Sitzt, passt, wackelt und hat Luft: Hieflerstutzen (1487 m)

Dass Gipfel abseits des Bergehrgeizes spannend sein können, beweist diese Wanderung. Solch einen Unscheinbarling habe ich mir für die schönste Jahreszeit der Welt aufgehoben. Schon bei meiner Kampermauer Besteigung habe ich den Hieflerstutzen mit einer entsprechenden Bemerkung in meine Gipfelvorratsdose gesteckt:

„Der Grat zum Gipfel des Hieflerstutzens schaut schon interessant aus. Wenn der Herbst, der Pyromane unter den Jahreszeiten, die Wälder im Hintergebirge flammengelb und blutrot niederbrennt, ist das ein lohnendes Ziel für mich.“

Bevor es aber soweit ist, steht die Ampel zuerst einmal auf Rot. Sie regelt auf der Straße zum Hengstpass eine vorübergehende Engstelle. Von der Corona-Ampel, die schon in wenigen Monaten das ganze Land anhalten wird, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts.

Dort, wo die Forststraße von der Menauer Alm in den Hengstpass einmündet, parke ich mein Auto. Bei meinem Kampermauer Besuch habe ich den felswandgrauen Vauwe ebenfalls hier abgestellt, und bin sogleich dieses Forststräßchen zur Alm hochgewandert.

Diesmal asphaltiere ich jedoch die Passstraße hoch. Nach nicht einmal einem Kilometer…

…erreiche ich den höchsten Punkt am Hengstpass (985 m).

Mittlerweile ist auch der Schwarzkogel angeschrieben, das war früher nicht der Fall.

Beim Anblick dieses personisierten pferdisierten Hengstpasses in der Figur des „Hengstis“ beginnt mich etwas im Gedächtnis zu jucken. Das ist eine eigene kleine Geschichte und die muss bis zum Schluss warten.

An der schmucken Spitzenbergeralm vorbei…

…zieht der Pfad über die Weidefläche hoch…

…bis in den Wald hinein.

Aus diesem heraus verliert sich der Steig im Wiesenhang ein wenig. Man folgt hier nicht dem Grabeneinschnitt sondern steigt die ziemlich steile Weide zum Spitzenbergriedel hoch. Die Tannschwärze (1533 m) ist schon zu sehen. 

Sehr finster muss der Wald die Einheimischen angemutet haben, Tannschwärze und Schwarzkogel nennt man Gipfel nicht ohne Grund. 

Am grünen runden Rücken des Spitzbergriedels weitet sich der Blick.

Bei meiner Quenkogel – Wasserklotz Überschreitung im November 2012 habe ich dieses Foto von meinen heutigen Gipfelzielen gemacht:

Diesen grünen Buckel bin ich schon oft entlanggewandert. Zu Fuß und mit Ski. Weil dieser Teil des Hintergebirges so einfach zu erreichen ist, könnte man vermuten, dass wanderwillige Massen die Bergkämme und Wiesen bevölkern. Davon ist nichts zu sehen. Nur die Skitourengeher im Winter kommen in herdenähnlicher Vielzahl vor. Winterbilder und eine Beschreitung des Bergrückens in umgekehrter Richtung finden sich in meiner Kampermauer Tour: Kampermauer (1394 m) und das gelegentlich Gefährliche beim Bergwandern.

Diesen besonders schönen Herbsttag teile ich mir mit nur wenigen anderen Wanderern.

Bald schon befinde ich mich kurz vor der Tannschwärze: Blick zurück auf den Spitzenbergriedel.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Tannschwärze (1533 m). Das ist der Wintergipfel, den im Winter ordenlich Schnee verwehten Grat weiter zum Schwarzkogel führt die Skiroute nicht.

Ein feines Platzerl mit Bank und die Aussicht…

…ist allemal mächtig genug.

Für den Hieflerstutzen hätte ich den kürzeren Anstieg über die Menaueralm nehmen können, aber auf solch eine Kammwanderung darf ich nicht verzichten, das wäre ein Frevel, eine Sünde wider die Schönheit und vielleicht sogar ein Verstoß gegen irgendein religiöses Gebot.

Nicht hier heroben, am wunderbar begehbaren Kamm, sondern dort unten, in den Steilhängen und Abgründen, beginnt die Wildnis dieses Waldgebirges

Dem Staudenplangraben fehlen nur ein paar Prozente für die Senkrechte.

Schon nach kurzweiligen fünfhundert Metern erreiche ich den zweithöchsten Gipfel des Reichraminger Hintergebirges. Nur der Doppelgipfel des Größtenbergs (1724 m) ist höher. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Schwarzkogel (1554 m).

Der bald schon folgende Abschnitt ist Neuland für mich. Wolfgang Heitzmann schreibt im AV-Führer Oberösterreichische Voralpen:

„Hieflerstutzen 1487 m. Dem Schwarzkogel östl. vorgelagerte, touristisch unbedeutende Erhebung. Urwaldartige Wildnis; das hier geschlägerte Holz wird per Hubschrschrauber zu Tal gebracht. Vom Schwarzkogel über den Verbindungskamm (die Schrofen werden umgangen) in 30 -40 Min. erreichbar“.

Das will ich mir jetzt nicht nur im Zoom aus der Nähe ansehen.

Ich bleibe so lange am markierten Weg, bis dieser…

…südlich steil in Richtung Kampermauer hinabzieht.

Dort verlasse ich den Pfad und bleibe am Rücken bis zu diesem Latschenband. An seinem Ende fällt das Gelände steil in felsige Schrofen ab. Das ist nichts für mich. Ich steige entlang der Schrofenkante zirka sechzig Meter ab. Der Blick ist mein Kundschafter und Fährtensucher und wichtiger als Karte und GPS.

Bis ich unter diese Wandabstufung Pfadspuren entdecke. Hier scheint ein Wegrest oder zumindest eine Wildspur…

…unterhalb der Felsschrofen durch steiles Gelände in den grimmig grau-grünen Abhang zu führen.

Vorsichtig quere ich den Steilrasen bis zum Rücken des Hieflerstutzens. Es ist zwar sausteil, aber nicht besonders schwierig.

Den heikleren Wegabschnitt habe ich somit überstanden. Helmut Seiringer hat bei einer anderen, schwierigeren Wegwahl hier irgendwo seine Kamera (Nikon D90) versenkt. Die hat sich aus der Verankerung am Gürtel gelöst und ist wie ein Stein bergab gehüpft. Man liest seinem spannenden Tourenbericht an, wie wenig Freude er mit seiner Besteigung des Hieflerstutzens hat: Kampermauer – Hieflerstutzen – Schwarzkogel. Das hat ihn aber zu unserem Glück nicht daran gehindert, bis zum Kameraabsturz tolle Fotos zu machen.

 

Hier treffe ich auf eine durchscheinende Schönheit. Es ist, als würde mir der rote Teppich über dem Kopf ausgerollt werden. Unter den Füßen sieht es ganz anders aus.

Jede nur denkbare Art von stein- und waldmöglichen Hindernissen legt sich mir in den Weg.

Es findet sich jedoch immer eine Möglichkeit, die Schrofen zu umgehen oder zu überwandern.

Dann folgt die Belohnung, der erste Preis dieser Wanderung: Eine feine, langgezogene sonnige, schmale Lichtung.

Durchatmen und rudimentäre Körperpflege sind jetzt angesagt.

Ich bin völlig vernadelt. Fürs Gipfelfoto möchte ich jedoch in glänzender Verfassung sein. Wobei ich schon froh bin, wenn ich beim Gipfelfoto essensrestefrei in die Kamera blicke.

Das Lärchennadel-Thema habe ich sogar in einer eigenen Forschungsarbeit statistisch aufgearbeitet:

Und dann ist es geschafft: Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hieflerstutzen (1487 m).

Ich wandere noch ans Ende des Rückens,…

…um ein paar Einheimische zu grüßen…

…und einen Blick in den Osten zu erhaschen.

Blick zur Bodenwies und den Dürrensteigkamm. Diese zweitägige Überschreitung ist ein Wanderwunder in den OÖ Voralpen: Von der unbedingten Anwesenheitspflicht im eigenen Leben oder eine Biwaknacht & zehn Gipfel am Dürrensteigkamm: Teil 1

Zwischen mir und dem Grünplangraben, zirka zweihundert Meter unter dem Kamm, entdecke ich diese Jagdhütte. Eine versteckteres und abgelegeneres Domizil habe ich noch selten gesehen.

Im Gegenlicht der Gegenrichtung befinden sich die Haller Mauern.

Danach knotze ich mich in die Lichtung, strecke die Beine aus und verwöhne mich mit dem essbaren Teil meines Rucksackinhaltes. Gedanklich beschäftige ich mich bereits mit dem Abstieg.

Im oberen Bildviertel kann man gut die „Rampe“ in den Steilrasen sehen. Eine andere gute Möglichkeit auf den Hieflerstutzen zu kommen, sehe ich da nicht.

Wieder an den Felsschrofen vorbei…

…oder darüber…

…gelange ich unterhalb dieser Bäume…

…zur Steilrasenquerung. Bei Restschnee oder Nässe wäre ich hier besonders vorsichtig. Ein möglicher Ausrutscher…

…könnte sehr weit hinab führen.

So sieht der Rampeneinstieg aus der Nähe aus.

Jetzt trotte ich durch diesen herrlichen Herbstwald zum markierten Weg zurück und steige mit Blick zur Kampermauer weiter ab.

Der heikle Zustieg zur Kampermauer wurde mittlerweile mit einem Halteseil gesichert.

Die Weideflächen der Menaueralm…

… ziehen bis in die Einsattelung herauf. Es gibt einen bequemen Zaunüberstieg, und da wandere ich jetzt gemütlich hinab.

Auf der Bank bei der Menauaueralm ruhend, lasse ich mir von meinem verstorbenen Bruder aus schon gestorben gelaubten Erinnerungen Gesellschaft leisten.

Ein winziger Anstoß in Form dieser Comicfigur hat dafür gereicht.

„Den Mann, den sie Pferd nannten“ war lange Zeit in der Fußballmannschaft des FC Waidhofen der Spitzname oder besser der achtungsdurchzogene Schmähname für meinen ältesten Bruder Kurt. Den bekam er verpasst, weniger wegen seiner leicht vorstehenden Schneidezähne, sondern, wegen eines Films, der zu dieser Zeit ins Kino kam. Dieser Film erzählt vom Ertragen und Aushalten von Qualen. Von der freiwilligen Hingabe an Marter und Schmerz. Bei Kurt war das ein Wesensmerkmal: seine unglaublichen Fähigkeit im Training sich bis zum Alleräußersten zu quälen.

Das zu einer Zeit, in der ein junger Spieler schnell lernte, Stunden vor einer Ausdauereinheit nicht zu essen, weil Erbrechen ein durchaus üblicher, vielleicht sogar gewünschter Nebeneffekt war. Der Übungsleiter wusste dadurch, dass man an seine Leistungsgrenze gegangen war. Es wurde Jahrhunderte weit weg vom heutigen Stand des Wissens trainiert und wie ich heute vermute, auch vom damaligen.

Waidhofen/Ybbs spielte in der dritthöchsten Spielklasse und wurde vom ehemaligen Sportklub, Lask, und Kaiserslautern-Profi, Peter Schmidt trainiert.

Sogar der Teamkollege von Peter Schmidt beim Sportklub, Kurt Leitner, spielte eine Saison in Waidhofen. Der war natürlich nicht mehr der Schnellste, konnte aber einem sprintenden Stürmer den Ball über vierzig Meter vor die Füße spielen. Wenn ich heute Alaba oder Boateng solch einen weiten Pass spielen sehe, denke ich an den Leitner Kurtl.

Jedenfalls waren die Trainingsanforderungen für eine Amateurmannschaft entsprechend hoch. Mit seinem masochistischen Willen setzte Kurt die ganze Mannschaft, und da besonders die angealterten „Stars“, gehörig unter Druck. Weil er jedoch zu den besten Torschützen der Liga gehörte, war seine Position in der Mannschaft unantastbar, und der Unmut suchte sich mit solchen Spöttelein sein Ventil.

Auch mein zweitältester Bruder Klaus spielte als großartiger Mittelfeldspieler eine wesentliche Rolle in diesem Team. Ich konnte weder mit Klaus noch mit Kurt nur annähernd mithalten. Ich war und blieb das (lauffaule) schlampige Talent. Schon mein erstes Jahr bei den „Großen“ war wenig erfreulich. Besonders unangenehm war ich von der Härte des Trainigs und dem kalten Umgang miteinander überrascht. So eine Fußballmannschaft, Fußballrudel ist ein Testosteron-Rudel mit klarer Beißordnung, wenig rücksichtsvoll im Umgang, archaisch. Und weil mir an solchen Kämpfen in der Statusarena schon damals nichts gelegen war, stand ich die meiste Zeit irgendwie neben mir.

Von links nach rechts: Klaus, Peter, Kurt

Kurt und Klaus waren dem bezahlten Fußball schon sehr nahe. Angebote der Bundesliga gab es. Verletzungen verhinderten ihr Weiterkommen, und zunehmender Verlust an Spielspaß ließ uns nacheinander mit dem Fußballspielen aufhören.

Klaus fand das Sportklettern:

Hier in der  First class 10+:  Eine überhängende Wandkletterei an schlechten Leisten im Schwierigkeitsgrad 8b+ und das immerhin vor über zwanzig Jahren. (Mehr als acht Jahre vergingen bis zur ersten Wiederholung. Bis heute wurde diese Route nicht oft geklettert.)

Über die Kletterszene im Ennstal erzähle ich im Anhang zu diesem Blogeintrag ein wenig: Westlich des großen Baches: Schneeberg (1244 m) und Tannscharten (1211 m).

Kurt ging in die Berge und entdeckte seine Liebe zum Mountainbike – bis er an einem wunderschönen Augusttag 1996 mit einem Herzinfarkt vom Rad kippte und mit 38 Jahren starb.

Und aus mir wurde (etwas später) der Monsieur Peter, der auch heute noch lauffaul ist und besonders anstrengende Bergtouren wie der Dorfpolizist die Kirtagsschlägerei meidet.

Es ist nicht zu fassen, welchen Erinnerungsstrom dieses Holzpferd mit dem Namen „Hengsti“ bei mir auslösen konnte. Jetzt ist es aber genug.

Hüten Sie sich vor der Traurigkeit. Sie ist ein Laster. (Gustave Flaubert)

Ich ziehe mir den Erinnerungsschiefer aus dem Herzen und…

…die herbstliche Schönheit des Hintergebirges hinter mir lassend, steige ich die letzten Meter zum Hengstpass ab.

Zum Hieflerstutzen habe ich nur zwei Tourenbeschreibungen im Internet gefunden. Die bereits weiter oben verlinkte von Helmut Seiringer und eine Schilderung von Manfred. Der hat die Tour mit Schneeschuhen über die südliche Steilflanke gemacht. Seine Zähigkeit ist schon bewundernswert. Den Tourenbericht dazu habe ich hier verlinkt: Hieflerstutzen (1487 m).

Im Anstieg etwa 800 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 10,5 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Reichraminger Hintergebirge & Sengsengebirge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Den Blogtitel habe ich mir von den Handwerkern ausgeborgt. „Sitzt, passt, wackelt und hat Luft“ sagt der Handwerker, wenn sein Werk zwar nicht ganz exakt und präzise gefertigt ist, sehr wohl aber normalen Ansprüchen genügt: Das passt ganz gut zu mir und meine Art Berge zu besteigen.

 

Die s/w Fußballerbilder stammen aus dem Sammelalbum:

Heitzmann, Harant (1996): OÖ-Voralpen. OeAV-Führer, Ennsthaler Verlag, Steyr.

 

Heitzmann, Harant (1999): Reichraminger Hintergebirge (Neuauflage) Ennsthaler Verlag, Steyr.

FIN