Auf überwechteten Graten, mit viel Aussicht und geringer Steigung bin ich besonders gerne unterwegs. Solchen Graten, wie zum Beispiel jenen auf den Gscheideggerkogel oder zuletzt auf den Kragelschinken, gehört meine ganze Aufstiegszuneigung. Mit dem Rücken vom Riffelsattel auf den Kleinen Ötscher begehe ich heute ein Musterexemplar dieser Spezies.
Mein erster Blick zum Kleinen Ötscher lässt mich hoffen. Die Wetterprognose verkündet fürs Flachland entweder Nebel oder Wolken, und nur in den Bergen sollen diese Lichtbremsen aufreißen.
Es ist noch sehr wenig los im Schigebiet Lackenhof. Ich parke mein Auto in der Nähe der Großen Ötsche-Piste und beginne mit meinem Aufstieg auf der mittelschweren Riffelabfahrt. Die Kennzeichnung der Pisten in blau, rot und schwarz gilt kurioserweise auch für die Aufstiegsrichtung. Dieses System ist ganz schön durchdacht.
Ich muss mir die Piste noch nicht mit Schifahrern teilen. Die Lifte haben eben erst geöffnet, und noch gibt es keinen Gegenverkehr. Bei Pistenaufstiegen fühle ich mich oft wie ein Geisterfahrer. Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, etwas Unrechtes, Unschickliches zu tun. Sehr wohl teilen muss ich die Abfahrt mit ein paar anderen Schitourengehern. Die wollen alle auf den Großen Ötscher. Auf dem war ich aber auch mit Schiern schon und das sogar in meinen Schitourenanfängen.
Die Nordabbrüche über dem Riffelboden.
Ich erreiche den Riffelsattel. Es pfeift und wolkt und nebelt. Die ersten Schifahrer kommen mir entgegen. Hier endet meine Geisterfahrersimulation, und ich kann endlich die Piste verlassen.
Eine Spur wuselt schon eilig über den Sattel.
Schnee erstarrte Brandungswellen eines jährlich wiederkehrenden weißen Meeres dulden die ebenfalls jedes Jahr wiederkehrenden Schitourengeher.
Selbst das laute Brausen der tosenden See ist in den Brandungswellen mit erstarrt.
Mit jedem Schritt wird der Himmel blauer und der Wind nachlässiger.
Auf einem einzigen Foto sind die wechselhaften Wetterbedingungen des heutigen Tages zu sehen: Nebel, Wolken, blauer Himmel.
Ein einzelner Tourengeher überholt mich, wortkarg stammelt er etwas wie: „Fell löst sich“ und deutet dabei auf meinen rechten Schi. Meinen Dank hört er schon gar nicht mehr, weil er so schnell vorbei ist und sich nicht mehr umdrehen will. Ich bin aber schon fast am Gipfel und offenbar löst sich das Fell schon, die anstehende Abfahrt vorausahnend.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Kleiner Ötscher (1552 m).
Ich habe eine wunderbare Sicht auf den langgezogenen Rücken des Lunzer Scheiblingsteins (1622 m) mit der Scheibe und ihren jetzt verschneiten, stufenförmigen Absätzen (rechts).
Links im Bild ist mit dem Bärenleitenkogel (1635 m) die eigentlich höhere Erhebung zu erkennen. Trotzdem wurde dieser Dürrensteinausläufer nach dem niedrigeren Gipfel benannt.
Eine dicke Nebeldecke liegt über dem Tal im Westen.
Rechts der Bildmitte ist gerade noch das weiße Haupt des Dürrensteins (1878 m) zu erkennen. Der Waldberg vor mir in der Bildmitte müsste der Saurüssel (1348 m) sein, und ich traue meinen Augen nicht, gleich dahinter ragt ein Goganz 1434 Meter in die Höhe. Ohne Frage ein wichtiges Tourenziel im heurigen Jahr. Den Beginn meiner soeben beschlossenen Goganz-Sammlung habe ich am 27. Jänner 2013 (No-go! Ganz schlimm…) gestartet.
Nördlich von Lackenhof ragt der Rainstock (1296 m) in die Höhe.
Lackenhof, aber auch Göstling mit dem Hochkar, erhalten immer öfter von Wintersportlern aus dem Osten Europas Besuch. So wie ihre Vorfahren fühlen sich diese Touristen hier offenbar sehr wohl. Wieso Vorfahren wird sich so manche(r) jetzt fragen. Die Antwort ist naheliegend: Der Ötscher verdankt seinen Namen einer Ableitung vom alpenslawischen Wort „oče“ für Vater. Europa gehörte schon vor Jahrhunderten allen Europäern – zumindest ein schöner Gedanke.
Ich setze meine Tour nach einer ausgiebigen Pause fort. Meine Abfahrt führt durch eine Waldschneise in Richtung des in der Bildmitte erkennbaren Maißzinkens (1075 m).
Viele Tourengeher kommen über die „Kleine Ötscher-Piste“ und anschließend durch diese Gasse auf den Gipfel.
Ich gelange zur Bergstation der Kleinen Ötscher-Piste.
In der Bildmitte ist die Familienabfahrt gut zu erkennen. Dahinter „ragen“ meine weiteren Ziele auf: Roßkogel und Schwarzer Ötscher. Diese Piste will ich ein Stück abfahren, um mir dann eine nicht allzu steile Aufstiegsspur durch den Wald zu legen.
Die Pistenabfahrt hat Spaß gemacht. Es ist wirklich eine Familienpiste, und viele behelmte Halblinge huschen an mir vorbei. An dieser kleinen Lichtung felle ich wieder an und gehe erneut los.
Der Schnee trägt noch, und so gewinne ich schnell an Höhe und erreiche…
…den nicht gekennzeichneten höchsten Punkt des Waldmugels mit dem Namen Roßkogel (1182 m).
Jetzt suche ich mir in nordwestlicher Richtung einen Zugang zum Schwarzen Ötscher.
Im lichten Wald finde ich einen solchen mit Leichtigkeit. Über unberührten Schnee (hier war schon länger keiner mehr) steige ich auf das Plateau des Schwarzen Ötschers.
Wiederum ist kein Gipfelzeichen zu finden, und ich orientiere mich nach dem Eintrag des höchsten Punktes in meiner GPS-Karte.
Gipfelfoto: Schwarzer Ötscher (1188 m).
Ich steige nur wenige Meter ab, um nach einem kurzen Wiederaufstieg auch den Ostgipfel (1183 m) zu besuchen.
Schwarzer Ötscher Ostgipfel (1183 m).
Es ist mittlerweile sehr, sehr warm geworden. Auf einen solch sommerlichen Ausklang der Skitour konnte ich zu Beginn des Tages wirklich nicht hoffen. Mir ist heiß und ich schwitze, dabei spüre ich, wie mir „Luis-Trenker-Falten“ im Gesicht aufspringen.
Über die wenig bevölkerte Piste schwinge ich im nassen Schnee talwärts.
Dieses Jahr setzen die Berge dem Erwachen des Frühlings größeren Widerstand entgegen. Wenn es mir gelingt, diese Tage noch so zu genießen wie heute, habe ich gar nichts einzuwenden.
Im Anstieg ca. 860 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 11,6 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ybbstaler Alpen (Auswahl):
- Unwiderstehliche Lockstofffallen in Waidhofen/Ybbs: Atschreith – Witkogel – Grasberg
Witkogel (830m) - Wo der Fuchs den Hasen nicht frisst, weil er sonst ganz alleine wäre: Lärmerstange (1477 m) und Hochdreizipf (1466 m)
Haitzmanneck (1363m), Aubodenkopf (1362m), Wasserkopf (1442m), Lärmerstange (1477m), Hochdreizipf (1466m), Försterkogel (1279m) - Cypripedium calceolus und weiße Ois
- Nöhwilassi Prochenberg
Prochenberg (Kreuzkogel) (1123m) - Hütterkogel – ein Kleinod im Ybbstal
Hütterkogel (836m), Glatzberg (904m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Schall et al. (2008): Schitouren-Atlas Österreich Ost. Schall Verlag, Alland.
Schall (1993): Genuß-Schitourenatlas Österreich Ost. Verlag Kurt Schall, Wien.
Steffan/Tippelt (1977): Ybbstaler Alpen. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.