgerüche den vorsichtigen frühen Herbstduft der zart vom Dreieckberg zu mir herabweht.
Bei diesem alten verwachsenen Häuschen überschreite ich den Gamingbach und wende mich sogleich…
…nach links. Zirka 23 Schritte nach der Brücke und dieser Verbotstafel beginnt völlig…
…unaufgeregt, fast schon schüchtern, der Seidlsteig.
Durch junges Gebäum, tunnelartig und über erdigem Boden führen die ersten Meter des Steigs zu einem querenden breiten Weg. Und da erhalte ich es…
…schriftlich bestätigt, dass ich richtig bin. Ins weiche dunkle Tafelholz geschnitzt steht da Seidlsteig, und in den weichen dunklen Waldboden getreten finden sich unübersehbare seidlerische Steigspuren.
Bald schon wird der dichtgewachsene, sonneaussperrende Fichtenwald…
…von Buchen mit ihrem lichtdichten Blätterwalddach abgelöst, und weil es sich um den Nordanstieg handelt,…
…fehlt die Morgensonne auch bei den Föhren am steiniger werdenden Pfad.
Dass der „Erfinder“ dieses Anstiegs einen vorwärtsstürmenden Charakter aufweisen könnte, vermute ich wegen des direkten, geradlinigen, durchwegs kompromisslosen Steigverlaufs. Vor allem im unteren Teil scheint er mir in oftmaligem wilden Voranjagen entstanden zu sein.
Weiter oben entspannt sich der Pfad und wird zum Flaneur.
Dabei spaziert er immer am Grat entlang durch diese herrliche Waldlandschaft und nutzt…
…die wenigen Schaufenster, um gelegentlich Atem zu holen.
Bis in den Jänner 2013 besuchte Hein Seidl den Dreiecker, so heißt er bei den Gamingern, jetzt kommt’s: unglaubliche sechzehntausend Mal!
Auf den Gipfel „meines“ Buchenberges sind es fast exakt so viele Höhenmeter, wie hier auf den Dreieckberg (430 Höhenmeter), und mir kommt es schon eigenartig vor, dass ich da jedes Jahr so um die hundert Mal hinaufsteige. Bliebe ich bei dieser Häufigkeit, würde ich gleichwohl 158 Jahre benötigen, um 16000 Besteigungen zu erzielen.
In Höhenmetern ausgedrückt, bedeutet das jeweils von Meereshöhe weggewandert:
- 3314 Schneeberg (2076 m) Besteigungen oder
- 2297 Dachstein (2995 m) Besteigungen oder
- 1811 Großglockner (3798 m) Besteigungen oder
- 1430 Mont Blanc (4810 m) Besteigungen oder
- 777 Mount Everest (8848 m) Besteigungen
Wie viele Besteigungen sind seit 2013 dazugekommen? Wie viele Mal ist der Seidl Hein erneut hier herauf gestiegen? Das konnte ich leider nicht eruieren. Er benötigt offensichtlich für sein Tun die Öffentlichkeit nicht und darum findet man wenig über seine Person im Internet. Und ich vermute, dass das von ihm so gewollt ist. Er macht sein Ding auch ohne die Aufmerksamkeit der anderen.
Wie bei den Bäumen mag ich auch unter den Menschen besonders die Normbefreiten, die Ungewöhnlichen, die mit „Eigen“art behafteten. Da geht es mir wie Thomas Mann, der den Hauslehrer in seinem Roman „Königliche Hoheit“ sagen lässt:
„Ich liebe das Ungewöhnliche in jeder Gestalt und in jedem Sinne, ich liebe die mit der Würde der Ausnahme im Herzen, die Gezeichneten, die als Fremdlinge Kenntlichen, all die, bei deren Anblick das Volk dumme Gesichter macht, – ich wünsche ihnen die Liebe zu ihrem Schicksal (…)“
Raschelnde trockenlaubige Abschnitte werden von…
…im Blätterschatten…
… feucht gehaltenen Wegstrecken abgelöst.
Danach verflacht der Bergrücken,…
… und der Steig führt über den höchsten Punkt…
… zum etwas unterhalb befindlichen, trotzdem über die Wipfel hochragenden Sender…
… und dem Gipfelkreuz mit Rastbank.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Dreieckberg (876 m) oder wie er bei den Gamingern genannt wird: Dreiecker.
Im Rahmen eines Schulprojektes wurden dem Lehrer Seidl von seinen Schülern diese Bank und die „Seidlsteig“ Taferln beschriftet und gewidmet.
Die rundum stehenden Buchen ähneln den tätowierten Unterarmen unserer Profifußballer.
Sehr zum Missfallen der Bäume und ihrer…
… Wertschätzer, zu denen ich mich auch gern zähle. Wenn es nur Tatoos wären, wär’s ja nicht so schlimm, aber es handelt sich um Skarifizierungen, und die verletzen die Haut der Bäume. Damit haben Schädlinge und Krankheitserreger beste Chancen, in den Baum zu gelangen. Diejenigen, die da hineinschnitzen, bekommen das langsame Sterben gar nicht mit, weil es Jahre dauert, bis sich der Baum mit seinem Immunsystem (Bäume haben auch eines) nicht mehr zur Wehr setzen kann.
Eher ungewöhnlich in Gipfelbüchern der Ybbstaler Alpen, gibt es auch eine englische Übersetzung. Die gilt vermutlich den Studenten der in der Kartause eingemieteten, ausländischen Universitäten (alle, so scheint’s, mit religiösen Bezügen):
Wikipedia Eintrag zur Kartause Gaming:
- die europäische Expositur der Franciscan University of Steubenville (Ohio, USA)
- die europäische Expositur der Ave Maria University of Naples, Florida
- das Language and Catechetical Institute für die Ausbildung von Oststudenten
Für’s jausnende Gipfelsitzen ist es noch zu früh. Trotzdem freue ich mich jetzt auf eine Speise, die jedem schmecken würde, den Hardcore Berghetzern, den mittelmäßigen Bergwanderern und auch den untermittelmäßigen Wegschnecken: Die bewaldete Bergschneide des Westgrates ist warmes, waldlich gewordenes Zuckergebackenes. Selbst Fußwunden verleiht die Schönheit dieses Ab- bzw. Anstiegs die Flügel des vergessenen Schmerzes.
Von den Baumwipfeln hängen jetzt Sonnentücher, und mit der Wärme wird es immer freundlicher.
Immer wieder kann ich auf Gaming und die Kartause blicken…
… oder ins aufwallende Waldmeer: Eine weite hölzerne Herrlichkeit.
Ich wandere vorbei an sonnenwarmen Bäumen…
… und wo ein Baum geschnitten ist, verdoppelt sich sein Duft.
Der markierte Gratanstieg findet auf einer Forststraße sein Ende und mündet in den Gaminger Rundwanderweg ein.
Blick zurück auf den Gipfel und Bäume überragenden Sender.
Blick nach vor, da will ich jetzt auch noch hin.
Ich suche einen Weg auf den Urmannsberg und glaube ihn auch gefunden zu haben. Zirka 100 Meter nach dieser Tafel, in einer Kurve, geht eine deutliche Spur…
… in Richtung Hofsattel weg.
In schwarzerdiger Üppigkeit zweigt der Steig ab.
In diesem Fichtenwald verliert er jedoch seine Üppigkeit, und die Wegspur verunklart sich. Von meinem schwachen Kopf gelenkt verlässt mich jetzt auch mein Instinkt, und ich gebe die Spur auf, gehe zurück und die Forststraße weiter hinab bis zu einem Forsthaus. Ich hoffe, vielleicht hier einen Pfad zu finden. Aber auch hier führt kein Weg auf den Berg – nur deutliche Wildspuren. Also drehe ich wieder um und versuche es erneut auf dem zuvor aufgegebenen Weg. Im Fichtenwald bleibe ich sherlockmäßig auf der dünnen Wegspur, und tatsächlich wird der Pfad wieder deutlicher und bildet sich zu einem „anständigen“ Steig aus.
Der Steig quert eine Forststraße, und hier beginnen auch Steinmännchen zu eskortieren. Die hätten besser weiter unten ihren Dienst antreten sollen.
Im verwachsenen Gipfelbereich verbirgt sich ein Felsgrat …
… und eine herrlicher Aussicht. Ich freue mich über den unerwarteten Felskranz, wie über ein unerwartetes Geschenk. Mich überkommt ein Gefühl der Einheit mit Fels, Baum und Sonne.
Ötscherland, Waldland, mild und ein wenig dunstig im Monat August.
Die Besteigung der Brandmäuer war schon eine besonders schöne Tour: Firewall (1277 m) via the West Ridge oder wie es im Mostviertel heißt: Brandmäuer über den Westgrat.
Akustisch dringen allerdings Straßengeräusche zu mir hoch. Vor allem das Rauschen der Autoreifen am Asphalt ist zu hören. Unterbrochen nur durch das bunte Hupen einer Hochzeitsgesellschaft – da bin ich mir ziemlich sicher. Wüsste ich nicht, wo und dass überhaupt eine Straße da ist, ich würde mich wundern, weil überall um mich ist nur Berggrün, gewaldetes Grün, Baumgrün und sonst nix.
Blick durchs Grün auf die Gebäude in Filzmoos.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Urmannsberg (795 m).
Zur Besteigung dieses Gipfels habe ich diese Hinweise gefunden: In einem „anderen“ Pauli’s Tourenbuch (nicht das von Leopold und auch nicht das von Paul Wolf) gibt es eine Beschreibung der Besteigung von Gaming über den Südgrat. Den werde ich im Abstieg nehmen. Und auf Facebook, bei Marika’s Berg- und Naturerlebnisse fand sich eine besonders interessante Variante über den langgezogenen Ostgrat. Dabei kommt man an der Spitzmauer vorbei und am „Felsdrachen“, einem Felsgebilde, das Tippelt in seinem Ötscherbuch auf Seite 140 abgebildet hat. Diese Variante ist auch im Führer „Ötscher Ybbstaler Alpen“ von Baumgartner und Tippelt als Extrem Tour, auf Seite 234, beschrieben.
Es ist windstill und einsam. In dieser gut geheizten Abgeschiedenheit mache ich eine lange Pause und beginne, weil’s notwendig ist, widerwillig mit dem Abstieg.
Am Südgrat sind rudimentäre Spuren vorhanden, und in dieser Kurve bei einem Holzstoß gelange ich auf die Forststraße, welche ich im Aufstieg gequert habe.
Talblick.
Wieder zurück am Rundwanderweg zweige ich in Richtung Kirchstein ab.
Ein allerfreundlichstschönster Waldpfad …
… bringt mich zur Aussichtskanzel am Kirchstein.
Diese drei möchte ich in einer Tour übers Eberltal „zusammenschließen“ – Gipfelvorratsdose auf.
Und sonst fallen mir rund um den Rainstock …
… auch noch genug Ideen ein.
Vom Kirchstein führt der Steig zu Beginn steil und danach im Wald parallel zur Straße zurück zu meinem Ausgangspunkt.
Wie im Herbstnetz gefangene Fische mit ihren Silberbäuchen leuchten Blätter am Weg, aber nur, wenn Sonnenstrahlen zu ihnen finden.
Ich komme am Gelände der Firma Schnik vorbei. Wo seltsame Märchen-Fantasy-Möbel ausgestellt sind, die mich an alle möglichen Streaming-Serien erinnern, und…
… dieses Pferd – aus Holzstücken gepuzzelt. Das wiederum finde ich sehr lebendig und gelungen.
Ich bin wieder am Ausgangspunkt. Beim Wegwandern hatte ich nur einen Blick für die Würstelhütte. Dabei erstreckt sich gegenüber der bewaldete Kienberg (742 m), den ich jetzt auch noch in meine Gipfelvorratsdose stecke. Gaming wird mich noch öfter sehen.
Dass Gaming schon in früheren Jahren eine Reise wert war, zeigt diese Broschüre der Gebirgssommerfrische Gaming. Einfach ins Bild klicken.
Im Anstieg etwa 820 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 11,2 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ybbstaler Alpen (Auswahl):
- Sonntagberg mit Schi
Sonntagberg (712m) - Nöhwilassi Prochenberg
Prochenberg (Kreuzkogel) (1123m) - Sehnsucht nach den Ybbstaler Bergen: Vogelnestrücken (1216 m)
Vogelnestrücken (1216m) - Berührung mit dem Mostviertel: Maisberg (942 m)
Maisberg (942m) - Tour durch die Schlucht
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.
Die Felsdrachenhöhle am Urmannsberg von Walter und Reinhard Fischer (abgerufen am 19.4.2020)
Wikipedia Eintrag zur Kartause Gaming (abgerufen am 18.4.2020)
„Extremtour“ Sengermauergrat – Gastbeitrag von Werner Tippelt auf Bernhard Baumgartners Autorenblog. (Abgerufen am 19.4.2020)
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