An dieser Stelle wird davon berichtet, wie wir einem kartografierten Phantom auf die Spur kommen, dieses Mysterium entdecken und uns ganz schlicht in sein Gästebuch eintragen.
Mittlerweile existieren schon einige Tourenbeschreibungen im Netz, um diesen verborgenen See im nordwestlichen Hochschwab zu finden. Doch sind die meisten Wegbeschreibungen so kryptisch, wie vom Computer ins Deutsche übersetzte Bedienungsanleitungen für chinesische Funkwecker oder Eierkocher. Selbst Frischenschlager meint in seinem Führer aus dem Jahre 1999, dass der See von Wildalpen nur mit einem ortskundigen Führer zu finden ist. Wir ernennen uns gegenseitig zu Führern und ziehen an diesem unglaublich schönen Herbsttag los. Horst, Reinhard und ich setzen uns auf der Winterhöh bei Wildalpen gemächlich in Bewegung. Es ist ein wunderbarer, aber noch sehr kühler Morgen.
Vor uns wollen drei Wanderer ebenfalls zum See. Auch parken einige Autos auf diesem abgelegenen Parkplatz. Sind deren Besitzer ebenfalls zu diesem See unterwegs? Ist dem Geheimtipp sein „Geheim“ abhanden gekommen?
Wir haben uns für eine längere, aber irgendwie durchschaubare Zustiegsvariante entschieden. Wir wollen zuerst zum Kreuzpfäder. Auf markiertem Weg bis zum Antonikreuz (890 m) ist es frisch, kalt fast, und wir freuen uns auf die sonnigen Teilstücke dieser Tour.
Bruder Sonne und Schwester Mond (Zefirelli) wachen über unser Fortkommen.
Bis zum Kreuzpfäder (1194 m) gibt es eine Markierung (Weiterweg zu Schafhalssattel). Hier beginnt die Kür dieser Tour. Die Forststraße gleich rechts, gegenüber von einem Wegweiser und einer Bank, soll uns in Richtung Hochleiten führen. Diese Forststraße wird danach in einen Jagdsteig übergehen und dieser wiederum direkt zum See leiten. Ist doch ganz einfach, aber erfahrungsbedingt traue ich dem Braten noch nicht.
Dass Horst mit von der Partie ist, freut mich besonders. An solchen Tagen ist er gewöhnlich am Mountainbike zu finden. Aber einen verborgenen See aufzusuchen, dürfte heute für ihn größere Anziehungskraft besitzen, als irgendwelche Straßen hochzustrampeln und im Abfahrtswind anschließend zu frieren.
Ganze Zeit grinst uns der Wilde Jäger (1504 m) von gegenüber zu. Fast von jedem Punkt der Wanderung ist dieser schroffe Kerl zu sehen. Schon in der Vorbereitung ist er mir aufgefallen, aber ich habe keinen Bericht über eine mögliche Besteigung gefunden. So sieht er jedenfalls für mich unersteiglich aus. Aber wer weiß…
Die Straße verdünnt sich zu einem guten, unübersehbaren Steig.
An windgerupften Lärchen und Bergfichten führt der Pfad vorbei. Ein kurzer felsiger Anstieg leitet uns über der Kohlermauer zwischen dem Hochleiten (1369 m) und dem Moosloch hoch.
Wir pilgern durch einsames Kalenderland. Unglaublich schön ist es hier. Die oftmals einsame Riegerin (1939 m) ist vor uns zu sehen.
Dann erblicken wir endlich den Brandstein. Dorthin wollen wir, an dessen Fuß liegt der See.
Aus den Lärchen tropft funkelnd das Herbstlicht, und die Latschen haben sich mit Lichtschwertern gewappnet.
Unseren vereinten Scharfsinn benötigen wir nur bei der Abzweigung beim Sulzenkögerl. Wir müssen ihn aber nicht ganz ausschöpfen, weil der Weg irgendwie selbsterklärend ist. Der Trick ist, wir zweigen nicht ab und bleiben immer am „dicksten“ Pfad.
Vor der Seltenheim Jagdhütte wird es nochmals schattig-kühl, derweilen…
…gegenüber der Jagdhütte an den Abhängen des Brennachs die Sonne scheint. Fremdartig-schön anzuschauen ist dieser etwas überdimensionierte Steingarten.
Wir halten uns an der Jagdhütte nicht auf und gehen weiter.
Nach der Hütte klappt die Landschaft auf und gibt diesen wunderbaren Blick auf den Großen Geiger (1723 m) frei.
Der gute Steig führt oberhalb einer riesigen Doline, dem Dönerloch, weiter.
Danach erfolgt der sukzessive Abstieg. Der Weg windet und dreht sich durch Latschen über anhaltend feuchten Boden. Immer spürbarer wird der See, aber keinesfalls sichtbar.
Ich bin schon ungeduldig und würde am liebsten weglos mein Seeglück suchen. Wir haben ja bereits die 150 Meter Abstieg hinter uns. Wir sind ihm ganz nahe. Ist das Jagdfieber, das mich an dieser Stelle befällt? Wir folgen diesem Pfad (gefühlt schon unglaublich lange) bis zu einer Schuttriese, und …
…dann ergreift uns freudige Erregung. Wir haben das Phantom aufgespürt.
Nasenlochhaarig und glücklich: Drei Männer am See.
Das entdeckte Phantom will unsere Anwesenheit schriftlich haben. Sogar ein Seebuch (Gästebuch) existiert.
Der See liegt auf 1073 m Seehöhe. Diesmal trifft’s Seehöhe doppelt. Mit jedem Meter, den wir zu ihm absteigen, wird es spürbar kälter. Ein windloser Ort. Einzigartig verschwiegen ist es hier. Dunkel-düsterer Glanz, aber ohne Schwefelgeruch. Lieselotte Buchenauer schreibt in ihrem Hochschwab-Buch: „Zur Urlandschaft des Schafwaldes am Fuß der Brandsteine gehört der kleine, schwarze, lichtgerandete Teufelssee. Nur wenige Menschenaugen haben ihn je erblickt. Mit seiner seltenen Flora und Fauna, seinem in Perioden schwankenden Wasserstand ist er der See für den Forscher, in einer Landschaft, die von Geheimnis und Wunder erfüllt ist“.
Die Kälte hat es sich auf der Oberfläche schon gemütlich gemacht.
Ich bin überwältigt. Als wäre der ganze Hochschwab auf diese wenigen Quadratmeter See eingedampft, eingekocht, komprimiert worden. Aber von wem? Vom Teufel? Ich kann die sagenhafte Legendenbildung mit jeder Faser in meinem Körper nachspüren. Mich selbst würde es nicht wundern, wäre dieser Platz morgen schon unauffindbar. Als würde er aus einem magischen Zwischenreich nur an manchen Tagen für Sterbliche sichtbare Gestalt annehmen.
Jahrtausendalt, ewiglich wirkt jeder Stein und jeder braune Grashalm.
Ganz still ist es am See. Nur für kurze Zeit beginnt ein tonloses Spiegelspiel auf der eisigen Seeoberfläche.
Die Wärme des Tages bleibt ausgesperrt. Für Wochen berührt kein Sonnenstrahl den See.
Uns kommt es so vor, als stünden wir vor einem Lebewesen. Einem unergründeten,unbekannten Wassertier.
Die Linien der senkrecht aufragenden Wände werden ins schwarze Wasser gezirkelt.
Als wäre er der Knoten, das Zentrum, der magische Mittelpunkt des Hochschwabs.
Verkehrte Welt, ein See der eine Insel ist.
Wir verlassen den See und steigen wie bunte Blasen an seiner Nordseite hoch.
Weiter geht es in abwechslungsreicher Märchenlandschaft…
…bis zu diesen Wegweisern. Von deren Existenz wusste ich davor auch nicht.
Vom See führt ein gut sichtbarer Steig zu dieser Wiese und damit (nicht weit rechts davon) zur Forststraße.
Als wäre ich mit einem Rudel Wölfe unterwegs, so knurren sich unsere Mägen mittlerweile gegenseitig an, und völlig unterhopft…
…machen wir in der Sonne endlich Pause. Am Seeufer war es uns zu entrisch und auch zu kalt.
Entlang von Höllkogel (1639 m) und Siebenbürgerkogel (1483 m) setzten wir unsere Wanderung fort. Der Weiterweg auf der Forststraße im Siebenbürgenboden, mit seinen 250 Hm im Aufstieg, zieht sich aber. Somit bleibt uns genug Zeit, die Besteigung des Steinernen Jägers abzuwägen und zumindest einen Versuch zu beschließen.
Wir müssen nicht die ganze Forststraße ausgehen. Dort, wo die Fortstraße unterhalb des Siebenbürgerkogels östlich abknickt, findet sich ein guter Steig zum Siebenbürgersattel.
Am Siebenbürgersattel (1324 m) beschließt Horst auf einer wunderbaren Holzbank in der Sonne, auf Reinhard und mich zu warten.
Vom höchsten Punkt des Sattels führt ein Steig zuerst zu einer kleinen Jagdhütte und weiter in die Westseite der Felstürme.
Dieser Winkel wurde von einem Spezialisten für Herbstlandschaften erschaffen.
In der BEV-Karte ist ein Steig eingezeichnet. (In der Kompasskarte ist sein Verlauf nicht korrekt wiedergegeben). Wir finden zwar den Steig nicht, halten uns aber an den eingezeichneten Verlauf. Wir steigen die große Schutthalde zwischen den Felsen gleich nach dieser doppelt gelochten Wand (darüber befindet sich der Gipfel) hoch. Über unser Weiterkommen wird der Berg wohl weiter oben entscheiden.
Spuren gibt es nicht, aber der Weg stimmt. Wir steigen bis auf den höchsten Punkt zwischen den beiden Gipfeln. Danach auf der östlichen Seite (rechts) nur wenige Meter unter dem Grat ca. 80 Meter weit bis unter den Gipfelaufbau. Anschließend geht es direkt hoch. Hier finden sich Spuren, und man kommt (fast) ohne Klettern, viel einfacher als man annimmt, auf den Gipfel.
Obligatorisch und unverzichtet: Gipfelfoto Wilder Jäger (1504 m).
Der niedrigere, östliche Felsturm…
…und die ebenfalls niedrigeren westlichen Felsmauern.
Von der Kräuterin bis zum Brandstein.
Der lange Rücken mit dem Hochkar
Links im Bild ist die Riegerin (1939 m) zu sehen.Davor ist der bewaldete Gehart (1567 m) mit dem Kleinen Griesstein (1857 m) und dem Großen Griesstein (2023 m) verbunden. Dieser ist wiederum mit dem Ebenstein (2123 m) verbandelt und dieser über den Schafhalssattel (1557 m) mit dem Brandstein (2003 m), an dessen Fuße wir soeben noch gestaunt haben.
Der Blick in den Norden zeigt Dürrenstein (1878 m) und den Ötscher (1893 m).
Wir steigen wieder in den vergoldeten Siebenbürgersattel ab. Geblendet vom Aufleuchten jedes einzelnen Baumes freuen wir uns über die heute entdeckten Landschaftsschätze.
Wir wollen uns den weiten Weg über die Forststraße ersparen und suchen den unmarkierten Weg vom Sattel ins Tal. Gleich vorweg – es gibt keinen Pfad. So steigen wir im steilen Gelände vorsichtig ab.
Im letzten Abstiegsfünftel finden sich dann doch Wegspuren.
Für alle, die eine Fotozugabe sehen wollen, gibt es im Anschluss die guten Fotos (alle von Horst). Ich habe die Wegfindung als äußerst unproblematisch empfunden und kann unsere Vorgehensweise empfehlen. Nicht unterschätzen sollte man die Länge der Tour und die sich summierenden Höhenmeter. Denn auch ohne Besteigung des Wilden Jägers kommt man auf über 1000 Höhenmeter. Dieser See ist aber jeden Höhenmeter und jeder Kilometer wert und sogar noch mehr.
Im Anstieg ca. 1245 Hm – und zurückgelegte Entfernung ca. 22,5 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Hochschwab (Auswahl):
- Zeller Staritzen im Herbstlicht
Zinken (1619m), Staritzen (1566m), Große Kopf (1515m), Gredlhöhe (1515m) - Frauenmauerhöhle samt Gipfelverfehlung
- Von der Schönheit des Unschwierigen: Wanderung auf den Polster (1910 m)
Polster (1910m), Niederpolster (1796m) - Die Wunderbarkeit des Hochschwabs im Westen: Hochturm (2081 m) und Lamingegg (1959 m)
Hochturm (2081m), Lamingegg (1959m) - Jahresgipfel TAC-Spitze (2019 m) in der Triple-St-Ecke des Schwaben: Steine, Stahlseile und Steinböcke
TAC-Spitze (2019m), Vordernberger Griesmauer (2015m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
http://austria-forum.org/af/Heimatlexikon/Teufelsee
Bruder Sonne, Schwester Mond (Zefirelli, 1972)
Auferbauer (1990): Hochschwab. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.
Buchenauer (1960): Hochschwab. Leykam Verlag, Graz.
Frischenschlager et al. (1999): Mürztaler Berge (Rax, Schneealpe u. Hohe Veitsch), Hochschwab, Eisenerzer Alpen. Wanderführer, Leopold Stocker Verlag, Graz.
Hödl/Hausegger (1993): Der Hochschwab Bergsteiger von einst erzählen. Verlag Styria, Graz.
Diese Foto von Horst lasse ich unkommentiert stehen. Die sprechen schon für sich selbst.
FIN