Mille grâces Hochreichart (2416 m) et Hirschkarlgrat (2282 m)

Im tiefsten Grunde meines Seins bin ich eine Abenteurer-Schläferzelle. Es braucht nicht viel, meinem rundbauchigen, wollbrüstigen Körper Leben einzuhauchen. Gestern war es wieder so weit, als mich, so um die Mittagszeit, der lang ersehnte Ruf erreichte:

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© Gary Larson

Gehorsam packte ich meinen Rucksack und begab mich in die Südseite der Niederen Tauern, an das Ufer des Ingeringsees. Ich stieg in der ankommenden Dämmerung auf den Brandstätterkogel (2234 m) und biwakierte unter freiem Himmel im Brandstättertörl (2221 m). Die wenigen Geschehnisse dieses Tages sind hier nachzulesen: Biwaknacht unterm Brandstätterkogel (2234 m).

Ich habe nicht viel geschlafen, aber viel gesehen. Das lautlose Funkeln von märchenmillionen Sternen über meinem Schlafplatz hat schon für sich die Aufstiegsmühen gelohnt. Eingeschlafen bin ich erst in den frühen Morgenstunden, darum gibt es auch keine Fotos vom Sonnenaufgang.

Weil es mit dem Zimmerservice in der Scharte schlecht bestellt ist, köchle ich mir selber eine Tasse Earl Grey und serviere mir einen Schokomüsliriegel zum Frühstück. Nach dieser mittelkaltprächtigen Nacht genügt das schon, um meine Lebensgeister aufzurütteln.

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Der Tagesanbruch zaudert nicht lange, und im Nu ist es hell.

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Mein Energielevel ist hoch – zwar sehe ich nicht so aus, aber an diesem besonderen Morgen fühl ich mich so. Nur mein Morgengesicht ist ein optischer Vorgriff auf mein Antlitz in zehn Jahren.

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Allerdings verabsäume ich, zur Quelle abzusteigen, die Wasserflaschen zu füllen, und auch auf ein „camelling up“ (auf Vorrat saufen wie ein Kamel) verzichte ich – dummerweise.

Warme, fast windstille Morgenstunden auf 2021 m.

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Der markierte Weg führt direkt durch das Blockwerk.

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Im unteren Drittel des Anstiegs bekomme ich Anschluss an die weite Welt. Mein Handy trägt meine Botschaft von Gesundheit, Abenteuer und glucksendem Glück an Gabrieles ungeduldig auf diesen Anruf wartendes Ohr.

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Die Sonne gießt blendendes Licht über den Berg.

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Im Bewusstsein, einen gerade erst angebrochenen Tag vor mir zu haben, schreite ich genießerisch langsam…

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… mit vielen Ausblickspausen zum Gipfel hoch.

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Trotzdem wächst aus dieser urzeitlichen Granitwelt viel zu früh das Gipfelkreuz in den blauen Himmel.

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Am höchsten Punkt meiner Wanderung angekommen, an meinem grauen Ziel. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Hochreichart (2416 m).

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Wie ein Adlerküken im hochgelegenen, einsamen Horst, fühle ich mich geborgen und beschützt in den versteinerten Daunen des Hochreicharts.

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Am Horizontrand, über der Nebeldecke, begrenzen…

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…die Karawanken den Blick in den Süden.

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Neben mir ragen der Ringkogel (2277 m) und der Pletzen (2345 m) aus dem Ingeringtal auf, die kommen jetzt gleich einmal in meine Gipfelvorratsdose.

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Rückblick ins Brandstättertörl (2021 m). Darüber steigt der Brandstätterkogel (2234 m) an, und der Maierangerkogel (2356 m) blinzelt auch noch vor.

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Völlig entspannt bereite ich mir einen zweiten Frühstückstee (Kräutertee) und lasse meine konditionsstarken, vagabundierenden Gedanken auf den einen oder anderen Berg steigen. Dabei übersehe ich den raschen Fortgang der Zeit.

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Ob ich jetzt zwei oder drei Stunden am Gipfel verbracht habe, weiß ich nicht, aber unabwendbar ist der Moment gekommen, diesen wunderbaren Gipfel zu verlassen.

Über graugrüne Schuttflanken verlasse ich den Hochreichart und wandere auf den Hirschkarlgrat und das dahinter majestätisch aufragende Geierhaupt (2417 m) zu.

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Nördlich von meiner Position erheben sich die tiefgrünen Eisenerzer Alpen und dahinter  die grauen Gesäuseriesen.

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Ein mulmiges Gefühl begleitet mich diesen Abstieg. Mit jedem Schritt in Richtung des zerfurchten Hirschkarlgrats steigt mein Respekt vor der geplanten Überschreitung.

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An der Abzweigung zum Schönebentörl weist dieses kleine Holzschild auf den Weiterweg zum Hirschkarlgrat (Hirschkadlgrat) hin.

Die Steigspuren werden schwächer, und ein schmaler Steig führt erst einmal in der südlichen Flanke etwas hangabwärts.

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Und am Steigende stehe ich dann endlich vor dem Angkor Wat…

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… der Seckauer Tauern.

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Da hinauf führt mich jetzt mein bergsteigerisches Wollen, ob meine Geschicklichkeit  mithalten kann, wird sich ja noch zeigen. Und es zeigt sich gleich zu Beginn, denn der Grat eröffnet mit seiner schwierigsten Stelle.

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Mit dem angeräumten Rucksack befinde ich mich in Vollbesitz meiner ganzen Ungeschicklichkeit. Und trotzdem beginne ich, positiv aufgeladen vom bisherigen Verlauf meines Tages, den Aufstieg. Ich fühle mich unverwundbar, mein Klettern spürt sich gut an und ist auch gleich wieder vorbei.

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Zumindest die ersten paar Meter sind vorüber, und das war’s mit den „großen“ Anforderungen. Dahinter beruhigt sich der Grat und schnurrt nur noch wie ein halbwildes Kätzchen. Meiner bescheidenen Meinung nach ist das keine II-er Kletterei, sondern einfach nur ziemlich ausgesetzt. Etwas Erfahrung in der Wegfindung und im Einschätzen des Geländes sind allerdings erforderlich.

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Das weitere Gelände ist schrofig, und es finden sich immer ein Tritt und ein Halt oder deren vier.

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Gegebenenfalls weiche ich etwas in die Nordseite aus,…

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…um danach wieder direkt am Grat hochzuklettern. Ich bin besonders geistesgegenwärtig und prüfe jeden Griff auf seine Verankerung im Fels. In einem unachtsamen Moment oder durch das Ausbrechen eines steinigen Haltegriffs könnte einem dieser Fels trotzdem zum Sprungbrett ins Nirwana werden.

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Am scharfen Grat – ein unscharfes Gipfelbild, obligatorisch und unverzichtbar: Hirschkarlgrat Ostgipfel (2282 m).

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Auf gefährlichen Steigen stört oft nichts mehr, als die gute Aussicht. Darum erlaube ich mir erst jetzt, am Gipfel, eine Blick auf die Berge um mich.

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Es gibt schon sehr schmale Stellen am Grat…

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…und nur wenige Steigspuren. Eine Markierung findet sich nur an der Einstiegsstelle.

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Die schrofige Steigerei ist nach dem Einstieg nicht mehr wirklich schwierig.

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Blick zurück zum Gipfel.

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Und schon habe ich ihn überwunden, dessen Übersteigung ich mir so lange gewunschen habe.

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Der Blick zurück zeigt den westlichen Beginn des Hirschkarlgrats und dahinter den nunmehr fernen Hochreichhart.

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Ich sitze am Hirschkarlgrat Westgipfel (2239 m) und beschließe beim Blick zu Grieskogel (2328 m) und Geierhaupt (2417 m) und Höllkogel (2323 m), dass sich diese wunderschöne Gruppe einen eigenen Bergtag verdient. Lächerliche vierhundert Höhenmeter trennen mich von der Überschreitung, aber ich bin dermaßen von Eindrücken überfüllt, bergvoll, bottled, abgefüllt, dass ich den weglosen Abstieg durchs urige Hölltal beschließe.

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Zudem habe ich meine Trinkvorräte fast zur Gänze aufgebraucht, und der Tag ist windstill und heiß. Somit genieße ich noch eine Weile den Rundblick, bevor ich mich auf den Heimweg mache.

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Auch meine Frau freut sich, wenn ihr pflegeleichter Ehemann nach Hause kommt. Von meinem Eid an der Quelle gestern, weiß sie zu meinem Glück noch nichts.

Ich bleibe noch ein Stück am markierten (mühsamen) Weg in den Hölltalsattel. Mir gegenüber befindet sich der Höllkogel (2323 m) mit dem langgezogenen Saurücken. Über diesen Rücken werde ich in meinem Bergwanderleben hoffentlich auch einmal schreiten.

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Durch dieses Gelände führt der steinige Weg in den Sattel.

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Vom Hölltalsattel…

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…weisen mir einzelne Steinmänner am Beginn des weiteren Abstiegs den Weg.

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Im unteren (wunderschönen), aber gar nicht einfach zu durchquerenden Teil des Hölltals, verliere ich die steinernen Wegweiser und halte mich darum an die in der Karte verzeichneten Steigspuren.

Dass das Durchschreiten dieser wilden Urlandschaft alle Aufmerksamkeit fordert, berichten auch andere Bergsteiger, wie zum Beispiel Hans Hödl: „Vom Hölltalsattel bin ich mit meinem Bruder Sepp wegen eines Gewitters einmal wild ins Hölltal abgestiegen und eineinhalb Stunden nur über Felsblöcke geturnt. Da haben wir diese Urlandschaft hautnah erfahren“.

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An diese Steigspuren hält sich allerdings auch ein Bach. Meinen Durst kann ich jetzt stillen, und weil ich sonst keine Möglichkeit sehe, durch die dichte Latschenlandschaft zu gelangen, bleibe ich im Bach, zumindest so lange,…

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…bis die Landschaft sich etwas öffnet und dieser Steig auftaucht.

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Auf diesem Steig gelange ich nicht ganz ohne Komplikationen doch noch zur angepeilten Jagdhütte und der darunter verlaufenden Forststraße.

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Auf dieser Forststraße wandere ich bis zum Ingeringsee. An einer Straßenkehre steht ein Einfamilienhaus mit riesigem kurzgemähten Rasengrund und dieser fix befestigten Tafel. Es ist die Jagdhütte Hofalm, und ich staune wieder über die Unverfrorenheit mancher Jäger.

Wenn mir berechtigte Zugänge zu den Bergen auf diese nicht korrekte Weise verboten werden sollen, darf sich die Jägerschaft nicht wundern, wenn ich auch einmal berechtigte Sperren ignoriere, sozusagen ein Unrecht mit einem anderen ausgleiche.

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Die 2015 neugebaute Klementi-Kapelle, der hl. Klemens ist der Schutzheilige der Forstarbeiter, liegt direkt am See.

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Der waldumschlossene Ingeringsee auf 1200 m Seehöhe.

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Unter der Überschrift „Berge fürs Leben“ finden sich bei Liselotte Buchenauer in fast allen Publikationen Touren auf den Hochreichart und die angrenzenden Bergkämme und Gipfel: ...weiß man den mächtigen Hochreichart mit seinen Riesenkaren zu schätzen. Was an ihm dran ist, bemerkt man nicht sogleich, keinesfalls bei der ersten Bekanntschaft. Ich möchte ihn deshalb einen Berg fürs Leben nennen, einen Gipfel, den man im Laufe eines Bergsteigerlebens öfters ersteigen sollte und es gewiß auch gerne tut, wenn einem einmal der Sinn für seine Mächtigkeit, seine großen Dimensionen, aber auch vielerlei Einzelheiten aufgegangen ist.“

Und auch ich werde wiederkommen, um Geierhaupt, Feistererhorn, Seckauer Zinken und all die anderen Schönheiten in den Seckauer Tauern zu besuchen. Hoffentlich schon bald.

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Im Anstieg ca. 535 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 11 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Seckauer Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Den Ausdruck „camelling up“ habe ich mir von Christina Türmer aus ihrem Buch „Laufen.Essen.Schlafen“ ausgeborgt.

Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.

Auferbauer(2014): Niedere Tauern Ost mit Murauer Bergen und Turracher Höhe. Wanderführer. Bergverlag Rother, München.

Buchenauer (1976): Bergwandern in der Steiermark. Tyrolia Verlag, Innsbruck.

Buchenauer (1987): Höhenwege in den Niederen Tauern. Verlag Bruckmann, München.

Buchenauer(1975): Verliebt in die Heimat. Leykam Verlag, Graz.

Frischenschlager  et al. (1994): Oberes Murtal Von Predlitz bis Bruck. Wanderführer, Leopold Stocker Verlag, Graz.

Hödl (1998): Vom Dachstein ins Weinland: Neue prachtvolle Touren am Dachstein, in den Tauern und zu den hohen Almen. Verlag Styria, Graz.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Jäckle (1926): Führer durch die Östlichen Niederen Tauern. Sektion Edelraute d. Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Wien.

Mokrejs/Ostermayer (2009): Bergwander-Atlas Steiermark. Schall Verlag, Alland.

Zeller (2005): BergErleben, Seckauer Alpen, Seetaler Alpen, Glein- u. Stubalpe. Verlag Gertraud Reisinger, Spielberg.

PanoLab  Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version:  v 1.0.2    © 2007 Christian Dellwo.