Freundliche Augenbotschaften im Toten Gebirge: Schafberg 1932 m (Hintere Höh)

Noch immer fällt es mir arbeitslastig bedingt schwer, den Taten Worte folgen zu lassen. Darum berichte ich erst jetzt von meiner Wanderung auf den Schafberg (bei Wörschach). Erzählen möchte ich davon unbedingt – weil es eine der besonders schönen Wanderungen ist.

Am Parkplatz Schönmoos finden sich noch Flugblätter mit Bild und einer Beschreibung des schon seit November vermissten 28-jährigen Wanderers und Triathleten Ralph aus Wien. Sein Fahrzeug fand man auf diesem Parkplatz abgestellt. In umfangreichen Suchaktionen mit bis zu 140 Kräften der Bergrettung, Feuerwehr und Alpinpolizei wurde die Gegend rund um den Hochmölbing, bis zu diesem Zeitpunkt ohne Erfolg, abgesucht. Dass diese Flugblätter längst schon zu Partezetteln geworden sind, weiß noch niemand. Dazu später mehr.

Die Übersichtstafel erfüllt ihren Zweck recht gut. Und darum landen schon wieder zwei Gipfelideen in meiner Gipfelvorratsdose.

Der Morgennebel verblaut sich und gibt den ersten Blick auf den wunderbaren Hochtausing frei.

Diesen Forststraßenabkürzer gehe ich jedesmal gerne. Dabei passieren mir ein ein paar Höhenmeter – auch gut.

So sonderbar und verändert erscheint die Welt von solcher Höhe aus gesehen.

Wieder auf der Forststraße sehe ich auf mein Ziel.

Neben der Straße, schon in der Wiese, parkt dieses aufwändig beklebte Freizeitmobil – hoffentlich mit Zustimmung der Grundbesitzer. Seine Absichten stehen ihm praktisch in die Seitenwand geschrieben.

Das Durchschreiten dieser Landschaft ist an sich schon schön,…

…und die Erlebnissteigerung ist nur möglich, weil sich der Frühling seine Affekte so schöpferisch und farbintensiv abreagiert.

Langpoltenalmhäuser zwischen Hochtausing…

…und Raidling.

Auf Höhe des letzten Almhäuschens zweigt der Weg zum Hochtor ab. Zuerst geht’s ein paar Meter bergab, um anschließend sanft und danach immer unsanfter bergauf zu leiten.

Im Zeitalter der totalen, flächendeckenden Verbildschirmung…

…ist solch‘ eine lichtdurchflutete dreidimensionale Landschaft ein Augensegen.

Unter besonntem Nadelwerk, das im leichten Wind zart zögerlich zittert und sich gegenseitig beschattet: altes Grün, das schon Tage oder gar Wochen gesehen hat und junges Grün, nur wenige Stunden alt.

Steingrau und neugieriges Grün wechseln mit

…felsgrau und mutigem Grün.

Am Hochtor steht dieses Bankerl, hier irgendwo beginnt ein Jagdsteig und darauf Paulis Aufstieg auf den Schafberg: Wörschacher Schafberg (Paulis Tourenbuch)

Die Landschaft legt sich zurück und der gut markierte Weg führt in einen Taleinschnitt…

…zum Fiedelbrunn (1725 m). Da zweigt der Weg zur Liezener Hütte ab. Die ist keinen Kilometer mehr von hier entfernt. Ich gehe jedoch in Richtung Steinfelder Schwarzkoppen weiter.

Es bachelt und wassert überall, weil sich auch die letzten Schneereste zum Abstieg entschieden haben.

Der Pfad liegt vor mir, wie etwas Naturgewachsenes.

Es folgt eine zweite Abzweigung zur Liezener Hütte. Die werde ich dann am Rückweg nehmen. Ich freue mich jetzt schon darauf, weil das ein besonders schönes Wegstück ist.

Dieser Landschaftsabschnitt – zwischen Brunnalm und Liezener Hütte – wird von den Einheimischen Karl May Tal genannt. Und wer hier gewandert ist, weiß auch warum.

Ich genieße aber momentan weniger das schöne Tal, als dass ich nach Wegspuren in östlicher Richung suche – zur Steinfeldalm.

Ein einzelnes Steinmännchen lässt mich den markierten Weg verlassen, auch wenn ich echte Pfadspuren noch nicht ausmachen kann.

Und dann finde ich die unscheinbaren Überbleibsel eines einst bestimmt häufiger begangenen Pfades. Diesem folge ich ca. 500 Meter und verlasse ihn noch vor Erreichen der Steinalm, um in Richtung Gipfel aufzusteigen.

Diese Landschaft sieht einladend wanderbar aus, und doch…

…ist hier, irgendwo um den Schafberg, zwei Monate nach meiner Wanderung…

…der verunglückte Ralph von einem Suchhund gefunden worden. Wochen nach seinem Verschwinden. Das Alleinwandern hat seine Tücken, wie man erkennen muss.

Das sieht jetzt nicht wie ein Gelände aus, das einen in kaum zu überlebende Situationen bringt, und doch geschah das Unglaubliche:

„Man glaubt sich noch mitten im Leben, und schon ist man Vergangenheit geworden.“ (Ricarda Huch)

Trotzdem liebe ich es, völlig allein unterwegs zu sein: Nicht kommunizieren zu müssen, dabei keine Kompromisse eingehen, so langsam oder schnell zu gehen wie man gerade will, für Fotos oder einen Ameisenhaufen oder einen alten verschlungenen Baum oder Wolken betrachten lange anhalten, keine Verantwortung für andere übernehmen, völlig unabhängig Entscheidungen treffen (gerne auch die falschen). Ist es eine Sozialschwäche, wenn man innerlich daran gehindert ist, in Gruppen, Mengen und Rudeln zu wandern?

Und weil niemand weiß, wann er sich in seines Lebensweges Mitte befindet oder gar an dessen Ende, halte ich mich nach meiner Infarkterfahrung am Berg an diese einfachen Regeln, um vielleicht doch die Chance auf einen Aufschub zu wahren:

  • Meine Frau bekommt per Whats App einen Kartenausschnitt – Bildschirmfoto – mit der eingezeichneten, geplanten Wanderroute (das könnte im Singlefall ein Elternteil oder guter Freund sein).
  • Eine Rückkunftzeit bzw. Zeitpunkt für einen Telefonanruf wird von mir geschätzt.
  • Immer habe ich im Rucksack: Signalpfeife (ich wandere oft abseits markierter Wege), Taschenlampe, Biwaksack (ist nur faustgroß und braucht nicht viel Platz), Ersatzbatterien (Handy, Navi, Taschenlampe), Haube und Handschuhe.
  • Und für die Suchkräfte habe ich einen Recco Reflektor am Rucksack befestigt. Er ist das für die Bergretter, was die Blutspur im Meer für den Hai ist. Er macht mich auffindbar, auch wenn es für mich vielleicht schon zu spät ist – unter allen Umständen hilft es den Suchkräften und Angehörigen.

Von den näheren Umständen habe ich keine Kenntnis und spekulieren will ich nicht. Ich habe mir nur im Nachhinein überlegt, wie ich auf den Fund seiner sterblichen Reste reagiert hätte, denn vielleicht bin ich ja nah daran vorbeigewandert. Und ich bin egoistisch froh, dass nicht ich sie entdecken musste.

Über Schneefelder und an Dolinenrändern entlang, erreiche ich die steil in das Ennstal abfallenden östlichen Abbrüche der Weißenbacher Mauern und …

… es kommt immer anders, als man denkt. Etwas passiert, das nicht vorgesehen ist. In meinem Fall ist es ein kleines Glück in Form eines Gipfelkreuzes. Davon hat noch niemand berichtet. Das überrascht mich jetzt. Damit kann ich gut leben.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Schafberg (Hintere Höh 1932 m).

Es weht ein leichter Wind und damit fühlt es sich hier an, wie in einem stark runtergekühlten Raum. Ich ziehe einen Pullover drunter und bleibe trotz der Widrigkeiten ein Weilchen am Gipfel. Zum Schauen gibt es genug. Zum Beispiel im Gipfelbuch: Der Waidhofner Erstentdecker dieses Gipfels bin ich nicht, Reinhard und Gabi haben sich bereits eingetragen.

Bei meiner Hochtausingüberschreitung habe ich sogar vergessen, ein Foto vom schmalen Gipfel und seinem Kreuz zu machen (hat er überhaupt eines?). Immerhin zum Atmen hat man dort oben genug Platz: Hochtausing und Bärenfeuchtmölbing.

Blick auf das Ennstal nach Liezen und Weißenbach.

Hier ein Kameraschwenk…

…und jetzt gezoomt in Einzelbildern.

Der Augenschmaus, der auch ein…

…Augentrost ist.

Auf Satellitenbildern von Europa sieht man allerorten Lichteransammlungen, hell erleuchtete Städte und dicht besiedelte Stadtgroßräume. Nur vereinzelt durchziehen dunkle Abschnitte, wie schwarze Samtbänder, das Bild. Unbesiedelte Gebiete, fast menschenleer. Und ich befinde mich gerade am Rand eines solchen stockdunklen Streifens. Einladend sieht er aus, dieser Streifen. Bis ins Tote Gebirge und den Dachstein könnte ich von hier, fast ohne Zivilisationsberührung, wandern.

Irgendwann ist es immer Zeit, abzusteigen. Ich entdunkle den Gipfel und mache mich auf den Rückweg.

Wieder zurück am markierten Weg wandere ich jetzt ich Richtung Liezener Hütte bzw. Hochmölbinghütte weiter. Die Markierung zieht entlang…

…des traumschönen Goldbachls.

Käme da jetzt ein Grizzly ums Eck und spränge ein Lachs aus dem Bachl, mich würde es in keiner Weise wundern.

Jetzt geht’s für mich darum, in größtmöglicher Zeitverschwendung dahinzuwandern oder besser…

…hineinzuwandern in diese umarmende Landschaft.

Wie schon die letzten Male, steigt eine Schwere und Lähmung vom Wasser auf und es kostet große Mühe, mich wieder aufzurichten.

Hier gibt es nichts, das die Augen ärgert und selbst die…

…Liezener Hütte (1762 m) passt in die Landschaft, als wäre sie nicht menschengemacht.

Die Liezener Hütte ist eine Selbstversorgerhütte und bestenfalls am Wochenende besetzt. Ich wandere zur fast immer offenen Hochmölbinghütte weiter. Zumeist…

…etwas oberhalb des glitzernden Bachfadens entlang.

Bald schon erreiche ich die Häuser der Niederhüttenalm mit der…

…Hochmölbinghütte (1684 m).

Ich setzte mich auf eine der leeren Bänke vor der Hütte und ordere ein großes Getränk. Fix habe ich nicht mit dieser Möglichkeit gerechnet, darum freue ich micht jetzt um so mehr. Und wenn es so etwas geben kann, einen langen denkstillen Augenblick, dann habe ich den heute hier vor der Hütte erlebt.

Absteigen will ich über den Salzsteigweg bzw. den Grazer-Steig. Noch ein letzter Blick hinauf zum langgezogenen Raidlingrücken mit seinen beiden Gipfeln: Raidling West – Wörschacher (1912 m) und Raidling Ost – Liezener (1909 m)…

…und zum Sumpereck (1913 m).

So bald sich der Weg in einer 90-Grad-Kurve (nahe Gottseidankbankerl) in Richtung Langpoltner-Klamml dreht, ergeben sich herrliche Ausblicke auf schon besuchte Gipfel.

Der Steig ist schmal und steil. Darum ist zu schnelles Hinablaufen…

…gefährlich, weil einem in der Müdigkeit leicht die Bewegungen verwildern kann.

Vom Langpoltner-Klamml ist es nicht mehr weit…

…zur Langpoltenalm.

Links von mir kann ich sogar das Gipfelkreuz des Wörschacher Raidlings sehen. Irgendwie spannend: Durch diese Felsfluchten soll es auch einen Weg hinauf geben.

Und wieder einmal habe ich nicht geeilt und nicht gehastet und habe den Gipfel dennoch erreicht. Und zum guten Schluss kommt dieser besonders schöne Tag mit einem floralem Feuerwerk an sein bunt-glückliches Ende.

„Die Nützlichkeit des Lebens liegt nicht in seiner Länge, sondern in seiner Anwendung. Mancher zählt viele Jahre, und hat doch nur kurze Zeit gelebt.“ ( Michel de Montaigne)

Im Anstieg etwa 895 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 19,7 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Totes Gebirge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Meine Quellen:

Paulis Tourenbuch: Wörschacher Schafberg (abgerufen am 10.30223)

Hier habe ich bei meiner Wanderung auf den Kosennspitz auch den Schafberg und Bestein mitfotografiert.

Rabeder (2005): Totes Gebirge. AV Führer, Bergverlag Rother, München.

Hödl (1989): Bergerlebnis Steiermark. Verlag Styria, Graz.

Pürcher (2000): Erlebnis Ennstal, Schladminger Tauern, die schönsten Wanderungen und Bergtouren. Verlag Styria, Graz.

Huber (1927): Führer durch das Tote Gebirge, Artaria Verlag, Wien.

Mein elsterhaftes Verhalten hat mich diesmal ins Nest von Thomas Mann (unter besonntem Nadelwerk…“ ). Marlen Haushofer (Wie schon die letzten Male steigt eine leichte Lähmung vom Wasser auf…“) und Clemens Setz (Und wenn es so etwas geben kann, einen langen denkstillen Augenblick…)

FIN