Herzzerfleischend schön: Gefrorener See und Seekarspitze (2115 m) und Große Rübe (2093 m)

Novembertage sind knapp an Tageslicht und morgens noch dazu sehr kalt. Unerbittlich werde ich von Gabi aus unserem wohlig warmen Bett gerissen und aus dem Haus gejagt. Diese unausweichliche Grausamkeit habe ich am Vortag in Auftrag gegeben und dient nur einem Zweck: mir genug Sonnenstunden zu verschaffen, um Berge zu besteigen.

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Es sind diese verflixten Morgenminuten, in denen das Wandern Gift für mein Wohlbefinden und meinen Gleichmut ist. Aber schon beim Anblick der verwelkenden Morgenröte über den Türmen meiner Heimatstadt bin ich mit meinem Vorhaben versöhnt. Jetzt nur noch den ebenfalls reichlich gesichtsverknitterten Reinhard ins Auto verladen, und auf geht’s nach…

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…Hohentauern und weiter über die Mautstraße (€ 6,–) zur Edelrautehütte. Es wird ein blauer Tag werden, und es wird Föhnwind geben, und nur die Einsamkeit wird…

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…mit uns sein. Kein anderes Fahrzeug parkt am riesigen Parkplatz, denn die Edelrautehütte hat geschlossen. Sie benötigt vor der Wintersaison eine Durchschnaufpause. Wir wollen über das abgelegene Ochsenkar zum Gefrorenen See hochsteigen, und wenn es die Eis- und Schneeverhältnisse erlauben – weiter zur Sonntagskarspitze (2350 m). Den Rückweg planen wir über die selten besuchte Seekarspitze (2115 m) und die Rüben (2043 m bzw. 1848 m).

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Im Tal ist es kälter als hier heroben, auf bereits 1706 m Seehöhe. Nur ein paar Schneefelder leuchten von den Bergen.

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Anfangs wandern wir auf Brettern, die für uns, wenn schon nicht die Welt, dann zumindest trockene Füße bedeuten.

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Über unseren Köpfen glänzt es bereits goldenwarm, während wir uns durch…

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…märchenhafte Schattenlandschaften bewegen und…

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…über zwei steile Leitern, auf angefrorenen, verwurzelten, rutschigen Wegen, ca. 80 Höhenmeter hinabsteigen. Bis wir endlich bei der…

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…Ochsenkarhütte (1651 m) ankommen.

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Hier betreten wir unter den Abbrüchen der Schwarzkarmäuer…

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…und am Fuße der Großen Rübe das liebliche…

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…bachdurchwobene, glitzernde,…

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…zauberschöne Ochsenkar.

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Wir durchschreiten das weitgedehnte Kar, und auf einem schmalen Pfad…

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…steigen wir langsam höher.

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Solch ein Herbsttag verströmt ganz anderes Licht, als die hellgrellen Sommertage.

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Unfähig unsere Augen zu erschrecken, immer zärtlich und sanft sind die hellsten Stunden dieses Tages.

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Wir überwinden einen steinigen Absatz und wandern querend unterhalb…

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…dieser Rückfallkuppe der Sonntagskarspitze…

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…zur einsamen Gamsgrube und dem darin eingebetteten See (2076 m).

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L.B. Jäckle schreibt in seinem 1926 erschienen Führer über den Weg zum gefrorenen See: „Nun auf einem wenig ausgeprägten Steiglein an den Hängen des Großen Rüben entlang in das Ochsenkar, in dem im Talschluß, in einzigschöner, hochalpiner Umgebung der seinen Namen nicht mit Unrecht tragende Gefrorene See liegt (2 St.). Dies ist der schönste Teil der Bösensteingruppe.“

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Ob unser geplanter Weiterweg in die Gefrorenen-See-Scharte (rechts gerade noch im Bild) zur Sonntagskarspitze vernünftig ist, weiß ich bei diesem Anblick jetzt auch nicht.

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Wir beschließen, das Schneefeld in der Scharte und die Schneemengen am Grat aus der Nähe zu besehen und steigen hoch.

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Das Schneefeld ist groß, aber nicht gefroren, und wir wagen es. Mit geschickten Verrenkungen (Füße im Schnee und Hände am Fels) überwinden wir die steile Schneezunge.

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Und schon bald stehen wir in der Gefrorenen-See-Scharte.

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Nicht nur das Schneefeld könnte einen von den Beinen reißen, auch Wind und Ausblick eignen sich dazu. Unter der Scharte ruhen der Gefrorene See, die Seekarspitze und der Große Rüben (die Große Rübe?).

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Im Westen weißelt der Dachstein den Himmel, und alle Berge dazwischen können wir sehen und die meisten sogar benennen. Can what!

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Unsere Befürchtungen, große Schneemengen am Grat vorzufinden, bewahrheiten sich nicht. Nur einzelne, allerdings glasharte Schneereste verlangsamen den weiteren Aufstieg.

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Der mächtige Dreistecken (2383 m). Eine gelbgraue Wand als Berg.

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Am Vorgipfel ist ein Steinmann errichtet. Der Gipfel der Sonntagskarspitze ist allerdings auf der hinteren Steinpyramide zu finden.

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Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto auf der umwindeten Sonntagskarspitze (2350 m).

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Der Große Bösenstein (2448 m) wollte unbedingt mit aufs Gipfelfoto.

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Die Fernsicht ist von guten Eltern.

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Der Grat zum Großen Bösenstein (2448 m) und zum Kleinen Bösenstein (2395 m).

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In der Bildmitte ist der Perwurzgupf (2082 m) und der Gratweg zum Zinkenkogel (2233 m) zu sehen.

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Die selten bestiegene Wurzleiten (2066 m) liegt direkt unter uns.

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Diesen langen Rücken auf die Wurzleiten habe ich 2014 in einer sehr langen und einsamen Wanderung überschritten.

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Wie eine kilometerlange graue Wand erhebt sich das Tote Gebirge am nordwestlichen Horizont.

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Gipfelmeerimpressionen im Nordwesten

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Ennstaler Alpen im Norden und im…

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…Zoom. Meine kleine Sony Camera kann natürlich nicht mit den fantastischen 360° Panoramen von Anton Theurezbacher auf mountainpanoramas.com mithalten.  Unbedingt ansehen und den Schalter „Labels“  auf on stellen.

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Der Abstieg gestaltet sich fast mühsamer, als der Aufstieg. Wir sind sehr sehr vorsichtig. Nicht nur darum sind wir langsam, denn immer wieder macht die grandiose Szenerie staunende, stillstehende Betrachter aus uns.

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Am großen Felszapfen vorbei,…

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…finden wir gemächlich wieder in die Gefrorene-See-Scharte.

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Mit äußerster Feigheit (andere sagen Vorsicht dazu) tasten wir uns wieder über das Schneefeld…

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…und sind nach gelungenem Abstieg sichtbar erleichtert.

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Wir steigen wieder zum See ab und wandern noch ein Stück am Aufstiegsweg zurück.  In der BEV-Karte sind in Seenähe Wegpunkte zur Seekarspitze eingezeichnet, trotzdem rätseln wir, wie dieser schroffe Zinken erklommen werden kann. Dann meinen wir, im wintergelben Gras eine Linie erkennen zu können und dorthin steigen wir. Dieses Wandern ohne Markierungen und glatte Gewissheiten ist sehr anregend.

Ein einsamer kleiner Eremitensteinmann bestätigt uns, und tatsächlich zieht ein fast unsichtbares Steiglein zu den Schrofen. Zuerst die Schrofen entlang und danach direkt am Grat bis zum Gipfel.

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Das sieht von unten für einen Wanderer fast unmachbar aus, ist aber einfach. Der scharfe Anstieg sieht viel hantiger aus, als er tatsächlich ist, eigentlich ist er unscharf – mehr so eine Platzpatrone unter den Anstiegen.

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Auf einem der selten bestiegenen Gipfeln rund um die Edelrautehütte. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Seekarspitze (2115 m).

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Vom Gipfel auf unseren Weiterweg fotografiert. Gäbe es nicht ein ständiges Windschubsen, wäre es ein fantastischer Jausenplatz. Wir verschieben unsere Gipfelrast, auf Windschatten hoffend, noch eine Viertelstunde.

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Rückschau auf den soeben gemeisterten Anstiegsweg.

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Blick zurück auf den Gefrorenen See und das Schneefeld in der Scharte.

Buchenauer schreibt über ihre Seekarspitzbesteigung: „Jetzt erst sehe ich, daß es eine ganz eigene Welt ist, die sich da unter dem Pölsenstein breitet. Unser Grat, zum Dreistecken führend, bildet eine zusammenhängende felsige Trennwand zwischen der Gamsgrube und dem nächsten, unbenannten Kar, in dem der Gmeinsee liegt. (Die Kartographen nannten ihn „Gemeinsee“!) Ein großes dunkles Wasser. Der nächste Riegel – Mitterstein – sperrt gegen das Grünseekar ab, und noch ein dritter, fast gleichlaufender Grat, zieht über die Schafzähne zum Almspitz und auf die Hochhaide.“

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Der Gmeinsee im Schatten, hochaufragend und sonnenhell, die Hochhaide (2363 m). Ebenso beschienen sind die Schafzähne und der Almspitz (2188 m). Ich öffne sogleich meine Gipfelvorratsdose und stopfe den Almspitz hinein.

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Im Jahr 2017 hole ich den Almspitz aus der Gipfelvorratsdose und besteige ihn mit Freunden. Dabei entsteht dieses Foto vom vom Seekarspitz und der Großen Rübe:

Der Weiterweg zum Großen Rüben macht seinem Namen „Weiterweg“ alle Ehre. Es zieht sich. Kleine Abstiege und Gegenanstiege bringen ein wenig Abwechslung in die Angelegenheit. Nicht nur einzelne starke Windböen lassen mich an den Film „Vom Winde verweht“ denken, denn auch die Landschaft um uns ist …

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…ein stilles Spektakel. Wie ein monumentaler Film in Technicolor mit geringer Farbsättigung.

Die abweisende Ostseite des Dreistecken (2382 m) und der Gmeinsee.

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Nochmals die Ostseite der Hochhaide (2363 m).

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Bei diesem Anblick schmeichelt die Freude des Gelingens unseren Gesichtern und darum besonders gerne das…

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…obligatorische und unverzichtbare: Gipfelfoto Große Rübe (2093 m).

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Jetzt kommen endlich unsere Namen ins Gipfelbuch und die Jause aus dem Sack.

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Lange, viel zu lange, begeistern wir uns an der eigenen Begeisterung über diese schöne Tour. Und weil uns ein Weitergehen dem Ende näher bringen würde, bleiben wir so lange sitzen, bis uns der kalte Schatten der Hochhaide vom Gipfel vertreibt, wie der  Straßenkehrerbesen den müden Obdachlosen vom Gehsteig.

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Wieder einmal bekommen die Minuten am Berg Läuferbeine. Geht sich der Kleine Rüben noch aus? Weg findet sich keiner, allerdings stellen die niedrigen Bonsailatschen kein Problem dar. So steigen wir in die Einsenkung in Richtung Kleiner Rüben ab. Die Luft ist so trocken, dass uns im Gehen die Haut an den Händen brüchig wird.

Die Latschen umkurvend, sind wir allerdings viel zu langsam. Gebührenfrei stornieren wir den Gipfel, weil nur sein würde, was sein soll, und was nicht sein soll, würde nicht sein. So amateurphilosophisch begründen wir uns gegenseitig den Verzicht.

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Reinhard ist ein Wanderingenieur („…dem Ingenör ist nichts zu schwör“), und darum versuchen wir, der Logik des Abstiegs folgend, einfach immer bergab in Richtung Ochsenkar zu wandern und landen in einem heillosen Durcheinander.

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Wucherndes, widerspenstiges Erlengebüsch zerkratzt und peitscht uns völlig unerotisch. Rutschiges Trockengras lässt uns sogar im Stehen das Gleichgewicht verlieren. Bei jedem Sturz geht es arschlings zwei, drei Meter hinab. Die schlechtestmögliche Abstiegsvariante haben wir mit sicherer Hand gewählt. Der Abstieg links oder rechts von diesem Hang wäre bestimmt besser gewesen. Das behaupte ich jetzt einfach, ohne dort gewesen zu sein.

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Das Gras ist staubtrocken und statisch aufgeladen, und darum sehe ich nach jedem Sturz wie nicht geteert, aber gefedert aus.

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Die Qual dauert nur so lange, bis wir auf ein unscheinbares Steiglein treffen, das uns durchs Ochsenkar zurück zur Ochsenkarhütte bringt.

Wir ähneln von Zucker berauschten Wespen, weil wir uns den ganzen Tag an Stendhal gehalten haben:

„Bereite dich täglich darauf vor, dich zu begeistern, und überlasse dich ganz dem Eindruck“.

Der Besuch dieser einsamen Gegend stand schon lange auf unserer Tourenwunschliste. Die ersten zehn Bilder und die letzten zehn Bilder und alle Bilder dazwischen vermitteln hoffentlich ein klein wenig meine Anschauung von der Schönheit und Einsamkeit dieser Landschaft.

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Im Anstieg ca. 1090 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 12 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Rottenmanner Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Auferbauer(2014): Niedere Tauern Ost mit Murauer Bergen und Turracher Höhe. Wanderführer. Bergverlag Rother, München

Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.

Buchenauer(1975): Verliebt in die Heimat. Leykam Verlag, Graz.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Hödl (2008): Bergerlebnis Wölzer, Rottenmanner, Triebener Tauern und Seckauer Alpen. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz.

Jäckle (1926): Führer durch die Östlichen Niederen Tauern. Sektion Edelraute d. Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Wien.

Zeller (2010): BergErleben Bd. 3, Wölzer Tauern, Rottenmanner Tauern, Schladminger Tauern. Verlag Gertraud Reisinger, Spielberg.

Von Anton Theurezbacher gibt es dieses fantastische Panorama.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:

PanoLab  Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version:  v 1.0.2    © 2007 Christian Dellwo.

„Dem Ingenör ist nichts zu schwör“ ist der legendären Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs zu verdanken.