Von Tiefdruckgebieten umzingelt hat Österreich in den letzten Tagen (Wochen) monsunähnliche Niederschlagsmengen abbekommen. Aber heute soll die Wolkendecke doch Löcher bekommen, und Sonnenfenster soll es geben. Kurz entschlossen scheuchen wir auch noch Christian aus seiner Komfortzone, um dem Almkogel und der Ennser Hütte einen Besuch abzustatten.
Der ganze Dürrensteigkamm dunstet, dampft und schwitzt, als wäre er weit gelaufen und nach dieser großen Anstrengung gerade erst hier, südlich von Großraming, ins Ruhen gekommen. Wir fahren bis zum Parkplatz oberhalb des Bauernhauses Bamacher. Dort trifft zeitgleich mit uns eine lustige Herrenrunde ein. Auf deren: „So ein Glück mit dem Wetter!“ antwortet Gabi: „Ihr habt Glück mit dem Wetter, aber wir haben uns das ausgesucht.“ Und damit ist sofort der verbale Schlagabtausch eingeleitet. Lustig ist’s mit den Dreien.
Während die Herren die trockenere Forststraße wählen, steigen wir über den feuchtnassen Waldsteig hoch. Wir wandern unter Feuchtblättern hindurch und an…
…marmoriertem Feuchtholz vorbei.
Zu dieser Jahreszeit für uns überraschend, ergießt sich eine Bärlauchwelle den Waldhang herab.
Nach der zweiten Forststraßenquerung, hier zweigt auch der Danzersteig in Richtung Gamsstein ab, können wir in diesem Schlag hochsteigen und noch wichtiger, unsere inwendigen Solarmodule aufheizen.
Blick zurück zur Forststraße und einer Jagdhütte. Vom waldigen Wasenriedl bzw. Zickertstein (1129 m) in der Bildmitte verdeckt ist der Schieferstein (1206 m) und links im Bild, am Waldrücken mit den felsigen Anteilen – das müssten Geißhörndl (901 m) und die Brunntalmauer (1183 m) sein.
Jetzt werden Hosen abgezippt und muskulöse, narzissenweiße Beine konkurrieren mit langstieligen, dunkelblauen Eisenhüten – und freuen sich über den zweiten Platz.
Die letzten Meter vor der Ennser Hütte…
…sind ein Blumen- Stauden- und Insektenparadies.
Zwei aktive, den Käfer-Fortbestand-sicherende Coleoptera und eine staunende Voyeursfliege.
Filigrane Architektur zeigt sich silbern glitzernd nicht jedem Insektenauge. Ein Fangnetz im Waldmeer der Kalkalpen.
Wenn wir über unsere linke Schulter schauen, können wir bereits zum Kamm, mit Burgspitz und Katzenhirn, hochschauen.
Erst nach dem Gipfel wollen wir in der erweiterten Ennser Hütte (1293 m) einkehren. Neuweg/Peham berichten in ihrem Buch, dass 1957 der Bau dieser Hütte fast geplatzt wäre, weil der damalige Vereinskassier mit dem Geld durchgebrannt ist.
Im OÖ-Voralpenführer von Heitzmann/Harant heißt es zu diesem Wegabschnitt noch: „Von der Hütte auf gutem Steig nach SO durch Hochwald ansteigend in den Sattel zwischen Brunnbacheck und Almkogel.“
Wir wandern aber durch eine intensiv duftende Staudengstätten zum Kamm hoch, denn die Zerstörungskraft des Windes und der Borkenkäfer auf diesem, an den Nationalpark Kalkalpen angrenzenden Berg, zeigt schon fast menschliche Gründlichkeit. Der Borkenkäfer frisst sich sozusagen den Ast auf dem er sitzt selbst weg. Wie der Mensch auch.
Denn bereits am 19. August sind die Ressourcen der Erde für 2014 erschöpft. Die restlichen viereinhalb Monate des Jahres lebt der Homo sapiens auf Vorschuss. Jedes Jahr tritt dieser „Welterschöpfungstag“ früher ein.
Es ließen sich noch mehr Menschenähnlichkeiten finden. So zum Beispiel gibt es Buchdrucker, Kupferstecher, Waldgärtner und der männliche Borkenkäfer lockt Weibchen in seine Rammelkammer…
Es gibt aber auch einen entscheidenden Unterschied:
Borkenkäfer gehören zu den Destruenten und sind global gesehen ressourcen- oder substratkontrolliert. Sie sind durch die Menge des verfügbaren toten organischen Materials limitiert und nicht durch andere Faktoren wie Krankheiten oder Parasiten.
Wir Menschen sind auch Destruenten, werden aber bei abnehmenden Ressourcen immer verschwenderischer und vermehren uns auch noch dabei. Irgendwie geht sich das nicht aus.
Den Wald gibt es nicht mehr, aber an seiner Stelle findet sich ein Blumenreichtum der ganz besonderen Art. Ein Überschwang der Farben:
Wie Schmetterlinge bleiben wir am schweren süßen Duft der Türkenbund-Lilien hängen.
Obwohl diese olfaktorische Blumenschau unseren Aufstieg gewaltig verzögert hat, gelangen wir noch vor Einbruch der Dunkelheit auf den Dürrensteigkamm. Es finden sich vermehrt Latschen und Trollblumen. Immerhin befinden wir uns ja schon über 1400 Meter Seehöhe.
Nur noch wenige Höhenmeter müssen wir bis zum Gipfel überwinden.
In dieser Konstellation erstmalig und darum noch viel obligatorischer und unverzichtbarer: Gipfelfoto Almkogel (1513 m) mit Gabi und Christian.
Die letzten Meter vorm Gipfel gibt es viele pizzatellergroße Kuhfladen. Und erst am Gipfel erschließt sich uns deren lebensspender Nutzen in seinem vollen, beflügelten Umfang. Es sind die Kinderstuben der vielen Fliegen, die am Gipfel auf uns warten.
Da wir nur zu dritt sind, bleiben einem jeden von uns 334 dieser Zweiflügler zur ganz persönlichen Betreuung. Überhaupt kreucht und fleucht es am ganzen Berg. Ein wahrhaft lebendiger Berg, dieser Almkogel.
Christian kehrt nach einem Fluchtversuch entmutigt wieder zu seinem persönlichen Schwarm zurück.
Vom Almkogel könnte man direkt über den Übergang (1216 m) zum felsigen Hühnerkogel (1474 m) mit Gipfelkreuz und den Ennsberg (1373 m) weiter wandern.
Die Stubau mit ihrer höchsten Erhebung, dem Feichteck (1114 m), dem Falkenstein (993 m) und im Vordergrund gut zu sehen, die Rotmäuer (837 m). Alle, alle, alle habe ich erst in diesem Jahr besucht.
Links der Bildmitte der Kühberg (1415 m) und rechts der Bildmitte ist die Silhouette des langen Rückens mit dem Hochbrand (1242 m) gerade noch zu erkennen.
Vor uns die Fortsetzung des Dürrensteigkamms mit dem Wieser (1427 m), der Langlackenmauer (1482 m) und dem Ochsenkogel (1414 m)
Andere Wanderer treffen am Gipfel ein, und nachdem jeder von uns sein Fliegenkontingent weitergereicht hat, steigen wir ab. Wir wandern im Kammverlauf auf das Brunnbacheck (1472 m), Kleiner Almkogel ( 1461 m ) und Burgspitz (1429 m) zu.
Bevor wir durch den weggefressenen Hochwald absteigen, noch ein Tiefblick zur Stallburgalm (1032 m) und Weyer.
Wir kommen wieder zur Ennser Hütte zurück, und die Buntheit der sonnigen Hänge des Almkogels findet sich auch…
…im Teller meiner vorzüglichen Frittatensuppe.
Nach einem letzten Foto vom Hausgipfel (die drei lustigen Herren vom Morgen sind ebenfalls anwesend) wandern wir diesmal einen guten Teil auf der Forststraße abwärts.
Auf der Heimfahrt werden wir auf eine Hängeseilbrücke bei Großraming aufmerksam. Von dieser Brücke hatte ich keine Kenntnis bzw. ist sie mir noch nie aufgefallen.
Eine schlanke, schmale Schönheit.
Diese Brücke wurde im Mai 2009 eröffnet und pendelt in 6 bis 12 m über der Enns.
Sie verbindet das Flößerdorf mit dem anderen Flussufer. Allerdings ist die Begehung der Brücke mautpflichtig. Nur nach Einwurf von zwei Euronen wird man von einem Drehkreuz auf die Seilbrücke gelassen. Wir überqueren sie einmal und gehen am selben Weg zurück. Ganz erschließen sich uns Nutzen und Funktion dieser Konstruktion nicht. Aber was soll’s. Obwohl wir uns nur kurze Zeit auf ihr bewegt haben, begleitet uns das Schwingverhalten der Brücke auch noch am festen Boden bis zum Auto.
Im Anstieg ca. 740 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 9,1 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Reichraminger Hintergebirge & Sengsengebirge (Auswahl):
- Postmaledivische Jetlagwanderung auf den Hiaslberg (849 m)
Hiaslberg (849m), Brandlberg (674m) - Sitzt, passt, wackelt und hat Luft: Hieflerstutzen (1487 m)
Tannschwärze (1533m), Schwarzkogel (1554m), Hieflerstutzen (1487m) - Wandern im Stilleschatten des Sengsengebirges: Kleiner Größtenberg (1720 m ) und Großer Größtenberg (1724 m)
Kleiner Größtenberg (1720m), Großer Größtenberg (1724m) - Rotgsol und Nachbarn
Haderlauskögerl (1547m), Rotgsol (1560m), Zwielauf (1540m), Sonntagsmauer (1485m), Langfirst (1505m) - Kein Berg zu abseitig, kein Gipfel zu nischig: Höhenberg (1320 m) im Reichraminger Hintergebirge
Höhenberg (1320m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Heitzmann, Harant (1996): OÖ-Voralpen. OeAV-Führer, Ennsthaler Verlag, Steyr.
Neuweg/Peham (2004): Schutzhütten Touren, Wanderwege, Geschichte. Verlag Ennsthaler, Steyr.
Radinger (2009): Wandererlebnis Kalkalpen mit Haller Mauern. Residenz Verlag, St. Pölten.
Sieghartsleitner(2000): Wandern rund um den Nationalpark Kalkalpen. 45 ausgewählte Familienwanderungen. Ennsthaler Verlag, Steyr.
Wikipedia zu Borkenkäfer (abgerufen am 28.9.2014)
Wikipedia zu Destruenten (abgerufen am 28.9.2014)
EPILOG
Am 7. November 2009
Im Bereich des Dürrensteigkamms und der Ennserhütte bin ich immer wieder einmal unterwegs. Fotos mache ich nicht immer – aber machmal doch. Hier habe ich mein erstes Foto an diesem Tag offensichtlich erst beim hauseigenen Hüttenkreuz der Ennser Hütte fotografiert.
Die Sanierungs- und Umbauarbeiten waren noch in vollem Gange.
Im November immer noch kein „richtiger“ Schnee auf 1400 m Seehöhe.
Almkogel Gipfel (1513 m)
Sogar aus dem Jahr 2006 finde ich noch Fotos:
Am 13.08.2006 bin ich über die Stallburgalm und des Burgspitz (1429 m) am Dürrensteigkamm gewandert.
Wie Blätter im Fluss treiben die Wolkenschatten über die Waldberge.
Stubbau mit dem Feichteck (1114 m).
Gegenüber, ebenso über die Stallburgalm erreichbar. Der Hühnerkogel (1474 m)…
…auch mit Gipfelkreuz.
Weiterweg in den Süden. Die Umrisse der Ennstaler Alpen tauchen auf.
Wiederum der Almkogel.
FIN