Glückskunstwerke in den Schladminger Tauern: Höchstein (2543 m) & Moaralmspitze (2267 m)

Es ist nicht allgemein bekannt, dass in den Schladminger Tauern Gipfelbücher ausgewildert wurden, welche seit mehr als einem halben Jahrhundert auf Bergsteiger warten. Nur einer geringen Zahl Bergsüchtiger gelingt eine Eintragung in diese menschenscheuen Klassenbücher der Berge.

Ein heißer Septembertag erhebt sich diesen Freitag blauschimmernd aus der milden Nachtkälte. Ich habe mir für diese langersehnten Tour frei genommen. Nahe bei Gröbming stoppe ich mein Auto neben der Bundesstraße in einer kleinen geschotterten Ausbuchtung und mache dieses Foto. Es ist schön, einen Berg, den man besteigen will, bereits bei der Anfahrt zu sehen. Sein Aussehen hebt ihn über alle anderen hinaus.

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An der Schmiedalm, der Gumpentalalm und sogar an der Stanglalm fahre ich noch vorbei. Kurz vor der Moaralm habe ich diesen Blick auf den Höchstein (2543 m), den Zwiesling (2469 m) und die Bärfallspitze (2150 m).

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Schon einmal war ich mit Gabi im Juli 2015 hier. Wir sind zum Moaralmsee gewandert (da will ich heute auch hin) und haben die Bärfallspitze (2150 m) bestiegen. Eine wirklich lohnenswerte Wanderung, die ich uneingeschränkt empfehlen möchte.

Wie festgeklebt oder angenagelt stehen diese Pferde vor der Moaralm. Dass sie nicht tot sind, verraten nur ihre zuckenden Flanken.

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Wieder gehe ich den kehrenreichen Forststraßenanstieg hoch.Über die Beschaffenheit, Eigenschaften, Güte und Makel des Wegs zum Moaralmsee habe ich bereits in meiner Tourenbeschreibung vom Juli 2015 berichtet.

Die wiederkehrende herbstliche Geilheit ist einem Hirschen in die Stimmbänder gerutscht, und er röhrt und röhrt und röhrt…

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Ich befinde mich noch im Schatten, während die ersten Boten der Sonne bereits den Hauser Kaibling (2015 m) erreicht haben, und nicht nur den,…

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…auch die Bärfallspitze und die Moaralmspitze wärmen sich bereits ihre alten Gebeine
Gesteine,…

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…als ich am Fuße der Nordwand des Höchsteins, am Moaralmsee, ankomme.

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Die Sonne tut sich schwer, dem See einen Besuch abzustatten, aber zehn Minuten später…

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…erreicht ihr Scheinwerferlicht auch den tiefsten Punkt der Einsenkung.

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Ich wäre nicht Monsieur Peter,…

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…würde ich ohne anzuhalten an diesem Anblick vorbeieilen.

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Nach einer kurzen Verschnaufpause betrete ich Neuland. Nahe am Seeufer beginnt der markierte Pfad.

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Unterhalb der Moderspitze zieht dieses Steiglein, sehr abwechslungsreich und abschnittsweise auch spannend, in die untere Filzscharte.

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Rasch gewinne ich an Höhe.

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Der Steig führt ganz eng an den Abbrüchen der Moderspitze entlang…

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…bis in die Untere Filzscharte.

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Hinter mir befinden sich diese Grataufschwünge zu Ganser (2290 m), Moderspitze (2292 m) und dem Hochlabeck (2174 m). Das ist allerdings echtes Klettergelände.

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Östlich der Scharte blicke ich auf den kleineren Filzsee und den länglichen Pfannsee. Links im Bild ist der Steig zu erkennen, der von der Wödl-Hütte herauf zieht. Dieser Wegabschnitt zur Filzscharte wird von Liselotte Buchenauer als eine der „Unglücksstellen“ in den Schladminger Tauern bezeichnet. Im Spätfrühling und Frühsommer gilt das Firnfeld unter der Filzscharte als eines der gefährlichsten in den Schladminger Tauern.

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Der Moaralmsee und dahinter der Hauser Kaibling (2015 m), die Bärfallspitze (2150 m) und die Karlspitze (2212 m).

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Mein Blick wandert in meiner Besteigungsabsicht immer wieder zur doppelgipfeligen  Moaralmspitze (2167 m). Dort heute oben zu stehen, das wär’s.

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Der Blick auf das Gelände über dem Pfannsee. Der langgezogene Rücken mit dem Gamskarspitz (2491), Umlauter (2664 m), und der Hochwildstelle (2747 m).

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Ich steige weiter und werde kurz vor der oberen Scharte von weißen Wollglocken und ihrem lautem Gebimmel so abgelenk,…

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…dass ich erschrocken und wie versteinert in der Oberen Filzscharte (2278 m) stehen bleibe.

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Da ist ja noch einmal ein Berg. Sozusagen ein Berg am Berg. Eine Bergstapelei. Eine Berghochstapelei. Irgendwie habe ich mich die letzte Viertelstunde schon im Anstiegsfinale gefühlt und jetzt das. Einen Steig kann ich nicht wirklich erkennen, und nur eine einzelne Markierung deutet die Wegführung an. Der Pfad zur Kaltenbachschulter ist besser zu erkennen, nur den brauche ich nicht.

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Der Berg am Berg beginnt als steile Geröllhalde. Noch bin ich ein Wanderer in der aufragenden Südflanke des riesigen Berges.

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Diese urzeitliche, fantastische Landschaft lasse ich immer weiter unter mir. Dort unten schleichen langsam zwei Rucksäcke mit Schultern über das Blockwerk.

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Erste Eisenangeln tauchen auf und versichern den Weg. Immer öfter berühren meine Fingerspitzen die felsigen Platten.

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Blick zurück zur Oberen Filzscharte. Darunter sind die Filzschartentürme, gar nicht turmhoch, zu sehen.

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Der Grat zwischen Bergwandern und Klettern wird nie überschritten oder vielleicht nur ganz wenig. Der Normalweg verlangt viel von seinen Begehern.

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Hier zieht die Markierung jetzt überraschend in die Nordseite, und ganz gegen meine Erwartung hört der Höchstein auch hier nicht auf.

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Noch immer ist so viel Berg vorhanden, dass ich in seinem mächtigen Schattenwurf wandere.

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Wie auf einer Bumerangflugbahn zieht der Steig in den Berghang hinaus, um danach wieder an den Grat, nur etwas weiter oben, zurückzukehren. An einem Durchschlupf in die Südseite endet der Pfad. Das ist jetzt eine heikle Stelle. Ich fasse einen Steinhenkel in Brusthöhe und will mich daran hochziehen, aber nur so lange, bis ich ihn aus dem Grat gerissen habe und in der Hand halte – Glück gehabt.

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Schon bald danach erreiche ich den Gipfelaufbau. Mit feierlichem Gehabe schreite ich zum Gipfelkreuz.

Ich spüre es ganz deutlich: „Mein Glück wird meiner würdig sein“. (Stendhal)

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Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Höchstein (2543 m).

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Es ist so unmöglich, meiner Freude gerechten Ausdruck zu verleihen. In mir köchelt und blubbert die pure Glückseligkeit. Ich bin so gerührt über diesen geglückten Bergtag. Wie kann ich diesen Moment festhalten, in die Vorratskammer für die schlechten Tage legen? Eine alte Bauernweisheit sagt mir, dass das nicht geht, weil kochendes Wasser sich nicht einfrieren lässt.

So schöpfe ich aus diesem unwiederholbaren Augenblick Lebenskraft und gebe mich zufrieden damit. Ein paar Fotos mache ich doch.

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Vom Dachstein bis zur Hochwildstelle.

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Vom Gipfelkreuz zum Grimming.

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Im Herzen liegt die Hochwildstelle.

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Auf der Hochwildstelle (2747 m) war ich nicht minder glücklich.

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Der gezackte Drachenrücken, der mit dem Krahbergzinken (2134 m) seinen Anfang nimmt.

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Ganz genau betrachte ich den SO-Grat auf die Moaralmspitze (2167 m).

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Die ersten Meter im Abstieg sind etwas schmal ausgefallen, schneidig irgendwie. Dieser Abschnitt leitet in steiles, gesichertes- und schon bald in unschwieriges Gehgelände.

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Der Blick zurück.

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Der Blick nach vor.

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Auf der Kaltenbachschulter finden die Wege zusammen. Von der Oberen Filzscharte, von der Neualm, der Planai und dem Hauser Kaibling. Auf dem nächsten Foto bewege ich mich schon auf den Zwiesling zu, um von der Zwieslingscharte in Richtung Hauser Kaibling weiter zu wandern.

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Mit jedem Meter, den ich dem Zwiesling näher komme, wird er größer und abweisender.

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Sogar blinzeln können die blauen Augen der Niederen Tauern. Hier zwinkert mir der Kaltenbachsee freundschaftlich zu.

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Wenn ich das Foto nicht selber gemacht hätte, ich würde es nicht glauben. Das ist der Blick von der Zwieslingscharte (2355 m) auf den Höchstein und seinen SW-Grat.

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Sehr steil, über nordwandfeuchte Felsplatten, immer gut gesichert, zieht der markierte Weg in eine fantastische Szenerie.

Das Attribut „anspruchsvoll“ erhält dieser Abschnitt bis zum Gipfel in den Tourenbeschreibungen für die Seilbahnwanderer, welche vom Hauser Kaibling über die Krummholzhütte hierherwandern, ganz zu recht.

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Die Wegbauer haben große Kunstfertigkeit bei der Anlage des Steigs bewiesen.

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Ich bin noch nie in den Anden gewandert, doch in meiner Vorstellung sieht es dort genau so aus. Würde jetzt ein Guanako kauend durchs Bild stolzieren, mich würde es nicht überraschen. Vor mir ragt die Moaralmspitze mit ihrem dunkelfelsigen Südgrat aus dem Kar.

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Ich bin noch dermaßen glücksgepolstert, dass ich gar nicht lange überlege. Diesen Südgrat, den kann ich, denkt es in mir.

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Der Aufstieg gestaltet sich viel einfacher, als angenommen. Der Fels ist fest und willig, und jeder Schritt und Griff sitzt.

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Nur der letzte Aufschwung, eine kurze schräge Platte zwischen den beiden Gipfeln, fordert mich ein wenig. Vielleicht einer II-er Stelle, vielleicht auch nicht.

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Wieder einmal glucksend vor Glück und voller Freude: Gipfelfoto Moaralmspitze oder auch Maralmspitze (2267 m).

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Meine Freude gilt jetzt nicht nur dem Erreichen des Gipfels, sondern auch der Besonderheit unter dem Gipfelsteinmanderl.

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Ein Gipfelbuch in makellosem Zustand, das bereits ein halbes Jahrhundert am Gipfel liegt. Ich habe mich nicht vertippt, das ist schon richtig so: hinterlegt am 17.7.1965.

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In diesem Jahr weist das Gipfelbuch bis zu meiner Besteigung nur sieben Eintragungen auf. Die jüngste stammt von Manfred (Tauernfuchs), dessen großartiger Bericht auf Gipfeltreffen.at mein letzter Impulsgeber für diese lange schon geplante Tour war.

Ebenfalls ein langjähriger Inspirateur, darum stehen viele seiner Bücher bei mir im Buchregal, war einer der ersten Besucher: Hans Hödl ist im August 1965 ebenfalls hier gestanden.

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Ich sitze lieber auf der küchentischbreiten Spitze, fersenbaumelnd.

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Am Nebengipfel vorbeifotografiert: Die erste Einsenkung ist die Kaiblinglochscharte (2210 m), und weiter schnürelt der Grat bis zur Kühofenspitze (2250 m).

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Der „andere“ Grat mit den Karlspitzen (2212 m), der Moaralmscharte (2050 m) und der Bärfallspitze (2150 m).

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Der Blick zur gegenüberliegenden Moderspitze (2292 m) und der Unteren Filzscharte. Man kann sogar erkennen, wie der Weg die Felsschründe und Felsboten der Moderspitze umgeht und im steilen Zickzack zur Scharte führt.

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Höchstein, Zwieslingscharte, Zwiesling. Dass hier ein Weg durch die Abbrüche führt, ist nicht zu glauben, davon muss man sich schon selbst überzeugen.

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Ich klettere wieder die schräge Platte ab…

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…und blicke ein letztes Mal zu meinen beiden heute bestiegenen Gipfeln zurück.

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Die Kaiblinglochscharte würde ich mir mit den Schafen teilen, hätte der Schafbauer nicht etwas dagegen. Noch bin ich hoch über dem Schigebiet (Kaiblingloch) und der Moaralmscharte (Seescharte).

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Der Abstieg geht mir leicht vom Fuß, und bald erreiche ich die Moaralmscharte (2050 m).

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Ohne Zahl sind die Schönheiten und Großartigkeiten, die bei dieser Tour den Weg säumen.

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Den Weg hinab zum Moaralmsee kenne ich nur im Aufstieg und empfinde ihn im Abstieg ebenso steil: „Da stellen sich Felsplatten in den Weg, die überstiegen werden müssen, ausgewaschene Felsplatten, es gibt feuchte Rutschpartien, Rinnen zu queren, Abrisse und Vermurungen. Die Steige der Schladminger Tauern sind eine Vorstufe zum Klettern, die beste Übung dafür!“ schreibt Lieselotte Buchenauer in ihrem Buch.

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Mit einem letzten Blick zurück verabschiede ich mich von diesem großartigen Berg.

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Ich überschreite den einmal ruhig-tümpeligen dann wieder glitzernd-eiligen Abflussbereich des Sees, und auf bereits gewohntem Weg steige ich ab.

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Wieder an der Moaralm zurück, habe ich fast erwartet, die Pferde noch so stehen zu sehen, wie morgens. Tun sie nicht. Nur mein felswandgraues Auto wartet geduldig auf mich.

Viel zu ausgiebig und detailverliebt habe ich über den Stand der Dinge an diesem glücklichen Tag berichtet. Dabei habe ich manches, das ich auch noch in diesen Blogeintrag gestopft habe, wieder herausgenommen. „Mäßige dich bei der Berichterstattung und Nahrungsaufnahme“! rufe ich mir selbst zu. Ob mir das gelingen mag?

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Im Anstieg ca. 1300 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 11,7 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Schladminger Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

(Höhenangabe im Kartenausschnitt ist falsch!)

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Den letzten Impuls und wichtige Informationen zu dieser schon lange geplanten Tour erhielt ich beim Lesen dieses großartigen Berichtes von Tauernfuchs auf gipfeltreffen.at: Höchstein dir. NO-Grat (IV-) und weitere Randgipfel, N. Tauern, 31.8.16

Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.

Brandl (2003): Dachstein-Tauern. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.

Buchenauer(1975): Verliebt in die Heimat. Leykam Verlag, Graz.

Buchenauer (1987): Höhenwege in den Niederen Tauern. Verlag Bruckmann, München.

Frischenschlager  et al. (1996): Ennstal – Vom Dachstein bis zum Gesäuse. Wanderführer, Leopold Stocker Verlag, Graz.

Hödl (2006): Bergerlebnis Schladminger Tauern. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Wödl (1924): Schladminger Tauern. Verlag Artaria, Wien.

„Rucksäcke mit Schultern“ habe ich mir aus „Montauk“ von Max Frisch, ausgeborgt.