Seit unserer Besteigung von Kalbling (2196 m) und Sparafeld (2247 m) befindet sich diese Tour im „Kleinen Gesäuse“ auf Gabis Wunschliste. Eine Bergwanderung indes, die etwas heikler als der Weg auf den Kalbling ist. Gleichwohl sind die heutigen Verhältnisse hervorragend (trocken), und die erforderlichen Höhenmeter eignen sich auch nicht dazu, unsere Vorsicht und Konzentration zu ruinieren. Wir können das vielleicht, bestimmt.
Bereits auf der Mautstraße, beim Zufahren zur Oberst-Klinke-Hütte, mache ich dieses Foto. Ein Großteil unserer Tagestour ist überblickbar.
Der Kalbling ist wirklich eine Prachtfelsgestalt über der Klinkehütte. Man kann bei diesem Anblick überhaupt nicht glauben, dass er auch für Wanderer ein erreichbares Ziel ist.
Wir ziehen gleich an der Bergrettungshütte vorbei, diretissima hoch und lassen den Schwenk zum Kalblingatterl aus. Uns folgt ein tschechisches Pärchen mit großem Kletterrucksack.
Auch der Tschechenmann ist ein Prachtbursche und nur mit einer glänzenden enganliegenden Badehose bekleidet, in der sich, für jeden gut sichtbar, das Kletterseil befindet. Dieses Tau in der Hose sorgt für den ersten Grusel an diesem an Grusel gar nicht armen Tag.
Das Pärchen bekommt rasch Schnaufprobleme, und so bleiben sie bald hinter uns. Diese Steilheit gleich zu Beginn ist nicht jedermanns oder jederfraus Sache.
Wo Steine sind, findet Gabi natürlich Versteinerungen, es kann gar nicht anders sein.
Der Weg legt sich wie eine Garotte um den Hals des Kalblings. Gleich neben dem Pfad steigt die Südwand auf, und der steinige Steig wird immer schmäler.
Es ist so heiß, dass die T-Shirts der Kletterer von ganz alleine Schweißflecken bekommen.
Irgendwo in dieser Steinflucht muss der halbnackte Besitzer des T-Shirts zu sehen sein.
Der Steig dreht unter die Westwand. Es fühlt sich ein wenig wie der Hauch des Todes an, als sich die kühlende Hand des Schattens auf unsere heißen Köpfe legt. Als würde der Sensenmann unsere baldige Verfügbarkeit prüfen wollen. Das ist heute der zweite Grusel.
Das Szenario um uns ist großartig. Der Blick auf den Pfad verrät ein wenig von der Wegführung zwischen Abgrund und aufsteigender Wand. Dieses Zwischenreich, zwischen Wandern und Klettern, gehört den Bergwanderern. Alois Pürcher schreibt in seinem Buch über diesen Abschnitt: „Der Steig entlang der Westwand ist einzigartig, ganz knapp kommt man an die kühne Wand heran, man schnuppert die Luft der Bergsteiger.“
Unter uns die Oberst Klinkehütte und darüber der bewaldete Lahngangkogel (1778 m). Die Besteigung des Lahngangkogels ist allemal reizvoll, weil die Südseite von Almflächen (Wagenbänkalm) durchzogen ist und herrliche Ausblicke zu den Rottenmanner Tauern möglich sind.
Wir passieren eine sehr schmale Wegstelle und erreichen die grüne Einsattelung „Grüberach“ mit der Wegteilung. Im Frühsommer färben abertausende Enziane diese Wiese blau.
Rechts zieht der sehr ausgetretene Pfad über die breite Gipfelwiese zum Kalbling und links ein etwas weniger breitgetretener Weg zum Riffelspitz.
Jetzt verlangsamt sich ausblicksbedingt unser Tempo. Ganz ins Blau getaucht schwimmt die Buchsteingruppe wie eine felsige Insel vor uns.
Die letzten einfachen grünblauen Meter, und schon stehen wir am ersten Gipfel des heutigen Tages.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Riffelspitz (2106 m).
Blick zur Einsattelung mit der Wegteilung. Rechts ist der Kalbling (2196 m), links das Sparafeld (2247 m), und dahinter blinzelt noch der Admonter Reichenstein (2251 m) hervor.
Tamischbachturm (2035 m), Planspitze (2117 m), Hochtor (2369), Festkogel (2269 m) und Ödstein (2335 m).
Wenn man genau hinsieht, kann man den Pfad in den Steilflanken erkennen. Er führt mitten durch die senkrechten Abstürze des Riffelgrates. Der Kreuzkogel ist links im Bild zu sehen.
Gleich neben dem Gipfelkreuz zieht eine steile, seilversicherte Rinne in die Tiefe.
Dienstbare Eisenteile erleichtern uns den Abstieg. Und weil mir das Leben nicht unangenehm ist, bin ich ganz vorsichtig. Gabi stürmt regelrecht hinab und ich langsam hinterher. Was ist denn nur los mit mir? Früher war ich ein wilder Hund, da begann ein Tag auch einmal mit einer Schusswunde.
An der Einsattelung angelangt, sehen wir auf den heiklen Weiterweg. Wie eine durchhängende Slackline hängt der Pfad in den Schrofen. Es gibt Gegenverkehr und wir warten.
Dieser Abschnitt fordert mich mental wie schon beim letzten Mal (2006).
Die Angst, die ich empfinde, wenn ich im Kino einen Horrorfilm anschaue, hat keine Chance gegen die Angst, die ich verspüre, wenn ich Gabi beim Begehen dieses größtenteils ungesicherten Steigs zusehe.
Der Blick zurück zeigt die Ausgesetztheit des Geländes. In der Einschartung macht sich unser Gegenverkehr an den Aufstieg zum Riffelgipfel.
Das ist jetzt der dritte Grusel des Tages. Von der Gefährlichkeit des Steigs berichtet ein Gedenkkreuz gleich neben dem Pfad.
Meine entstandenen Missgefühle lassen sich nicht mehr verdrängen.
Schaurigschönes Wandergelände.
Blick zurück zum Riffelgipfel. In der Felsrinne ist unser Gegenverkehr im Aufstieg zu erkennen.
Den wirklich haarigen Teil haben wir unbeschadet überstanden, und jetzt kann ich endlich wieder in den puren Genusswandermodus wechseln.
Wir schauen hinab nach Weng und hinein ins Gamskar.
Der Weg zieht mit fantastischen Aussichten wie zum Beispiel zu…
…Riffelspitz (2106), Kalbling (2196 m) und Sparafeld (2247 m) zum Kreuzkogel hoch.
Schon fast am Gipfel können wir den vollständigen Riffelgrat überblicken. Unglaublich, dass der Weg durch die steilen grünen Abbrüche führt.
Der Grat bricht ab, als hätte es sich der Berg anders überlegt und wäre hier umgekehrt.
Erhaben über Admont, obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Kreuzkogel (2011 m).
Die Sonne steht hoch am Himmel und schüttet sich über die Gipfel der Ennstaler Alpen. Die Berglandschaft um uns ist klar, strahlend, schön und so übermütig wie wir.
Der Hahnstein (1697 m) wartet schon lange auf meinen Besuch.
Von anderen Kulturen lernen ist eine meiner gefinkelten Lebensmaximen. Von den kleinfüßigen hellhäutigen japanischen Touristinnen in Salzburg habe ich mir diesen Trick abgeschaut:
Im gespendeten Schatten dieser blauen, aufklappbaren Perlonpalme lungern wir am Gipfel wie auf einer Südseeinsel…
…und erledigen unser ganzes samstägliches Nichtstun in einem Aufwasch.
Nachdem das auch geschafft ist, machen wir uns daran, die Runde fertig zu wandern. Vom felsigen Gipfel des Kreuzkogels geht es in einfaches Almgelände. Hier gibt sich das Freundliche und das Abweisende einen festen Händedruck.
Der Blick in die schroffen zerfurcht-zerfetzten Südabbrüche…
…und die Rückschau aufs milde sanftmütige Almgelände.
Knapp oberhalb der Scheiblegger Hochalm…
…zweigt der an einzelnen Stellen mit Stahlseilen gesicherte Gebirgsjägersteig, jetzt etwas irreführend nur als Jägersteig bezeichnet, ab.
Gabi kann diesem Steig gar nichts abgewinnen. Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit, und der Pfad malträtiert sie. Sie findet ihn anstrengender als Alles zuvor. Daher versuche ich ihr, mit qualifizierten, lebensbejahenden Ausführungen diese schwierige Zeit in ihrem Dasein angenehmer zu gestalten. Ich erzähle ihr, was mir so durch den Kopf geht wie zum Beispiel diese Überlegung:
In der Konsumwelt spricht man nach unbedachten Einkäufen von Kaufreue. Gibt es das beim Bergwandern auch? So etwas wie eine Besteigungsreue? Obwohl ja der Abstieg eine Rückabwicklung der Besteigung darstellt, kann ein mieses Abstiegsgelände zu einer so genannten Nachbesteigungsdissonanz führen,…
…und noch höflich aber schon sehr bestimmt werde ich von meiner Frau aufgefordert, diese Überlegungen sein zu lassen und b i t t e für zehn Minuten den Mund zu halten. Dass sie mich nach so vielen Ehejahren jetzt siezt, kränkt mich doch ein wenig.
Der Steig windet sich geschickt durch die Schrofen und Latschenzone hinab.
Wir queren den Schutt- und Baumfluss, der sich aus dem Roßkar seinen Weg ins Tal bahnt…
…und gelangen wenige hundert Meter unter der Klinkehütte auf die Mautstraße.
Wir wandern zur Klinkehütte hoch (ca. 80 Hm) und belohnen uns mehrfach mit kühlen Getränken. Ich werde wieder geduzt, und beide freuen wir uns über diesen gelungenen Bergtag.
Mancher wird über meine Berichterstattung schmunzeln und meinen, dass der Riffelgrat ja gar nicht so „böse“ ist und ich mich viel zu viel gefürchtet habe. Objektiv mag das ja stimmen, aber mein Furchtmanometer hat ganz oben angeschlagen, sogar blaue Lippen konnte ich vorweisen, und da hilft dann „objektiv“ auch nicht wirklich weiter.
Im Anstieg ca. 730 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 6,4 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ennstaler Alpen (Auswahl):
- Gowilalm und Kleiner Pyhrgas (2023 m)
Kleiner Pyhrgas (2023m) - Kl. Bosruck (1466 m) und Karleck (1582 m)
Kleiner Bosruck (1466m), Karleck (1582m) - Unhastige Wanderung auf den Salberg (1398 m)
Salberg (1398m) - Spielkogel
Spielkogel (1731m) - Besteigung eines Unscheinbaren: Mannsberg (1603 m)
Mannsberg (1603m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Auferbauer (2001): Gesäuse mit Eisenerzer Alpen. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.
Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.
End (1988): Gesäuseberge. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.
Frischenschlager et al. (1996): Ennstal – Vom Dachstein bis zum Gesäuse. Wanderführer, Leopold Stocker Verlag, Graz.
Heitzmann, Kren (2002): Gesäuse Nationalpark & Ennstaler Alpen. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz.
Heß/Pichl (1966): Gesäuseführer. Verlag Adolf Holzhausens Nfg., Wien.
Kren (2011): Tourenbuch Gesäuse Wege, Hütten, Gipfel. Schall Verlag, Alland.
Mokrejs/Ostermayer (2009): Bergwander-Atlas Steiermark. Schall Verlag, Alland.
Pürcher (2000): Erlebnis Ennstal, Schladminger Tauern, die schönsten Wanderungen und Bergtouren. Verlag Styria, Graz.
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version: v 1.0.2 © 2007 Christian Dellwo.
„Früher war ich ein wilder Hund, da begann ein Tag auch einmal mit einer Schusswunde.“ habe ich mir in Teilen von W. Wondratschek ausgeliehen.
EPILOG
Bereits vor zehn Jahren, am 15.8.2006, habe ich diese Wanderung schon einmal unternommen.
Der Tag war nicht so heiß…
…und viele Kletterer befanden sich in der Westwand.
Der Dachstein funkelte in einem Sonnenfenster…
…und die Hochtorgruppe stand Spalier.
Ich habe mich 2006 im Steig…
…ebenso unwohl gefühlt wie 2016.
In der Bildmitte sieht man den Pfad aufsteigen.
Wiederum der „glückliche“ Blick zurück auf den Riffelgrat.
Frisch gewaschen leuchten die Haller Mauern.
Der einfache Abstieg zur Scheiblegger Hochalm.
Der Gebirgsjägersteig bin ich auch damals gewandert. 2006 war er allerdings noch nicht markiert bzw. ausgeschildert.
F I N