Von Ost nach West über den Schieferstein ist eine Tour für echte Waldschrate, Schrofenverehrer und solche, die es noch werden wollen. Obendrein ist dieser Berg auch noch wie verzaubert. Ich höre Stimmen, welche von oben kommen und mir den Weiterweg zuflüstern. Versteinerte Jäger stehen in der Gegend herum, und ich sehe eine Pfadspur, die mit Zaubertinte in den Wald geschrieben ist: Sie verschwindet und erscheint wann und wo sie will.
Heitzmann/Harant schreiben in ihrem Führer über den Ostgrat:
„Unbezeichnet, 3 Std., Trittsicherheit nötig, sehr verwachsen, nicht empfehlenswert! (…) in den Sattel unter dem Wachtberg und noch ein Stück dem Menweg entlang (hierher auch auf einem direkten Steig vom Gh. beim KW Großraming). Nun immer auf der Kammschneide, den Schratlboden überschreitend, zum Gipfel. Einzelne Felstürme werden umgangen; direkte Überschreitung II-III !!
Das will ich mir schon lange genauer ansehen. Am Fuße des Aubergs beginne ich am markierten Menweg meine Wanderung.
Über dem Stummelarm der Enns und Großraming spielen noch letzte Nebelreste miteinander. Es wird ein schöner Tag werden und ein herrlicher noch dazu.
Auf dem Menweg wandere ich zur Einsattelung mit dem Sender hoch.
Nicht den ganzen Weiterweg kann ich überblicken, aber wichtige Teile davon.
Zuvor verlasse ich den Sattel für einen kurzen Abstecher nach Osten. Über eine hochgewachsene Wiese und einfaches Waldgelände besteige ich meinen ersten „Gipfel“ am heutigen Tag.
Leicht zwänglerisch und darum sehr befreiend: Gipfelfoto Wachtberg (680 m). In der BEV-Karte ist diese Erhebung mit Wachberg bezeichnet. Mir erscheint aber der im Führer von Heitzmann/Harant verwendete Name „Wachtberg“ schlüssiger zu sein.
Zurück im Sattel folge ich weiter dem Menweg.
Bei dieser Forststraßenkehre verlässt der Menweg den Grat und nimmt seinen weiteren, nördlichen Verlauf. Darum sage ich „au revoir“ zu ihm und gehe oberhalb der Kehre direkt am Grat weiter.
Zuerst gibt es keine Wegspuren, danach doch noch welche und dann wieder keine.
Immer wieder sind kleinere Felsen zu übersteigen.
Einen größeren Felsaufbau mit reichlich quer liegendem Altholz versuche ich rechts, im steilen Wald, zu umgehen.
Der Waldboden ist mit Rutschlaub bedeckt, und darunter befindet sich schmieriger Waldboden. Gefährlich wie ein Schneefeld kommt er mir vor. Beim Anblick dieser Rinne und den Felsen, die es zu überklettern gilt, drehe ich um und nehme dann doch lieber den zuvor verschmähten Anstieg.
Über dichtestes Unterholz von alleräußerster Überflüssigkeit steige ich mühsam hoch, trotzdem lässt es sich besser begehen, als zuvor gedacht.
Erstmals gelange ich zu einer Aussichstmöglichkeit. Am Wachtberg war ich heute schon.
Mein Navi ist heute keine große Hilfe. Es kommt ganz allein auf die Augen und den Wegfinde-Instinkt an. Das leichte Brennen in meinen Augen verrät mir, dass der Schweiß zu fließen begonnen hat.
Der Berg wird für wenige Meter schmaler, und ich erreiche den Schratlboden.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Schratlboden (945 m).
Ich übersteige den Grat nicht, sondern gehe wieder ein paar Meter zurück und umgehe den Gipfel an der Südseite. Das Gelände ist schwierig zu lesen: Bleibe ich am felsigen Gratzacken, weiss ich nicht, ob ich auch abklettern kann und weiterkomme. Bleibe ich im Wald, werde ich von den Felsen immer weiter hinabgedrängt.
Immer wieder stellen sich die selben Fragen: Überklettern oder südlich umgehen? Überklettern oder nördlich umgehen? Gar nicht überklettern und unten bleiben?
Für diese Begehung wäre eine Mischung aus Röntgenaugen und Echolotung sehr förderlich.
Es sind keine Zeichen wie Steinmännchen oder ähnliches vorhanden, so dienlich sie jetzt für mich gewesen wären.
Aber irgendwie finde ich doch immer einen Durchschlupf oder Überstieg.
Nahe der Höhenkote 1033 m zieht eine Forststraße von Gscheid auf den Kamm, die ist allerdings in der Kompasskarte noch nicht eingezeichnet.
Der Wald öffnet sein Blätterdach über einem Wiesenflecken. Es ist herrlich, im reinen Vormittagslicht kräftig durchzuatmen. Das Idyllische fehlte dieser Wanderung bisher. Ich spür’s aber bereits im Anflug…
Auf einem Bankerl nahe der Forststraße und einem Hochsitz pausiere ich. Einem großen schweren BraunBlaubären nicht unähnlich…
…mit farbverspielten Blumenköpfen auf Augenhöhe. Ich kann es gar nicht wortbar machen, wie wohlig mir gerade ist.
Alles ist grün in dieser Landschaft. Selbst das vom Kraftwerk ausgebremste Wasser der Enns grünelt in seiner ganzen einsehbaren Länge.
Mit der, von der kurzen Rast und dem verzehrten Schokoriegel hinzugefügten Kraft, setze ich meinen Aufstieg fort. An Kühen vorbei steige ich weglos die große Wiese hoch. Am höchsten Punkt der Weide übersteige ich den Zaun…
…und sehe bald mein allererstes Steinmännchen auf dieser Tour. Ein Einsiedlersteinmännchen sozusagen.
Die Schrofen werden schmaler und, weil sie höher aufragen, auch unangenehmer. Mühsam übersteige ich wieder so einen Felsen, um danach in eine Einsenkung abzuklettern.
Vor mir eine Wand, rechts von mir steiler Wald und links vor mir schuttriges Felsgelände. An diesem Punkt meiner Ratlosigkeit ertönt aus der grünen Wildnis eine dunkle Stimme: „Hallo, Halloohooo“ Ich bin kurz erschrocken kann aber niemanden sehen. Wieder brummt die Stimme ein „Hallooo“ allerdings mit einem wichtigen Zusatz: „hier oben bin ich“. Ich blicke die nahe Felswand hoch und sehe zwei Meter über mir, durchs Grün der Bäume, einen Wanderer stehen. Ich weiß sofort, dass das keine einsamkeitsbedingte oder dem Sauerstoffmangel geschuldete Halluzination ist. Zu dieser Stimme gibt es einen blaugewandeten Mann. Es ist der Helmut Seiringer – der Urgrund warum ich meine Überschreitung gerade jetzt mache. Seine Fotos von den Alpenastern im Vorjahr ließen mich diesen Termin für diese Tour reservieren. Und jetzt wiederholt er seine eigene Tour gerade heute, und wir treffen uns erstmals persönlich. Helmut klettert auf Steigbügeln herab, welche ich, unmittelbar davor stehend, zuvor nicht bemerkt habe.
Wenn gutes Aussehen und ein eingezogener Bauch strafbar wären, könnten Helmut und ich jetzt nicht auf freiem Fuß durch die Berge Oberösterreichs streifen. Die Grazie dieses Bildes hätte ohne das Baucheinziehen von meinereiner sehr an Ästhetik verloren.
Helmuts Blogeintrag zu dieser Wanderung ist bereits online, und alleine schon wegen seiner fantastischen Bilder sollte man diese Tourenbeschreibung unbedingt anschauen:
Helmut Seiringer: Schieferstein-Runde am 8.6.2017
Nach einer kurzen freundschaftlichen Unterhaltung setzen wir unsere Wege weiter fort. Zuvor erhalte ich von Helmut noch einen wertvollen Hinweis zum Weiterweg. Nach dem Aufstieg über die (fast) unsichtbaren Bügel gelangt man in circa dreißig Metern zu diesem Wandl. Das wird links…
…auf diesem schmalen Band erstiegen.
Der Blick zurück lässt ein wenig von der Unbestimmtheit der Wegfindung erahnen. Auf mostviertlerisch kann man das wie folgt zusammenfassen: Schmecks!
Das Terrain setzt sich auch weiterhin, allerdings erfolglos, gegen meine Schritte zur Wehr.
Der Ostgrat bleibt sich selber treu und ist auch hier noch eine Mission für Spurensucher und Zeichendeuter.
Ein erster Tiefblick auf Losenstein und dieser…
…wie für mich gepflanzte Alpenasternstrauß zeigen das baldige Erreichen des Gipfelgrates an.
Noch einmal muss ich ziemlich tief in den Wald absteigen, um gleich wieder hinauf…
…zum finalen Gratstück, das zugleich ein bergliches Filetstück ist, zu gelangen.
Der Grat schmalt sich zusammen, ohne jemals dabei unangenehm zu werden.
Herrliches, blumengeschmücktes Gehgelände über der steilen Südwand.
Hier möchte ich nochmals auf den Blog von Helmut verweisen. Er hat beifallswürdige Bilder von diesem Tag am Schieferstein gemacht.
Der Blick zurück ist für mich jetzt ein großer Freudenspender. Ich sehe den bestiegenen Wachtberg und die herrliche Wiese, an deren Rand ich gerastet habe.
Es sind schon auch schmale Stellen zu begehen. Bei trockenen Verhältnissen ist das aber unschwierig.
Neben Alpenastern gedeiht auch gerne das Edelweiß. Hier sind wir aber vermutlich nicht hoch genug, und darum begleiten Schafgarben die Astern bei ihrer Blüharbeit.
Ich erreiche den nicht nur steinmannverzierten Ostgipfel.
Es ist nicht mehr weit zum Gipfelkreuz.
Dieser Übergang…
…hat auch seine mageren Stellen.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Schieferstein (1206 m).
Das habe ich auch noch nicht erlebt. Keine Menschen am Schiefersteingipfel. Nur Durst und Hunger begleiten mich.
Ich stelle meine Fotografiererei ein, um an das zunächst Wichtigere heranzugehen: Meine über alles geliebte Gipfeljause, hoch über Reichraming.
Schauen kann ich auch mit vollem Mund. Damit widerlege ich die Meinung vieler Frauen, dass Männer nicht multitaskingfähig wären. Wir sind’s.
Wieder einmal lasse ich mir von einem wunderbaren beschrifteten Panorama unter die Arme greifen. Einfach ins Bild klicken.
Nach einer ausgiebigen Pause wandere ich…
…über den weiterhin schmalen Grat (dies ist der markierte Normalweg auf den Schieferstein) bis zum Felsaufbau…
…des Steinernen Jägers. Die Geschichte seiner sagenhaften Entstehung beginnt so:
„Einer der merkwürdigsten und sagenreichsten Berge in den Voralpen ist der Schieferstein im schönen Ennstale. (…) Seit altersher lebt im Volke des Ennstales, im Umkreis von Losenstein, Reichraming, Laussa und darüber hinaus der Glaube, daß hoch droben in den Regionen des Schiefersteines ein schneeweißer, zwanzigjähriger Hirsch…“
Wer weiterlesen will, findet die ganze Sage hier: sagen.at – Der steinerne Jäger.
Der Felsen gibt sich martialischer, als er tatsächlich ist. Gut verankerte Stahlseile geben Halt, und bis zum Kreuz ist es (fast) Gehgelände.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto auf einer versteinerten Sagenfigur: Steinerner Jäger (1185 m).
Blick vom Steinernen Jäger zur bewaldeten Nordseite des Schiefersteins. Den schmalen Gipfelgrat kann man nicht erkennen.
Ich habe jetzt noch den langen Gratweg bis zum Bauernhaus Hack vor mir.
Selbst dieser markierte Normalweg stellt seine Anforderungen an den Wanderer. Kleinere Felsen müssen überstiegen werden,…
…und größere werden umwandert.
Sogar eine Leiter muss überwunden werden.
Der Weiterweg ist schon oftmals beschrieben worden und sozusagen „aktsbekannt“, wie es so schön in beamteten Kreisen heißt. Darum nehme ich eine ungewohnte erzählerische Abkürzung:
Mein fulminanter Weiterabstieg wurde ohne mein Wissen heimlich gefilmt. (Mit großer Wahrscheinlichkeit bin ich es, der in diesem Film den Berg hinabeilt.) Sonderbare Dinge geschehen am Schieferstein, der auch Zauberstein heißen könnte.
Das Bauernhaus „Hack“ ist der ersehnte Endpunkt meiner Überschreitung.
Den kaum vorhandenen Spuren nach, wird diese Überschreitung gar nicht so oft begangen. Selbst im Internet finde ich für den gesamten Ostgrat nur diesen kurzen Blogeintrag von von Pauli und Rosa. Den Zeitaufwand für’s Irren bei der Wegsuche, Umkehren, Absteigen und wieder Aufsteigen darf man nicht unterschätzen. Das braucht schon seine Zeit.
Im Anstieg ca. 1160 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 12 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region OÖ Voralpen (Auswahl):
- Silberrücken am Pfannstein
Schabenreitnerstein (1143m), Pfannstein (1423m), Rauher Kalbling (1381m), Herrentisch (1333m) - Mit einer Brust voll Ruh: Hahnboden (1252 m)
Hahnboden (1252m) - Im Oktobersommer auf den Kronstein (757 m)
Kronstein (757m) - Hoher Trailing – unbunt
Annasberg (1172m), Hoher Trailing (1237m), Niederen Trailing (975m) - Anleitung zur Vermeidung ausgetretener Pfade: Die Besteigung der Wolkenmauer (638 m)
Wolkenmauer (638m), Rabenreitkogel (713m), Seitwegkogel (755m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Die Sage vom Steinernen Jäger findet man auf: sagen.at – Steinerner Jäger (abgerufen am 24.7.2017)
Die Bildbeschriftung erfolgte mit: PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version: 1.0.3 © Christian Dellwo.