Sengsengebirge erster Tag

Von vielen Standorten und Gipfeln der letzten Jahre konnte ich das Sengsengebirge sehnsuchstvoll betrachten. Ich wollte aber nicht in Tagestouren einzelne Gipfel herauszupfen, sondern bei einer Überschreitung zum ersten Mal auf dem Schillereck, dem Hochsengs und auch zum ersten Mal auf dem Hohen Nock und dem Größtenberg stehen.

Mein Ausgangspunkt ist der Stausee bei Klaus. Wie man auf diesem Bild gut erkennen kann, hält die Staumauer nicht nur das Wasser, sondern auch den Nebel zurück. Gut so. Mein Rucksack ist groß, denn ich habe den gesamten Hausrat eingepackt. Somit ist bis auf ein paar Bilder an den Wänden und etwas Lurch am Boden meine Wohnung nackt und leer. Sollte ich mich verirren, kann ich mich mit seinem Inhalt locker nach Frankreich oder Finnland durchschlagen oder gar in Norwegen ein fertig eingerichtetes, neues Leben beginnen.

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In der Vorbereitung zu dieser Überschreitung finde ich viele ausführliche und reich bebilderte Berichte im Netz. Wie so oft im Leben, gibt es auch für diese Überschreitung mehr als eine Möglichkeit. Ich lege für mich den Parkplatz bei der Jagdhütte Rettenbach als Endpunkt fest. Entweder ich finde eine Mitfahrgelegenheit, oder ich lasse mich von einem Taxi zum Ausgangspunkt zurückbringen. Eine dritte (weniger geschätzte) Möglichkeit wäre der weite Straßenhatscher nach Windischgarsten, um mit Bus oder Bahn zum Auto zu kommen.

Ich bin schon spät dran, der Herbst verkürzt die Tage, und ich habe heute noch 1600 Höhenmeter zu bewältigen.

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Ich wandere den Stausee entlang, unter der Autobahnbrücke durch und biege auf den markierten Weg 460 ein. Niedergeschallt von einer nahen Autobahn habe ich noch keine Wanderung begonnen.

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Durch lichten Wald führt mich der Weg steil und damit schnell hoch.

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Für heute und morgen ist ruhiges, warmes Herbstwetter angesagt. Morgen soll es erst gegen Abend zu einem Wetterumschwung kommen. Zumindest für heute stimmt die Vorhersage schon einmal. Warm und fast windstill ist es.

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Unterhalb des Siebensteins (1246 m) gehe ich ein kurzes Stück auf der Forststraße. Den Siebenstein wollte ich ursprünglich auch gleich besteigen, aber mein Rucksack ist ja so was von dagegen. (Am 5.11.2016 habe ich ihn dann doch bestiegen.)

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Der Spering schaut von dieser Stelle völlig unspektakulär aus.

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Der Waldweg ist geputzt und ausgeschnitten. Die Geräusche der Autobahn habe ich  gegen würziges Herbstwaldaroma eingetauscht.

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Endlich kann ich über die Baumwipfel blicken. Ich sehe Vertrautes. Links im Bild ist der Kasberg (1747 m) zu sehen. Dann kann ich das Hochedl (1424 m) und die Rieserschneid (1390 m) erkennen. Bildbestimmend ist aber die Kremsmauer (1604 m) und der Pfannstein (1223 m).

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Im Norden erkenne ich: Großer Spitzberg (1396 m), kleiner Spitzberg (1366 m) und Schwarzkogel (1300 m), dahinter den Ramsauer Größtenberg (1458 m).

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Ich erreiche wieder die Fortstraße und muss mich hier entscheiden. Will ich den Spering noch besteigen, oder wird mir mit diesem Abstecher (ich kann den Aufwand mit dem Wohnungsinhalt am Rücken nicht gut einschätzen) die Zeit zu knapp?

Ich entscheide mich für die sichere Variante und verstaue den Spering in meiner Gipfelvorratsdose.

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Auf der Forststraße zum Sender begegne ich einem Einheimischen. Er kommt vom Schillereck und will zu Mittag wieder bei Frau und Kindern sein. Er sieht meinen Rucksack und meint, dass ich damit ohne nachzufüllen sicher nach Finnland kommen werde. Ebenso meint er, dass es vom Sender einen Zugang zum Spering gibt, gar nicht weit. Ich werde schwach und will den Spering jetzt doch besteigen. In beiden Fällen irrt sich der Gute. Weder Finnland noch der Spering gehen sich für mich aus, denn…

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…Wildspuren locken mich in  Latschengassen, welche abrupt in steil, schmutziges Labyrinthgelände führen. Vom Sender weg finde ich Steigspuren mit Steinmännchen gesäumt, aber auch diese Spuren verliere ich. Nach einer Stunde des Suchens und mich selbst verwünschen gebe ich auf.

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Ich werde mir ein Plätzchen am Fuße des somit ersten Gipfelzieles des heutigen Tages suchen. Das Schillereck (1748 m) wartet auf mich.

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Die Funkstation auf ca. 1476 Meter Seehöhe besitzt einen für jeden zugänglichen Notschlafraum. Wobei das „Not“ nur die Eventualität meinen kann, denn dieser Raum entspricht fast schon dem Gästezimmer in einer Pension. Zwei Betten, Licht, Heizung – Bergsteiger was brauchst du mehr.

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Oberhalb des Senders (Auf der Hutn) setze ich mich in die Sonne und betrachte die Prielgruppe. Dabei stärke ich meinen von der vergeblichen Wegsuche geschwächten Körper. Von der Südseite (Lackerboden) erreicht eine einsame Wanderin den Grat. Sie will ebenso bis zum Biwak und dort übernachten. Sie heißt Claudia und eilt nach einer kurzen Plauderei rasch weiter.

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Für mich heute uneinnehmbar: die Burg des Spering (1605 m). Zu einer nachhaltigen Belagerung und anschließenden Erstürmung fehlt mir die Zeit. (Proviant hätte ich aber genug dabei.) Nachtrag: Am 5. November 2016 konnte ich den Spering dann doch noch besteigen: Wuthering Heights im Sengsengebirge: Spering (1605 m) im Föhnsturm.

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Der Weg zum Schillereck gibt mir schon einen Vorgeschmack auf das noch Kommende. Der Weg führt durch hohe Latschengassen zuerst auf einen Vorgipfel des Vorgipfels, und erst danach…

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…wird er zum Gipfelanstieg.

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Obligatorisch und unverzichtbar: Schillereck (1748 m) auch Kasberg genannt.

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Ich sitze im milden Nachmittagslicht am Gipfel und freue mich einfach hier zu sein.

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Es schleichen sich aber bereits Abendschatten ins Land.

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Wieder einmal bin ich aus der Zeit gefallen. Ich versuche beim Umherblicken, zwischen bereits besuchter und unbesuchter Ferne zu unterscheiden.

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Zen-Mönchen ähnelnd meditieren tatenlose Berggestalten im Nebelsee.

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Jeder meiner Atemzüge, jeder meiner Blicke bedeutet eine weitere Einzahlung auf mein immaterielles Guthaben.

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Ab dem Schillereck besteht die Überschreitung aus einem ständigen Geben und Nehmen. Immer wieder gebe ich Höhenmeter her, um Einschnitte im Grat zu umgehen. Immer wieder nehme ich Schwung, um den nächsten Anstieg zu bewältigen.

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Nördlich vorgelagert ist der Rücken mit dem Haderlauskögerl (1547 m), Rotgsol (1560 m) und Zwielauf (1540 m) zu sehen. Irgendwo dort sitzt auch die Pölzalm und die Feichtauhütte.

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Die Wegerhalter bzw. Wegverantwortlichen (OeAV Sektion Molln-Steyrtal) leisten großartige Arbeit. Meter um Meter muss der Pfad freigeschnitten werden. Und das  über weite Strecken und immer wieder.

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Nach einem Abstieg winkt wieder einmal ein Anstieg. Nur der Schwung fehlt mir schon ein wenig.

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Der Blick zurück. Die Nordabbrüche bilden gewaltige Wandfluchten.

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Immer öfter schwindeln sich Pausen in meine Aufstiege.

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Dieser Rückblick zeigt überwundene Zwischenmugel. Nicht einmal Schneewittchen hinter den sieben Bergen ziert sich so, wie heute der Hochsengs.

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Ob es wirklich sieben Aufstiege sind, weiß ich nicht, aber nach einem neuerlichen Anstieg…

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…folgt der unweigerliche Abstieg mit der Aussicht auf einen neuerlichen Aufstieg. Unter meinen Füßen wird der Weg zur Kriechspur.

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Am tiefsten Punkt des Einschnittes hoffe ich auf die letzte Steigung des heutigen Tages. Ich fühle mich wie ein gebrochenes Wildpferd. Die wilden Mustangs in Nevada wurden von den Cowboys müde geritten, bis sie ihren freien Willen aufgaben. Ebensolches ist heute meinem Rucksack mit mir gelungen.

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Dann hat die Mühe endlich ein Ende. Obligatorisch und lange ersehnt: Gipfelfoto Hochsengs (1838 m). Den übergewichtigen „Reiter“ konnte ich für kurze Zeit abwerfen, und mein glückliches Wiehern ist weit zu hören.

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Der Blick zurück zeigt, wie sich der soeben überschrittene Kamm in den abendlichen Scherenschnitt einreiht. Nach mir kommen zwei junge Burschen auf den Hochsengs. Auch sie wollen zum Biwak. Kommt jetzt nicht noch jemand aus der anderen Richtung, werden wir wohl zu viert sein.

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Ich male von der Prielgruppe ein letztes Foto im Abendlicht.

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In der Abendsonne gelingt mir noch ein Bild von meiner näheren Zukunft. Rechts der Bildmitte werde ich heute nächtigen, und links der Bildmitte ist ein Teil meines morgigen Vorhabens zu sehen. Sehr gut ist die Gestalt des Sengsengebirges zu erkennen. Im Süden flacht es fast sanft ab. Wie ein vermoostes Hausdach ist es grün bis zu den nördlichen, kalkweißen Abbrüchen. Lärchen und Ahorn reichen weit hinauf, und darüber hinaus ähnelt Latschendickicht krausem Haar.

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Auf den letzten Sonnenstrahlen gleite ich hinab.

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Unterhalb des Hochsengs ist eine kurze, plattige Steilstufe mit Seilen versichert. Diese Stelle nennt sich ganz eigenwillig „Hale Örtl“. Trotz meiner Recherchen kann ich zur Wortherkunft nichts herausfinden. Informationen dazu würden mich wirklich interessieren. Mit Schneeresten oder Eis im Nebel ist dieser Abschnitt sicher weniger lustig, aber so trocken wie heute ist er nicht schwierig zu gehen.

Nachtrag vom 17.5.2015: endlich habe ich eine Erklärung für’s eigenwillige „Hale Örtl“ erhalten. Vera schreibt mir: hal bedeutet eisig/rutschig auf oberösterreichisch und scheint die Stelle damit ganz gut zu beschreiben. :)“.

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Nach der Querung dieses Wandabschnittes…

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… sind es nur noch wenige Minuten zum Biwak.

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Ich erreiche das Uwe-Anderle Biwak. Georg, Christoph und Claudia haben es sich schon bequem gemacht. Wie sich herausstellt, lauter angenehme Zeitgenossen. Einem gemütlichen Abend steht nichts im Weg. Überhaupt ist dieses Biwak auf 1583 m  großartig: 6 Betten, Solarstrom fürs Licht, Geschirr und Gaskartuschen sind vorhanden. In Tagen wie diesen genügt ein Hüttenschlafsack völlig. Nur Wasser ist im Sengsengebirge nicht zu bekommen. Das muss mitgetragen werden.

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Ich habe in meiner Packorgie natürlich den Schlafsack mitgenommen…

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…und meine eigene Gaskartusche, Geschirr, Speckbohnen, Gebäck und Bier und Süßigkeiten und, und…

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Zur abendlichen Unterhaltung begutachten wir gemeinsam das Hüttenbuch und stellen eine kleine Hochrechnung an:

Der Jahresschnitt der Übernachtungen seit Beginn (natürlich nur derjenigen, die sich eintragen und den geringen Hüttenobulus entrichten) liegt bei ca. 185 Schläfern. Das sind viel, viel weniger, als ich angenommen habe. Modeberge haben oftmals mehr Tagesbesucher. Wir plaudern noch ein wenig und begeben uns sehr früh in unsere Betten. Ich bin sowieso ein Frühinsbettgeher und habe damit keine Probleme. Wir alle spüren schon ein wenig die Müdigkeit und schlafen sehr schnell ein. Lange Zeit ist es eine ruhige Nacht, bis ich nicht von einem Schnarcher, sondern vom Föhnsturm geweckt werde. Er rüttelt gewaltig an der Biwakschachtel und schafft es trotzdem nicht, sie vom Berg zu blasen. Ich fürchte, der Wetterumschwung kommt früher, als ich ihn gebrauchen kann.

ErsterTagbearbeitet

Im Anstieg ca. 1690 Hm – im Abstieg ca. 585 HM und zurückgelegte Entfernung ca. 13,6 km.

Der nächste Tag.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Sengsengebirge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Information zur Überschreitung des Alpenvereins OÖ.

Auferbauer (2003): Bergtourenparadies Österreich. Verlag Styria, Graz.

Heitzmann, Harant (1996): OÖ-Voralpen. OeAV-Führer, Ennsthaler Verlag, Steyr.

Heitzmann, Harant (1984): Reichraminger Hintergebirge, Ennsthaler Verlag, Steyr.

Heitzmann, Harant (1999): Reichraminger Hintergebirge (Neuauflage) Ennsthaler Verlag, Steyr.

Hochhauser (2008): Oberösterreichische Almen 78 traumhafte Alm- u. Hüttenwanderungen. Verlag Styria, Graz.

Lenzenweger (2009): Eisenwurzen, Nationalpark Kalkalpen. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.

Loderbauer/Luckeneder (2012): Wandern & Bergsteigen Oberösterreich. Kral Verlag, Berndorf.

Neuweg/Peham (2004): Schutzhütten Touren, Wanderwege, Geschichte. Verlag Ennsthaler, Steyr.

Radinger (2009): Wandererlebnis Kalkalpen mit Haller Mauern. Residenz Verlag, St. Pölten.

Senft (1999): Wandern entlang von Enns und Steyr. Verlag Leopold Stocker, Graz.

Sieghartsleitner (2009): Der Nationalpark Kalkalpen Weitwanderweg. Ennsthaler Verlag, Steyr.