So nebenbei geschieht das Außerordentliche: Jahresgipfel Hoher Rumpler (2022 m)

Für diesen Jahresgipfel bieten sich mehrere Kandidaten an. Der Finsterkarspitz in den Donnersbacher Tauern oder der Weißgasbretter im Preuneggkamm oder der Fölzkogel im Hochschwab. Ich entscheide mich jedoch für einen selten besuchten Exoten. Der Hohe Rumpler soll es sein, wenn wir zu ihm hinfinden. Unmarkiert übers Dachsteinplateau gibt es dafür keine Garantie. Somit schwebt ein zarter Hauch von Abenteuer über dieser Tour. Wobei das Abenteuer dann ganz woanders seinen Ausgangspunkt nimmt.

Viele Bergwanderer warten am Krippenstein auf die erste Gondel. Das Publikum ist international. Wir alle werden eng gepfercht, wie in einer Legebatterie (550 Quadratzentimeter – weniger als ein DIN-A4-Blatt), in die Gondel geschlichtet. Nur Gabi und ich tragen einen Mundschutz. Selbst der Gondoliere verzichtet auf eine Maske. Vielleicht hat er ja bei diesem Job schon alle Corona-Viren-Varianten durch und ist jetzt multiresistent. Wir sind es nicht.

Die dritte Gondelfahrt bringt uns von der Bergstation Krippenstein (2069 m) zirka dreihundert Höhenmeter hinab zur Gjaid-Alm (1788 m). Dort ergießt sich mit uns ein vielsprachiger bunter Menschenbrei aus der Gondel. Wir warten, bis sich das Gewusel ein wenig verläuft und stehen dann vor dieser gelben Wand. So stellt man sich À la carte-Wandern vor. 

Wir sind mit Vorsatz hergekommen und haben schon lange vor Anblick der gelben Tafel gewählt. Unser erster Weg führt zum Niederen Rumpler (1979 m).

Wir wandern zur ehemaligen Kaserne Oberfeld.

Diese Menschenschachtel wird seit 2013 nicht mehr genützt. Sie beherbergte ab 1959 viele Soldaten, die ihre Alpinausbildung am Dachstein erhielten. Zwischen 1938 und 1945 bestand hier ein Artillerieübungsplatz der deutschen Wehrmacht. Immerhin standen dafür 5.237 ha zur Verfügung, und nach 1945 wurde der zweitgrößte Truppenübungsplatz des Bundesheeres daraus.

Unter unseren Füßen eine Weite, die erfüllt ist von dem dunklen Gefieder grüner Latschen und abstehenden dunkelgrünen Bäumen.

Blick zur schon gut besuchten Gjaid-Alm (1738 m).

Von der ehemaligen Kaserne der Blick zurück zu Gjaid-Alm-Seilbahnstation und den darüber aufragenden Krippensteinen.

Nur an den Latschenrändern wird es bunt.

Neugierig wandern wir in Richtung Hoher Dachstein weiter.

Der Pfad wird steiniger…

…und die Steine werden größer.

Der Blick zum Dachstein wird uns nicht gewährt. Dafür taucht über uns der graue, elefantenhäutige Taubenkogel (2300 m) auf. In gut zwei Stunden Gehzeit wäre auch der ein lohnendes Ziel.

Dann heißt es achtgeben. Dort, wo der rot markierte Weg einen scharfen Knick nach Westen macht und ein paar Meter abfällt, zweigen geringe Wegspuren,…

….jedoch von einer gelben Punkt-Markierung begleitet, nach Süden ab.

Und diese führen uns durch einen Einschnitt im Felsen immer höher.

Bald schon verlassen wir den Einschnitt und steigen zwischen Latschen auf. Das Durchwandern dieser Landschaft hat seinen ganz eigenen Reiz.

Wir fühlen uns hineingezogen in eine Erlebnisart von so eigentümlichem Reiz, wie es sonst nirgends zu finden ist. Das spürt sich jetzt ganz anders an, als die Niederen Tauern oder das Gesäuse.

Auf dem Felsen können sich keine Wegspuren eingraben, und nur noch die Markierungen weisen uns die Richtung.

Blickt man in der vor Hitze flirrenden Luft lange auf die Felskarren, werden sie vor dem Auge streifig und verschwommen.

Bevor man den nächsten Schritt macht, muss man den Kopf schütteln, um zu sehen, wo man seinen Fuß hinsetzen kann.

Und schon bald haben wir unser erstes Ziel erreicht.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Niederer Rumpler (1979 m).

Landschaft einatmen – hier gelingt das.

Auch nach einem langen Blick über eine unermessliche Anzahl Latschen können wir den Hohen Rumpler nicht fix ausmachen, da hat jeder von uns seine eigene Vermutung. Aber auf einen Plan für die ersten Meter des Weiterwegs können wir uns schon einigen.

So irgendwie können wir uns das vorstellen.

Zuerst geht’s ein Stück den gelb markierten Anstiegsweg zurück.

Dann durchqueren wir die Latschen und überschreiten eine Rinne, um auf den Fels zu gelangen.

Dort wandern wir ein gutes Stück hoch, um danach den links liegenden schmalen Latschengürtel zu überwinden,…

…um anschließend die riesige, schräg abfallende, gletscherverlassene Karstfläche zu überqueren.

Wegen der herrschenden Windarmut geht trotz der Höhe neben der Lichtflut eine Hitzeflut einher, und die macht uns ganz schön zu schaffen. 

Für den Wanderer ist Diretissima keine gehbare Linie zu finden, außer im Winter, wenn Schnee jede Lücke füllt und die Latschen überdeckt. Eine Zeit, wenn diese Fläche zumindest für ein paar Wochen wieder den Anschein eines Gletschers zurückgewinnt. Uns sind die Schneestangen der Wintermarkierung eine Orientierungshilfe. Die Rumpler-Skitour (Umrundung des Gjaidsteins) führt vom Schladminger Gletscher kommend, hier vorbei.

Wir sind auf eine verschlungene Pfadfindung angewiesen. Dort, wo die Felsen mit den Latschen paktieren, ist kein Durchkommen. Dann es heißt es wieder zurück und eine Nachwuchslatsche ausfindig machen, die man überwältigen kann.

Kleinweis, Meter für Meter, wuchten wir uns hoch.

Der von uns angepeilte vermeintliche Gipfel erweist sich als eine Vorerhebung, der eigentliche Gipfel ist noch ein Stück entfernt. Für uns heißt es wieder absteigen und die Wegsuche fortsetzen. 

Hier kann schon ein Höhenmeter für drei gelten.

Aber dann ist es endlich so weit.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hoher Rumpler (2022 m).

Uns öffnet sich der Blick auf eine radikale Landschaft.

Irgendwo in dieser Richtung süd-östlich, nur 7,5 km Luftlinie entfernt (wandernd natürlich braucht es einige Kilometer mehr), liegt die von Bodo Hell bewirtschaftete Grafenbergalm. Er ist schon viele Jahre auf der Alm, und erst beim Durchwandern und jetzt hier, beim Anblick der vor uns liegenden Landschaft, kann man seine Aussage wirklich verstehen: „Diese Topographie in der Alm ist wie ein Buch, das man nicht auslesen kann.“ 

Unter uns ein Labyrinth, das, will man es durchschreiten, neben dem geradeaus und rechts und links auch noch ein hinab und hinauf verlangt. 

Der Raum um uns, in seiner grauen Struktur, hat Atmosphäre. Und die lässt uns jetzt die ursprüngliche Überlegung, zum Moderstein weiterzuwandern (2197 m), fallenlassen. Wir bleiben lieber länger auf diesem unvertrauten Ort und verweilen in einer Sensation der Stille. Von Straßen und offenbar auch Flugrouten gemieden, hören wir keinen Motorenlärm und kein Düsenraunen. 

Trotzdem, irgendwann beginnen wir nach besseren Rückkehrvarianten Ausschau zu halten.

Wir finden eine Schotterrinne und können in ihr die wenigen Meter zum übergrünten Karstboden absteigen.

Den zuvor überwanderten Vorgipfel an seiner westlichen Seite entlang, wandern wir weiter. Eine kleine Orientierungshilfe sind wiederum die Schneestangen.

Noch durch diese Latschenwand, und wir sind wieder auf der schrägen Karstfläche. Von dort ist es nicht mehr weit zum gelb markierten Rückweg.

Gipfelbesteigungen sind auch auf markierten Pfaden oftmals anstrengend genug; aber inmitten dieses von Latschen…

…und Dolinen durchzogenen Karstfeldes,…

…braucht es geradezu phantastische Umwegigkeiten, um doch zum Ziel und wieder zurück zu gelangen.

Und während wir uns am Rückweg befinden, geschieht so nebenbei das Außerordentliche.

Die Gondel, die uns zum Faulbettchen werden sollte und dazu vorgesehen war, unsere müden Glieder hinauf auf den Krippenstein zu schaukeln, ist hängen geblieben. Stationär mitten über der Landschaft, und kein Vor- und Zurück ist ihr möglich. Es sind zwei Gondeln, die praktisch an einem Seil hängen. Eine hoch oben, nicht weit von der Krippenstein Bergstation entfernt und die andere hier bei uns, nahe der Gjaid-Alm-Bergstation.

Mit übermäßiger Zuversicht erfüllt mich der Anblick des Kletterers auf dem Gondeldach nicht.

Einige müde Wanderer warten schon an der Seilbahnstation, die ist nicht mit Personal besetzt. Manche sehen richtig abgekämpft aus, Kinder und viele Ältere sind darunter.

Was tun? Gabi ruft die Dachstein-Krippenstein-Seilbahnen an, um Informationen zu bekommen. Sie wird um Geduld gebeten und nach zirka zehn Minuten zurückgerufen. Die Behebung des Schadens wird länger dauern, und den wartenden Wanderern wird empfohlen, zur Gjaid-Alm zu gehen, etwas zu trinken und dort abzuwarten, bis es neue Informationen gibt. Wir machen uns zum Sprachrohr der Seilbahnen und teilen diese Infos mit den Wartenden in Deutsch und holprigem Englisch: Auf mein lustiges „My english is not the yellow from the egg, but it goes.“ (Mein Englisch ist nicht das Gelbe vom Ei, aber es geht.) ernte ich nur seltsame Blicke. Sollten Leser dieses Beitrags in eine ähnliche Situation kommen, nur so zur Info: Seilbahn schimpft sich Cable Car und broken meint kaputt. Damit erspart man sich weitschweifige, tollpatschige Umschreibungsversuche.

Jetzt kommt Bewegung in die Angelegenheit, ein Hubschrauber umkreist die Gondel, und Bergretter nähern sich am Boden. Sie beginnen, Seile anzubringen. Vermutlich wird das Abseilen aus der Gondel vorbereitet.

Solche Momente haben die Macht, Menschen zur Kenntlichkeit zu verwandeln. Die innere Haltung eines älteren, gut bergbekleideten Herrn, verrät schon alleine seine Körperhaltung:  abwartend, leicht aggressiv, vielleicht sogar verschlagen.

Und der meint zu Gabi: „Haben die auch etwas gesagt, wer das Getränk bezahlt? Bezahlen die das? Die bezahlen das doch, wenn wir warten müssen? Wer bezahlt mir das?

Und wäre Gabriele eine angriffslustige, kratzpfotige Waschbärin und nicht eine herzensgute, in Kriseninterventionen geschulte Person, würde der Mann sein Gesicht lange Zeit nicht mehr im Spiegel wiedererkennen.

So jedoch praktiziert sie mühsam ein zwei Euro Stück aus der Hose und lädt den Mann auf ein Getränk ein, während zweihundert Meter von uns entfernt, unbezahlte Bergretter in ihrer Freizeit begonnen haben, die Passagiere aus der engen, hoch über dem Boden schaukelnden Gondel, darunter viele Kinder, abzuseilen. Und während jeder der anderen mit uns hier Gestrandeten froh ist, nicht in der Gondel auf seine Rettung warten zu müssen, mosert und meckert der Mann vor sich hin.

Ihm schwebt wohl eine ganz andere Behandlung durch das Schicksal und die Bergbahnen vor:

Zum Glück kann ich mich zurück halten, jedoch geht’s mir da wie dem römischen Kaiser Hadrian: „Nie habe ich das Alter als Entschuldigung für menschliche Bosheit gelten lassen; es erschien mir eher als erschwerender Umstand.“

Einige machen es wie wir und starten die Überwindung der staubigen, heißen dreihundert Höhenmeter hinauf zur Krippenstein Bergstation zu Fuß.

Wir kommen an der Stelle vorbei, wo sich die Bergretter über die Latschen unter die Gondel begeben. 

Es ist ausschweifend heiß. Viele sind auf solch eine zusätzliche Anstrengung nicht vorbereitet und haben auch nichts mehr zu trinken dabei. Darum hält Gabi eines der vorbeirumpelnden Quads an, weil sein jungen Fahrer eine Menge Trinkflaschen auf der Ladefläche mitführt. Bereitwillig lädt er einige 0,5 Liter Flaschen kaltes, köstliches, stilles Wasser für die unfreiwillig Aufsteigenden ab.

Wir gelangen in Sichtweite der zweiten Gondel und beobachten mit bangen Blicken das Abseilen von Kindern aus großer Höhe.

Hoffentlich verletzt sich niemand, und hoffentlich werden die Kinder an andere Dinge denken, ehe das Jahr um ist.

Anschließend werden sie, wie in einem Shutteldienst, vom Hubschrauber geholt und auf den Krippenstein geflogen.

Durstig und von den Umständen ein wenig aufgekratzt, setzen wir uns auf die Terrasse der Lodge. Der wiederkehrende Lärm und Anblick…

…des immer wieder über unseren Köpfen einschwebenden Hubschraubers lassen uns dankbar sein, Zeugen eines glimpflichen Ausgangs eines Seilbahnmissgeschicks geworden zu sein.

Und die Moral von dieser G’schicht: Nicht nur shit happens sondern manchmal auch luck!

In der Tips Gmunden fand ich am Tag darauf folgenden Artikel zum Geschehen:

„Ein Fahrgast dürfte die Notbremse gezogen haben. Durch den abrupten Stopp kam es zu einem Überwurf des Zugseils. Verletzt wurde dabei niemand, jedoch war es auch nicht mehr möglich, die Bahn mit Notbetrieb zu fahren.
Insgesamt mussten 36 Fahrgäste von der Bergrettung Obertraun und Mitarbeitern der Bergbahnen aus zwei Gondeln abgeseilt werden. Die Rettungsaktion gemeinsam mit dem Roten Kreuz verlief ohne Probleme. Mit Quads und mit einem Hubschrauber wurden die Fahrgäste dann weiter zum Krippenstein und von dort mit der Seilbahn ins Tal gebracht.“

Im Anstieg etwa 650 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 9,8 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Dachsteingebirge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Informationen des Bundesheeres zu Haus Oberfeld-Obertraun. (Abgerufen am 13.9.2022)

Von Manfred gibt es gleich zwei Blogeinträge. Einmal auf den Niederen Rumpler und das Wiesberghaus und ein andermal über den Hohen Rumpler bis zum Gjaidsteinen. (Abgerufen am 15.9.2022)

Tips: Großeinsatz bei Dachstein-Krippenstein-Seilbahn (Abgerufen am 14.9.2022)

„So nebenbei geschieht das Außerordentliche.“ ist eine Notiz von Elfriede Gerstl.

FIN