Großer Zeller Hut (1639 m): №8 der Big Five in den Ybbstaler Alpen

Meine Big Five Liste der Ybbstaler Alpen besteht aus unverhandelbaren acht Gipfeln. Details dazu kann man hier nachlesen: Stumpfmauer (1770 m): One of the Big Five from the Ybbstaler Alpen. Die von mir sehr willkürlich festgelegte №8 der Liste ist der Große Zellerhut (1639 m), und weil ich tierbildlich bei den Big Five bleiben will, habe ich ihm das Zebra zugeordnet.

Das Zebra deshalb, weil die Zellerhüte wie eine Vulkankette aus den Wäldern um Mariazell aufragen…

…und ein zusammengebrochener Vulkanberg in der Serengeti, die Heimat der größten Zebrapopulation Afrikas ist, der Ngorongoro Krater. Darüber hinaus erfreut sich das Zebra vor allem in der Mode größter Beliebtheit, und würde ich einen Fan-Shop betreiben, könnte ich vieles anbieten:

Allerdings finde ich diese Männer Unterhose mit dem Zebra-Einauge etwas irritierend.

Bevor ich mich jetzt ganz vergaloppiere, beginne ich besser mit der Tourenbeschreibung, denn es bedarf ohnehin eines langen Zeitraums, bis die Erlebnisse meiner Wanderung in dieses Tourenbuch Eingang finden. Mitunter vergeht zu viel Zeit, wie hier geschehen, denn das Hotel Marienwasserfall, das am Ausgangspunkt dieser Wanderung stand und den Tourenbeginn markieren sollte, gibt es nicht mehr. Es wurde im darauf folgenden Herbst abgerissen.

Nur der bemalte, denkmalgeschützte Fassadenteil ist stehengeblieben. Am Schluss dieser Tourenbeschreibung finden sich Fotos und ein paar Infos zum Hotel.

Gleich neben dem Hotel der Stelle, an der das Hotel stand, beginnt der markierte Weg auf den Zellerhut.

So sieht eine  Landschaft aus, die sich daran macht, sich zur Ruhe zu begeben. Sie ist für den Winter bereit. Der Anblick hat etwas Beruhigendes und ist Balsam auf meiner Seele.

Den Marienwasserfall lasse ich links liegen, auch dazu später mehr. Auf der Forststraße erreiche ich die Jagdhütten des Jagermichels. Weiter führt die schmäler werdende …

…“herbstgepflasterte“ Straße den Bach entlang.

Kuschelchampignons finden sich jetzt alle paar Meter: In der herbstlichen Morgenkühle drängen sich diese nackten Pilze eng aneinander.

Zuerst sind es nur einzelne, durchbrechende Sonnenstrahlen, die den Wald um mich aufleuchten lassen.

Die Forststraße endet, und der Weg steigt hier rechterhand gleich stark an.

Bei diesem Anblick fällt mir, ganz im Gegensatz zur körperlichen Anstrengung, ohne jede gedankliche Mühe, das japanische Wort ”Komorebi” ein. Dieses Wort bezeichnet Sonnenlicht, das durch die Blätter der Bäume gefiltert wird. Hier gibt es besonders viel Komorebi, und das in warmen einladenden Orange- und Rottönen.

Erst die Sonne legt in den gelbroten Blättern…

…Farbe auf die Bäume.

Nach einer Hangquerung in einem letzten steilen Anstieg erreiche ich den Zellersattel (1449 m). Den Hüttenkogel und die knapp darunter befindliche Jagdhütte lasse ich links liegen.

Jetzt beginnt eine der schönsten Gratwanderungen in den Ybbstaler Alpen.

Nie schwierig, nie gefährlich führt ein feiner Steig den Gratrücken entlang.

Herrliche Ausblicke…

…und eindrucksvolles Weggelände bringen mich auf den ersten Gipfel – einen Gipfel für Aussichtseinsammler.

Obligatorisch und unverzichbar: Gipfelfoto Mittlerer Zeller Hut (1586 m).

Blick zurück. Über dem Zellersattel erhebt sich der Vordere Zellerhut (1629 m) und dahinter der Oischingkogel (1606 m). Diese Überschreitung ist eine andere Geschichte, und vielleicht werde ich sie auch noch einmal erzählen.

Nach einer kurzen Trinkpause flaniere ich weiter, auf den Großen Zellerhut zu.

Sie sehen mich nicht, die nur wenige Meter entfernten, zebragesichtigen Gämse. Offensichtlich ist hier seine Reviergrenze, und das Böcklein strullert vor mir seine Testosteronnachrichten in die Bergwiese. Die bevorstehende Gamsbrunft dürfte schon für einen ansteigenden Endorphinspiegel sorgen, und der muss allen potentiellen Partnerinnen mitgeteilt werden.

Soll ich mir den Spass machen und darüberpinkeln? Was wohl meine Harnschrift den lesekundigen Gämsen über mich verraten kann? Das würde mich jetzt schon interessieren, ob ich gefährlich interessant, ein Gämsanizer bin oder nur ein Incel, ein sexuell Unwürdiger?

Ich lasse es bleiben und mische mich in die Paarungsbemühungen der Gämse nicht ein. Viel mehr freut mich der herrliche Weiterweg. Und weil das Schöne immer schnell vergeht, stehe ich schon bald am höchsten Punkt meiner heutigen Wanderung.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Großer Zeller Hut (1639 m).

Ein Masseneuphoriegipfel ist der Große Zellerhut eher nicht.

An solch einem herrlichen Tag diesen Gipfel ganz für sich allein zu haben, ist ein zusätzliches Geschenk.

Wie schön es auf unseren Bergen auch ohne die funkelnde Exotik eines Urlaubs am Meer sein kann, zeigen diese Bilder.

Schon einmal bin ich hier gestanden, vor vielen Jahren habe ich mit meinem Vater einen weglosen Irgendwie-Direktanstieg von der Melkstatt (Quelle der Weißen Ois, später dann Ybbs) gemacht. Über den Westrücken sind wir auf einem guten Pfad in Richtung Faltlhöhe abgestiegen. Am Ois Ufer rund um die Faltlhöhe blüht der Frauenschuh in unglaublichen Mengen und diese Wanderung zählt zu den liebsten Touren meiner Frau. Wie man am einfachsten hinfindet beschreibe ich in in diesem Blogeintrag: Cypripedium calceolus und weiße Ois.

Gabi und Ria bei den Frauenschuhen am 11. Juni 2011

Der Bergstock mit der Kräuterin und der höchsten Erhebung der Ybbstaler Alpen, dem Hochstadl (1919 m), bietet einen imposanten Anblick. Links davon ist, neben der Riegerin (1939 m) der Ebenstein (2123 m) im Hochschwab leicht zu erkennen.

Ein leichter Rotton scheint in der Luft zu schweben. Und wenn man genauer hinsieht,…

…weiß man auch, warum. Lange bleibe ich am Gipfel und genieße die überschwängliche Restenergie eines wundervollen Herbstes.

Ich blicke auf einen der bedeutendsten europäischen Wallfahrtsorte mit 860 jähriger Geschichte. Mariazell zählt mit Fatima, Lourdes, Loretto, Altötting, Tschenstochau und Einsiedeln zu den „Shrines of Europe“. Bestimmt haben die Priester in der Basilkia aus den Mündern der Pilger bereits alle menschenmöglichen Beichten gehört,…

…und es braucht vermutlich schon ein besonderes Laster, eine ausgefallene Sünde, um die volle Aufmerksamkeit des Pfarrers zu bekommen.

Beim Versuch, mir solch ein wüstes Vergehen zusammen zu reimen, werde ich müde und entschließe mich, den Rückweg zu beginnen.

Den Rückweg empfinde ich ebenso anregend, wie den Aufstieg.

Vorm Erreichen der Jagdhütte am Zeller Sattel werde ich immer langsamer.

Es gibt so viel Schönes zu sehen.

Jetzt beschließe ich noch den Besuch des Hüttenkogels, und erst danach beginne ich mit dem Abstieg.

Obligatorisch und unverzichtbar: gipfelgieriges Gipfelfoto (Hüttenkogel 1473 m).

Durch Flammenwände wandere ich wieder zurück und staune immer mehr über die Illusionskunst des Herbstes, solch einen Vollbrand vorzutäuschen.

Wieder an der harmonieseligen Landschaft beim Jagermichl vorbei,…

…schreite ich die leuchtende Forststraße entlang, fast bis zum Ausgangspunkt zurück.

Am Schluss dieser doch langen Wanderung bin ich erstaunt, dass sie bereits vorbei ist. Wie oft kommt das schon vor? Darum gönne ich mir einen Nachschlag und wandere die…

…wenigen Meter zum Marienwasserfall.

In trockenen Sommern wurde das Wasser oberhalb des Wasserfalls gestaut, und erst, wenn Touristen eintrafen, bekam der Wasserfall Leben eingehaucht. Heute stürzt auch ohne menschliches Zutun Wasser herab.

In den Felsnischen am Wasserfall kam es im Laufe der Zeit zu einigen Religionsablagerungen und Glaubensanschwemmungen.

Ich wandere wieder zurück, und mit der Überschreitung des klaren Baches erreiche ich…

…die Rückseite des Hotels. Ein echter „lost place“ oder nach seinem Abriss ein „lost lost place“.

Bald schon werden die vergesslichen Lebenden, die in diesem Hotel gewohnt oder gearbeitet haben aufhören, dem Hotel einen Platz in ihren Gedanken zu schenken.

Dieses leicht abgewandelte Proust-Zitat fällt mir bei diesem Blick ein: War es der Frühstücksraum?

In der Liste der denkmalgeschützten Objekte in Mariazell auf Wikipedia findet man folgenden Eintrag:

„Denkmalschutz bestand seit 2020 nur hinsichtlich der Christophorus-Darstellung auf der Wand des Gebäudes, nicht für das restliche Haus selbst. Das Gebäude war ein Hotelbau aus dem 19. Jahrhundert, stand seit ca. 20 Jahren leer und befand sich in einem schlechten Zustand. Es wurde im Herbst 2020 abgerissen“.

Im Mariazellerland Blog gibt es einen Eintrag zum Hotel, seiner Geschichte und seinem Abriss: Hotel Marienwasserfall abgerissen ein Stück Geschichte ist zu Ende.

Auch diese Tourenbeschreibung ist jetzt zu Ende, und ich trage schwer an den heute gesammelten Eindrücken.

Irgendetwas nimmt man immer mit.

Im Anstieg etwa 930 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 12,9 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Mariazeller Berge, Ybbstaler Alpen (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Bei meiner Hochtürnach Wanderung im Jahr 2017 habe ich dieses Foto von den Zellerhüten gemacht.

Tippelt (2019): Einsames Bergland zwischen Salza und Ois, Kral Verlag, Berndorf und Queiser GmbH, Amstetten.

Steffan/Tippelt (1977): Ybbstaler Alpen. AV-Führer, Bergverlag Rother, München

Baumgartner (2006): Wandererlebnis Mariazeller Land und Ötscher. Residenz Verlag, St. Pölten.

FIN