Die bleierne Müdigkeit nach einer anstrengenden Arbeitswoche macht, dass mein Körper schon beim Aufstehen lieber wieder liegen will. Da muss ich jetzt streng sein und meine Bettverwachsung dennoch aufgeben. Während die Welt offenbar in eine neue Phase der Widerwärtigkeiten taumelt, nehme ich mir für wenige Stunden eine Auszeit und besuche einen Gipfel, der nicht bei vielen auf einer dieser unerquicklichen Bucketlisten steht.
Zirka einen Kilometer nach der Mooshöhe parke ich meinen gletscherweißen Ochsenwagen und beginne mit Ochsengeschwindigkeit den langen Forststraßenweg zu meinem Gipfelchen. Denn in den ersten Metern einer Tour meinte mein Vater immer: „Wer schneller geht als ein Ochse, ist selber einer“. Dieses Sprichwort stammt zwar aus der Expeditionsmedizin und zielt vor allem auf die Situation bei Sauerstoffmangel in großen Höhen ab. Jedoch empfinde ich den Luftmangel selbst auf Meereshöhe immer am Beginn einer Wanderung so lange, bis sich meine Lunge eingegroovt hat.
Mich ständig umblickend und mit viel Ortsneugierde wandere ich hoch. Dass es Albinobäume gibt, wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht.
Oberhalb der Straße, mitten in einem Wiesenflecken, liegt die Jodlbauer Alm (809 m).
Nicht weit davon entfernt gelange ich zu diesem fensterlosen, scheinbar hermetisch geschlossenen Holzstadel.
An seinen Seitenwänden befinden sich Holztafeln mit Fledermausabbildungen.
In meinem Kopf taucht sofort ein Bild auf, wie es darin aussehen mag.
Und ich habe mich nach der Wanderung kundig gemacht: Es gibt ein österreichweites Artenschutzprojekt, wo im Besonderen Wochenstuben und Winterquartiere für Fledermäuse geschaffen werden. Um ein solches Quartier dürfte es sich hier handeln. Und weil ich eine ehrliche Haut bin, gestehe ich an dieser Stelle, dass ich nur eine einzige Fledermausart nennen kann: die Hufeisennase – und das war’s. Vielleicht sogar zur Überraschung von so manchem studierten Biologen flattern nächtens noch viele andere Fledermausarten durch den schwarzen österreichischen Nachthimmel:
- Rhinolophus hipposideros – Kleine Hufeisennase
- Myotis emarginatus – Wimperfledermaus
- Myotis myotis – Mausohr
- Myotis bechsteinii – Bechsteinfledermaus
- Barbastella barbastellus – Mopsfledermaus
- Rhinolophus ferrumequinum – Große Hufeisennase
- Myotis daubentonii – Wasserfledermaus
- Myotis brandtii – Brandtfledermaus
- Myotis mystacinus – Bartfledermaus
- Myotis nattereri – Fransenfledermaus
- Nyctalus noctula – Abendsegler
- Eptesicus nilssonii – Nordfledermaus
- Vespertilio murinus – Zweifarbfledermaus
- Eptesicus serotinus – Breitflügelfledermaus
- Pipistrellus pipistrellus – Zwergfledermaus
- Pipistrellus pygmaeus – Mückenfledermaus
- Pipistrellus nathusii – Rauhhautfledermaus
- Pipistrellus kuhlii – Weißrandfledermaus
- Plecotus auritus – Braunes Langohr
- Plecotus austriacus – Graues Langohr
Für Interessierte finden sich weitere Infos auf dieser Homepage:
http://www.fledermausschutz.at/start.htm
Hoch über dem Stadel thront der felsdurchsetzte Gipfel des Hahnbodens, und an seinem Fuße sprudelt …
… der Leerensackbach in gebührendem Abstand hinter einem grünen Vorhang, der aber erst noch werden muss.
Weil ich die Felsen endlich umwandert habe, fällt kurz vorm Erreichen der Pichelbaueralm-Jagdhütte die Sonne über mich her.
Das Licht ist jetzt ganz eigen.
Von flirrender Ruhe umgeben, habe ich jetzt zum ersten Mal einen guten Blick auf mein Ziel. Nicht durch die Felsen (linker Bildteil) will ich hoch steigen, vielmehr irgendwie oberhalb des Waldes rechts vom grauen „Felsturm“. Bis dorthin führt auch die Forststraße.
Ich erreiche die sehr still gelegene Pichelbaueralm-Jagdhütte.
Hier führt kein markierter Wanderweg vorbei, und kein Gipfel, kein See oder ein sonstiges Ausflugziel befindet sich in der Nähe. An solch einen Ort kommt keiner, der nicht will, der ihn nicht sucht. Hier herrscht die größtmögliche Abwesenheit von Menschen.
Alles ist irgendwie herzlich gepflegt. Dass die Besitzer ihr Refugium lieben, …
… ist an vielen Details zu ersehen.
Und die Steigerung dieses stillen Ortes ist das stille Örtchen.
Im Waldwogen vor mir kann ich auf den Leerensackriedel (1216 m) blicken. Warum ich das weiß? Ganz einfach, bei meiner Überschreitung des Dürrensteigkamms (Von der unbedingten Anwesenheitspflicht im eigenen Leben oder eine Biwaknacht & zehn Gipfel am Dürrensteigkamm: Teil 1) bin ich am bildmittigen Monument, das einfach ein …
… unbehauener Hinkelstein ist, vorbeigewandert.
Die Forststraße macht einen scharfen Schwenk, und jetzt sehe ich direkt auf den steilen Hang, den ich hochsteigen will.
Nach ein paar Metern eröffnet sich dieser Ausblick. Neben der Forststraße, die stille Jagdhütte und dahinter die schneebedeckten Haller Mauern.
Ich wandere zum Forststraßenende …
… bis zu diesem Hochsitz.
Mit dem Ruckizucki-oben-Sein wird das jetzt nichts, vermute ich bei diesem Anblick völlig zu recht.
Schon nach wenigen Metern mache ich meine Erfahrung mit dem, was in solch einem aufgeforsteten Hang nach dem Winter zuerst erwacht: es sind die Dornenranken der Brombeerbüsche und alle ihre kratzenden, ritzenden und schürfenden botanischen Cousinen und Cousins.
Das ist nur einer kleiner Teil der mir zugefügten Zerschundungen. Soll ich mich vielleicht gar an Peter Orloffs Weisheiten im Dschungelcamp 2019 halten? „Nie aufgeben ist keine Option“.
Ich muss die richtige Mischung finden, zwischen mich gehörig ins Zeug legen und vorsichtig vorgehen und das bei nur wenig Fußhalt.
An den Wipfeln und Ästen der kleinen Fichten ziehe ich mich hoch, entschuldige mich bei ihnen dafür und hoffe, dass ich nicht zum mitreißenden Erlebnis für die Bäumchen werde.
Ich quere unterhalb des Gipfelaufbaus den Hang und zeitlupiere die letzten steilen Meter hoch.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hahnboden (1242 m).
Blöd ist bloß, weil ich den ganzen Tag nicht reden musste und die Zunge nur dumm im Mund steckte, dass mir gerade beim Gipfelfoto, im Bergaufwettlauf mit dem Selbstauslöser, wieder einmal die Konzentrationszunge entschlüpft.
Familienintern wurde diese Konzentrationsäußerung von meinem Papa an mich und von mir an den Enkelsohn weitergereicht. Bildbelege lassen mich vermuten, dass auch bei den Bellinghams eine ähnliche Familiensitte beheimatet sein dürfte.
Arschknapp ist der Platz dort oben, und mein Jausenplatzerl ist von Steilheit umgeben.
So wie ich mir gerne erst dann eine Kappe aufsetze, wenn mein Gesicht schon sonnengebrandet ist oder ich einen Blick auf die Karte mache, wenn ich mich schon verlaufen habe, packe ich jetzt, nach beendetem Aufstieg, meine Grödel aus.
Diese Grödel, serviert auf Gams-Bemmerl, werden mir im Abstieg an meinen …
… Schuhen besonders munden. Grödel, die mich von der Tyrannei dieses grottig steilen Geländes befreien sollen.
Gerade jetzt fällt mir ein Songtext von Kreisky aus dem neuen Album „Blick in die Alpen ein“: Der Mensch gehört nicht in die Wildnis/Das ist wider die Natur/ Der Mensch gehört in eine Wohnung/Auf eine Sofagarnitur.“
Dieser Blick auf das Hochzöbel (1373 m) zeigt auch den Verbindungskamm, der felsdurchsetzt hierher, zum Hahnboden, zieht und ziemlich unbegehbar sein dürfte. Ich hab es schon einmal versucht.
Der Abstieg mit den Grödeln gestaltet sich jetzt viel einfacher als der Aufstieg ohne, obwohl die Landschaft weiterhin über viel Biestigkeit verfügt.
Erst kurz vor dem Erreichen der Forststraße treffe ich auf diese Steighilfe.
Sie dürfte den Jägern das Auslegen von Lecksteinen erleichtern, denn weiterführende Spuren gibt es nicht.
Sie nimmt ganz am Ende der Forststraße ihren Anfang und erleichtert nur die ersten Meter.
Das ist jetzt kein „wichtiger“ Gipfel, wird er auch nie werden. Jedoch habe ich in einer wunderbaren Landschaft den ganzen Tag niemanden angetroffen und bin ein wenig gefordert worden. Und so endet wieder einmal eine Wanderung mit Wohlgefühlen und ohne jede soziale Interaktion. Manchmal ist das gut so.
Zum guten Ende gustert es mich nach der Nummer 5 auf dieser, irgendwo von irgendwem handgeschriebenen Speisekarte. So ein gschmackig-schönes Wort. Danke Stefan für’s mir Zusenden, du weißt um meine Wortverliebtheit. Leider stand das auf der Heimfahrt in keinem Gasthaus auf der Karte.
Im Anstieg etwa 537 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 11,3 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region OÖ Voralpen (Auswahl):
- Im Oktobersommer auf den Kronstein (757 m)
Kronstein (757m) - Kühberg 1415 m
Kühberg (1415m) - Enns, Schleifenbach, Borsee und Hochbrand (1242 m)
Kraxenkogel (946m), Hochbrand (1242m) - Ramsauer Größtenberg
Ramsauer Größtenberg (1458m) - Mein Körper-Geist Dilemma und das Maisenkögerl (945 m)
Bräumauer (808m), Maisenkögerl (945m), Hutkogel (1054m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.
Manfreds Bergtouren: Hahnboden (1252 m), (abgerufen am 21.5.2024)