Jahresgipfel Lattenberg (2018 m) nebst Beifang: Kerschkern (2225 m) und Goldkogel (2080 m)

In der zweiten Jahreshälfte überfiel mich die Idee, Jahresgipfel zu besteigen. Damit meine ich Berggipfel in der Höhe der Jahreszahl. Die Zweitausender-Jahre sind ja wie geschaffen für einen Bergwanderer und solch schrullige Ideen. Wenn ich mit dieser Sammlung noch dieses Jahr beginnen will, benötige ich einen für mich ersteiglichen 2018 Meter hohen Gipfel. Ein solches Goldstück finde ich am langgezogenen Bergkamm, welcher das Triebental vom Liesingtal trennt. Olé! In der Ideenausarbeitung habe ich ein wenig in die Zukunft geschaut und 2019, 2020, 2021, 2022 ebenfalls bereits gefunden.

Ausgangspunkt für meine Wanderung an diesem vorletzten Spätsommertag ist wieder einmal die Bergerhube (1198 m) im Talschluss des Hintertriebentals. Beim Zufahren zucke ich bis in die Haarspitzen zusammen. Was macht Darth Vader hier? Was tut der im Triebental?

Meinereiner hat gelegentlich innere Sichtungen, da geht mir die Fantasie im Schweinsgalopp durch. Gerade noch kann ich den wilden Ritt stoppen: Das dunkle, absolut Böse, das ich gesehen habe, ist sachlich betrachtet ein mannshoher Parkautomat vor der Bergerhube und nicht Darth Vader. Allerdings läuft meine Fantasie jetzt im Borstenviehsprint zur Höchstform auf und nimmt jede Hürde: Wie wäre es denn, wenn Darth Vader vor lauter Todessternbasteln vergessen hat, seine Pensionsbeiträge zu zahlen? Und jetzt benötigt er zu seiner Mindestpension einen Zusatzverdienst als Parkwächter, um über die Runden zu kommen?

Das hat er davon, dass er dem falschen Herren gedient hat, denke ich mir auch noch, und gleichzeitig bekomme ich Mitleid mit dem armen Hund.

Geht es uns denn nicht allen so? Wie Darth Vader folgt jeder von uns seinem ganz persönlichen Imperator. Viele haben ihn im eigenen Kopf, andere sind sogar mit ihm verheiratet. Bei manchen ist es eine Grille oder gar Obsession, die das Sagen hat. Es gibt auch weltweit anerkannte Imperatoren, wie zum Beispiel Geld, Ruhm und Schönheit. Besonders mächtig sind die mutmaßlich selbstgewählten Imperatoren:

„Woran du dein Herz hängst, das ist dein Imperator.“

Dieses abgewandelte Luther Zitat lässt eine Bewertung ganz bewusst fehlen. Mir stellt sich allerdings schon die Frage, ob es diese Einflüsterer und Antreiber immer gut mit uns meinen.

Gerade noch kann ich meinen Gedankenstrom stoppen. Jetzt wird gewandert, rufe ich mir zu – möge die Macht mit mir sein. Die Bergspitzen sind bereits in mildes Morgenlicht getaucht, ein prächtiger Tag kündigt sich an.

Tausendmal gesehen, hundertmal fotografiert und immer noch betörend schön: Der Gamskögelgrat.

Diesen Blick auf die Grießsteine vor mir sollte ich bei meiner Tour gar nicht haben – da ist etwas nicht richtig, da stimmt etwas nicht und wirklich…

…die Macht ist nicht mit mir und ich verlaufe mich gleich am Anfang! Verlaufen stimmt jetzt nicht ganz. Ich bin noch immer auf der Forststraße – aber auf der falschen – denn die richtige Straße ist einfach nicht mehr da.

Übersehen ich habe dieses Schuttfeld mit seinen Trittspuren (die Macht ist wieder da) und die darunter befindliche Forststraße. Obwohl ich keine Wanderfachkraft bin, bemerke ich meinen Fehler schon nach wenigen Metern (148,5 m).

Die Naturkontrollagenten (Jäger, Förster, Bauern) werden vom Grünbach und seinen Anschleppungen völlig überfordert. Das wird noch lange dauern, bis sie die Straße wieder freilegen können.

Da wurde der Schöpfer zum großen Durcheinanderwerfer.

Diese Verschüttung kann ich umgehen und gelange auf die herbstverlassene Weide der Schaunitzalm und den herrlichen Talschluss.

Gleißende Sonne, die mit großem Morgenappetit das ansteigende Tal verschlingt.

Auf der Kettenkogelseite sehe ich metertiefe, wie von einem Wasserbeil gehackte, Einkerbungen. Vermutlich entstanden sie im selben Unwetter, wie die Forststraßenverschüttungen.

Der sanfteren Kerschkern- und Goldkogelseite kann man das Schitourengelände auch ohne Schnee ansehen.

Am linken Rand dieses Schuttkegels ziehen unmarkierte Steigspuren nach links. Die Wegfindung in diesem Hochtal ist nicht immer einfach. Viel begangen schaut anders aus.

Ein Rückblick auf den soeben durchwanderten Taleinschnitt.

Wenn ich mich durch solche Landschaften bewege, bin ich von Grund auf horchend, mit allen Sinnen. Hier ist es besonders still.

Hahnenkamm Ostspitze (2072 m).

Weiter oben können sich die wenigen, orientierungsbietenden Spuren nicht zwischen dem rechts liegenden Schaunitztörl und den von mir angestrebten Krügltörl entscheiden. Links und rechts kann ich aber unterscheiden, und so gelange ich alsbald ins Krügltörl.

Hier treffe ich auf verblasste Markierungen und Steinmännchen. Wiederum muss ich mich zwischen rechts und links entscheiden. Rechts geht’s auf den Schrimpfkogel (2207 m)…

…und links auf den Kerschkern.

Ich verweile für eine Trinkpause und widme mich der optischen Abwägung, ob eine Überschreitung des Hahnenkamms auch für meinereiner möglich wäre.

Im Zoom schaut der Einstieg machbar aus, natürlich nicht ohne einen gewissen Zusatz von Furcht. Dazu werde ich wohl AV-Füher und das Internet befragen. Das interessiert mich jetzt sehr.

Nur die ersten Meter aus dem Törl sind felsig. Der ganze weitere Weg meiner heutigen Tour ist einfaches Gehgelände.

Schon kurz vor dem Gipfel erweist sich diese Wanderung als ziemlich panoramastark.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Kerschkern (2225 m) oder auch Kerschkernkogel oder kurz K 3 genannt.

Neugierig betrachte ich jeden nahen Felsklotz. Und fast alle scheinen mir besteiglich.

Lockend und einladend liegt mein Weiterweg unter mir. Mit dem Kerschkern stehe ich am höchsten Punkt meiner Wanderung, aber noch nicht am Ziel. Dem ungeachtet liegen meine Beine jetzt schon…

…ausgestreckt wie müde Knechte vor mir.

Weit und breit ist niemand zu sehen –  keine Seele findet sich zum Übereinstimmen.

Oder doch? Weil ich lange ganz still verharre und Landschaftschauen keinen Lärm verursacht, traut sich die Gipfelmaus hervor. Schnuppernd zuckt ihr Näschen aus einer der Steinritzen, und sie zeigt mir ihren schmalen, kläglichen Leib. Euphorisch begrüße ich sie und bereite ihr auf einer Steintafel ein Bergmausfestmahl.

Um der Maus das Dinieren zu erleichtern, ziehe ich mich zurück und wandere zum Ostgipfel. Ich will mir den Übergang zum Zwölferköpfl ansehen.

Kerschkern Ostgipfel (2202 m).

Wirklich schlau werde ich aus diesem Anblick nicht. Vermutlich ist der Zugang von der anderen Seite bekömmlicher. Auferbauer schreibt über eine Besteigung dieses Gipfels im Bergtourenparadies Steiermark ganz lapidar: „Schitour: Über die Hühnerkaralm. Ab Jansenberger 2 Stunden.“ Und Holl schreibt im AV-Führer nicht weniger lapidar: „Kaum betreten, unschwierig.“ (Im August 2019 habe ich das Zwölferköpfl dann bestiegen)

Blick über das Finsterliesingkar zu Schrimpfkogel (2207 m), Geierhaupt (2417 m) und Grieskogel (2328 m). Diese drei befinden sich schon lange in meiner Gipfelvorratsdose.

Wieder zurück beim Gipfelkreuz liegt das Mäusefestessen noch unberührt auf der Steintafel. Ich lege ein paar Nüsse und Rosinen dazu. Vielleicht gibt es ja auch noch hungrige Mäusekindermäuler.

Auf Alpen-Panoramen.de findet sich dieses beschriftete Panorama von Gerhard Eidenberger. Nicht das erste Mal lasse ich eines seiner tollen Gipfelpanoramen für die Aussicht sprechen. Einfach ins Bild klicken.

© Gerhard Eidenberger auf Alpen-Panoramen.de

Unter einem emotionsverstärkenden Wolkenhimmel breche ich auf, um…

…über einen steinigen Schlangenweg zum höchsten Punkt…

…der Stellmäuer (2120 m) zu gelangen. Eh schon wissen, obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto.

Auch der Kamm auf den Schwarzkogel (2026 m) schaut begehbar aus. Er wird sogar als Schitour gemacht und landet in meiner Gipfelvorratsdose. Wieder einmal komme ich mit mehr Gipfelwünschen nach Hause, als ich Gipfel an diesem Tag bestiegen habe.

Vor mir liegt jetzt der Goldkogel.

Noch ein Blick auf den Schwarzkogelkamm…

…und zurück auf die eigenartig geformten Stellmäuer.

Und früher als gedacht ist unschwierig…

…der nächste Gipfel erreicht. Fast schon im Minutentakt ein Gipfelfoto. Wieder einmal obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Goldkogel (2080 m).

Bei Jäckle heißt dieser Gipfel noch Goldriegl und zum Ausblick bemerkt er: „(…) mit großartigem Anblick des wildzerrissen Hahnmäuergrates und Kettentalkogl Ostgrates,…

…schöner Tiefblick in das Steinkar.“

Den Steinen folgen jetzt die ersten Latschen. Die grünen Widerstandskämpfer der Berge. Zäher sind nur noch die Moose und Flechten.

Und dann ist es endlich geschafft. Ich stehe am ersten Gipfel meiner „neuen“ Liste und bin hochbeglückt. Wie lange wird diese Liste werden? Geht sich für mich 2040 noch aus oder ist viel früher Schluss?

Aber gibt es nicht das Mektoub (Bestimmung) ? Und welchen Sinn hätte es, sich über Dinge zu beunruhigen, die schon geschrieben stehen? (Isabelle Eberhardt „Notizen“)

Jeglichem seine Neigung, jeglichem auch sein Ziel.

Im Abstieg vom Lattenberg kann ich auf das Moartörl (1714 m) und den darüber aufragenden Himmelkogel blicken. Bis vor kurzem völlig unbeachtet, ist er jetzt ein begehrtes Gipfelziel. Besser gesagt, sein neuer Gipfelschmuck wird besucht. Die Diezöse Seckau hat ein Gipfelkreuz mit Schriftzug „Du bist nicht allein“ errichtet und den Berg gleich um einen Meter erhöht.

Bei meiner Besteigung im Jahre 2011 war dieser Gipfel noch 2017 m hoch. Jetzt würde er sogar in mein Jahresberge-Projekt passen, denn die katholische Kirche berichtet folgendermaßen darüber: „Abschluss des Festreigens zum 800-Jahr-Jubiläum am 1. September mit ökumenischer Segensfeier auf 2.018 Meter hohem Gipfel!“ Vielleicht ein göttlicher Wink, dem ich wieder einmal nicht Folge geleistet habe. Stur wie eine Zellentür habe ich meinen ganz eigenen Imperator im Kopf und bin bei meiner geplanten Runde geblieben.

Nur Flechten bedecken die altersnackte Grauheit der Felsen.

Je weiter ich absteige, desto höher wachsen die Latschen. Eine gut ausgeschnittene…

…Gasse bringt mich…

…entlang einer Felsmauer hoch über dem Steinkar…

…auf den Bärenkogel, dessen Gipfel ich einfach nicht ausmachen kann. Ist aber nicht wichtig, weil es hier überall schön ist.

Rot, aber noch nicht voll entflammt, sind die Blätter der Beerensträucher.

Und mit den ersten federnden Schritten auf dem weichen Boden beginnt auch meine Müdigkeit.

Ein letzter staunender Blick zeigt mir die überschrittenen Gipfel.

Vor mir liegt jetzt nur noch Abstiegsgelände. Über den Bärensulsattel…

…führt mich ein markierter Pfad…

…an dieser ramponierten Jagdhütte vorbei…

…eine Stunde lang…

…und fünf Kilometer weit zur Bergerhube zurück.

Das Morgenlicht über den Gamskögeln hat sich in Spät-nachmittägliches-Dämmern verwandelt. Darth Vader hat seinen Posten noch nicht verlassen.

„Nichts ist verletzlicher, als die Stimmigkeit eines schönen Ortes.“ (Marguerite Yourcenar)

Vielleicht hat ja jemand Lust, bei diesem Statistikspäßchen mitzumachen. Noch geht sich dieser Gipfel leicht aus – die kürzere Variante vom Jansenberger (ca. 800 Höhenmeter) wäre ein Vorschlag. Selbst dazu gibt es Bilder im Epilog, aus dem Jahr 2009. Da bin ich mit Moritz und Mike gewandert. Oder jemand hat einen anderen 2018er bei der Hand? Die nächsten Jahresgipfel will ich auf einer eigenen Seite vorstellen – demnächst – vielleicht werden mir ja noch andere Gipfel aufgezeigt und vorgeschlagen. Nur her damit.

Im Anstieg etwa. 1260 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 18 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Niedere Tauern, Triebener Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit: PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version: 1.0.3 © Christian Dellwo.

Bei Martin Luther heißt es: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“

„Nichts ist verletzlicher, als die Stimmigkeit eines schönen Ortes“ und „Jeglichem seine Neigung, jeglichem auch sein Ziel.“ habe ich mir ausgeliehen, aus: „Ich zähmte die Wölfin“ von Marguerite Yourcenar

Helmut Seiringer ist diese Tour mit einer zusätzlichen Besteigung des Geierhaupts und des Schrimpfkogels gewandert. Dabei hat er wunderbare Fotos gemacht. Hier der Link zu seinem Beitrag vom 13.8.2010 (abgerufen am 13.10.2018).

„(…) keine Seele zum Übereinstimmen“ fand ich bei Botho Strauß.

Auferbauer(2014): Niedere Tauern Ost mit Murauer Bergen und Turracher Höhe. Wanderführer. Bergverlag Rother, München.

Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.

Jäckle (1926): Führer durch die Östlichen Niederen Tauern. Sektion Edelraute d. Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Wien.

Hödl (2008): Bergerlebnis Wölzer, Rottenmanner, Triebener Tauern und Seckauer Alpen. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz.

Yourcenar (1999): Ich zähmte die Wölfing. Manesse Verlag, München.

Eberhard (1981): Notizen von Unterwegs. März bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.

Hödl (1998): Vom Dachstein ins Weinland: Neue prachtvolle Touren am Dachstein, in den Tauern und zu den hohen Almen. Verlag Styria, Graz.

Buchenauer (1987): Höhenwege in den Niederen Tauern. Verlag Bruckmann, München.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

EPILOG

Am 17. Juli 2009 bin ich mit Moritz und Mike vom Jansenberger auf den Lattenberg gewandert. Diese Bilder dienen lediglich zu unserer Erinnerung und sind (fast) unkommentiert.

Beisteineralm.

Kurz vorm Bärensulsattel.

Am Bärensulsattel.

Staunend vor den Grießsteinen.

Blick auf den Griesmoarkogel (2009 m). Ebenfalls einfach aus dem Bärensulsattel ersteiglich.

Wo wir pausieren ist auch ein Gipfel: Bärenkogel (1917 m)

Blick zurück.

Gipfelfoto: Lattenberg (2018 m)

Meiner Jausengier folgt die Strafe auf den Daumen.

Ein Adler über unseren Köpfen lässt uns staunen.

Diese Foto ist mir ein großes Mysterium. Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, dass wir auf den Goldkogel (2080 m) weitergewandert sind. Vermutlich haben wir nicht einmal gewusst, dass wir auf einem Gipfel stehen. Dieses Foto spricht jedoch eine andere Sprache: Stellmäuer (2120 m) und Kerschkern (2225 m).

Auch diesen Blick auf den Hahnenkamm hat man so nur vom Goldkogel.

Abstieg vom Lattenberg…

Einkehr auf der Beisteineralm.

FIN