Jahresgipfel TAC-Spitze (2019 m) in der Triple-St-Ecke des Schwaben: Steine, Stahlseile und Steinböcke

In einer immer unbarmherzigeren Welt zwingen uns immer unbarmherzigere Tagestemperaturen früh aus dem Bett, um die ersten Aufstiegsmeter noch in der Morgenkühle machen zu können. Morgendämmrig ist es, als wir gegen fünf Uhr, angezogen und zähnegeputzt, das Haus verlassen.

Kurzes Intro:

Hitze am Berg ist für meinen Kreislauf ein zusätzlicher Prüfstein, und als chronischer Wenigtrinker vertrocknen mir auch rasch einmal die Leitungen. Meine vorwöchige, von Geburtsschmerzen begleitete Nierensteinabgabe im KH Waidhofen ist nur ein Indiz dafür. So eine Kindsweglegung brauche ich nicht noch einmal. 

Glücklicher Erstgebärender nach der Entbindung. Frei nach Josef Hader auch Stoabrunzerkoarl genannt. Auf diese Weise hat meine Frau das Geschehene den Kindern mitgeteilt.

Mein Butzerl, und wie fast alle „Neiborenen“ ist es nicht gerade schön. Nicht einmal mir, dem Erzeuger, gefällt’s.

Fortsetzung mit der Besteigung des diesjährigen Jahresgipfels

Damit meine ich einen Berggipfel in der Höhe der Jahreszahl. Die Zweitausender-Jahre sind ja wie geschaffen dafür. Die Besteigung des 2018er Gipfels kann man hier nachlesen: Jahresgipfel Lattenberg (2018 m) nebst Beifang: Kerschkern (2225 und Goldkogel (2080 m). Berge mit den zukünftig erforderlichen Höhen, wie zum Beispiel 2020, 2021 und 2022, habe ich auch schon gefunden. Wegen der ungewissen Dauer eines Lebens will ich nicht zu weit in die Zukunft planen. 

Die Bäckereien und Geschäfte, welche ich gewohnterweise für meinen ofenwarmen Jausenkauf ansteure, haben noch geschlossen, und erst in Großreifling geschieht unsere Magenerrettung: Die Nah & Frisch Bäckerei Schwarzlmüller öffnet schon um 5:30 Uhr – auch am Samstag. Erst mit dem frischduftenden Proviant im Auto gelingt mir die endgültige Schlafabschüttelung. 

Den felswandgrauen Vauwe parken wir am Präbichl, ganz zum Straßenschluss bei der Handlalm und der angrenzenden Piste. Wir machen noch ein Startselfie. Trüge ich jetzt auch noch einen Schnauzbart, wär’s ein Foto mit Pornobalken in jedem Gesicht. 

Wir wandern den Handlgraben hoch. Die Silhouette der Griesmauer mit unserem heutigen zweiten Gipfel, hebt sich in ihrem frischen Grau vom jetzt schon diesigen Blaugrau des Himmels gerade noch ab. Der beginnende Tag weiß in dieser Morgenstunde bereits von den kommenden hohen Temperaturen.

In ihrer kurzen Hose erbebt Gabi in einem vorübergehenden Morgenbibbern. Da scheppert’s im ferrariroten Rucksack. Später, in der Tageshitze, erinnert sie sich wieder mit wohligem Schauder an die wenigen kühlen Minuten. 

Wir schleichen uns durch das Schlafzimmer der Kühe. Kaum kriegen sie die Augen auf. Haben sie am Vorabend bis spät in die Nacht gefeiert?

Zu diesem Verdacht würden die leichenblassen Gesichter dieser drei Jungspunde ganz gut passen. Im Hintergrund leuchtet der Polster Gipfel (1910 m).

Immer schneller nähert sich uns die Schattengrenze,….

…und kurz vor der Leobner Hütte (1582 m) passiert uns die Sonne. Sogleich beginnt sie mit ihrer Erhitzungsarbeit.

Wir gehen nicht zur Hütte, sondern kürzen über einen ausgetretenen Pfad ab. Gabi sieht die Gams im Fledermausgrat mit freiem Auge, ich nehme den Kamarazoom zu Hilfe.

Blick der Stromtrasse entlang ins Wildfeld.

Am Hirscheggsattel (1699 m) entfaltet sich das prächtige Panorama…

…mit dem Pfaffenstein (1871 m) im Mittelpunkt.

Bei unserer vorjährigen Polster-Wanderung habe ich im Abstieg dieses Foto von unseren heutigen Gipfelzielen gemacht.

In einer kurzen Rast blickt Gabi weniger auf die Aussicht als misstrauisch auf den Steigbeginn, der vom…

…zerfetzten Fledermausgrat beschattet wird.

Sie liest auch auf der Tafel „Klettersteig“ und blickt mich fragend an.

Wie einem marokkanischen Teppichhändler fließen mir beschönigende Beschreibungen, süß wie Dattelhonig, aus dem Mund. Das herrlich-wunderbar Bevorstehende, gar nicht Schwierige, und nur wenig Gefährliche beschreibe ich wortreich. Davon trocknet mein Kehle noch mehr aus.

Schon wieder habe ich aufs Trinken vergessen, und mein Atem ist so trocken, wie ein Kamelfurz in der Wüste.

Kamelfurz in der Wüste

Trotzdem bin ich so beredt, dass sie sich, wenngleich andere Erfahrungen mit meinen Schilderungen dagegen sprechen, auf das Kommende einlässt. Nach ein paar kräftigen Schlucken aus der Zwei-Liter-Flasche wandern wir weiter. 

Schon nach wenigen Schritten erklärt sich uns die Namensherkunft „Griesmauer“ ganz von allein, und neugierig…

…betreten wir das zersplitterte Steinland.

Schroff und völlig in Schattenblau getaucht ist dieser fremde Planet.

Welcher Kontrast zu den grünen Flächen um uns!

Fast schon in körperlichem Gleichklang schuften wir uns hoch. Ich habe Gabi nur einen kurzen unbekömmlichen Wegabschnitt beschrieben – so kurz ist der jetzt gar nicht. Am Wahrheitsgehalt meiner Schilderungen muss ich noch die verbale Hand anlegen. Da sehe sogar ich Nachbesserungsbedarf.

Zerklüftet ist es hier wie im Maul eines alten Wolfs.

Wir kommen an diesem schimpfenden Obelisken, er wird Keppelzahn genannt, vorbei und bewegen uns noch immer in einer grandiosen Landschaft, nur der Boden gebärdet sich ein wenig ungastlich. Das wird für Gabis Schuhe Konsequenzen haben – noch wissen wir nicht davon.

Immer weiter geht es hinein, noch besser, hinauf ins Graue.

Gleich nach dem Keppelzahn führt der Weg in einem zarten Knick nach Westen und bringt uns über ein Schneefeld zur westlichen Abgrenzung auf eine kleine Hochebene, mit viel Landschaft und vielen Blumen und…

…zum ersten Anblick unseres Gipfels – der Turm links im Bild.

Aber nicht allein dieser Anblick lässt Gabi in völliger Unbeweglichkeit erstarren, vielmehr sind es die aufragenden Hörner rechts der Bildmitte, die zum Einfrieren ihrer Bewegungen führen. Mit einer Stimme wie auf Zehenspitzen flüstert sie: „Steinböcke, vier oder gar mehr.“

Ein ganzes Rudel Steinböcke liegt im Felsschatten vor uns. Wie eine alteingesessene Familie liegen sie da. Unbeeindruckt von unserer Anwesenheit. Wir sind ja nur schweifende Gäste in ihrem hellen Steinreich. Für sie sind wir keine schnellfüßige Gefahr. Dass das keine Streichelzoo-Kreaturen sind, sondern hochgradig selbstbestimmte Lebewesen, spürt man beim Betrachten. Ich glaube, keiner der achtsamen Beobachter verspürt ein Nase-ins-Fell-versenken-Bedürfnis. Da ist unser aller Respekt vor diesen gehörnten Freigeistern viel zu groß.

Ganz still ist es. Mit uns beobachten derweilen auch andere Wanderer die herrlichen Tiere. Zuletzt kommen immer mehr Menschen, und mit ihnen wird es lauter. Wie ein Lebewesen zieht sich die Lautlosigkeit dieser Szenerie zurück. Bevor es ganz zum Spektakel wird, gehen wir weiter. Die meisten Wanderer haben die Vordernberger Griesmauer zum Ziel, zur TAC-Spitze wendet sich mit uns nur ein älteres Pärchen.

Nach einer kurzen mit Stahlseil gesicherten Querung…

…..geht es eine steile enge Rinne, ebenfalls mit Stahlseil gesichert, hoch.

Gabi löst die gestellte Aufgabe ohne Zögern…

…elegant, währenddessen bei mir…

…das nicht ganz so geschmeidig aussieht. Mit meiner ein wenig wuchtigen Würde klettere ich ebenfalls hoch.

Ich finde halben Halt da und dort mit den Füßen und mit den Händen am Stahlseil immer.

Nach dem Steilstück kommen wir zu einer ebenfalls gesicherten Querung…

…und einem kurzen Steilaufschwung in den Schrofen.

Und das war’s auch schon. Gabi steigt gleich weiter zum höchsten Punkt,…

… und ich ersteige ihn von der anderen Seite.

Mir fällt keine Geste ein – wie zeigt man sich als guter Gewinner?

Bei der Gipfelbuchkassette machen wir unser gemeinsames, obligatorisches und unverzichtbares Gipfelfoto: TAC-Spitze (2019 m) bzw. Techniker-Alpen-Club-Spitze.

Jahresgipfel 2019.

Ohne Zweifel ist dieser Gipfel eine eindrucksvolle Aussichtspersönlichkeit.

Nur noch die Kaltmauer und der Zargenkopf fehlen mir in meiner privaten Besteigungsliste. Im Blog habe ich die Besteigung des Großen Buchsteins beschrieben.

Wieder einmal verlinke ich auf ein Anton Theurezbacher Panorama. Einfach ins Bild klicken. 

© Anton Theurezbacher auf Alpen-Panoramen.de

Die Eisenerzer Griesmauer (2034 m) wird in der ÖK auch Griesmauerkogel genannt. Sie galt lange Zeit als der schwiergigste Gipfel im Hochschwab. Überall brüchiger Fels. Nicht einmal aus der Ferne sieht sie nett aus und…

…selbst im Zoom noch ziemlich abweisend. Ersteiglich ist sie doch. Vielleicht später einmal auch für mich. In der Gipfelvorratsdose landet sie jedenfalls. Apropos Vorratsdose, die Jause lassen wir noch im Rucksack, und auch mein medizinisch indiziertes Jahresgipfel-Hopfengetränk möchte ich mir erst nach gelungenem Abstieg applizieren, darum machen wir uns schon nach einer kurzen Pause daran.

Das Pärchen, das vor uns den Gipfel verlassen hat, versinkt langsam in der Tiefe, zuerst die Füße, dann die Knie und Hüften. Kurz sind noch die Köpfe zu sehen, bis auch die zuletzt verschwinden.

Auch auf Gabi nehme ich einen Falllinienblick, bevor sie ganz aus meinem Blickfeld verschwindet.

Und meine letzten Meter bis zur Querung aus dem Steig heraus.

Well done in doppelter Hinsicht. Es ist heiß, und ich bin hungrig, da verwundert es nicht, dass ich mich wie ein Steak fühle.

Wir rasten inmitten der großartigen Dürftigkeit der Landschaft, im Felsschatten mit Blick auf die Steinböcke und unseren nächsten Gipfel.

Wie ein Geschenk für die Augen ruht dieser Steinbock im Fels.

Wieder geht’s an den Steinböcken vorbei, über ein Schneefeld zum schottrigen kurzen Aufstieg auf die Griesmauer. Dort wartet großzügiges Bonusmaterial auf uns,…

…denn panoramaschwach ist auch dieser Gipfel nicht.

Obligatorisch und unverzichtbar auch hier: Gipfelfoto Vordernberger Griesmauer (2015 m).

Gabi verstaut gerade einen Gipfel in meiner Gipfelvorratsdose.

Den Hochturm (2081 m) stopft sie hinein. Auf der gegenüberliegenden Seite, getrennt durch die lange grüne Schale des Wildfelds, befindet sich die Leobner Mauer (1870 m). Auf der waren wir bereits gemeinsam – vor vielen Jahren. 

 

Auch bei diesem Anblick steigen schöne Erinnerungen hoch: Von der Schönheit des Unschwierigen: Wanderung auf den Polster

Und selbst zu diesem Bild gibt es Denkwürdigkeiten – gute nur zum Glück, wie zum Beispiel diese hier: Zuzweiensein am Törlstein (Hochstein) 1860 m

Den Abstieg beginnen wir auf gut ausgetretenen Steigspuren, welche sich bald schon im Steinnirwana verlieren. Es ist alles nicht so schlimm, wir finden trotzdem relativ einfach zurück zum Weg.

Rückblick auf den letzten Teil unseres unmarkierten Abstiegs. Nur wenig Steinfleisch besitzen diese hageren Türmchen und schmalen Felsen.

Und zum ungünstigsten Zeitpunkt beschließen Gabis Schuhsohlen ihre Trennung von den Schuhen. Weit herab hängt die Vibram Sohle, keinen Schritt kann Gabi mehr machen. Bloßfüßig oder in Socken auf dem scharfkantigen Geröll geht schon gar nicht. Jahrelang habe ich mein Verbandszeug mitgetragen, ohne es je zu brauchen. Und jetzt kommt es innert weniger Tage gleich ein zweites Mal zum Einsatz. Mit Leukoplast® umschlingen wir Schuh und Sohle, auf dass diese Verbindung noch für den Abstieg halten möge. Wir zweifeln an dieser Zwangsehe, sehen aber keine anderen Möglichkeiten. Bestimmt wird der Verband schon bald von der Schuhspitze geschnitten oder geschmirgelt und gerieben. Nach wie vielen Schritten die Umschlingung keine mehr sein wird, wissen wir nicht.

Den Steinen kann man für diese Trennung nicht die Schuld geben. Es sind die Weichmacher (Hydrolyse), die sich verflüchtigt haben. Das kann bei allen Wanderschuhen ab einem Schuhalter von 6-7 Jahren auftreten. Der altersbedingte chemische Verfall ist nutzungsunabhängig. Es ist also eine normale Materialalterung, und absolut herstellerunabhängig. (https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/wenn-sich-die-schuhsohlen-selbstaendig-machen)

Die Felsenlandschaft bietet auch weiterhin pittoreske Anblicke. Gestein, so hell und weiß wie frisch gekärchert – und der Schuh hält.

Als würden die hellweißen Kreidefelsen von Dover zerbröseln. Bärtig von Moos ist kein Stein in diesen Hochschwabklippen – und der Schuh hält. 

Auch der minder steinige Weiterweg wird dem Leukoplast® zusetzen, sind wir uns sicher, und trotzdem: der Schuh hält.

Wir gönnen dem Schuh und uns eine kurze Rast auf der Leobnerhütte. Ich bin von der Sorge um das Schuhzeug ziemlich erschöpft, und der besseren Erholung wegen lasse ich Gabi die Getränke holen.

Und dann geschieht das Eigenartige. Weil’s so schön ist mit den vielen Blumen…

…und den Schmetterlingen und den Kühen und den Bergen, vergessen wir den umwickelten Schuh.

Und erst beim Auto beginnt unser großes Staunen.

Das Leukoplast® ist vom ganzen Abstieg fast unberührt. Widerständig und zäh hält es den Schuh noch immer zusammen. Unglaublich. Also da traue ich mir eine schwere Empfehlung aussprechen: Das Zeugs ist multifunktional und gehört in jeden Wanderrucksack.

Der Besuch bei den weißen Steinen der Griesmauer ist alleine schon ein großartiges Erlebnis. Noch dazu ist die Wahrscheinlichkeit, auf Steinböcke zu treffen, gar nicht gering. Wer die TAC-Spitze nicht besteigen will, hat mit der Vordernberger Griesmauer ein ebenbürtiges Gipfelziel.

Als alternativen Jahresgipfel 2019 kann ich auf der Planneralm, in einer wunderbar einfachen Wanderung ersteiglich, den Großen Rotbühel empfehlen (Großer Rotbühel 2019 m).  Siehe hier:

Im Anstieg etwa 840 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 10,1 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Hochschwab (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

 

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

 

Zwei Formulierungen habe ich mir von Clemens Setz ausgeborgt: „Mit einer Stimme wie auf Zehenspitzen“ und „Mir fällt keine Geste ein – wie zeigt man sich als guter Gewinner?“  Vielen Dank dafür.

Buchenauer (1960): Hochschwab. Leykam Verlag, Graz.

Hödl (2003): Wandererlebnis Hochschwab & Hohe Veitsch, Almen, Gipfelwege, Hütten. Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten.

Auferbauer (1990): Hochschwab. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Mokrejs/Ostermayer (2009): Bergwander-Atlas Steiermark. Schall Verlag, Alland.

FIN