Wir haben am Vortag erst spät von einem Ausstellungsbesuch heimgefunden. Die Toulouse-Lautrec Ausstellung im Kunstforum Wien durfte von uns nicht ungesehen weiterziehen. Darum war heute Ausschlafen angesagt. Und nachdem uns das leidlich gelungen ist, will ich gemütlich, auf unbekanntem Weg, zum Sonnbergspitzl (900 m) wandern.
In der Wiese neben der Forststraße parken viele Autos, und buntgekleidete Männer scharen sich um eine halbleere Bierkiste. Ich geselle mich dazu und bekomme meine Befürchtung vom Einzigen in Jagdkleidung bestätigt. Eine Treibjagd, gerade heute und exakt dort, wo ich wandern will. Sie laden mich auf ein Bierchen ein, und weil auch ich bunt gekleidet bin, soll ich sie als Treiber begleiten. Für ein Bier ist mir das jetzt zu früh, und ich weiß auch nicht, wie gut der junge Jäger nach einem Bier zielt und schießt. Also lehne ich dankend ab und mache mich aus dem Staub, von einer Treibjagd vertrieben.
In meiner schnellen Not fällt mir ein, dass ich den Schluchtenweg bei Opponitz noch nicht gewandert bin. Für einen jetzt noch kürzeren Vormittag scheint mir die Idee großartig. Also fahre ich nach Opponitz.
Am Ausgangspunkt dieses Ausflugsziels bei der Schluchtenhütte ist alles ruhig. Im Dezember gibt es keinen „Wegbetrieb“ mehr. Die Schluchtenhütte hat geschlossen.
Es ist eine kinderfreundliche Rundwanderung mit Jausengarantie am Ende der ca. drei Kilometer weiten Wanderstrecke. Nicht unbedingt ein bevorzugtes Ziel von mir, aber weil es inmitten „meiner“ Ybbstaler Alpen liegt, möchte ich mir das jetzt einmal genauer anschauen.
Die fürsorgliche Nachtkälte hat ein Leintuch aus Eis fast faltenfrei über den Wassertrog gespannt.
Wo ich langgehen soll, wird mir von Schildern laut zugerufen.
Ein Hotel wie in „Shining“. Letales auschecken garantiert.
Dieser Tag weiß nicht, dass Dezember ist. Warm spürt er sich an. Nicht sommerwarm, aber doch frühlingsmild.
Der Weg zieht auf einer Forststraße durch ein Waldstück und über Wiesen hin zur Schlucht.
Das mit der Schlucht ist jetzt so eine Sache. Es gibt keine.
Das mit den Tafeln ist auch so eine Sache. Aber der Reihe nach.
Auch wenn gefühlte hundert Tafeln den Schluchtenweg behaupten. Es gibt einfach keine Schlucht. Einen Weg gibt es schon, aber die Schlucht dazu fehlt.
Große Felsen und Felsbrocken, die nahe beieinander liegen, machen noch keine Schlucht.
Der Weg zieht in felsdurchsetztem Gelände hoch, und das war’s eigentlich. Mir würde das schon zu einer abwechslungsreichen Wanderung reichen, aber den Verantwortlichen der Jausenhütte offensichtlich nicht.
Auf den ersten Felsen klettere ich, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Tiefblick habe ich, aber das mit dem Überblick gelingt jetzt nicht so ganz.
Ich steige wieder ab und wandere am belaubten Weg in den Phantasiewald mit seiner verborgenen Naturkraft, wie am Eingangsschild behauptet wird?!?
Jede Vertiefung und jeder Einschnitt wurde mit Namen versehen und Figuren besetzt. Das Märchenhafte in dieser Landschaft wird ständig behauptet. Dabei braucht diese Landschaft keine zusätzlichen Lockmittel und schon gar nicht diese Weltspartagsgeschenke und artverwandten Plüschfiguren in den Felsnischen.
Dann stehe ich vor einer kleinen Tafel mit der Aufschrift „FANTA-4“. Kurz überlege ich, was das bedeuten kann und entdecke endlich die Kletterroute. An einzelnen Felsen wurden vom Alpenverein Kletterrouten eingerichtet. Ich stelle mir vor, wie die Routenbeschreibung dazu lauten könnte: Einstieg am Monchichi-Äffchen links vorbei und weiter über den Hund mit den gelben Ohren, bis zu einem überhängenden Riss usw.
FANTA-4 gefällt mir, dabei ist die Namensfindunge bei Kletterrouten noch unreguliertes Gelände. Nichts ist verboten, alles ist erlaubt. Die bösen Namen finden sich in der freien Wildbahn der nicht vereinsbetreuten Routen. Harmlosere Varianten können aber auch schräg daherkommen:
- Griechische Staatsanleihen
- Kurssturz
- Mach mir den Horst
- Syphilliskante
- Pfurz
- Stinker
- Völlegefühl
- Sex in Bad Tölz
- Frei ab 18
Diese Kletterrouten gibt es alle wirklich (nicht in den Ybbstaler Alpen) und sind in den höheren Schwierigkeitsgraden angesiedelt. So einige Ideen gehen mir durch den Kopf, aber Wanderwege werden leider nicht so kreativ benannt.
Dieser Flecken hat doch seine eigene Sprache und wäre ohne das Schilder-Brimbamborium viel wirkmächtiger, denke ich mir die ganze Zeit.
Die Hexenschlucht ist ein schmaler Spalt, der für breithüftige oder großärschige Menschen ein Hindernis darstellt, aber auf normalem Weg umwandert werden kann. Das Durchsteigen macht Kindern sicher großen Spaß.
Hexenschlucht im Rückblick.
Auf der Weihkesselmauer (Kletterroute) befindet sich sogar ein kleines Gipfelkreuz.
Am Beginn der Wanderung steht auf der Tafel über die Ochsenlucka (drittes Bild im Blog), irgendwie lustig formuliert: „Wie schon die Ochsen früher gerne in der Ochsenlucka verweilten, werden auch sie hier gerne sitzen bleiben…“
Manche Schilder am Weg sind auch militärisch streng:
Wenn ich wandern kann, ohne eine Tafel zu sehen, bin ich gleich wieder befriedet und mit der Welt einverstanden.
Wofür habe ich denn Augen und Nase?
Wenn länger keine Tafel zu sehen ist, kommt es andernorts zu Tafelrudelbildungen, schon stolpere ich auf ein solches Rudel zu. In meiner Karte gibt es hier keinen Gipfel, und wenn doch, müsste er Leoferstein heißen. Das schaue ich mir jetzt genauer an.
Durch den Wald wird der Pfad ein wenig steiler und führt an den Rand einer Felsmauer…
…natürlich nicht ohne Schild…
…zum höchsten Punkt am Leoferstein (767 m). Weil mein Verhalten streckenweise ein zwanghaftes ist, führt es somit (sicherheitshalber) obligatorisch und unverzichtbar zu einem (Gipfel)foto: Leoferstein (767 m).
So leer wie die Getränkekiste in der Ochsenlucka ist, so leer ist auch die falsch beschriftete Gipfelbuchkassette.
Am Gipfel ist für viele Wanderer ausreichend Platz. Schneereste verraten jetzt doch die Jahreszeit.
Im Gegenlicht ist der Einschnitt (Große Kripp) am Bauernboden gerade noch zu erkennen. Links im Bild (hinter dem Ast) befindet sich der Friesling (1340 m), und rechts von der Kripp ist das Alpl (1405 m) sichtbar.
Ich wandere am aufgestiegenen Weg wieder bis zum Schluchtenwanderweg zurück. Der führt jetzt am Wandfuß entlang.
Kein Spalt bleibt ohne Namen.
Auf die Bären-Schlucht…
…folgt nach einem steilen Abstieg der Sauschädelfelsen.
Die tatsächlichen Bewohner bleiben zum Glück unerkannt und unbenannt.
Mein Empfinden bei dieser Wanderung ist ein zweigeteiltes. Die Felsformationen mit ihren Spalten und Formen sind schon sehenswert und beschäftigen jeden neugierigen Wanderer, egal ob jung oder alt. Trotz des vorhandenen Weges sind manche Abschnitte unwegsam und abwechslungsreich. Bereits gebrechliche Wanderer werden Mühe haben, und nach der Wanderung vielleicht noch gebrechlicher sein. Auch auf Kinder sollte man achtgeben. Naturgemäß bieten viele Klettermöglichkeiten auch Absturzgefahren. Man darf nicht vergessen, dass die Tiefe die Schwester der Höhe ist.
Auch meine Hände wandern mit. Immer wieder fasse ich in die bemoosten Felsen oder halte mich an kleinen Ästen fest.
Das Gelände wird wieder etwas weiter und freier. Bevor es wieder auf gepflegtes Bauernland zurückgeht, passiere ich noch bärtige, langmähnige Hippiesteine.
Im dezembermilden Mittagslicht geht es wieder zurück.
Zuletzt noch am badenden Schluchtengeist vorbei,…
…gelange ich wieder zum Bauernhaus Ober-Dippelreith.
Mit Sicherheit bin ich der Falsche für so eine Runde. Ich bin mir schon bewusst, dass es mit den vielen Tieren am Hof und einer Horde Kinder an der Hand Spaß machen kann, diese Wanderung zu unternehmen. Vielleicht den Ausflug noch mit einer guten Jause zu krönen und mit der schmutzig-müden Bagage wieder heimzufahren.
Im Anstieg ca. 280 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 4 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ybbstaler Alpen (Auswahl):
- Narcissus poeticus und Bufo bufo
- Berührung mit dem Mostviertel: Maisberg (942 m)
Maisberg (942m) - Jausenplatzerl mit Aussicht über der Enns: Aussichtsrampe unterm Hainbachstein (814 m) und Wiesberg (787) m
Wiesberg (787m), Hainbachstein (713m) - Im steinigen Vorgarten des Dürrensteins : Auf den Lunzer Scheiblingstein (1622 m)
Kleinreiserkogel (1393m), Hochreiserkogel (1484m), Bärenleitenkogel (1635m), Scheiblingstein (1622m), Scheibe (1602m) - Restlschneeschitour – vom Scheiterkogel zur Schmalzmauer
Scheiterkogel (1654m), Schmalzmauer (1760m), Leckerplan (1732m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Schluchtenwanderweg offizielle Homepage. (abgerufen am 28.2.2015) zur Zeit nicht online (16.11.2016)
Baumgartner/Tippelt (2013): Wandererlebnis Ötscher, Ybbstaler Alpen. Kral Verlag, Berndorf.