Für meine Frau und mich sind See und Berg unwiderstehliche Begriffspaare. Und genau in Pertisau am Achensee, eingezwängt zwischen Karwendel und Rofan, finden wir diese Idealkombination auf engstem Raum miteinander verschmolzen.
Unser Urlaub beginnt am Ufer des größten Tiroler Sees. Dieses Gewässer ist hochgelegen und sehr frisch (16°). Dazu gibt es jeden Tag viel Wind (damit die Kite-Surfer ihren Frauen nicht auf den Wecker fallen), einen Radweg, auf dem man auch laufen und rollerskaten kann und Strandbäder, die kein Eintrittsgeld verlangen, aber Parkgebühren.
Bei unserer Anreise geraten wir in dichten Autobahnverkehr. Auf der Gegenfahrbahn ist noch mehr los. In früheren Zeiten gab es mehr Wohnwägen auf der Straße, aber die braucht es heute nicht, der Verkehr schleppt sich auch so nur langsam in Richtung Westen bzw. Süden. Wir betrachten diese verlangsamte Anreise bereits als Teil unseres Urlaubserlebnisses und erreichen ungestresst unser Ziel. Weil der Nachmittag bereits fortgeschritten ist, checken wir nur unser Zimmer und besuchen gleich mit Buch und Liege das nahe Strandbad und auch…
…das gegenüberliegende.
Wir bewundern die eifrige Dampfeisenbahn und denken wehmütig an unseren Schafkäsexpress.
Wir beobachten wildes Segelgetümmel am Wasser und in der Luft am Südende des Achensees.
Der Startvorgang bei den Kite-Surfern benötigt den vollen Einsatz der Kite-Surfer-Frauen. Da ist es hilfreich, das Kite-Surfer-Baby einer fremden, aber irgenwie vertrauenswürdigen Spaziergängerin in die Arme drücken zu können.
Am nächsten Morgen wollen wir unseren ersten Tag im Rofan mit der Besteigung der Hochiss krönen.
Weil wir in großzügiger Laune sind, schenken wir uns die zweieinhalb Stunden Waldaufstieg und gondeln mit der Rofan Seilbahn zur Erfurter Hütte (1831 m). Dort angekommen, entlockt mir der Anblick dieses wunderschönen Plateaus einen tiefen Seufzer. Ganz andächtig stehe ich da, und die Dalfazer Wände leuchten unruhig gezackt in der Morgensonne.
Einigermaßen frech drängt sich der Gschöllkopf (2039 m) ins Bild. Darauf befindet sich die einem Adlerhorst nachempfundene runde, metallene Plattform mit beschrifteten Panoramatafeln. Für viele Sandalentouristen ein gerade noch machbares Ziel. (Die Dalfazer Wände und der Gschöllkopf sind auch die Hauptdarsteller im ORF Wetterpanorama.)
Meine erste Überlegung war eine Überschreitung der Dalfazer Wände. Ich kann aber die zu erwartenden Schwierigkeiten nicht ganz einschätzen, und so werden wir sie auf einem „prämierten“ Weg bis zur Dalfaz Alm umgehen.
Gleich zu Beginn unseres Wege kommen wir durch einen prächtigen Bergwald. Hier erkenne ich sofort einen steinegreifenden Dinosaurierfuß.
Wir wissen den Seilbahnaufstieg zu schätzen und genießen den hohen Ausgangspunkt.
Wir wandern durch lockeren Bergwald, durchschreiten ein Blumenmeer und erreichen nach kurzer Zeit…
…das Durrakreuz. In der Nähe dieses Kreuzes gibt es eine Abzweigung zur Rotspitze (2067 m). Wir ignorieren diese und gehen weiter.
Geduldig wie Schlittenhunde auf ihren Schlittenhundeführer warten weiße Segelboote auf den Wind. Der trödelt wie fast jeden Tag und kommt erst in den Nachmittagsstunden.
Am Nordende des Sees liegt Achenkirch – schon ganz nahe an der Grenze zu Deutschland.
Bereits nach einer halben Stunde erreichen wir die Obere Dalfazalm auf 1692 m.
Für eine Rast ist es noch viel zu früh, und darum wandern wir gleich in nordöstlicher Richtung an den Abbrüchen des Klobenjochs entlang. Je weiter hinauf wir gelangen, desto „enzianer“ wird die Flora.
Einmal so…
…und dann wieder ganz anders. In jedem Fall sind wir sehr…
… zufrieden – geradezu unverschämt zufrieden.
Wir müssen nicht durch das eindrucksvolle Steinerne Tor auf 1978 m, sondern zum östlich gelegenen Streichkopfgatterl.
Wir durchwandern Fels auf Fels liegende, übereinandergeschichtete, verdichtete Zeit.
Auf den Schneeresten überschlagen sich die Kitze voller Lebensfreude und Lebenskraft. Zu ihrem Glück wissen sie nichts vom Gamsgulasch auf der Speisekarte der Alm. Vielleicht hat Glücklichsein auch für uns Menschen viel mit Nichtwissen zu tun.
Wir erreichen das Streichkopfgatterl, und ich gehe noch die wenigen Meter auf den Streichkopf 2243 m.
Mein Blick hinab in die Lange Gasse wird schon wieder vom Gschöllkopf angezogen. Dieser Felsmugel ist unter den Bergen im Rofan eine echte „Rampensau“.
Nach dem Streichkopfgatterl ist schnell das Rote Klamml erreicht. Nur wegen ein paar Stahlseilen zum Festhalten findet es als „Schwierigkeit“ in allen Führern Erwähnung. Dabei ist es nur wegen seiner roten Farbe bemerkenswert.
Der Streichkopf von seiner felsigen Seite.
Nochmals der Blick auf die überschreitbaren Dalfazer Wände mit dem Dalfazjoch (2233 m).
Knapp unterhalb des Kammes mündet der kürzere Anstieg aus dem Osten ein (unser Abstiegsweg) und es sind nur noch wenige Meter zum Gipfel. Schlagartig steigt die Zahl der Mitwanderer und Gipfelaspiranten an. Die meisten kommen über diesen Anstieg auf den Gipfel.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hochiss (2299 m).
Es scheint so, als stünde jedem Gipfelbesucher sein ganz persönlicher Vogel zu und manchen noch viel mehr…
Wir teilen uns einen solchen Flattermann. Uns hat das Schicksal einen veganen Gelbschnabel zugedacht, und wir füttern ihn mit Apfelstücken.
Großartig ist der Blick in die Nordseite des Hauptkammes der Rofanabbrüche. Unter dem Spieljoch (2236 m) und der Seekarlspitze (2261 m) liegt die Ampmosalm mit einem ausgetrockneten Tümpel.
Der Grasrücken vor uns bildet das Spieljoch. An seinem Fuße ist unser Abstiegsweg gut zu erkennen, und rechts der Bildmitte sieht man den Aufstiegsweg auf das Spieljoch abzweigen. Direkt an der Kante zu den Nordabbrüchen zieht der Klettersteig hoch. Dahinter ist die Haidachstellwand (2192 m) bzw. links der ursprüngliche Namensgeber des Rofans (Sonnwendgebirge), das Vordere Sonnwendjoch (2224 m) zu sehen.
Im Norden ist der Vorderunnütz (2078 m) und der Hochunnütz (2075 m) zu erkennen. Wobei der Hochunnütz niedriger ist als der Vorderunnütz, aber doch höher als der Hinterunnütz (2007 m). Ist es unnütz das zu wissen?
Nordöstlich ist der felsige Rücken der Guffertspitze (2195 m) zu erkennen.
Buntgeschecktes beschäftigt abwechslungsreich unsere Augen.
Der westliche Blick zeigt eine große, verwirrliche Anzahl von Karwendelgipfeln im Wolkendunst. Links der Bildmitte, ganz wuchtig, ist das Sonnjoch (2457 m) zu erkennen. Links neben dem Sonnjoch ist um einiges niedriger auch der Hahnkampl (2080 m) zu sehen. Zu unserer Karwendelpremiere werden wir ihn in diesem Urlaub auch noch besuchen.
Lange sitzen wir bei angenehmen Temperaturen am Gipfel, aber irgendwann ist es genug und wir steigen unter der Südwand (durch diese führt ein Klettersteig) am Normalweg…
…entlang der schroffen Spieljochabstürze bis zum Gschöllkopf ab.
Die Hochiss im Rückblick.
Ordnungshalber besteigen wir auch noch die Rampensau. Wie eingangs erwähnt, hat sich dieser Zweitausender (2039 m) mutig den touristischen Anforderungen geopfert. Der Weg zu ihm ist für Touristensandalen tauglich gemacht worden.
Auf seinem Gipfel gibt es das Adlernest und als Adrenalinkick (weil es in den Bergen ja so fad ist) wurde eine „Abenteuerseilbahn“ errichtet. Auf der Homepage der Seilbahn AG heißt es: „Tatsächlich abheben heißt es mit dem AIRROFAN, einem Fluggerät, das vom Gschöllkopf herunter über einen Höhenunterschied von 200 m, eine Geschwindigkeit von 80 km/ h erreicht. Ein atemberaubender Erlebnisflug in den Fängen des Adlers“.
Keine Sorge, ich werde schon nicht zu moralisieren beginnen. Auch wir sind mit der Seilbahn hochgefahren, auch wir genießen die markierten und gewarteten Wege, auch wir kaufen uns ein kaltes Getränk an der Bergstation. Darüber werden sich die Puristen unter den Bergwanderern vielleicht auch erregen, aber wie heißt es schon 1888 in einer Gedichtsammlung: „Ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen“. Und wenn ich die Vielzahl der Nutzer dieses „atemberaubenden Erlebnisfluges“ sehe und den Spaß höre, den sie dabei haben, kann ich mich sogar ein wenig mitfreuen.
Südlich vorgeschoben und dominant über dem Achensee: Das Ebnerjoch (1957 m).
Links im Bild ist die Seekarlspitze (2261 m) gerade noch zu erkennen. Der große Felsblock links der Bildmitte sind die Roßköpfe (2246 m). Weit dahinter in der Bildmitte ist die Rofanspitze zu sehen (2259 m).
Ganz links befindet sich die Rotspitze (2067 m) als der südlichste Punkt mit Gipfelkreuz. In der Bildmitte ist das Dalfazjoch (2233 m), der höchste Punkt der Dalfazer Wände.
Wir erreichen die letzte Seilbahn ins Tal, und dort wo dieser wunderbare Tag seinen Anfang genommen hat, endet er auch – im Sonnenschein am Seeufer.
Obwohl dieser Bericht so umfangreich ist, habe ich doch so Vieles weglassen müssen (Bilder und Geschichten). Vielleicht komme ich im nächsten Tourenbericht noch dazu, zumindest ein paar von den Geschichten zu erzählen…
Im Anstieg ca. 780 HM und zurückgelegte Strecke ca. 9,8 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Rofangebirge (Auswahl):
- Mein Lieblingsduft: Rofan No. 2
Sagzahn (2228m), Vorderes Sonnwendjoch (2224m) - Ist mehr Rofan auch genug Rofan ?
Rotspitze (2067m), Dalfazer Roßkopf (2143m), Dalfazer Wand (2208m), Dalfazjoch (2233m) - Kleines Gebirge ganz bunt – Rofan!
Spieljoch (2236m), Seekarlspitze (2261m), Rofanspitze (2259m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Leider hat die Kompass Karte einen kleinen Fehler und die Gipfelbezeichnungen im Hauptkamm des Rofans sind nur halb zu lesen.
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Röder/Schmid (1975): Rofangebirge. AV-Führer. Bergverlag Rudolf Rother, München.
Wutscher (2013): Achensee. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.
Zahel (2006): Die schönsten Gipfelziele zwischen Bodensee und Wien. Verlag Bruckmann, München.
Zahel (2008): Bergseen die 70 schönsten Wandertouren in den Ostalpen. Verlag Bruckmann, München.