Almmesse und drei Gipfel

Heute verrate ich ein „stilles“ Geheimnis, das aber 2020, wie so vieles andere auch, dem Corona Virus geopfert werden musste. Dieser Tourenbericht hätte ein Hinweis sein sollen für all jene, die vielleicht auch gerne den Dürrenstein (1878 m) oder den Noten (1640 m) oder die Ybbstalerhütte (1344 m) besuchen wollen, aber nicht mehr über die körperlichen Möglichkeiten besitzen, den Anstieg von ganz unten zu bewältigen. Denn einmal im Jahr ist es gestattet, mit dem Auto bis zum Parkplatz (1150 m) unterhalb der Ybbstaler Hütte zuzufahren. Dieses „Einmal-im-Jahr“ ist immer am letzten Sonntag im Juli, wenn die Almmesse stattfindet.

Aus dem Steinbachgraben weisen handgeschriebene Tafeln mit der Aufschrift „Almmesse“  den richtigen Forststraßenpfad. Selbst mit dem Auto ist der Weg zur Ybbstalerhütte weit. Zwanzig Minuten dauert es, bis ich am Parkplatz unterhalb der Ybbstalerhütte meinen felswandgrauen Vauwe parken kann.

Die Almmesse-Beschilderung findet hier ihre freundliche Fortsetzung. Zweihundert Höhenmeter trennen den hier Parkierenden von der Heiligen Kommunion und den im Anschluss daran gereichten Köstlichkeiten. Fünfhundert Höhenmeter sind’s auf den Noten (1640 m) und siebenhundert Höhenmeter braucht’s auf den Dürrenstein (1878 m).

Für mich ist dieser wetterunstabile Sonntag jedoch eine gute Gelegenheit, ein, zwei, oder gar drei Gipfel rund um die Dürrensteinalm zu besuchen.

Die optische Drastik dieser Landschaft habe ich schon in meinem Noten-Tourenbericht erwähnt. Wiederholen möchte ich hier nur das Zustandekommen: 2007 passierte der ungeordnete, unerwartete, von niemand gewünschte Kahlschlag durch den Orkan Kyrill, und 2008 setzte Orkan Emma das Zerstörungswerk in der bereits angezählten Waldlandschaft weiter fort.

Ich wandere gar nicht bis zur Ybbstalerhütte, sondern halte mich an die Markierung zum Stiegengraben. Gleich an deren Beginn steige ich…

…eine alte Holzziehspur aufs Hirzeck hoch.

Blick über die steinkontaminierte Almlandschaft zur Ybbstalerhütte.

Die baumumstandene Gipfelkuppe ist schnell erreicht.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hirzeck (1445 m).

Stoßweise weht ein kalter Wind, und das Rauschen in den Baumwipfeln wirkt bedrohlich.

Links im Bild ist der Hühnerkogel über der baumstoppeligen Landschaft zu sehen.

Zum Himmel blicke ich oft hoch. Das instabile Wolkengehabe lässt mich zu keiner fixen Meinung über den weiteren Wetterverlauf kommen. Dunkler Blick zu Dürrenstein und Noten.

Wild wogen die Baumwipfel, der Wald steht unter zuviel Segel. Die lassen sich aber nicht einholen und ich kann nur hoffen, dass sie der Wind nicht einfach abtakelt.

Blick zur wunderschönen, mächtigen Voralm mit der Stumpfmauer (1770 m): Stumpfmauer (1770 m): One of the Big Five from the Ybbstaler Alpen.

Das zu überschreitende Gelände ist nicht schwierig. Wegspuren sind vorhanden. Duftspuren ebenso. Gras und Kräuter zerstäuben beim Drüberwandern förmlich in nasenhoch steigenden Aromawolken. Unter mir die Ybbstalerhütte.

Vorm Anstieg aufs Hohe Hirzeck bietet sich noch dieser verstörende Tief- und Ausblick.

Danach verengt sich der Bergrücken ein wenig.

Eine Doline umwandere ich und dann stehe ich doch ein wenig überrascht, obwohl ich ja von ihrer Existenz weiß,…

…vor dieser Jagdhütte. Gleich an der Hütte geht es steil in eine weitere Doline hinab.

Ich halte mich jedoch rechts und wandere auf geringe Spuren achtend, am Rand der Doline entlang. Blick zurück zur Jagdhütte.

Schon bald danach erreiche ich den Gipfel. Ich weiß schon, dass meine Kleingipfelfreuden nicht von allen geteilt werden, aber das…

…mindert mein Hochgefühl um keinen Vergnügungsmillimeter. Obligatorisch und unverzichbar: Gipfelfoto Am Hohen Hirzeck (1565 m).

Auf älteren Karten wird dieser Gipfel noch mit Kleiner Hühnerkogel ausgewiesen:

Bei meiner Besteigung des Noten habe ich dieses Foto von meinen heutigen Bergen gemacht:

Gipfelsitzen erlaube ich mir nicht. Antreibendes dunkles Wolkengewusel lässt mich rasch weiter wandern.

Zuerst glaube ich noch, den niedrigen Bergstock überschreiten zu können,…

…gelange jedoch in unfreundliches Gelände und steige gar nicht so schweren Herzens wieder auf und zur Jagdhütte zurück.

Dort finde ich unterhalb des Plumpsklos eine deutliche Pfadspur. Dieser Spur und der heraufklingenden Musik von der Dürrensteinalm folge ich wetterverunsichert, aber gut gelaunt.

Die Festvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Die zahlreichen hellen Bänke hoffen auf reichlichen Besucherhintern-Zuspruch.

Kommod führt der Weg zu den Hütten hinab.

Mag diese Alm schon uralt sein, jetzt ist sie erfüllt von wimmelndem Leben und aufgeweckter Gegenwart. Viele bergnahe Existenzformen treffen hier im Gottespferch zusammen.

Ich könnte die Meßfeier umgehen, aber der Anblick der Versammelten zieht mich magisch an. Zwischen wunderbar aufgemascherlten Trachtenmenschen finden sich viele in Wanderbekleidung – Gore Tex gilt heute auch als feierbräuchlich.

Der Pfarrer mit seiner Struwelfrisur hält die Messe leutselig. Weil es so trocken ist, droht er nicht mit dem Fegefeuer, und er verzichtet auf glühende Kohlen und den göttlichen Geruch, der sonst vom Weihrauch verpendelt wird. Gebetet wird für Regen, das Vieh, die Halter, Jäger und alle, die heroben arbeiten.

Eine Alm ist doch mehr und etwas Anderes, als mancher Wanderer glauben mag. Diese Tradition aus den Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten, wird nächstes Jahr coronabedingt nicht stattfinden.

Zuerst wird die Messe gespielt und danach der weltliche Teil des Notenblatts.

Wetterwackelig ist es nach wie vor, dennoch bleibe ich nicht sitzen, sondern mache mich auf den Weg, um auch noch den Hüherkogel (1651 m) zu besteigen. Zuerst gibt es nur Steine und Baumstümpfe (wie ein gerupfter Bürzel) und weiter nichts.

Man fühlt sich hier schnell verlaufen, im Irgendwo.

Weiter oben wird die Orientierung leichter…

…und das Gelände gehfreundlicher. Ein breiter Rücken tut sich auf.

Dieses Latschenfeld muss ich noch umwandern, und schon stehe ich am höchsten Punkt.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Großer Hühnerkogel (1651 m).

Dem Gipfelbuch nach zu schließen, sind es vor allem die hier heroben Arbeitenden, die diesen unspektakulären Gipfel besuchen.

Dann geschieht das ohnehin Wahrscheinliche, es beginnt zu feuchteln. Über dem Dürrenstein (1878 m) sieht es bereits ganz schlecht aus. Mir wird’s unbehaglich, und ich verweile nicht lange.

Auch über dem Hochkar, beziehungsweise…

…über dem Noten, macht der Himmel jetzt ganz zu.

Bei meiner Wanderung auf den Noten (Nicht zu unterschätzen: der Noten (1640 m), mit der Strenge schon im Namen) habe ich auch den Hühnerkogel fotografiert:

Meine Abstiegsvariante ist eher von der brachial-direkten Art.

Diesen Hang habe ich mir zum Abstieg gewählt. Da hätte es vermutlich bequemere Möglichkeiten gegeben.

Danach folge ich den herüberwehenden und mir zuwinkenden Musikfetzen.

Noch erfreut sich die Alm an einzelnen Sonnenfenstern.

Ich suche mir ein Plätzchen bei der Musik und bemühe mich, nicht ungut aufzufallen. Ich halte mich an das kluge Leitwort der herzumziehenden Händler:

Nährst du meinen Bauch – ehr‘ ich deinen Brauch.

Und ums Nähren geht’s mir jetzt auch: Wie im engbesetzten Forellenteich zur Stunde der Fütterung durchwühlen goldene Schnitzelfische ihren engen heißen Teich und schnappen, indem sie riesige Blasen aufwerfen, nach Luft. Der Duft von frischem Öl liegt über den Tischen – nicht der abgestandene billige, wie in sparsamen Wirtshäusern, die das abgestandene Fett wieder und wieder verwenden, sondern ein appetitanregender, frischer, froher, freudiger Schnitzelduft.

Ganz unbeobachtet bleibt halt so ein Fremder doch nicht.

Mit den Musikern ändert sich auch die Musik. Jetzt wird musiziert und getrunken. Echte Typen sind da und Hochwürden (so wird er von seinen Tischnachbarn angesprochen) auch noch. In der volksfestlichen Menge sehe ich ihn bei einem Gläschen Spritzwein die Lippen spitzen.

Zwei der vier wichtigsten Zutaten (Speisen, Getränke, Musik und ein WC), die es für ein solches Fest braucht, sind auf den beiden nächsten Fotos zu sehen.

Das WC ist eine gewagte Konstruktion, und das habe ich so auch noch nicht gesehen. Nach einiger Zeit im Festverlauf übertifft das WC in seiner Wertigkeit sogar die Musik, oder ist von zumindest ebenbürtiger Bedeutung.

Jetzt kommen die dunklen Wolken auch langsam zur Alm.

Dort und da schaut statt dem Knicker ein Handy aus der Lederhose, bestimmt mit Messer-App, denk‘ ich mir. Die Stimmung ist schon sehr ausgelassen und vielleicht findet ja das eine oder andere Liebespaar zusammen – schön wär’s. Ich jedenfalls mache mich auf den Heimweg. Während ich zum Auto absteige, beginnt es zu regnen.

Diesen Tourenbericht wollte ich eigentlich noch vor dem 26. Juli 2020 veröffentlichen. Die Möglichkeit, mit dem Auto so weit hochzufahren, ist schon eine einladende, verlockende, die wunderbare Landschaft rund um die Ybbstalerhütte zu besuchen. Jedoch kommt es oft anders, als man denkt, und auch Almmessen dürfen wegen Corona nicht stattfinden. Vielleicht bietet sich ja 2024 die Gelegenheit dazu. Das müsste dann der 28. Juli sein.

Im Anstieg etwa 785 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 10,7 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Ybbstaler Alpen (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Bei Leopold findet sich diese Tourenbeschreibung mit einigen auskunftsfreudigen Fotos: Alpinweg, Dürrenstein, Drei Tage durch die Ybbstaler Alpen (abgerufen am 30.7.2020)

Aus Ronniger (1912): Försters Touristenführer in Wiens Umgebungen. 16. Auflage. Verlag Alfred Hölder, Wien.

Das fantastische neue Buch von Werner Tippelt.

Tippelt (2019): Einsames Bergland zwischen Salza und Ois, Kral Verlag, Berndorf und Queiser GmbH, Amstetten.

Und der alte Klassiker von Tippelt/Steppan

Steffan/Tippelt (1977): Ybbstaler Alpen. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.