Überschreitung der Leobnermauer (1870 m) vom Präbichl nach Vordernberg

Endlich habe ich eine bereits 2020 begonnene Tourbeschreibung beendet. Ich veröffentliche sie jetzt noch vor dem Blogeintrag des Besuchs meines 2022 Jahresgipfels – den ich hoffentlich die nächsten vierzehn Tage fertig erzählt bekomme.

Die Überschreitung der Leobnermauer mit dem Weiterweg bis nach Vordernberg befindet sich schon lange in meiner Gipfel- und Tourenvorratsdose. Heute ist es endlich so weit. Der Tourentisch ist angerichtet, und ich fahre am frühen Morgen nach Vordernberg. Kurz vor Vordernberg, nahe der Laurentikirche, unterhalb der Präbichlstraße/Bushaltestelle, parke ich meinen felswandgrauen Vauwe.

Corona holt zum Herbstschwung aus und ich weiß nicht, ob die Schulen und Schulbusse noch lange im Normalbetrieb gehalten werden.

Darum stören mich meine Coronamaske und der volle Bus nicht, ich bin froh um günstige 2,50 € mit der Buslinie 820 um 8:16 Uhr, überhaupt auf den Präbichl zu gelangen. Um mich herum lauter Schüler. Und plötzlich überfällt mich eine uralte Panik: Ich habe mein Turnsackerl vergessen.

Noch schneidet der Morgennebel die Straße in kurze Stückchen. Das scheint mir jetzt eine optische Metapher für die momentane Corona-Situation zu sein. Die Zukunft ist ungewiss, und wir können nur auf Sicht leben (fahren). Das kann man jetzt gut oder schlecht finden.

Jetzt bin ich mir gar nicht sicher, ob der Busfahrer gerade aus purer Nettigkeit für mich extra an dieser Stelle angehalten hat. Hier beginnt der kürzerste Weg vom Präbichl zur Leobnerhütte bzw. Oberen Handlalm.

Ich wandere los, und bald schon höre ich nicht einmal mehr die Autos. Die Nebelfeuchte lässt nicht nur die Landschaft verschwinden, sondern auch jedes Geräusch.

Schon nach einem kurzen Stück im Handlgraben, liegt ein Sonnenversprechen in der Luft.

Pure Gefühligkeit und wärmendes Licht verzaubern mir die Burgmauern der TAC-Spitze und Griesmauer,…

…die Türmchen der Leobnermauer…

…und den langgezogenen Rücken zum Polster.

Ich wandere wieder einmal in den Langschatten der Leobnermauer zur verlassenen Handlalm hoch.

Weil auch noch so schöne Herbsttage über Nacht von Schnee und Eis abgelöst werden können, wurde die Obere Handlalm schon winterfest gemacht.

Gartenflüchtlinge verstecken sich hinter der Hütte, ob sie wissen, wie kalt der Winter oder schon der Herbst hier heroben werden kann? Oder sind es gar…

…Topfpflanzen, die Josef Haders „Beinharten-Protest-Ruf“ gefolgt sind: Topfpflanzen geht’s spazieren…

Nur noch eine dünne Nebelhaut verdeckt das Tal, Grübelzinken und Eisenerzer Reichenstein spitzen weit darüber hinaus.

Dieses wiederholte immerwiedrige Hochschauen zu den leuchtenden Gipfelfelsen löst in mir so eine Vorfreude aus. Schreien könnte ich vor Glück.

Den waldigen Steig zum Lamingsattel (1677 m) und Weiterweg zum Wildfeld habe ich hier (Die Wunderbarkeit des Hochschwabs im Westen: Hochturm (2081 m) und Lamingegg (1959 m) schon einmal beschrieben. Das lasse ich jetzt. Im Sattel selbst treffe ich auf einige Wanderer. Weil es noch sehr kühl ist, fällt meine Trinkpause kurz aus. Ein Rundblick geht sich aber immer aus.

Der langgezogene Stock mit den Griesmauern und der TAC-Spitze befindet sich schon im wärmenden Sonnenschein.

Auch die Leobnerhütte (1582 m) und der Polster (1910 m) erhalten gerade eben ihren Anteil am Sonnenkuchen. 

Wo ich stehe, ist es noch ein wenig schattig-entrisch. Und wieder verschafft mir der Lamigsattel, wie schon beim letzten Mal, eine leicht verwunschene Begegnung…

…in der Gestalt eines sich mit schleppendem Schritt nähernden, kargen Persönchens: Rotgewandet in einem Mäser-Leiberl, einem runden Hut, der das Gesicht beschattet, vom Leben ausgetrocknet und gebeugt, die müden Hände am Rücken ineinandergelegt – freudig vermeine ich beim ersten Anblick meine sanftmütige Mutter zu sehen, im zweiten Blick weiß ich, dass sie es nicht sein kann, sie ist schon so lange tot. Es ist ein ein sehr alter Mann mit dem Körper meiner Mutter. Dünne alte Körper und die dazugehörigen Gesichter ähneln sich, da heben sich die Unterschiede Mann und Frau manchmal auf. Immer wieder schaut es für mich so aus, als begegneten mir verstorbene Menschen. Meinen Bruder Kurt grüßte ich noch jahrelang nach seinem Tod, wenn ein Radfahrer mit seiner Statur an mir überraschend vorbeifuhr. Sehe ich einen nicht allzugroßen weißhaarigen, wettergebräunten Mann mit Silberschimmer im Haar und Stockerlhintern, ist es mein Papa, an den ich mich ganz eng erinnere. Es bleibt ein Stachel der Trauer, und nein, die Toten verlassen uns nicht wirklich.

Der Weg zur Einsattelung des Wildfeldes ist gut ausgeschnitten. Wieder stolpere ich über die bleichen Latschenkieferwurzeln, die wie urzeitliche Knochen aus dem Boden ragen.

Und bald schon kann ich auf meinen Weiterweg zur Leobnermauer sehen. Hinter dem Strommasten, die Latschen meidend, fast immer die Felskante entlang, führt der Pfad hoch.

Beim letzten Mal habe ich mit Gabi dieses weite Feld zum Hochturm (2081 m) durchwandert: (Die Wunderbarkeit des Hochschwabs im Westen: Hochturm (2081 m) und Lamingegg (1959 m)

Warum es hier Wildfeld heißt, erklärt sich aus dieser Aufnahme recht einfach.

Und bei diesem letzten Mal, es war gerade erst im Juni 2020, habe ich am Weg durchs Wildfeld, in weiser Voraussicht, diese beiden Fotos gemacht:

Nur noch 120 Höhenmeter trennen mich vom Gipfelfelsen. Nach einem Blick in den eigenen Rücken…

…zum Hirscheggsattel (1699 m), der samt seinem Gitterstrommasten reichlich überragt wird von: Pfaffenstein (1871 m) Tamischbachturm (2035 m) Großer Buchstein (2224 m),…

…wandere ich die letzten felsigen Meter hoch.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Leobnermauer (1870m).

Über mir eine zartgewebte Wolkendecke und unter mir ein dicht gehäkeltes Nebelvlies, und dazwischen grün eingebettet, mein Weiterweg, im auf und ab die Kuppen.

Der Blick auf den Trenchtling mit dem…

…gezoomten Hochturm (2081 m).

Und nochmals mein Weiterweg mit dem gegenüberliegenden langezogenen Rücken bis zum Eisenerzer Reichenstein. Die Überschreitung desselben ist schon ein besonderes Erlebnis: (Gute Zeit am Grete-Klinger-Steig)

Während ich es mir für eine kurze Rast auf einem Brettl bequem machen will, werde ich von einer großen ältlichen Wandergruppe aufgescheucht. Der Gruppenzwang, laut zu sein, gilt auch bei älteren Personen. Da ist keine und keiner unter siebzig, aber das erste, was ich zu hören bekomme, sind ein paar zotige Witzchen. Hier beweist sich Josef Schöffels, dem Entdecker des Wienerwaldes, bereits im Jahre 1870 getroffene Einsicht:

„Der Wandertrieb kann wie der Geschlechtstrieb nicht unterdrückt werden“. 

In solchen Gruppen gibt es auch immer einen, der alles schon gewandert ist und mit jedem Gipfel, den man sehen kann, so seine Erlebnisse hatte. Mit der einen Hand hält er sich am einzigartigen Gipfelzeichen fest, und mit der anderen Hand und seinem schmalbekinnten Gesicht, deutet er den Horizont mit den umliegenden Bergen ab. Lautstark erzählt er allen seinen Mitwanderinnen, und leider auch mir, seine Geschichten von erfolgreichen Bergbesteigungen, altersbedingten Gesundheitshoppalas, Operationen und medizinischen Daten, als würde er uns eine Brust voller Orden und Medaillen entgegenstrecken. Von den männlichen Wanderkollegen gibt es jedoch vereinzelt Widerstand und Gegenrede. Nicht alle haben die Absicht, sich in Sachen Berggipfel, Blutdruckhöchstwerte, Medikamenteneinnahme und Durchblutungsstörungen so ohne weiteres Übertrumpfen zu lassen. Das verkürzt meine Pausenzeit jetzt drastisch, und ich mache mich an den Weiterweg.

Gleich vom Gipfel führen Wegspuren und…

…sogar Markierungen bis in den Kohlebensattel hinab.

Der Pfad führt bei der Kohlebenjagdhütte auf den Sattel (1650 m).

Überrascht bin ich von der unweiten Existenz einer zweiten Jagdhütte. Jedoch müsste irgendwo in der Nähe dieses Jagdhäuserls ein unmarkierter Steig den Gipfelaufbau der Leobnermauer westlich umgehen und oberhalb der Handlalm in den markierten Steig zum Lamingsattel einmünden. Einzig der Andreas Pasielak hat im Juni 2019 in einem Facebookeintrag darüber berichtet: https://www.facebook.com/photo/?fbid=2877269472289441&set=a.2877269312289457

Ich halte mich nicht auf und beginne sogleich mit dem Anstieg zum Zirbenkogel (1740 m). Blick zurück.

Die Latschengasse ist nicht zu verfehlen, und schon bald…

…stehe ich auf dem roten Gipfel.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Zirbenkogel (1740 m).

Milde Rottöne schälen sich aus dem Untergrund und beginnen zart zu leuchten.

Es sieht so aus, als wäre der Boden noch immer sommerwarm. Und sobald die Sonne darauf scheint, beginnt er auch zu duften. Eine Art von nasaler Poesie begleitet mich jetzt. 

Der absteigende Weiterweg findet sich im Latschen-Baum-Gestrüpp ganz von alleine.

Im unteren Drittel kann man die Latscheninseln beliebig umsurfen.

Blick zurück. Ich befinde mich am Wiesenrücken der sich „Auf der Rotschütt“ nennt.

Unter mir kann ich schon auf Vordernberg, den Thalerkogel (1655 m) und die Vordernberger Mauer (1753 m) sehen.

Über den herrlichen Grasrücken wandere ich gemächlich und völlig zeitbefreit auf dem Weidboden…

…bis zu der Stelle, wo ich die Auflösung des Waldes beobachten kann. Mir geht’s wie dem Robert Walser bei einer seiner Wanderungen:

„Mitten im ununterbrochenen Vorwärts hatte ich Lust stillzustehen.“

Aus den zarten Trittspuren am grünen Rücken wird hier jetzt ein Pfad,…

…der mich an der Hand nimmt und durch diese…

…taigaartige Landschaft führt. Der höchste Punkt ist als solcher gar nicht zu erkennen. Zumindest mein GPS behauptet ihn zu wissen.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Himmelkogel (1625 m).

Das Grün in diesem Waldabschnitt ist eigenartig schimmernd. Leuchtend, fast grell.

In meiner Phantasie haben hier…

…bergsteigende Metalldiebe den Stacheldrahtzaun gestohlen,…

…ohne davon zu wissen, dass 1867 der Amerikaner Lucien Smith aus Kent im US-Staat Ohio den Stacheldraht erfunden hat. Hier beim Einzäunen mit Lucky Luke zu sehen:

Wo jetzt wirklich der Gipfelpunkt des Hohen Schillings ist, weiß ich nicht. Zur statistischen Sicherheit habe ich die beiden möglichen Gipfelkandidaten besucht, obliagtorisch und unverzichtbar natürlich. Vorschlag eins: Gipfelfoto Himmelkogel (1628 m).

Vorschlag zwei: Gipfelfoto Himmelkogel (1628 m).

Der Weiterweg führt durch unspektakuläres markiertes Waldgelände. Und diesen Wandermetern verdanke ich lediglich die Erkenntnis, dass ein kleiner Ast im Gesicht besser ist, als ein großer. Etwas abseits des markierten Weges finde ich dann auch noch zum Schilling.

Wiederum obligatorisch und unverzichtbar und ein wenig zwänglerisch: Gipfelfoto Großer Schilling (1640 m).

Auf der verwachsenen Holzziehspur durch einen Jungforst steige ich weiter ab. Unter mir die Präbichl-Bundesstraße und der von Rössel (1855 m) und Polster (1910 m) sekundierte Präbichl.

Auf der Wanderkarte habe ich seine Überschreitung im Abstieg geplant – sein tatsächlicher Anblick lässt ihn jetzt entbehrlich erscheinen. Jedoch nehme ich ihn trotztdem mit, denn es kann keiner genug Gipfel haben.

Obligatorisch und (un)verzichtbar: Gipfelfoto Dachsberg (1194 m).

Hier blicke ich auf die Bushaltestelle und freue mich, dass mein Vauwe noch auf mich wartet. Ob ich für mein Parken einen Strafzettel bekommen habe, kann ich von hier oben nicht erkennen.

Zu guter Letzt verlasse ich die Markierung (die führt nach Vordernberg) und steige freihändig in Richtung Laurentikirche ab.

Diese Wanderung war, ist und bleibt malerisch, und bevor es noch…

…unerträglich romantisch wird, endet sie.

Nach einem letzten Zoomblick zurück auf die Leobnermauer, trete ich bestens gelaunt und auch ein bisserl glücklich die Heimfahrt an.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Hochschwab (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Im Anstieg etwa 835 Hm, im Abstieg 1195 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 16 km.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Zeller (2006): BergErleben Bd. 2, Eisenerzer Alpen, Hochschwab West. Verlag Gertraud Reisinger, Spielberg.

„Um mich herum lauter Schüler. Und plötzlich überfällt mich eine uralte Panik: Ich habe mein Turnsackerl vergessen.“  habe ich eine Sentenz aus Claudia Vamvas „Sitze im Bus“ angelehnt.

 

FIN