Auf der Suche nach kleinen Ekstasen und Schönheit: Pfannock (2254 m).

Die Nocken rund um Bad Kleinkirchheim sind schon seit langem unser Einsermenü beim Bergwandern. Und weil wir beide erst eine lästige Infektion überstanden haben und uns im Stadium der Genesung befinden, zieht es uns dorthin, wo wir die Belastung gut steuern können. Als Rekonvaleszente wollen wir dort kleinere Wanderbrötchen backen, aber keineswegs weniger schöne.

Der Arbeitstitel dieses Blogeintrages trug ja noch den Zusatz: „und wie ich nette Worte für das Massentourismus-Individuum finde, welches in den Nockbergen nicht heimisch ist.“ Dazu später mehr.

Die Talstation der Brunnach-Seilbahn ist selbst am Start in den Tag nicht überlaufen. Nur wenige Passagiere haben sich eingefunden. In relaxter Stimmung wird Gondel für Gondel besiedelt. Keine Hektik – nirgends.

An der Bergstation werden wir von diesem Anblick überfallen. Das nenne ich Ausblick. Und da ist sie wieder, diese weithin ausstrahlende, laszive Sanftmut der Nockberge.

Unser heutiges Gipfelziel scheint noch unerreichbar weit entfernt.

Meine schlampige Unbedachtheit beim Packen führt jetzt zur Auflösung meiner digitalen Wander-Dreifaltigkeit, die da lautet: Fotoapparat, GPS und Höhenmesser. Der Fotoapparat liegt daheim und ich erhebe das Handy zu seinem Stellvertreter.

Wir wandern die ausgeschilderte Forststraße entlang und verlieren bis zur St. Oswalder Bockhütte erstmal hundert Höhenmeter.

Im leichten Anstieg geht es für uns weiter. Diese Gegend war einmal Bergbaugebiet.  Lehofer meint zwar ins seinem Wanderführer: „Ein spähendes Auge kann manche Steinhaufen als Abraumhalden aus dieser Zeit erkennen“. Mein Auge späht augenscheinlich nicht – ich seh‘ einfach nix. Wie sooft bleiben jedoch Namen, denn der Name „Bock“ verweist auf den bergmännischen Ausdruck „pochen“ (Erz verarbeiten).

Über feuchte Böden wandern wir unterhalb der „Roten Burg“, bis …

… wir am Unteren-Oswalder-Bocksattel anlangen.

Über eine steinige, mit Latschen bewachsene Steilstufe, steigen wir in die …

… Einsattelung zwischen den Pfannocken hoch.

Hier kämmt der sanfte Wind dem Pfannsee (2065 m) das Seegras aus dem Auge. Das gefällt uns jetzt sehr, wobei …

… Gewässerbetrachtung sowieso eine von Gabrieles Lieblingsbeschäftigungen ist.

Dieser See ist ein erstaunlicher Lebensbeherbergungsbetrieb. Es wurlt gewaltig im Gewässer.

Und immer, wirklich immer, wenn ich Kaulquappen sehe, muss ich an befreundete erotische Hungerkünstler denken: an den einen oder anderen Singlefreund und an die weniger gut Verehelichten:

Gabriele von diesem Seegras bewimperten Wasserauge wegzulocken, ist gar nicht so einfach. Ihr wäre der See schon Gipfel genug.

Wir steigen den markierten Weg an der Südseite des Pfannocks hoch. Sogar Orchideen blühen im steinigen Gegrase. An der Einschartung zwischen dem Kleinem Pfannock und Pfannock beginnen die letzten hundert aussichtsstarken Höhenmeter.

Überreiches, ausgedehntes Wandergelände umgibt uns.

Nur noch ein steiniges Steilstufchen trennt uns vom Gipfelkreuz.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Pfannock (2254 m).

Die Handhabung der Handykamera fuchst mich: Entweder sind meine eigenen Fingerspitzen am oberen linken Bildrand zu sehen, oder fremde Ellbögen am rechten.

Nur einen Gipfel haben wir aus dieser grünen Kette bereits erwandert. Schon länger denke ich an einen Besuch beim Plattnock (2316 m).

Blick auf den nicht schwierigen Übergang zum Lahnernock – für den habe ich keine Höhenangabe ausfindig machen können.

Römisches Zwischenspiel

Gefühlt sind wir allein in den Bergen unterwegs. Mit uns sitzen nur drei Wandersfrauen am Gipfel – und das in solcher Seilbahnnähe und zur Hauptreisezeit und bei bestem Wetter. Ich war auf mehr Mitwanderer eingestellt und hätte das auch gut ausgehalten, denn …

… im April habe ich ein Gelassenheitstraining absolviert – das war ohne unser Zutun in unserer Romreise inkludiert. So wie man Pferde und Hunde für die Jagd „schussfest“ trainiert, wurde ich in kurzer Zeit für Städtereisen menschenmassenfest gemacht.

Mit dem Bedürfnis nach Welt haben wir uns nur wenige Tage nach Ostern nach Rom begeben – da sind Viele schon wieder weg – so stellte sich Monsieur Peter eine Städtereise im Frühling in Italien vor. Tatsache ist: Alle sind noch da, und jeden Tag werden es mehr:

Zusammengeströmt wird am Trevi Brunnen …

… und an der Spanischen Treppe …

… und überall dort, wo die Einzigartigkeit Roms zu bestaunen ist. Und gerade im gut besuchten Pantheon, wie auch schon die Tage davor, konnte ich etwas beobachten, wovon so nirgends berichtet wird: Die Uniform des Touristen ist die Geduld.

Der gelassene, lächelnde, fast ins Unermessliche reichende Langmut des Massentouristen.

Es hat keinen Sinn, sich jetzt an den Kopf zu greifen: Monsieur Peter und seine Gabriele gehören dazu und müssen warten, meilenweit vom Eingang entfernt, mit einem Skip-the-line-Ticket in der Hand, stehen wir in der Line hinter den anderen Skip-the-line-Ticket-Besitzern und sind nach kurzer Zeit in der warmen Romluft durstig. Kein „Zweite-Kassa-Rufen“ hilft hier.

In allen Sprachen der Welt plaudert und schäkert der homo mass. Die Schlange ist international besetzt, und weil es keine eigene für Österreicher gibt, sudert da jetzt auch keiner, jeder weiß, dass auch alle anderen die Vatikanischen Museen und das Weltwunder Sixtinische Kapelle sehen wollen und mit diesem Wunsch alle gleichgestellt und gleichberechtigt sind.

Wir haben in unserer Rom Woche keinen einzigen Vordrängler, Anstehschwindler oder eine sonstige Massendummheit erlebt. Niemals wurde wir Zeugen einer eskalierenden Unduldsamkeit. Dabei haben wir gefühlt jede Schlange in dieser Stadt ausprobiert.

Der Massentourist, eine Spezies der unverstandenen Art.

Ob im Kolosseum …

… oder am Petersdom, die Schlange war immer schon vor uns da. Die Daheimgebliebenen, die Reiseverweigerer sehen sich bestätigt – da tun sie nicht mit, das ist ihre Sache nicht. Nur auf die Nerven gehende Besucherschlangen, Massenarmseligkeit, Massenbewegungen, Menschenansammlungen.

Ist das wirklich so? Ist das Betreten des Petersdoms nicht Lohn genug? Auch wenn man religiös nicht so begabt ist, hat man so etwas schon einmal gesehen, den Raum gespürt – die Jahrhunderte? Sich im Pantheon im Kreis zu drehen, den Kopf oben, ist das nicht all die Mühe wert? Die Geburtsstätten zu europäischen Mythen und Ereignisorte zu besuchen, von denen nicht nur europäische Geschichte ausging, sondern an deren Gestaden Weltgeschichte gemacht wurde. Lohnt das nicht die Mühe? Für Gabriele und mich schon.

Außerhalb der Menschenansammlungen, vor allem der „places-you-need-to-visit-before-you-die“, finden sich in Rom unzählige Möglichkeiten auszusteigen und an kleinen Tischinseln nur für sich anzulanden.

Als bekennender Aperoliker ist man in Rom gut aufgehoben.

Dort, wo beschränkter Zugang gewährt wird und die Tickets viele Wochen davor mit Zeitslot gekauft werden müssen, sieht es dann ganz anders aus:

Galleria Doria Pamphilj

Keine Reisedokumentation im Fernsehen und auch kein Buch kann diese Exzesse der Prachtentfaltung einfangen.

Galleria Doria Pamphilj

Galleria Doria Pamphilj

So viel menschengemachte Schönheit auf so engem Raum ist fast nicht auszuhalten.

Villa Borghese

Villa Borghese

Tagelang sind wir vom Staunen überwältigt, und es ist fast eine Wohltat, dass wir wieder …

Villa Borghese

Villa Borghese

… in unser so wohl vertrautes Staunen in den Nockbergen zurückgefunden haben.

Abstieg mit einer weniger angenehmen Begegnung.

Wir wandern noch zum Kleinen Pfannnock. Unverzichtbar und gar nicht so obligatorisch: Gipfelfoto Kleiner Pfannock (2180 m) ohne uns, weil ich am Handling mit dem Selbstauslöser der Handykamera gescheitert bin.

Wir steigen weglos direkt zum Pfannsee ab, weil es das Gelände …

… leicht erlaubt.

Gabriele wartet am Pfannsee auf mich, und das nicht ungern.

Vom Unteren Unteren-Oswalder-Bocksattel steigen wir jetzt zur Roten Burg hoch und weiter in Richtung Brunnach Bahn. Den Malnock lassen wir links liegen. So weit ich mich erinnern kann, war das einer unserer allerersten Nockberge.

Blick hinab zur St. Oswalder Bockhütte.

Und hier an einem mit Bänken ausgestatteten Aussichtspunkt, der von vielen Steinmännchen umstanden ist, kommt es zur Begegnung der unangenehmen Art. Ein ganz in schwarz gekleideter Primitivitätsapostel, Tscheche? oder Pole? oder Slowake? sieht seinem zirka sechsjährigen Sohn beim mutwilligen Umschmeißen der von spielenden Kinderhänden aufgerichteten Steinmännchen zu. Auf Gabrieles Zuruf, er soll doch seinem Sohn Einhalt gebieten, Steinmännchen gehören doch zum schmückenden Beiwerk in den Bergen, antwortet er nur mit einem Lachen und der Auskunft, dass das so nicht ist und diese Steinmännchen nur Menschenwerk sind und mit den Bergen gar nichts zu tun haben. Er redet, als hätte er sich, statt einer seiner schlecht ausgeführten Tätowierungen am Arm, die Seele weglasern lassen.

Gerade noch kann ich Gabriele zurück halten, sie würde den Kerl gerne samt Ableger mit ihren Wanderstöcken koloskopieren. Das geht aber nicht, er sieht sehr kräftig aus, und es würde nur sporadisch helfen, denn statistisch gesehen ist das Naturdeppentum weit verbreitet, mit Fruchtbarkeit gesegnet, und keinesfalls national zu denken, sondern in jedem Fall international verbreitet.

Schweren Herzens gehen wir weiter, und hinter uns hören wir ein Steinmännchen nach dem anderen zusammenfallen.

Was soll nur aus den Kindern solcher emotionaler Dummdickhäuter werden? Ich fürchte, ich habe eine Ahnung.

Wieder an der Bergstation zurück hat sich rundum alles belebt. Kinder bespielen den kleinen Spielsee und die Gerätschaften an dessen Ufer. Fröhliche Stimmen und ein Aperol Spritz im Gastgarten des Bergrestaurants bringen unsere Gemüter wieder zurück: in diesen herrlich entspannten, aussichtsreichen Bergwandertag.

Wer an den Rombildern erschrickt und meint, dass jetzt schon zu viel los ist, den sollte eines nachdenklich stimmen: Zur Zeit besitzen in Indien nicht einmal zehn Prozent einen Reisepass. Jedoch werden in den nächsten Jahren hundert Flughäfen gebaut und in China sind es zweihundert. American Airlines will dreimal in der Woche Dubrovnik direkt anfliegen, und …

Im Anstieg etwa 500 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 10 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Nockberge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Leopold ist hier mit Fleißaufgabe samt Zierleiste gewandert: Pfannnock und Plattnock, Kärntner Nockberge (abgerufen 22.10.2024)

„Die Uniform des Touristen ist die Geduld.“ (Abgewandeltes Ingeborg Bachmann Zitat)

„Auf der Suche nach kleinen Ekstasen und Schönheit“ habe ich mir aus einem Artikel im Standard von Sebastian Fasthuber über Xaver Bayer stibitzt

Lehofer (2003): Nockberge, Nationalpark und Gurktaler Alpen. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.

Lehofer (2003): Nockberge, Nationalpark und Gurktaler Alpen. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.

21., aktualisierte Auflage 2023

Marco d’Eramo (2018), Die Welt im Selfie. Suhrkamp Verlag, Berlin.

FIN