Shortcut: Kleine Rüben (1848 m)

Zeit: je nachdem  | ↗ : 660 hm | Distanz: 11,5 km | unmarkiert | Forststraße | weglos |Quellen: wenige | must have: naja, vielleicht eher nein, oder doch? | Gipfel: 1 Kleine Rüben (1848 m)

Es gibt Gegenden, die sind für mich loyale Lebensabschnittsgefährten. Sie sind keine Affären oder verhuschte One-Night-Stands für eine Einmaltour oder einen Einmalgipfel. Sie sind mir bis in das schmalste Seitental und den abgelegensten Nebengipfel bekannt. Und solch ein besonderer Winkel befindet sich in der Bösensteingruppe. Einiges aus diesem Bergviertel habe ich schon erzählt, und anderes wartet noch darauf, berichtet zu werden.

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Der Kleine Rüben ist so ein randständiger Gipfel im SO-Grat der Drei Stecken. Und schon bei meiner Besteigung seines großen Bruders: Herzzerfleischend schön: Gefrorener See und Seekarspitze (2115 m) und Große Rübe (2093 m) habe ich seinen Irgendwann-Besuch beschlossen. Und heute ist es soweit.

Müde von einer Arbeitswoche habe ich mich dank gnadenloser Selbstmotivation und Trick Siebzehn-¼ auf den Weg gemacht.

In alten Karten finden sich eingezeichnete Wegspuren von der Hölleralm auf den Kleinen Rüben. Die will ich suchen und zu einer kleinen Runde über den unmarkierten Steig unterhalb der Zirbenwand zur Ochsenkaralm zusammenfügen.

Ich parke am großen Parkplatz unterhalb der Edelrautehütte. Viel ist nicht los. Ich werde heute keine Menschenseele antreffen.

Wie schon bei meiner lustigen Almspitz-Besteigung: Im Gruppenrudel auf den Almspitz (2188 m) wandere ich die Mautstraße bergab bis zur Forststraßeneinmündung Kotalm.

Die Stauden und jungen Bäume am Straßenrand sind im blätterstarken Vollwuchs. Grünes Licht liegt auf der Forststraße.

Beschäftigen lasse ich mich nur von den Ausblicken und später von der Wegfindung. An keines der beliebten Probleme unserer Zeit will ich heute denken.

An der Abzweigung zur Hölleralm – die lasse ich rechts liegen.

Kurz darauf „finde“ ich die neue Forststraße. Die hat uns bei der Almspitzwanderung Extrahöhenmeter und Extrakilometer eingebracht. Diesmal bewandere ich sie aber absichtlich.

Ganz sicher bin ich mir beim Lärchkogel nicht.

Bei Forststraßenwanderungen kann man nicht nur den Blick, sondern auch die Gedanken schweifen lassen, denn …

… Neuland betritt man mit solch einer Wanderung nicht. Zumeist sind ja die Forststraßen vor einem da.

Die großen Chancen auf Entdeckungen gab es vor allem im 19. Jahrhundert. Solche Entdeckergeschichten lese ich gerne. Auch wenn dort und da vermutlich ein wenig geflunkert wurde – oder vielleicht gerade darum. Zum Beispiel brachte die Asienreise von Ernst Schäfer, welche er in seinem Buch „Über den Himalaya“ schildert, eine Entdeckung in der Entdeckung, gleichsam eine Neue-Arten-Matrjoschka, und das finde ich einfach großartig:

„Am selben Tage, erinnere ich mich, sahen wir flüchtig einen weißen Tibetbären und entdeckten eine neue Schlange: Sie nährte sich von Mäusen, und die Maus, die ich ihr aus dem Magen zog, erwies sich als eine ebenfalls noch nicht beschriebene Art.“ 

Unerfreulich ist es für den dramatisch berichtenden Entdecker, wenn Fotos auftauchen, die erbarmungsloses Licht auf das tatsächliche Geschehen lenken.

Ugandische Männer zeigen einem Briten den Victoriasee, damit er ihn entdecken kann: 

Fund im Internet.

Jetzt muss ich schön langsam aufpassen, dass mir diese Shortcut-Tourenbeschreibung nicht aus dem Ruder läuft. Ich nehme den Fuß vom Erzählgas:

An ihrem höchsten Punkt verlasse ich die Straße …

… und steige durch einen herrlich verknorrten Lärchen-Tannen-Fichten-Wald weiter hoch.

Ich atme Luft, die noch nicht nach den Lungen anderer Wanderer schmeckt …

… und finde etwas östlicher auf den Grat.

Dort schlängelt sich dann auch das erwartete Weglein durch das flachbuschige Gelände.

Bald schon bin ich am Ziel.

Der Große Rüben wirkt struppig mit den unregelmäßig verteilten Latschen auf seiner mächtigen aufgeblasenen Backe.

Zirka fünfzig Meter vorm Vermessungspunkt befindet sich dieses Gipfelkreuz.

Das wird gleich einmal vorsorglich mit mir geschmückt.

Nahe dem Kreuz suche ich mir ein warmes Plätzchen.

Neben der formidablen Aussicht ist es auch ein schönes Gefühl, beim Jausnen den warmen weichen Moosboden unter dem Hintern zu haben.

Lange sitze ich dort. Bis ich mich dann doch aufraffe und über trockenes dünnhalmiges Gras schlendernd den höchsten Punkt suche.

Und der lässt sich zwischen Lärchen und Latschen einfach finden.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Kleiner Rüben (1848 m).

Der Weiterweg auf den Großen Rüben wäre leicht möglich. Wenn man sich etwas links hält, findet man eine gangbare Latschengasse. Vom Großen Rüben kommend ist das Einfädeln in diese Gasse sicher unübersichtlicher.

So sieht der „Gegenblick“ aus: vom Großen Rüben zum Kleinen Rüben.

November 2015. Im Abstieg vom Großen Rüben fotografiert: Herzzerfleischend schön: Gefrorener See und Seekarspitze (2115 m) und Große Rübe (2093 m)

Ich steige in der Einsattelung einige Meter ab und hoffe, die Wegspuren unter der Zirbenwand zu finden.

Blicke zurück. Das gefällt mir jetzt sehr.

Ich bin auf der Suche nach Spuren, aber es gibt so viele, das sind jetzt Rate- und Rätsel- und Labyrinthspuren.

In meiner Ungeduld steige ich die Einsattelung immer weiter ab, und hier kommt es zu einer Verböserung des Nicht-Weges.

Sträucher, Bäume, Äste und Wurzeln in unterschiedlicher Sperrigkeit stellen sich mir in den Weg.

Zwischen dem gestrüppigen Gelände verlaufen immer wieder Trampelpfade, die in einem Erlenbusch enden. Die Mühsal endet für mich erst auf der neuen Forststraße, die ich zuvor am höchsten Punkt verlassen habe.

Das war jetzt etwas anders geplant. Trotz alledem, wie sehr schätzt man danach eine erlenbuschfreie, latschenfreie, unverschlungene Welt.

Zuerst überlege ich, die Forststraße wie gekommen zurückzuwandern. Das ist mir dann doch etwas zu öde. Und so kürze ich freihändig etwas ab, …

… bis ich wieder den Steig neben der Mautstraße hochwandern kann. Und während der steinige Weg mir von unten die Sohlen zermürbt, überlege ich bereits das nächste Vorhaben in diesem Winkel. Grüner See oder Gemeinsee wären doch lohnende, abseitige Ziele.

Bemerkenswert finde ich, dass beide Rüben in früheren Zeiten öfter besucht wurden. So findet man in Jäckles „Führer durch die östlichen Niederen Tauern“ von 1926 einen Eintrag (siehe Bild). Und auch in Buchenauers „Wandern in der Steiermark“ gibt es auf Seite 149 einen kurzen Vermerk zur Besteigung. Die Schreibweisen variieren: Kleine Rübe, Kleine Rüben und Kleiner Rüben wechseln je nach Quelle.

Spezialkarte (mit Waldaufdruck. Wegmarkierungen in den Originalfarben nach Angaben der Gendarmerie, Stand 1923.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Rottenmanner Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Meine Quellen:

Eigene Fotos:

Vom Almspitz (2017) fotografiert.

„An keines der beliebten Probleme unserer Zeit wollen wir heute denken.“ (Stefan Zweig)

„Luft, die noch nicht nach den Lungen unseres Nächsten schmeckt.“ (Juliean Gracq)

Zeller (2010): BergErleben Bd. 3, Wölzer Tauern, Rottenmanner Tauern, Schladminger Tauern. Verlag Gertraud Reisinger, Spielberg.

Jäckle (1926): Führer durch die Östlichen Niederen Tauern. Sektion Edelraute d. Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Wien.

Buchenauer (1971): Wandern in der Steiermark. Tyrolia Verlag, Innsbruck.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Spezialkarte (mit Waldaufdruck. Wegmarkierungen in den Originalfarben nach Angaben der Gendarmerie, Stand 1923.

FIN