Mein Vergnügen ist nicht zwangsläufig euer Vergnügen: Verwachsene Stauden-Tausender über der Hamotalm

Die Hamotalm bei Lunz am See läuft ganz bestimmt nicht Gefahr, ein Brennpunkt des Overtourismus zu werden, da fehlt es an Influenzern. Auch nicht nach diesem Tourenbericht, obwohl es hier wirklich schön ist. Ich stehe ja nicht zum ersten Mal vor der Alm, denn schon einmal hat mich die „Eroberung des Nahen“ hierher geleitet. Nachdem ich vor drei Jahren die nördlich gelegenen Gipfelchen besucht habe (Auf den Eggerberg (1134 m) und seine Nachbargipfel), will ich heute vier südlich gelegene Erhöhungen besteigen.

Von der Hamotalm sind es nur wenige Schritte zur Passhöhe. Über das Gscheid (843 m) führt der OÖ Mariazellerweg von Ybbsitz, Maria Seesal nach Lunz am See.

Den höchsten Punkt ziert ein gemauertes Marterl mit geweißtem Sockel und einem Bild der Muttergottes. Als schmückendes Beiwerk sind wohl die üblichen übel aussehenden Plastikblumen gedacht.

Von dieser Wanderung darf ich mir nicht zu viel erhoffen. Größtenteils geht es durch wirtschaftlich gedachten, gepflanzten und geernteten Nutzwald. Aber die „Eroberung des Nahen“ verlangt einfach meine Anwesenheit auf diesen Gipfeln. Ein paar „Augensterne“ werde ich ja trotzdem finden. Finde ich immer und wenn es mit dem inneren Auge geschieht. Von der Passhöhe beschreite ich eine ziemlich neue, westlich um den Hamotkogel verlaufende Forststraße.

Ich bleibe so lange auf der Forststraße, bis mir dieses Aufstiegsgelände einladend  genug erscheint.

Weiter oben wird es zunehmend felsig, steil,…

… aber nie schwierig.

Ich gerate in ein frisch gegrabenes Forststraßenende. Hier hat den Bagger die Kraft verlassen, und er hat eine Forststraßensackgasse zurückgelassen.

Da halte ich mich gar nicht lange auf, weil ich im Wald weiterwandern will. Dabei stolpere ich jedoch durch Waldschneisen mit gehörigen Ast- und Holzresten der letzten Schlägerung.

Weil es sich darauf sehr unangenehm steigt, wird es mir dann doch zu mühsam, und ich wandere auf die Straße zurück. Hier könnte ich schon zur Weidewiese unter dem Hamotkogel (1112 m) hoch wandern. Weil ich zuvor noch den östlich gelegenen Stockgrund (1051 m) besteigen will, bleibe ich auf der Straße.

Abgesehen vom bequemeren Dahinwandern, ist auch der Ausblick ein schöner Vorteil dieser Fortsstraßenbenutzung. Die gegenüber liegenden Gipfel habe ich 2016 besucht. Das Höhensteineck und der Egger Berg sind in Form eines markierten Rundwanderwegs besteiglich, und auf beiden gibt es sogar ein Gipfelkreuz.

Dann geht es doch ins Gelände, und ich wandere zum Bergrücken hoch…

…auf dieses Gipfelchen, das flach wie der Bauch eines Zehnkämpfers ist.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Stockgrund (1051 m) samt Monsieur Peter mit seinem „Ich-verliere-viel-zu-oft-gegen-den-Kühlschrank-Bauch“.

Dieser Gipfel ist jetzt nicht gerade ein Attraktion und ziemlich verwachsen noch dazu. Überhaupt sind die Bäume hier und auf den umliegenden Bergen eine Vernutzung der Natur, eine technisch-produktivistische Rohstoffquelle – jedoch kein Wald.

Ich bleibe am Bergrücken, um zuerst zum Schwarzkogel weiterzuwandern. Hohes Gras und darin verborgene Abholzungsreste sind für mein Vorankommen ein wenig hinderlich.

Die Bäume rücken immer näher zusammen, und es wird zur Geduldsübung, hier durchzukommen, ohne von allen Seiten geschubst und angespießt zu werden oder  hängen zu bleiben. So herumgestoßen wandle ich mir eine gerade erst gelesene Martin Walser Sentenz ab:

„Ich bin einfach zu höflich für Einkaufszentren und so enge Wälder. Wenn mich einer anrempelt sage ich: Entschuldigung.“

Die andauernde leiblich-sensuelle Wahrnehmung von Baumstümpfen, Ästen und im Gras verborgener Löcher macht die Sache mühsam. Einen guten Move bringe ich hier nicht zustande. Nach zirka hundert Metern am Grat zum Schwarzkogel wird mir das zu unbunt.

Ich drehe um und wandere gegen meinen ursprünglichen Plan (er hätte der letzte Gipfel sein sollen) zuerst…

…den völlig unscheinbaren,…

…am höchsten Punkt dieser Weidefläche befindlichen Hamotkogel.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hamotkogel (1112 m) oder auch Hamahdkogel oder Hamothkogel.

Von diesem Kogel steigen ich ziemlich direkt, durch dichten Jungwald, auf den westlich darunter befindliche Forststraßenstich ab. Selbst der beginnt bereits zu verwachsen.

Gleich einem forstlichen Hochbeet mit der Forststraße zur Erreichbarkeitserleichterung „ragen“ die beiden nächsten Gipfel vor mir auf.

Seitlich der allumwindenden Forststraße liegen hochgestapelt die Früchte der letzten Ernte abholbereit.

Nur auf der „Straßenlichtung“ gibt es Aus- und Weitblicke.

In Reih und Glied stehen die Bäume an der Westseite des Schwarzkogels. Natürlich gewachsene Bäume würden sich niemals auf solche Art und Weise vergesellschaften.

Diesen Ziehweg auf den Grünkogel lasse ich aus, den beschreite ich erst im Abstieg.

Die Forststraße wechselt auf die Südseite des Grünkogels, und erst hier steige ich hoch.

Mit der Zwecklosigkeit solch eines Gipfelbesuches ist der Zweck schon erreicht: Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Grünkogel (1089 m).

Etwas, das man hier ganz bestimmt nicht findet, sind alte Bäume.

Den Grünkogel überschreite ich, um auf den zuvor fotografierten Ziehweg abzusteigen und die Forststraße, auf der ich hergekommen bin, zu überqueren. Hier beginne ich mit dem Aufstieg auf den Schwarzkogel (1116 m).

Auch der ist einfach und gibt, ehrlich gesagt, nicht sehr viel her. Das ist reinste Massenbaumhaltung. Und ja, auch ich bin vielleicht einst ein Profiteur, weil ich einem dieser Bäume in Form von Wärme aus der Hackschnitzelanlage erneut begegnen werde.

Man kann sehen, wie sehr dieser Wald schon unter die Räder gekommen ist. Solche Wanderungen sind mehr für Hardliner oder Angehörige des strengen Ordens „Church of woods“. Da findet nicht jeder Spaß daran.

Ich jedoch offensichlich schon: Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Schwarzkogel (1116 m).

Ich überschreite den Gipfel, bis ich wieder auf „meiner“ Forststraße…

…bei den wohlduftenden Früchten der Walderntearbeit stehe. Der Vergleich von Bäumen mit Früchten ist gar nicht weit hergeholt:

„So benötigt der Stamm einer ausgewachsenen Buche zum Wachstum so viel Zucker und Zellstoff, wie es dem Ertrag eines 10 000 Quadratmeter großen Weizenfelds entspricht.  (Peter Wohlleben „Das geheime Leben der Bäume“)

Weil unter das dichte Nadeldach nur wenig Licht gelangt, wird der lichtreiche Forststraßen-Saum zur Blühzohne von Stauden, Disteln und Blumen.

Ich liebe das außerirdische Aussehen von Disteln. Für mich gehören sie zu den schönsten Pflanzen überhaupt.

Bei den fad-süßlich schmeckenden Tollkirschen (Atropa belladonna) ist Vorsicht angebracht. Sie sind giftig, und bei Kindern können bereits drei bis vier Beeren tödlich wirken, bei Erwachsenen zehn bis zwölf. Das hinderte jedoch Frauen in früheren Zeiten nicht am Verzehr: Der atropinhaltige Saft der Tollkirsche erweiterte die Pupillen, und das galt als schön (italienisch „bella donna“ übersetzt „schöne Frau“). So gesehen hat sich bis in das 21. Jahrhundert nicht viel verändert. Das gefährliche Spiel mit der Gesundheit ist auch heute noch eine wichtige Komponente zur Erlangung von Schönheitsidealen.

Dabei gäbe es so viele andere Eigenschaften, die einen Menschen attraktiv machen:

Ich wandere wieder auf der Stichforststraße unter dem Hamotkogel und suche Wegspuren für den Abstieg.

Ein grashohes Steinmännchen verrät mir den Pfadbeginn und leitet mich…

…über diese Mondlandschaft zum noch bewaldeten Bergrücken. Hier steige ich ohne große Hindernisse bis zur Passhöhe ab…

…und wandere zur Hamotalm zurück.

Dieser Anblick ist mir gerade lieber, als ein paar Forellen oder Karpfen im Teich…

…und ich spüre, wie die alte Beweglichkeit wieder zu mir zurückkommt.

Im Anstieg etwa 580 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 13,1 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Ybbstaler Alpen (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Meine Quellen:

Leopold hat, in der einzigen Beschreibung dieser Gipfel im Internet, seinen Beitrag so enden lassen: „Ich glaube zwar nicht, dass jemand diese Runde nachgehen will, trotzdem die Wegskizze auf der KOMPASS-Karte.“

Da hat er sich doch ein wenig getäuscht, der Gute. Auf zwei Touren aufgeteilt bin ich doch zum Nahmahmer geworden. Seinen Beitrag habe ich hier verlinkt: Alle Neune rund um die Hamothalm bei Lunz am See.

Informationen über die Tollkirsche habe ich hier gefunden: https://www.netdoktor.de/giftpilze-giftpflanzen/tollkirsche-12447.html (abgerufen am 12.11.2020)

Mein elsterhaftes Verhalten hat mich wieder einmal ins Nest von Martin Walser geführt: „(…) Wenn mich einer anrempelt sage ich: Entschuldigung“ habe ich mir aus „Meßmers Momente“ ausgeborgt“.

Steffan/Tippelt (1977): Ybbstaler Alpen. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Wohlleben (2015): Das geheime Leben der Bäume. Ludwig Verlag. München.

FIN