Spatz-in-der-Hand Gipfel Tanneck (1458 m) und Tierkogel (1621 m)

Zum Glück erinnere ich mich an die letzte Schitour im Triebental und meine Bemerkung über den Winter, der dort den Schnee zwischenlagert. Darum fahre ich bei blauem Himmel an vielen grünen Wiesen und Weiden vorbei, wieder einmal ins Triebental. Und meine damalige Feststellung stimmt auch heute. Sogar dreißig Zentimeter Neuschnee gibt es diesen Morgen nur für mich. Somit muss ich vom Gasthaus Braun meine Schi nicht einmal über die Wiese tragen und kann schon an der Straße anschnallen.

Zwei Pärchen sind vor mir losgezogen. Es ist warm aber stürmisch, der Südföhn brandet gegen die Gamskögel (2386 m) und den Großen Grießstein (2337 m).

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Zur großen Freude für uns Wanderer und Schitourengeher haben wir heute auch Rechte auf den Almen und Gipfeln der heimischen Berge. Bewusst wird einem das bei der Lektüre älterer Tourenberichte. Oftmals kann man aus jeder Zeile die Besorgnis herauslesen, dass die Grundbesitzer den Zugang bei beliebigen Missfallen einfach sperren. Zum Beispiel leitet Jäckle in seinem 1926 erschienen Führer „Durch die östlichen Niederen Tauern“ den Abschnitt der Triebener Tauern so ein: „Das ganze Triebental ist ein wohlbesetztes und ebenso gepflegtes Jagdrevier und dessen Besuch und Begehung sowohl von den Grundbesitzern als auch den Jagdpächtern nur in der Weise gestattet, daß den, übrigens vollkommen berechtigten Wünschen dieser beiden Faktoren in jeder Hinsicht Rechnung getragen wird“.

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Immer wieder zieht es meinen Blick zur wilden Wolkenjagd am Himmel.

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Stiller, aber nicht weniger ereignisreich, geht es am Boden zu. Mein Blick zurück wird Stunden später ein ganz anderes Bild zeigen. Föhnsturm und Sonne werden auch der frischen Schneedecke gehörig zusetzen.

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Es ist ganz still im Tal. Meine Schi gleiten lautlos durch den nigelnagelneu-frisch-weißen Schnee. Nur das Knarzen meiner Schitourenschuhe und mein sanft-rhythmisches Atmen ist zu hören.

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Geradeaus geht es zur Kälberhütte weiter. Ich bleibe aber auf der Forststraße, denn ich will zuerst zum Tanneck und dann den kurzen steilen Waldanstieg auf den Rücken des Triebenkogels nehmen.

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Schneestill ist es hier. Die tief verschneite Forststraße führt sogar ein wenig bergab, um danach wieder sanft anzusteigen. Hierher verirren sich heute nur der Winter und ich. Auch finde ich zwischen den Bäumen Deckung vor den Windböen. Wie wird es mir aber am baumfreien Kamm des Triebenkogels ergehen?

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Ich erreiche den kleinen Sattel zwischen Tanneck und den Rücken des Triebenkogels. Wie in den Schnee geträufelt zieren Wildspuren den Neuschnee. Ober mir rasen die Wolken Föhn gepeitscht dahin.

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Ganz einfach ist das Tanneck über diese Schneise zu besteigen. Da kann ich sogar wieder abfahren, denke ich mir.

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Auf einem Gipfel der niedriger ist als seine ganze Umgebung. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Tanneck (1458 m).

Erst in der Nachbereitung der Tour finde ich im neuen Tourenführer von Radinger/Grinzinger den Hinweis, dass der Zustieg übers Tanneck auf den Triebenkogel aus Wildschutzgründen nicht mehr gemacht werden soll. Diese Information kommt in meinem Fall zu spät.

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Zwischen den Bäumen verschneenebelt sich der Kreuzkogel (2027 m) meinen Blicken immer mehr.

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Mein Rückgrat ist ein bisschen lahm. Gehe ich weiter in den wolkigen Föhnsturm hinein, um nur endlich am Triebenkogel gewesen zu sein, oder gehe ich zurück und steige in Richtung Kreuzkarschneid im warmen Sonnenschein hoch?

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Ich komme aus der Sonne und bewege mich geradewegs auf die Wetterkante zu.  Überall um mich ist blauer Himmel und Sonnenschein. Hier zum Beispiel die Sicht zum Vöttleck (1888 m).

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Nur der Blick in meine ursprünglich angepeilte Gehrichtung in den Süden schaut sehr ausladend aus. Der Südföhn brandet hier offenbar an und umköchelt mit schmutzigweißem Wolkengebräu die Gipfel.

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Der steile Waldaufstieg vor mir würde mich geradewegs in das wilde Stelldichein von Schneefahnen, Wolken und Südföhn führen.

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Fürs Weitergehen kann ich an mir ungewohnte Unlusttendenzen feststellen. Ich wollte ja nur gemächlich, von der Sonne umschmeichelt, eine aussichtsreiche Schitour erleben und nicht mit Sturmhaube und Handschuhen im Windgestöhn die Felle von den Schiern kletzeln, um fluchtartig vom Gipfel zu entschwinden. Und schon habe ich mit mir eine Einigung erzielt. Ich werde umkehren, den Fuchsgraben queren und entweder zur Kreuzkarschneid (1825 m) oder den T(h)ierkogel (1621 m) aufsteigen. Vermutlich wird es der T(h)ierkogel werden, denn auf der Kreuzkarschneid war ich schon einmal. Ich überquere das „Plateau“ des Tannecks…

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…und kürze den Rückweg etwas ab. Dabei trage ich im steilen, engen, von vielen Schneebrüchen gezeichneten Wald die Schi wenige Meter in der Hand.

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Die Forststraßen werden mit dem Schnee zu unförmigen abgerundeten Gebilden. Wie sehr habe ich bei den letzten Wanderungen den fehlenden Winter bejammert, und dabei war er ja die ganze Zeit in meiner Nähe.

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Die letzten Meter Abfahrt, bevor es wieder aufwärts geht.

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Ich steige am oberen Ende des Fuchsgrabens wieder eine Forststraße hoch. Fröhliches Plätschern, Gluckern und Glucksen ist die belebende Begleitmusik bei meinem zweiten Aufstieg am heutigen Tag. Wie an einem warmen Frühlingstag ziehe ich mich bis aufs Unterhemd aus. Windstille und Sonnenschein, so habe ich mir das ersehnt.

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Vor mir findet sich eine frische Spur in Richtung Kreuzkarschneid.

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Ich habe mich entschieden. Auf der Kreuzkarschneid weht es mittlerweile auch schon stürmisch, und darum verlasse ich die Spur und steige direkt zum Hasensattel auf.

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Am Hasensattel (1448 m) angekommen, begrüßt mich der Triebenstein (1810 m). Bei meiner Wanderung auf die Kreuzkarschneid (1825 m), den Kreuzkogel (2027 m) und den Geierkogel (2231 m) war ich, von Hohentauern kommend, schon einmal hier.

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Vom Hasensattel sind es nur noch ca. 200 Höhenmeter auf den Tierkogel.

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Wolken verwehren mir den Blick in den Süden und bestätigen mich in der Wahl meines Ausweichzieles.

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Wie so oft in meinem Wanderleben, werde ich von einer vorhandenen, nicht kartographierten Forststraße überrascht.

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Wenn eine Tour nicht besonders schwierig ist, ist mein Kopf auch nicht ganz ausgelastet, und dann geht mir vieles durch den selben. Dieser Blick in den Süden erinnert mich an den berühmten (wunderbar sinnfreien) Anfang von Musils Mann ohne Eigenschaften: „Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung (…)“ 

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Um keinen anderen Tourengeher an mir vorbei zu lassen, ziehe ich in der Straßenmitte eine doppelte Sperrlinie bist kurz vor den Gipfelaufbau.

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Die letzten Meter geht es, auch nicht besonders steil, über diesen Schlag hoch.

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Der höchste Punkt einer tierischen Gegend: Fuchsgraben, Hasensattel und Tierkogel. Ein Gipfelziel aus Windflucht, Sonnensucht und einer Schneefahnenallergie geboren. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Tierkogel (1621 m).

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Schon wieder denke ich an eine Geschichte. Der Blick auf Hohentauern erinnert mich an die einzige Erwähnung dieses Gipfels in der mir bekannten alpinen Literatur. In ihrer Erzählung Die Fünfgipfel-Einkaufstour berichtet Liselotte Buchenauer sehr amüsant von einer ungewöhnlichen Lebensmitteleinkaufstour: „Wenn ich das Ansinnen gestellt hätte, nach Amerika um Bandnudeln zu fahren, sie hätten sich nicht empörter geben können! „Auf der Straße gehen wir nicht einkaufen!“ „Also wo dann?“ „Wir gehen natürlich über die Gipfel!“ (…) „Also, wir überalpinieren den Thierkogel, den Sachenberg, die Kreuzkarschneid, den Kreuzkarkogel und nehmen – natürlich! – auch noch den Geierkogel mit. Dann fahren wir durch den Wirtstobel direkt nach Hohentauern zum Kaufmann ab.“  Dieses Unterfangen gelingt den Protagonisten der Geschichte auch leidlich. Zurück zur Triebentalhütte gehen Sie allerdings dann doch auf der Straße.

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Entlang meiner glitzernden Aufstiegsspur fahre ich im weichen Schnee wieder ab. Eine Überschreitung des Kogels unterlasse ich aus Rücksicht auf das Wild. Denn in meiner Karte ist die Nordseite als Ruhegebiet im Winter ausgewiesen.

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Viel zu schnell (das ist der Nachteil vom Vorteil bei Schitouren) erreiche ich wieder…

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…meinen Ausgangspunkt. Wie eingangs erwähnt, hat die Schneedecke im Verlauf des Tages ganz schön Kristall-Federn gelassen.

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So ein langer Bericht zu so einer kurzen Schitour, und dabei habe ich so vieles weggelassen und nicht erzählt. Es ist wirklich schlimm mit mir. Vielleicht sollte ich meinen Kopf das nächste mal zu Hause lassen.

Dass mein Gipfeldrang auf den Triebenkogel (2055 m) in naher Zukunft doch erfolgreich an sein Ziel kommt, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar.

Im Anstieg ca. 745 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 12,1 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Triebener Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Auferbauer (2004): Schitourenparadies Steiermark. Verlag Styria Pichler, Graz.

Buchenauer(1975): Verliebt in die Heimat. Leykam Verlag, Graz.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Jäckle (1926): Führer durch die Östlichen Niederen Tauern. Sektion Edelraute d. Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Wien.

Musil (1978): Der Mann ohne Eigenschaften. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg.

Radinger/Grinzinger (2014): Obersteiermark mi OÖ Voralpen, Rother Skitourenführer. Bergverlag Rother, München.