Am himmelheiteren Jahresgipfel: Taxlalmkogel (2021 m)

Mit Jahresgipfel meine ich einen Berggipfel in der Höhe der Jahreszahl. Dieser Zahlenspielerei wohnt kein tieferer Sinn inne, ich mache das nur, weil ich nicht allein nach der Leitung der Vernunft leben will und das reichlich vergnüglich finde. Diesmal muss ich für dieses Vergnügen früher aufstehen, denn vor der Haustüre befindet sich der heurige Jahresgipfel nicht. Mein 2021er steht in den Radstädter Tauern, östlich von Zauchensee.

Der Tag beginnt mit einem wichtigen frühen Sieg, weil ich frühmorgens losfahren will und mir das gelingt:

„Weiße Flecken in meiner persönlichen Landkarte, ich komme!“ ruft es in mir. Stunden später parke ich, noch in der Morgenkühle, gleich neben dem Zauchensee. Mit dem Seewasser wasche ich mir die letzten gelblichen, bröseligen Schlafreste aus den Augenwinkeln.

Und weil es im Leben auch manchmal einfach daherkommen kann, beginnt der markierte Aufstieg auf den Strimskogel (2139 m), den Nachbargipfel meiner Jahresbegierde, unmittelbar neben meinem felswandgrauen Vauwe.

Auf einem steilen Sträßchen, das im Winter als Rodelbahn herhalten muss, steige ich hoch. Ob das schon der Strimskogel (2139 m) ist?

Im Morgenschatten, im feuchten moosgründigen Wald, ist es noch kühl, aber nicht so, dass ich nicht bereits bloßarmig und einer zarten Gänsehaut wandere.

In einer Forststraßenkehre stehen meterhohe Brennesseln. Sie erinnern mich an unsere Fußballnationalmannschaft. Alles lassen sie hängen und sehen so unsagbar müde aus – ob die noch jemandem eins aufbrennen können? Ich glaube es nicht.

Hangaufwärts sieht es so aus, als hätten die Kühe auch die Bäume weggefressen.

Die Vorderen Strimshütten taucht auf, und dort irgendwo bei den Hütten endet die Forststraße und beginnt der eigentliche Steig.

Blick über die Vordere Strimsalm (1535 m) zur Steinfeldspitze (2344 m).

Über der Strimsalm fängt der herrliche Pfad an, und…

…endlich gelangen die Strahlen der Sonne über den Bergkamm lichtluft strahlend hell auch hierher.

Mit der üblichen Verzögerung wird das Hochamt des Sonnenaufgangs auch auf der Westseite des Berges zelebriert.

Ganz nah höre ich das Rauschen eines Baches und kann ihn nicht sehen.

Dann offenbart er sich doch in seiner pritschelnden Freudigkeit.

Das Gipfelkreuz des Strimskogels (2139 m) verrät sich nicht durch Geräusche, und darum bin ich um so überraschter, als ich es vor mir sehe.

Ich gelange zu diesem Kreuzungspunkt: Links geht’s zum Strimskogel und rechts zum Hakopf (1996 m) und in den Schlaningsattel. Nicht einmal siebenhundert Meter Luftlinie durch die Latschen, gerade hinter der Tafel hoch, befindet sich mein Tagesziel. Als Gipfelaperitif will ich aber zuvor auf den Strimskogel wandern.

Eine Latschengasse schneidet sich den Westrücken hoch.

Erste herrliche Ausblicke in den Osten würzen mir den Aufstieg.

Am Gipfelgupf wird es felsiger,…

…und die letzten Meter zum Gipfelkreuz führen über riesige,…

…breite, hellbesonnte Steinplatten.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Strimskogel (2139 m).

Ich stehe hoch über Zauchensee…

…auf einem einfach erreichbaren, wunderbaren Aussichtsberg in den Radstädter Tauern.

Wieder einmal verlinke ich auf ein beschriftetes Panorama von Gerhard Eidenberger (Alpen-Panoramen.de) Einfach ins Bild klicken:

Dieser Blick zu den „großen Buben“ in den Radstädter Tauern zeigt mir, wo ich überall noch nicht war.

Und am Dachstein war ich auch noch nicht.

Die Geißsteine jucken mich bei diesem Anblick besonders. Oder sagt man „kratzen mich“? „Das kratzt mich nicht“, sagt der Volksmund zu Dingen, die ihn nichts angehen oder kümmern. Mich kümmern die – kann man die besteigen?

In meiner Langvergangenheit war ich schon einmal am Hinteren Fager (1967 m).

Nach einer zehntägigen Fastenkur hat sich die einfache Tour wie die Besteigung eines Fünftausender angefühlt. Dieses Foto habe ich damals gemacht. Im Anschluss an diesen Tourenbericht habe ich eine Kürzest-Beschreibung dieser Hunger-Tour angehängt.

Ich betrachte den Doppelgipfel des Taxlalmkogels ganz genau und sehe die latschenfreien Flächen, welche nur wenige Meter nach der Abbiegung in Richtung Hakopf (1996) eine Aufstiegsmöglichkeit bieten. Pauli hat das ja schon vorgemacht, (https://www.paulis-tourenbuch.at/2018/20180522_strimskogel.html) aber natürlich muss ich mich vor Ort selber orientieren.

Ich verlasse den Strimskogel und gehe wieder zur…

…betafelten Abzweigung zurück. Anschließend wandere ich den Steig zirka neunzig Meter in Richtung Hakopf…

…bis zur ersten sich auftuenden Latschengasse. Und hier steige ich weglos hoch.

An diesem Stein vorbei, hinein in die nächste Gasse.

Von dieser lasse ich mich östlich leiten, und weil ich immer dem geringsten Latschenwiderstand folge, gelange ich zu diesem alten Weidezaun. Den übersteige ich und finde zu einem Jagdsteig,…

…der die Latschen östlich umwandert.

Obligatorisch und unverzichtbar: Taxlalmkogel West (2038 m). Noch nicht mein Wunschgipfel – der ist um 17 Meter niedriger und noch zweihundertfünfzig Meter entfernt.

Bei diesem Anblick fällt mir die Erklärung schwer, warum ich fast drei Stunden im Auto gesessen bin, um einen Berg zu besteigen – und dabei nicht diesen wunderschönen formvollendeten Gipfel ausgewählt habe,…

…sondern den niedrigeren, völlig unspektakulären Neben-Nebengipfel.

Dabei finde ich, es ist fast gar nicht vorstellbar, bei Reinhold Messner einen Fürsprecher für mein Tun.

Vortrag „Weltberge – die 4. Dimension“  am 29.9.2021 in Steyr

Er meint in seinen Vorträgen, dass Berge besteigen ohne Bedeutung und Nutzen sei und der „Sinn“ solchen Tuns lediglich unseren Wünschen und Ideen entwächst. Bedeutung wird von uns erschaffen!

Im sehr eigenwilligen „Kurs in Wundern“ lautet die zweite Lektion:

Ich habe allem, was ich in diesem Raum sehe [auf dieser Straße, von diesem Fenster aus, an diesem Ort], die gesamte Bedeutung gegeben, die es für mich hat.

Und ich habe den formschönen Strimskogel, mit seiner felsigen hochaufragenden Ostseite zum Vorspiel erklärt…

…und mein ganzes Begehren auf den Taxlalmkogel mit seiner nur für mich und nur in diesem Jahr magischen Höhe von 2021 m gerichtet. In meiner Seltsamkeitsbegierde schlage ich dem berggesellschaftlichen Normierungsdruck (Dort-musst-du-gewesen-sein-Berg, der Höchste, der Schwierigste, der Bekannteste) ein Schnippchen, und erschaffe mir mein ganz eigenes Maß. Auf Leben und Tod muss es nicht unbedingt hergehen. Unannehmlichkeiten nehme ich schon auch in Kauf, nur zu groß dürfen sie nicht sein. Ich lege mir die Latte so, dass ich noch darüber kann und Spaß dabei habe.

Wie lange kann ich dieses Spielchen mit den Jahresgipfeln weiterführen? Bis 2050 habe ich mir meine Ziele bereits herausgesucht. Ist das zu verwegen, zu optimistisch? Wenn die Abrissbirne des Lebens kommt, ob sie nun Krankheit, Alter, oder Unfall heißt, ist das Spiel aus. Dann heißt es, das Hamsterrad der eigenen Vorstellungen verlassen und dann benötige ich eine lebensglückschaffende Eigenschaft: So wie ich zuvor allem, was ich in diesem Raum sehe [auf dieser Straße, von diesem Fenster aus, an diesem Ort], die gesamte Bedeutung gegeben habe, die es für mich hat, kann ich diese Bedeutung auch wieder zurücknehmen, mich ohne große Trauer verabschieden und den Fokus auf andere, für mich machbare Rollen legen. Das ist das große Geheimnis jener Menschen, die mit ihrem Leben zufrieden sind. Das wünsche ich mir auch für mich.

Solche Gedanken wälzen sich am besten beim Gehen, und der Weiterweg findet sich ganz von selbst.

Nach einer kleinen Einsenkung steigt das Gelände fast schon gipfelwürdig nochmals an.

Die letzten Bonsai-Latschen stellen kein großes Hinternis mehr dar.

Ich gelange auf die Gipfelwiese und freue mich wie ein Monsieur Peter.

Obligatorisch und unverzichtbar: Jahresgipfelfoto Taxlalmkogel (2021 m).

Von den Latschen windabgeschirmt mache ich mich mit meiner ganzen Person langsam und massig am Gipfel breit. Ich lege mich auf staubtrockene bröselige Moose und Flechten, die der Frost bereits gefriergetrocknet hat.

Im Hintergrund, der eben überwanderte höhere Taxlalmkogel.

Blick zum Hakopf (1996 m), den ich heute noch überschreiten will. Leider ist der Hakarsee von einer Geländerippe verdeckt, und man kann ihn nicht sehen.

Weich gebettet bleibe ich lange am Gipfel. Es ist gut auszuhalten. Diesen Tag bewege ich mich in so einem Jahreszeitenkeil, einem Zwischenreich: kein Frühling und kein Sommer – aber auch noch kein Herbst und kein Winter. Der Weiterweg gestaltet sich einfach. Ich wandere zum markierten Steig zurück, und auf diesem schlendere ich gemütlich in Richtung Hakopf.

Der Weg auf den Hakopf (1996 m) ist bis auf eine Steilstufe ganz einfaches Gehgelände.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hakopf (1996 m).

Mein heutiges, bescheidenes Werkstück:

Eine andere Möglichkeit, hierher zu gelangen, zeigt Leopold in einem seiner Tourenberichte. Bei schlechtem Wetter ist er über die Stubhöhe herauf gewandert: https://www.paulis-tourenbuch.at/2018/20180518_hakopf.html

Nach einem letzten Blick auf das Schigebiet…

…und die gegenüberliegende wanderbare Talseite, mache ich mich an den Abstieg.

Und weil ich ein Mittelding zwischen Wanderer und fauler Hund bin, werde ich nicht bis zur Rauchkopfhütte weiterwandern, sondern aus dem Schlanigsattel (1846 m) nach Zauchensee absteigen.

Hier lasse ich sie beginnen, meine geliebte,…

…lang andauernde Trödelphase.

Vom Schlanigsattel (1846 m) geht’s dann nur noch auf der Forststraße…

…an der Sonnalm vorbei…

…zurück zur Vorderstrimsalm. Klares Wasser plätschert über bemooste Steine und superglattes glitschiges Totholz. Da fülle ich gerne meine Trinkflasche auf.

In Jahrhunderten haben sich mittlerweile uralte Bäume durch die Kraft der Sonne…

…und des ihnen innewohnenden Widerstandgeistes aus dem Boden gewuchtet. Heute früh sind die mir gar nicht aufgefallen. Im frühen Nachmittagslicht sieht auch die Forststraße von heute morgen ganz anders aus.

Man kann mir eine gewisse Fülligkeit vorwerfen, aber dass mein kurzer Stolperer auf dem Kuhgitter solch einen Schaden anrichtet, schreckt mich jetzt doch. Etwas nachdenklich gehe ich die letzten Meter dieser feinen Wanderrunde.

Als Berge sind die heute besuchten die blanke Nettigkeit, mit ein paar sozial verträglichen Anstiegen. Nur die ersten und letzten Meter finden auf einer Forststraße statt.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Radstädter Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Im Anstieg etwa 976 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 13 km.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Brandl (2021): Dachstein-Tauern West. Wanderführer Bergverlag Rother, München.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Greuthof Verlag, Freiburg.

Hinterer Fager (1967 m) am 30. Oktober 2008.

Von der Trinkeralm wanderte ich los.

Das Hotel stellte mir den Rucksack und die einlitrige Thermoskanne mit Tee zur Verfügung.

Der hohe Ausgangspunkt (1737 m) ermöglicht schon bald herrliche Ausblicke.

Im verbrannten Gras sind Wegspuren gut erkennbar.

Grau geriffelt steht der Dachstein vor mir.

Im Gegenlicht ragt der Vordere Geißstein auf (2177 m) und daneben kann ich schon das Gipfelkreuz erkennen: Hinterer Fager (1967 m)

Die aufragende Steilstufe wird westlich umwandert…

…und durch Latschen geht’s zum Gipfel

Auf einem Felsen steht das Gipfelkreuz. Obligatorisch und unververzichtbar, diesmal ohne mich am Bild: Gipfelkreuz Hinterer Fager (1967 m).

Der Blick zum Taxlalmkogel – damals wusste ich noch nichts von meinem heutigen Besuch, vom Jahresgipfelsammeln, und von den vielen angenehmen und unangenehmen Bewandtnissen die mir zwischenzeitlich widerfahren sind.

Blick hinab auf meinen Herweg und Rückweg. Damals war mein Magen in einem zehntägigen freiwilligen Lockdown und die fünf Kilometer waren anstrengend wie fünfzig.

Im Anstieg etwa 400 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 5 km.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

FIN