Sternenstaub im Star Park auf der Hohen Dirn (1134 m)

Ganz gegen den materiellen, eilenden und hortenden Zeitgeist ist Bergwandern eine Beschäftigung, welche vollauf ohne Wofür auskommt – ähnlich dem Kugelfischessen, Formel1 anschauen, Bierdeckel sammeln oder Curling. Dass ich allerdings während, ich ausschreite, sorgenlos bin, und nach einer Wanderung viel zufriedener mit mir und meinem Leben, ist eine oft erfahrene und unumstößliche Tatsache, ein Mysterium der Natur, der Berge und des Sich-selbst-Bewegens.

Bei der Anreise mache ich dieses Foto in Richtung der Berge, die ich heute besuchen will. Feinstes Wetter. Oben kaltföhnig und schon huschig. Viele Schneereste in den Schattenseiten. Frierender Stacheldraht unter achatblauem Himmel.

Unglaublich, es ist ein gewöhnlicher Arbeitstag (Donnerstag) und doch ist der kleine Parkplatz beim Bauernhaus Hamberg (841 m) bereits vollgestellt. Wochentage am Berg gehören den immer fitter werdenden Provinz-Pensionisten. Über den Gesundheitszustand der Pensionisten aus der Stadt weiß ich zu wenig.

Was ich mich schon frage, ist Folgendes: Verflucht man als Pensionist Wochenenden und Feiertage? An solchen Tagen ist die Befreiung von der Arbeit ja immer schon gewesen und die Pensionierung somit eine Dopplung der Arbeitsbefreiung. Dazu kommt der Urlaubsanspruch, den ich als Arbeitnehmer auch schon gehabt habe. Pi mal Daumen hat auch ein Lohnsklave (unsereiner) 144 Tage im Jahr frei. Diese freien Tage fehlen dem Ruheständler bei seiner Arbeitsbefreiung – und das jedes Jahr! Somit ist ein Pensionist nur 221 Tage im Jahr in Pension. Und das Furchtbarste an dieser Sache bleibt der Umstand, dass diesen herbeigesehnten Lebensabschnitt noch niemand überlebt hat. Nicht nur in der unverhofften Novembersonne, sondern auch in der Gnadensonne anhaltender Gesundheit verbringen sie diesen Vorwintertag wandernd am Berg. Bewusst oder vielleicht auch nur intuitiv folgen sie der Weisheit Snoopys:

Mein Himmel ist heute ähnlich blau, wie der Snoopys, und auch ich habe nicht vor, heute zu sterben – ganz im Gegenteil.

Man darf sich von meinen Überlegungen und meinem Aussehen nicht täuschen lassen. Für mich ist es noch ein weiter Weg in den (Un)Ruhestand. Weniger weit scheint mein erster Gipfel entfernt zu sein. Denn sogar der Sonnkogel ist hier bereits angeschrieben. Somit mache ich mich auf den Weg.

Gleich zu Beginn kommt es zu einer kleinen Irritation. Nach meinem GPS würde die Markierung an diesem Stadel vorbei in den Wald führen. Jetzt schlägt meine Erinnerung das GPS. Besser ist es, man bleibt einfach auf der Forststraße.

Nicht überall ist der Sonne die Schneeräumung vollständig gelungen. In Schattenbereichen liegt noch reichlich davon. Wie als Beleg für meine Überlegungen zum Pensionistendasein wandern fröhlich plaudernd zwei ältere Herren vor mir.

Die Forststraße verläuft nur in geringer Steigung…

…östlich des Sonnkogels. Und endet direkt…

…in einem sonnenlichtgefluteten Pfad.

Durch einfaches Waldgelände, gut markiert und reichlich beschildert, zieht der Steig hoch.

Der Weg quert eine Forststraße und mündet in eine weitere. Bereits nach wenigen Metern werde ich von diesem sehr hoch montierten Forststraßen-wegschick-Wegweiser (fast schon ein Überkopfschild, wie auf der Autobahn) wieder in den Wald gescheucht.

Aus gescheucht wird schon bald gekeucht. Steil ist es hier.

Weil es so viele Wandermöglichkeiten gibt, und nicht zuletzt auch eine ÖAV-Hütte, verstehe ich den Andrang jetzt sehr gut. Jedoch bin ich bis jetzt nur den beiden Plauderern von zuvor begegnet, und sonst niemandem.

Unter faustgroßen, flockigen, biologischen Minigalaxien…

…rutsche ich im steilen vom Schnee aufgeweichten Hang immer wieder aus.

Am Kamm empfängt mich kühler Westwind.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Sonnkogel (1177 m).

Die Nordseite der Berge gehört im Spätherbst, im Winter und im Frühjahr dem Schnee. Dort fühlt er sich am wohlsten. Das ist sein bevorzugtes Habitat. Der kühle Wind wird stärker, und in den Baumwipfeln ist ein Rauschen, als würde über mir ein reißender Fluss dahinbrausen.

Bald schon befinde ich mich auf dem Verbindungskamm. Der gefällt mir ausgesprochen gut.

Wie hölzerne Venen oder verholzte Krampfadern verästeln sich alte Buchen im Himmelsblau.

Erstmals kann ich auch in den Westen blicken.

Bald werde ich diesen besonnten…

…aussichtsreichen Grat verlassen müssen,…

…was mir ganz und gar nicht gefällt. Auf der einstigen Schipiste steige ich die letzten Meter zur Anton Schosser Hütte hoch.

Hier liegt einer der seltenen Fälle vor, wo die Hütte höher liegt (1158 m) als der Gipfel (1134 m). Und noch eine Besonderheit kann diese AV-Hütte vorweisen:

Wie so viele andere Hütten wurde sie nicht nach einem Ort, See, Bergsteiger, Vereinsobmann oder einer ganzen Vereinssektion benannt, sondern es wurde einem Dichter ein „Denkmal“ gesetzt. Anton Schosser, 1801 nahe Losenstein geboren, war der Sohn eines Nagelschmieds und Betreiber eines sehr bewegten Lebens, das sehr früh ein Ende nahm. Er starb mit 48 Jahren.

Vor allem seine mundartlichen Liedtexte gelangten von geschickten Sängerzungen gejodelt unbehindert ins wehmütige Herz der hart arbeitenden Landbevölkerung. Und ein ganz bestimmtes Lied kennt auch heute noch (fast) jeder von uns: „Wo ich geh’ und steh’, tuat mir mei Herz so weh…“ Ganz genau, der Erzherzog-Johann-Jodler stammt aus seiner Feder. Hinter der Hütte findet sich neben Sitzgelegenheiten dieses hölzerne Denkmal.

Werden wir auch einmal unseren Dichtern ein Denkmal setzen? Dem streitbaren Michael Köhlmeier, der klugen, wunderbar-widerspenstigen Elfriede Jelinek vielleicht, oder gar dem polternden Thomas Bernhard?

Bild: Suhrkamp Verlag

Die Thomas Bernhard Hütte hätte dann statt eines Winterraums ein eigenes Suder- und Raunzzimmer, einen mit Ofen, Spucknapf und Boxsack versehenen Monologisier- und Nörgelraum. Allerdings hat der schimpfende Autor zum Unterschied zu vielen heute Unzufriedenen mit seinen gebetsmühlenartigen redundanten Schimpftiraden in so vielen Dingen recht behalten. Er fehlt Österreich und mir.

Wem würde ich noch eine Hütte gönnen? Wer fällt mir sonst noch ein? Darüber sinniere ich beim Hinuntergehen zum Gipfelkreuz.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelkreuz Hohe Dirn (1134 m).

Die Aussicht in den Westen ist eingeschränkt.

Nach unten geht’s besser.

Nach einem letzten Blick in den Norden steige ich wenige Meter ab und mache im sonnenwarmen Windschatten meine Pause. Die Novembersonne streichelt mir zärtlich das Gesicht.

Danach wandere ich wieder zur Hütte zurück und steige über Schneefeldreste weiter ab.

Vor diesem Gebilde bleibe ich fasziniert stehen. Das ist aber nur die erste von drei Beobachtungskuppeln, die der Verein Sternfreunde Steyr hier errichtet. Dieses Projekt nennt sich „Star Park Hohe Dirn“.

Star Park liest sich für mich so, als würden Sterne wie Tiere im Tiergarten – alle freilaufend – hier ausgestellt. Ein „Füttern verboten!“ Schild braucht es jedoch nicht.

Dabei bin ich mir sicher, alle, die an diesem Projekt mitarbeiten, haben in ihrer Jugend Bücher von Carl Sagan verschlungen – wie auch mein liebster Cartoonist Gary Larson:

Diese Stelle, hoch über der Nebelgrenze, gilt als eine der besten in ganz Österreich. Hier kann man noch den Sternenstaub auf die Erde rieseln sehen. Dafür hauptverantwortlich ist vor allem dieser Ausblick.

Nicht, dass man in der Nacht hier etwas sehen könnte – und gerade das ist die Qualität dieses Standorts. Der größte Feind des Sternenbeobachters ist die Lichtverschmutzung, und hier über dem Nationalpark ist es so dunkel, wie in den Wüstengebieten Namibias oder Chiles. Dort versammeln sich immerhin die größten Teleskope der Welt. Die meisten Kinder in unseren Breiten kennen den Sternenhimmel nicht mehr. Kein Wunder – über Städten wie Wien ist die Milchstraße schon lange nicht mehr zu sehen. „Lichtverschmutzung“ ist daran schuld – ein eher junges Phänomen und Umweltproblem. (Quellen: meinbezirk.at und Ö1 Journal Panorama vom 3.1.2018)

Foto: Friedrich Bachner. Das Bild ist ein Panorama aus 5 Bilder mit 105mm Brennweite.

In der Mitte dürfte der sogenannte Lagunennebel (Sternentstehungsgebiet) zu sehen sein. Ziemlich exakt in der Mitte dieses Sternfeldes ist auch das Zentrum unserer Galaxie mit einem massivem Schwarzem Loch. (Diesen interessanten Hinweis habe ich nach Veröffentlichung des Bildes mit Sternfreundegruß von Rudi Dobesberger erhalten.) Merci beaucoup!

Interessierte können sich für Beobachtungsabende anmelden. Mehr Informationen dazu finden sich auf der Homepage der Sternfreunde Steyr.

Ganz bin ich mit meiner Wanderung noch nicht fertig. Auf der Straße schlendere ich hinab, bis zum Luagstadel auf ca. 1040 m Seehöhe.

Wieder einmal möchte ich einen Schwarzkogel besteigen. Denn es gibt viele davon in den österreichischen Alpen. Von 615 m bis über 3000 m können sie reichen, und es sind weit über 20 Berge, die so benannt wurden. Und ohne es wirklich zu wollen, mehr darüber gestolpert als gesucht, habe ich mir schon wieder eine neue Aufgabe eingetreten: Schwarzkogeln besteigen!

Zuerst holpere ich ein wenig mühsam über Schlägerungsreste, bis weiter oben auf einmal zwei Forststraßen auftauchen. Die rechte und etwas steinigere Straße führt mich…

…ohne Umschweife zum Gipfel. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Schwarzkogel (1075 m).

Etwas seitlich vom Gipfel kann ich seinen steinigen Aufbau betrachten. Die Abbrüche reichen fast zur Enns hinab.

Vom Grat zweigt eine Forststraße ab und führt gerade hinein in die kleine Siedlung auf der Dirn. Gleich das erste Haus, auf das ich treffe, ist das von Dipl. Ing. Hans-Heinrich Wenk errichtete, erste Observatorium auf der Hohen Dirn.

Der technisch und handwerklich sehr versierte IT-Spezialist hat sich ein eigenes Observatorium gebaut. Nicht nur das Gebäude ist selbst errichtet, auch die gesamte aufwendige Elektronik hat Wenk selbst entworfen und sogar den Spiegel für das Teleskop eigenhändig geschliffen. Eine beeindruckende Leistung, um seinem Hobby, Himmelsbeobachtung, hier auf 1000 m Seehöhe frönen zu können. (Quelle Ö1 Journal Panorama vom 3.1.2018) Für Interessierte bietet Dipl. Ing. Hans-Heinrich Wenk astronomische Führungen an. Auf seiner umfangreichen Homepage kann man sich dafür anmelden: Sternwarte Hohe Dirn.  

Zum Schluss dieser Wanderung möchte ich noch eine Warnung aussprechen. Man soll sich nie zu sicher fühlen. Denn bei aller Euphorie, welche die modernen Möglichkeiten der Sternenschau beim Betrachter auslösen kann, bleibt immer noch zu hoffen, dass der Sternenstaub, der zur Erde rieselt, nicht zu groß ausfällt:

© Gary Larson

FIN

Im Anstieg ca. 570 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 10,5 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region OÖ Voralpen (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit: PanoLab  Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version: 1.0.3  © Christian Dellwo.

„Alles ruht in den Sternen“ vom 8.10.2015 in: meinbezirk.at (abgerufen am 8.5.2018)

„Sternwarte Hohe Dirn“ (abgerufen am 8.5.2018)

„Star Park Hohe Dirn“ (abgerufen am 8.5.2018)

Heitzmann, Harant (1996): OÖ-Voralpen. OeAV-Führer, Ennsthaler Verlag, Steyr.

Radinger (2009): Wandererlebnis Kalkalpen mit Haller Mauern. Residenz Verlag, St. Pölten.

Lenzenweger (2009): Eisenwurzen, Nationalpark Kalkalpen. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.

Neuweg/Peham (2004): Schutzhütten Touren, Wanderwege, Geschichte. Verlag Ennsthaler, Steyr.