„Gach hin und schnell weg“ ist mir normalerweise auf den Bergen nicht gegeben. Weder entspricht dies meinem Naturell noch meinen konditionellen Möglichkeiten. Heute ist es aber erforderlich, weil ich unbedingt noch eine Schitour gehen will, aber auch arbeiten muss. Hochkar heißt das Zauberwort, auch schon in früheren Jahren.
Vor dem Konkurs sperrte das Hochkar mit dem letzten Apriltag seine Lifte. Das wussten viele, und somit waren am 1. Mai zahlreiche Tourengeher auf der Hochfläche anzutreffen. Heuer wurde bereits am 7. April geschlossen, und an diesem Freitag bin ich der Allereinzigste, der überhaupt auf dieser Welt weilt, hat es den Anschein.
Es weht bereits ein kräftiger Föhnwind mit Böen, die mir dermaßen ins Gesicht und in den Mund fahren, dass sich meine Oberlippe über meine Nase stülpen will. Davon lasse ich mich jetzt aber auch nicht beeindrucken, schließe meinen Mund und gehe los.
Trotz der bereits sehr warmen Nächte befindet sich der Schnee in guter Verfassung. Die Piste ist fest, und meine Schi hinterlassen fast keine Spuren.
Der Lack ist ab. Wie auf einem Rummelplatz, dem die Lichterketten abhanden gekommen sind, schaut es auf dem Hochkar aus. Kein Surren der Liftseile, kein Knarzen der Liftstützen. Das Schigebiet scheint völlig ausgepowert am Boden zu liegen.
Es gibt Landschaften, die für mich die Anwesenheit von Menschen zu ihrer vermeintlichen Vollständigkeit brauchen. Schigebiete im Frühjar sind solche Örtlichkeiten.
Das Hochkar ähnelt in diesen Tagen einem Rentier, dem in Fetzen sein schmutziges Winterfell nachhängt. Das Hochkartier verliert seinen weißen Winterpelz, und sein Sommerfell ist noch nicht nachgewachsen.
Blick ins Kar bzw. Draxlerloch. Hier wäre der Aufstieg mit ein paar Höhenmetern mehr auch möglich gewesen. Gegenüber ist der Scheiterkogel zu erkennen. Links das Scheineck mit dem waldigen Schwarzenstein (1580 m) als Endpunkt. Und gegenüber vom Scheineck verläuft der Heli-Kraft Klettersteig.
Glücklicherweise hat der Wind nachgelassen. Das Sturmgebell wird von Vogelsingsang abgelöst, und das ist mir bedeutend lieber. Vor allem, weil ich jetzt vor der schwierigsten Challange der heutige Tour stehe: Finde ich meinen Weg zum Gipfel ohne meine Schi abzuschnallen?
Die Antwort lautet: Nein und…
…nochmals nein.
Wäre ich zu Beginn des Kammes nicht so faul gewesen und einige Meter abgefahren, um danach ziemlich direkt zum Kreuz aufzusteigen, hätte ich mir das Abschnallen der Schi ersparen können. Trotzdem erreiche ich den Gipfel mit den Brettln. Hier liegt noch einiges an Schnee, aber nur wenige Meter daneben kann man schon auf den Gipfelbänken Platz nehmen.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hochkar (1808 m).
Blick über die Hochfläche des Hochkars. Im Hintergrund verdeckt der Dürrenstein den Ötscher.
Das Hochkar scheint eine weiße Insel zu sein.
Der Gamsstein ist von der Palfauer Seite schon begehbar. Die verbliebenen Schneereste wirken bezwinglich.
Eigentlich mag ich diese Touren an Arbeitstagen und unter Zeitdruck nicht. Ich kann dem Berg, der Aussicht und der Natur nicht den nötigen Respekt zollen. Fürs Trainieren gehe ich laufen, aber nicht wandern.
Einige hektische Gipfelbilder können eine genussvolle Gipfelschau nicht ersetzen.
Unbeeindruckt von meiner Eile schwappt im Süden das Nebelmeer gegen schneelose Klippen.
In der Nähe großer Steine oder auch von Latschen bilden sich immer wieder geräumige Löcher unter der geschlossenen Schneedecke. Selbst bei größter Vorsicht kann man in solch einem Loch hängen bleiben und sich verletzten. Darum erfordert das Alleinegehen nochmals einen Tick höhere Aufmerksamkeit.
Ich umfahre die aperen Stellen und komme ohne Abschnallen zur Piste.
Die Abfahrt bereitet mir großes Vergnügen, und ein Wiederaufstieg würde mich locken. Vor allem im Bewusstsein der letzten Schitour dieses Frühjahres. Aber was soll’s, ich fahre auf kürzestem Weg ins Büro.
Noch vor den Mauthäusern der Straße hat der Frühling schon Stellung bezogen.
So ist es alle Jahre.
Und alle Jahre freue ich mich aufs Wandern, in der Sonne liegen und in kalten Seen baden. Und wie!
Im Anstieg ca. 390 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 4,8 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ybbstaler Alpen (Auswahl):
- Geometrisches Wandern: Im Kreis gehen am Dreiecker (876 m)
Dreieckberg (876m), Urmannsberg (795m) - Hippiesteine am Schluchtenwanderweg
Leoferstein (767m) - Winterbefreite Spindelebenüberschreitung
Lonegger Mauer (840m), Elmkogel (898m), Spindeleben (1066m), Redtenberg (1028m), Schnabelberg (958m) - Buchenberg im Winter
Buchenberg (790m) - Hochtürnach (1770 m): №6 der Big Five in den Ybbstaler Alpen
Hochtürnach (1770m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
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