Ich liebe und sammle unmarkierte Wege, Pfade ohne Namen und Gipfel ohne Gipfelzeichen. Auf den Mühlauer Stadel führt ein unmarkierter Steig, und seinen Besuch trage ich schon lange in meiner Gipfelvorratsdose mit mir herum. Heute ist Schluss damit, und ich besuche ihn endlich.
Tagelang peitscht der Regen die Obersteiermark wie seit Jahren nicht mehr. Die Feuerwehren im Ennstal schuften Tage und Nächte, um den Wasserfluten Einhalt zu gebieten. Für wenige Tage ist jedoch eine Regenpause angesagt. Diese Pause ist bitter nötig, denn man weiß ja gar nicht mehr, wie er aussieht, der Sonnenschein.
Mein Ausgangspunkt ist die Mühlau, nördlich von Admont oder besser nördlich von Hall.
Nebelschwaden berühren fast den Talboden. Von Sonnenschein ist noch keine Rede.
Die 3,5 Stunden Zeitangabe für eine Wanderung auf den Scheiblingstein, immerhin 1400 Höhenmeter, ist für mich eine höchst motivierte Vorgabe. Im Abstieg vielleicht, aber im Aufstieg erschnaufe ich das bestimmt nicht.
Gleich die erste Abzweigung, nach zirka fünfhundert Metern, ist meine.
Ich gewinne rasch an Höhe, und bald schon kann ich auf die Wiesen der Mühlau hinabblicken.
Mir gefällt dieser Nebelmorgen und der immer durstige Wald. Alles um mich ist triefend nass, und aus den tieffeuchten Baum- und Strauchwesen im steilen Hang dampft nebelgrün der frische Atem der Natur.
Das könnte jetzt eine Wanderung in Ruanda sein, dort, wo die Berggorillas (noch) zuhause sind.
Hier pflanzen sich die Buchen selbst, und das keineswegs in strenger Ordnung. Eng beieinander, durcheinander auf braunem Untergrund. Die Devise lautet wohl: Lieber ein Baum zu viel, als einer zu wenig.
Jetzt kommt der erste wichtige Hinweis: Dort, wo die Forststraße auf einmal ausbuchtet, findet sich ein unscheinbares Steinmännchen, und dort beginnt der Weg.
Gschamiges Steinmännchen und der Steigbeginn.
Sehr steil, auf oftmals nicht ganz gut ersichtlichen Wegspuren …
… steige ich durch den nassfeuchten Wald hoch. Hilfreich sind die Steinchen auf den Baumstümpfen allemal.
Die ersten Sonnenstrahlen schaffen es durch den Nebel und das halbdurchlässige Dach aus Baum- und Buschwerk.
Und dann stehe ich am Waldrand, in einer Wiese, in der Sonne.
Im brusthohen feuchten Gras verliere ich jede Spur. Durch diese nasse, feuchte Güte führt kein Weg. Die Graswipfel sind triefnass, wie von einem übereifrigen Landpfarrer in Weihwasser getunkte Weihwasserwedel.
Jede Blume und jedes Spinnennetz gilt mir als tiefste Bestätigung des Lebens.
Manche Spinnennetze sind so straff gespannt, wie Tennisschläger bei den US-Open, und werden später am Tag zu Todesfallen, nicht nur für die blutsäuferischen Insekten.
Ich bin gespannt, wie es jetzt weiter geht. Meine Neugierde geht nicht immer in andere Länder, diesmal geht sie aufs Allernächste, auf die nächsten Meter.
Vielleicht ist es besser, nicht in der Mitte der Wiese hochzusteigen, sondern eher am linken Wiesenrand – dann kommt man am Waldrand ziemlich bei der Weg-Weiterführung an.
Oberhalb des von einem Sturm umgelegten Baumes in der Mitte der Wiese findet man den Weiterweg.
Blick zurück.
Ich wandere bis zum Waldrücken hoch …
… und treffe in diesem Bereich die Gipfel-finde-Vorentscheidung. Hier darf man nicht links in Richtung der Felsen den Weg suchen, sondern rechts, etwas …
… in die Einsenkung hinabwandern und diese dann immer weiter hochsteigen.
In einer nicht steilen Schotterrinne, entlang der Felsen, …
… geht es einfach weiter.
Es wird bald schon grasig-latschig …
… und dann sind die Wegspuren durch die Latschen nicht mehr zu übersehen.
Die Legföhren sind hier so hoch, dass jeder Wanderer in die grüne Unsichtbarkeit versinkt.
Fast schon am Gipfel, schrumpfen die Latschen, …
… und ich betrete eine hellbesonnte Wiesenkanzel.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Mühlauer Stadel (1541 m).
Weil mein Element die Ruhe ist, fühle ich mich dort oben jetzt sehr wohl. Ich lasse mich genießerisch vollpumpen mit der guten Luft und dem herrlichen Ausblick.
Ich fühle mich wie der Floh im Pelz der Haller Mauern.
Grandios ist der Blick auf die Felsenlandschaft.
Das kann schon was: Sich mit abgelegenen, unmarkierten Zielen seine eigene private Wildnis schaffen.
Überall quellen grüne Büschel aus den klaffenden Stellen der Haller Mauern.
Mit den Ennstaler Alpen verbinde ich so viele …
… intensiv erlebte Gipfelerinnerungen.
Vom Pleschberg …
… habe ich bei einer Skitour diese Fotos gemacht:
Noch ein Blick zur Bärenkarmauer bzw. Hexenturm …
… und ein Zoom auf die Kreuzmauer.
Auf der von Latschen umbüschten Gipfelfläche werde ich zum Herumlunger-Bergsteiger.
Am Kopfkissenrucksack ist mein Recco Reflector zu sehen. Für mich und alle, die mich vielleicht einmal in unmarkiertem Gelände suchen müssen, ein mächtiges Helferlein.
Es ist an der Zeit, den Gipfel wieder zu verlassen. Wie man auf dem Foto erkennen kann, klammerten sich wieder einmal schlechte Gewohnheiten viel zu lange an mich. Darum bin ich zur Zeit etwas gedrungen und kräftig und lebe wieder einmal meine bäuchliche Phase.
Ich wandere die Latschengasse hinab und wende mich dann aber nach Westen.
Man kann hier nicht aus, …
… und stellenweise sind Wegspuren gut erkennbar.
Schon vor dem Überwandern des Eßlinggrabens …
… ist der Pfad bis zum Forststraßenbeginn fast unverfehlbar.
Ein letzter Blick zum Klotz mit dem Mühlauer Stadel, und …
… ein Blick zurück. Die Wegführung ist gut erkennbar. Ich liebe diese Unzahmheit und jegliche Abwesenheit von Nutzen.
Dieses Forststraßenstück ist in meiner Kompasskarte noch nicht zu finden, aber in der Realität …
… nicht zu übersehen.
Mein Anstiegsweg ist auf der abgebildeten Karte gut nachzuvollziehen. Im Szepfalusis Führer wird der östlichere Anstieg über den Volkernotgraben, Mühlauer Wasserfall und die verfallene Jagdhütte Kochalm, beschrieben. Der scheint mir schon der Beschreibung nach ein wenig orientierungsschwieriger als der von mir gewählte Weg. Eine Bestätigung dafür findet man bei Leopold: https://www.paulis-tourenbuch.at/2020/20201125_muehlau.html
Leopold ist der Aufstieg dann doch gelungen und seine Besteigung war auch meine wichtigste Quelle für die Wegwahl: https://www.paulis-tourenbuch.at/2021/20210623_stadel.html
Im Anstieg etwa 820 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 12,9 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ennstaler Alpen (Auswahl):
- Keine Bergtour, bei der man gähnen muss: Riffelspitz (2106 m) und Kreuzkogel (2011 m)
Riffelspitz (2106m), Kreuzkogel (2011m) - Ennstaler Alpen XXS
Dörfelstein West (Hallergipfel) (1054m), Dörfelstein Ost (Wengergipfel) (1074m) - Unser Verschlafen und sein Kollateralnutzen: Einsame Tour auf den Grabnerstein (1847) & Jungfernscharte (1718 m)
Grabnerstein (1847m), Admonter Warte (1804m) - Plesch Berg (1720 m)
Plesch Berg (1720m) - Großer Buchstein
Großer Buchstein (2224m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.