Nur einen Zipfel vom Polster

Ich nehme mir frei, weil heute die Sonne scheinen soll. Nach meinen letzten Nebeltouren wird es für mich Zeit, wieder einmal in einen blauen Himmel einzutauchen. In Eisenerz erstrahlen die umliegenden Gipfel im gleißenden Sonnenlicht. Am Präbichl schaut es aber ganz anders aus. 

Eigentlich will ich den Thalerkogel (1655 m) bei Trofaiach bzw. Vordernberg besteigen, ändere aber beim Anblick der Nebelbänke im Südosten meine Pläne und entscheide mich für den Polstergipfel (1910 m). Den habe ich auch noch nicht bestiegen, und bei der Anfahrt blitzt er bereits in der Sonne auf.

Der Blick von meinem Parkplatz bei der Handlalm nach Vorderberg. Vielleicht verliert sich dieser Hochnebel noch, aber ich habe mich schon für eine Tour auf den Polster entschieden.

Erstmals in diesem Winter habe ich nicht meine „Steinski“ an den Füßen, denn die Schneelage ist höchst-ideal. Ich quere die Skipiste, für Skitourengeher gibt es einen Durchschlupf im orangen Fangnetz.

Es ist fast zu warm, der Schnee ist einmal harschig und dann wieder weich, aber ich freue mich so oder so.

Ich werde den Handelgraben hochsteigen. Von den nahen Skipisten dringen keine Geräusche zu mir.

Dann lacht mir das Herz, der Nebel blaut auf und ich weiß, wer dahinter auf mich wartet.

Yipii – japadabadu! Blauer Himmel, es gibt ihn noch. Eine Schneeschuhgeherin kommt mir entgegen und ihr folgt eine große Gruppe, ebenfalls mit Schneeschuhen. Das sieht ganz nach einem Kurs fürs Schneeschuhwandern aus. Ich blicke in glückliche Gesichter, da schaut niemand abgerackert oder ausgeschunden aus. Alle Teilnehmer strahlen vor Lebensfreude, vielleicht doch ein Kurs in Glücklichsein.

Ich vergleiche ständig die Winterlandschaft mit dem mir bekannten Sommergesicht derselben. Landschaften verändern ihr Antlitz im meterhohen Schnee. Sie verlieren an Konturen und Schärfe. Alles wird kantenlos rund. Weiß behält die Farbendominanz und wird nur vom Himmel kontrastiert. Hier verlasse ich die eindeutigere Skispur, welche zur oberen Handlalm (1367 m) und weiter in den Lamingsattel (1677 m) zieht und gehe zur Materialseilbahn der Leobnerhütte weiter.

So habe ich mir das vorgestellt. Weiß, blau und die weißen Tupfen im Blau kratzen mich nicht.

Am felsigen Gipfelaufbau über dem Polsterkar kann ich mein heutiges Ziel schon ausmachen. Durch das untere Drittel dieses Kares führt der Knappensteig. Für mich der schönste Anstieg im Sommer.

Links der Bildmitte (Starkstrommast vor blauem Himmel) befindet sich mit dem Hirscheggsattel ein Etappenziel.

Ich lasse mich von den vorhandenen Aufstiegsspuren viel zu hoch in Richtung Lamingsattel „mitnehmen“ und quere erst weit oberhalb der Strommasten in Richtung Hirscheggsattel.

Ich befinde mich schon über der Leobnerhütte, aber am Hang gegenüber. Meine geplante Abfahrtsroute führt jedoch an ihr vorbei.

Überall blauer Himmel, nur der Polstergipfel hüllt sich zunehmend ein. Soll ich mir Gedanken machen?

Ganz wohl fühle ich mich im Südhang der Vordernberger Grießmauer (2015 m) nicht.

Wie eine mittelalterliche Burg ragen die Türme der Griesmauer aus dem Schnee ins Blaue.

Ist es noch Nebel, oder sind das schon Wolken? Eine einsame Spur zieht vom Hirscheggsattel (1699 m) mitten in das Nebel -bzw.Wolkengebräu hinein.

Ich rufe die Sonne an und fordere sie zu größerem Einsatz auf. Ich will mehr Power, mehr Engagement. Sie muss den Gegner unter Druck setzen. Pressing und Forchecking sind die erforderlichen Mittel gegen den Nebel. Sie soll sich den Wind zum Vorbild nehmen, denn der pfeift mir zunehmend hart und kalt um die Ohren.

Die Lichtverhältnisse nehmen den aufragenden Felsgestalten jede Sprödigkeit. Unzerstörbar ewiglich in Eis und Schnee gefangen.

Rückblick zu meiner Anstiegsroute. Oberhalb der Stromautobahn habe ich diesen, in der Rückschau doch steilen Hang, gequert.

Müssen alle meine Skitouren in diesem Winter in einem Blindflug enden?

Die einzige Orientierung sind markierte Eisenstangen, welche den Sommerweg auszeichnen und mein verlässliches GPS.

Die übliche Winterbesteigung des Polsters endet am Gratanfang. Zum Sender bzw. Gipfelkreuz geht gewöhnlich niemand weiter. Ich will aber zum Gipfel und steige vorsichtig über den Grat. Als einzige Orientierungshilfe taugen die Eisenstangen. Ich gehe wenige Meter oberhalb der Stangen und weiß trotzdem nie genau, ob ich schon auf einer Schneewechte stehe, oder doch noch auf festem Grund. Jedesmal, wenn der Boden wegbricht, zucke ich zusammen.

Dieses Spiel setze ich bis zur Nullsicht fort. Ich befinde mich nur wenige Schritte vor dem felsigen Aufbau und damit auch nur ein paar Meter vom Sender entfernt. Der ursprüngliche Plan sah meine Abfahrt über die Skipisten vor. Dazu müsste ich aber über den Gipfelfelsen steigen.

Ich verharre an dieser Stelle, weil ich darauf hoffe, dass ein Windstoß für ein paar Sekunden die Wolken verbläst und ich Licht und Übersicht bekomme. Nur ein Blick würde mir schon reichen, um die Situation und den Weiterweg klären zu können. Lange zwanzig Minuten sitze ich mit dem Rücken zum Wind und warte. Nichts klärt sich, vielleicht haftet  der Nebel nicht am Berg sondern an mir?  Es wäre unvernüftig weiterzugehen, und so entscheide ich mich für den Rückzug.

Am Grat folge ich meiner eigenen Spur, und danach habe ich zumindest bis zur Leobnerhütte ganz vernüftige Abfahrtsverhältnisse. Der Sulzschnee wartet weiter unten auf mich.

Die Leobnerhütte ist eingewintert. Leider nicht nur für diesen Winter. Sie befindet sich seit 2009 in einem Dornröschenschlaf. Eine Revitalisierung bzw. Neuerrichtung ist in Planung, dürfte aber an den notwendigen Finanzmitteln bis dato gescheitert sein.

Das sind schon gewaltige Schneemengen. Die Sonne spielt ihr Spielchen mit mir und lacht sich ins Sonnenfäustchen.

Skurril muten nur die kurz vor der Schließung sanierten Rauchfänge auf der alten Hütte an.

Lamingegg (1959 m) und Leobnermauer (1870 m)  wollen sich auch nicht zeigen, und so bleibt mir nur noch der Heimweg.

Der Tiefblick zeigt mir noch die Obere Handlalm .

Der Schnee ist sulzig und nass. Ich fahre fast in direkter Linie ab.

Somit hat es heute nur für den Zipfel vom Polster gereicht. Ganz unglücklich bin ich über den gescheiterten Versuch auch nicht. So werde ich diesen oder einen anderen Sommer wiederkommen, den Polster (1910 m) und auch den Niederpolster (1796 m) besteigen und mir einen schönen Bergtag machen.

Im Anstieg ca. 720 Hm und zurückgelegte Strecke ca. 9,1 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

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Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Auferbauer (1990): Hochschwab. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Hödl (2003): Wandererlebnis Hochschwab & Hohe Veitsch, Almen, Gipfelwege, Hütten. Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten.

Schall et al. (2008): Schitouren-Atlas Österreich Ost. Schall Verlag, Alland.

Zeller (2006): BergErleben Bd. 2, Eisenerzer Alpen, Hochschwab West. Verlag Gertraud Reisinger, Spielberg.