Kragelschinken, oder wie ich mit dem Pulverschnee Wange an Wange Tango tanze

Im dunkelsten Winter seit Jahrzehnten zählen Sonnenstunden zum denkbar Kostbarsten. Noch ein kleinwenig kostbarer für mich sind diese hellen Augenblicke am Berg. Für heute Freitag sind ein paar lichtdurchwärmte Stunden vor einem eher düsteren Wochenende angekündigt. Darum fahre ich in die Eisenerzer Ramsau, um den Kragelschinken und den Plöschkogel zu besteigen. 

Am großen Parkplatz (1033 m) bei der Einmündung des Lasitzenbaches (Nähe Pichlerhof) parkt erst ein Fahrzeug. Wie so oft in diesem Winter ist der Himmel noch bewölkt, aber meine Hoffnung auf einen guten Tag lebt.

Im Schitourenführer von Auferbauer ist hier noch vom „Piepshütterl“ die Rede (Hersteller von LVS Geräten). Jetzt prangen eine große Mammut Schautafel und eine Fahne statt der gelben Pieps Farben. Welches Logo bezeichnet in zehn Jahren den Startpunkt?

Am Vortag hat es offenbar an die 20 Zentimeter geschneit. Vor mir zieht eine Vierergruppe eine Spur. Schon nach kurzer Zeit erreiche ich die Lasitzen Jagdhütte.

Magische Lichtspiele umgarnen den Schwarzenstein (1953 m). Ich glaube mich zu erinnern, dass irgendeine Filmverleihfirma mit einem ähnlichen Motiv im Vorspann auftritt.

Die Schneemengen sind nach wie vor sagenhaft.

Die steile Abfahrt zu dieser Brücke über den Lasitzenbach ist schon die technische Schlüsselstelle dieser Schitour.

Dieses Marterl erinnert an den erst elfjährigen Matthias Blümelsberger, welcher am 31.März!! 1834 hier erfroren ist. In nur wenigen Tagen jährt sich sein Todestag zum 179. Mal. Ich ziehe meine Haube über die Ohren, weil mir gleich kälter geworden ist.

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Nach der Brücke beginnt der steile Waldanstieg zur Teicheneggalm.

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Je höher ich steige, um so im Schnee versunkener ist die Landschaft, durch die ich ziehe.

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Nach Überwindung der Steilstufe, zeigt mir der Rückblick meinen Höhengewinn an. Das  Gelände wird freundlicher und lehnt sich etwas zurück…

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…um zur Teicheneggalm (ca. 1570 m) zu führen.

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Ich mache im Windschatten der Teicheneggalm eine kurze Pause und ziehe mir dabei zum besseren Handling die bereits nassen Wollhandschuhe aus. Nach Zehn Minuten ziehe ich sie wieder an. Ein Fehler. Da ich mich schon in Kammnähe befinde, bläst ein rauer, unfreundlicher, kalter Wind. Fast schon in Kälte-Hektik ziehe ich mir meine Hardshelljacke an, und nachdem ich sie mit gefühllosen Fingern schließen kann, auch noch meine dicksten Fäustlinge. Nach nur wenigen Minuten Bewegung wird mir wieder wärmer. Ich bin „gerettet“! Wie muss sich der erfrorene Bub gefühlt haben?

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Gegenüber kann ich die Donnersalpe neben dem Kaiserschild erkennen.

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Viel näher ist der Plöschkogel zu sehen.

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Die Gipfelkuppe des Kragelschinkens mit seinem Kreuz kann ich im Aufstieg nicht ganz einsehen.

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Alleine die Schneeverwehungen lassen mich die Kammnähe erahnen.

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Am Teicheneggsattel (1690 m) eingetroffen, blicke ich zum Wildfeld – ich kann nichts erkennen – schmutzige Wolkenfetzen wabern im kalten Wind auf und ab, als wären grantige Vulkane in der Nähe verborgen.

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Mirakulöses zeigt mir der Blick in die andere Richtung zum Kragelschinken. Blauer Himmel! Es ist zwar windig, aber der blaue Himmel ist keine Halluzination, sondern real.

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Im Juni 2009 habe ich bei einer Wanderung auf das Wildfeld dieses Foto vom Rücken des Kragelschinkens gemacht. Eben diesen Rücken steige ich jetzt mit Schiern hoch.

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Die Aufstiegsspur zieht immer am Kamm hoch, nur einzelne Schneewechten werden  umgangen.

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Der Wind bläst zum Glück nur mit einiger Macht – und nicht mit ganzer. Das reicht aber auch schon. Dieses Bild lässt ein wenig von der unwirtlichen Situation erkennen. Der blaue Himmel täuscht Wärme und Geborgenheit für den Betrachter nur vor.

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Für einen kurzen Moment reißt es über dem Dreigestirn (Schwarzkogel, Stadelstein, Wildfeld) auf.

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Windgefräste Spuren im Schnee. Soll ich meine Harscheisen auspacken? Die Bequemlichkeit behält die Oberhand, und die Harscheisen bleiben im Rucksack.

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Abgeblasen, hart und kalt sind die letzten Meter zum Gipfelkreuz.

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Meine Vorgänger haben sich kältebedingt den Eintrag ins Gipfelbuch versagt. Ich nicht. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Kragelschinken (1845 m).

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Auf den umliegenden höheren Gipfeln dürfte es heute noch unangenehmer sein. Die Kaiserschildgruppe ist ebenfalls wild umweht.

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Der Blick über den Erzberg zu Eisenerzer Reichenstein oder Polster und Hochturm bleibt mir ebenfalls verwehrt.

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Der Kammverlauf in westlicher Richtung.

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Gegenüber kann ich mit der Grabnerspitze (1795 m) einen beliebten Schitourengipfel erkennen. Der Anstieg erfolgt bevorzugt aus dem Gößgraben.

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Ich folge den Spuren der Gruppe vor mir. Aber nur solange, bis mir diese zu weit westlich führen. Ich finde meine eigene Linie – und was für eine! Pudriger Pulverschnee umschmeichelt mir die Schenkel. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, welch fabelhafter Skifahrer ich auch sein kann. Wie beim Tango-Tanzen kommt es auf die Haltung an, auf den Stil und nicht auf die Geschwindigkeit…

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Es gibt keine Fotos dieser Tango-Fahrt. Ich muss mich entscheiden – entweder immer wieder abschwingen und fotografieren oder weiterschweben. Ich entscheide mich fürs Schweben.

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Mit nur zwei Blicken auf mein GPS komme ich fast punktgenau an. Blauer Hergott (holzgeschnitze Christusfigur mit blauem Lendentuch auf ca. 1580 m). Noch bis Ostern gelb verhüllt. An diesem Wegkreuz führt auch einer der markierten Übergänge in das Radmertal vorbei.

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Diesen Hang bin ich soeben in Waldnähe noch abgefahren. Die Spur beim verhüllten Marterl ist meine.

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Ich lege wieder die Steigfelle an, um noch 100 Höhenmeter zum Plöschkogel aufzusteigen. Von der Teicheneggalm kommend, zieht eine Spur bereits hoch.

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Mittlerweile ist es fast windstill und ganz warm.

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Ich drehe mich um und blicke zum Kragelschinken. In diesem Waldgelände habe ich soeben meinen Pulvertraum geträumt – erlebt?

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Noch immer in Glückshormone getaucht, obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Plöschkogel (1668 m).

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Nur zwei Spuren zerfurchen das sanfte Weiß. Ich werde meinen Pulvertraum weiterträumen können. Eine der Spuren dürfte dem Hausherrn „gehören“: Toni Albinger ist im Gipfelbuch eingetragen.

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Am Plöschkogel sitze ich über einem ehemaligen Kupferbergwerk. In älteren Wander- bzw. Schitourenführern wird vor verdeckten Stolleneingängen und Erzlöchern gewarnt. (Frischenschlager, Auferbauer). Gerade der Bereich des Plöschkogels bis zum Ochsenkogel diente auch als Schlackenhalde. Das macht mich neugierig, und somit drängt sich ein Sommerbesuch mit der Überschreitung dieses Rückens bis zum Lichteck einfach auf.

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Die Wolkendecke gibt immer mehr blauen Himmel frei.

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Schwarzenstein (1953 m), Stadelstein (2070 m), Speikkogel (2040 m) und Wildfeld (2043 m).

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Ich freue mich schon auf das Schreiben meines Tourenberichtes. Wie sagt Erri De Luca: „Schreiben bedeutet für mich, mit der Erinnerung zusammen sein. Es ist, als ob ich dem Leben eine zweite Chance gäbe, der bleibende Rest des verdunsteten Lebens.“

Und wie sehr werde ich mich beim Wiederlesen freuen?

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Ich tanze über riesige Schneewechten…

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…und durch sanft gehügeltes Waldgelände.

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Nie verliere ich den Blick auf den Erzberg.

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Donnersalpe (1539 m), Kaiserschild (2084 m) und Hochkogel (2105 m).

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Selbst Jäger haben auf der verschneiten Forststraße noch keine Spuren hinterlassen.

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Dummerweise „vergesse“ ich die ganz nahe Kaltenbachrinne (Abfahrtstipp bzw. Schmankerl) und raschle diesen steilen Hang hinab. Pulverschnee ist auf dieser Höhe nicht mehr anzutreffen. Macht nichts, ich habe heute eine Ganzjahresdosis verpasst bekommen.

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Gegenüber ragen mit ihren Gipfeln noch immer in Wolken, der Hochkogel und das Kaiserschild auf. In der Mitte ist das Bärenloch einzusehen. Somit kann ich fast den ganzen Normalanstieg auf das Kaiserschild erkennen.

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Nur noch wenige Höhenmeter trennen mich vom Talboden und dem Langlaufzentrum.

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Viele Schilder weisen auf Aufforstungen hin und verbieten eine Abfahrt. Ich halte mich an die Verbote und verzichte auf weitere verlockende Waldabfahrten. Ich stapfe die Forststraße mehr hinab, als ich sie befahre. Aber nur so lange, bis ich wieder die Aufstiegsspur im Lasitzengraben erreiche. Ich beende einen fantastischen Tourentag und fühle mich reich beschenkt.

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Im Anstieg ca. 985 Hm und zurückgelegte Strecke ca. 11,1 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Eisenerzer Alpen (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Kragelschinken

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Auferbauer (2004): Schitourenparadies Steiermark. Verlag Styria Pichler, Graz.

Auferbauer (2003): Schitourenparadies Österreich. Verlag Styria Pichler, Graz.

Frischenschlager  et al. (1999): Mürztaler Berge (Rax, Schneealpe u. Hohe Veitsch), Hochschwab, Eisenerzer Alpen. Wanderführer, Leopold Stocker Verlag, Graz.

Peterka (1982): Eisenerzer Alpen. AV Führer, Bergverlag Rother, München.

Scharfetter/Buchenauer (1978): Eisenerzer Alpen, Bergwandern, Klettern, Schifahren. Verlag Styria, Graz.

Schall et al. (2008): Schitouren-Atlas Österreich Ost. Schall Verlag, Alland.

Sodamin (2008): Schitouren Obersteiermark. Verlag Styria, Graz.

Zeller (2006): BergErleben Bd. 2, Eisenerzer Alpen, Hochschwab West. Verlag Gertraud Reisinger, Spielberg.