Therapeutisches Bergsteigen am Feistringstein (1836 m) oder die erfolgreiche Konfrontationstherapie

Nach Gabis Pech in der Dusche haben wir am Folgetag die Heimreise aus Schladming angetreten. Somit ist der Sonntag völlig unverplant und gibt mir die Möglichkeit, der „Sache“ mit dem Feistringstein auf den Grund zu gehen. War die Kletterstelle für mich zu schwer, oder bin ich mittlerweile zu ängstlich? Lieber wäre mir, dass ich einfach keinen guten Tag hatte und fertig. Weil ich für meine zukünftige Tourenplanung wissen will, was ich kann und was nicht, greife ich heute zum zweiten Mal auf die Herdplatte.

Sehr brauchbares, gar sonniges Wetter ist für diesen Tag angesagt. Bei der Hinfahrt werde ich von unzähligen Motorrädern überholt. Ich hingegen überhole wiederum viele der jetzt so beliebten, hutgelenkten SUVs. Viel Verkehr in der Steiermark, weil noch dazu die Formel 1 in Spielberg Halt macht. Ich dagegen mache am Seebergsattel halt, um dieses Foto von meinem Therapieziel und Therapeuten zu machen.

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Um mit dem Anstieg keine „unnötige“ Zeit zu verlieren, fahre ich auf die Bürgeralm (€ 9,– Maut)  und wandere bei einigem Wind los. Es sind viel weniger Bewegungswillige unterwegs, als ich angenommen habe.

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Ich nehme den kürzesten Anstieg die Lifttrasse entlang. Die einen werden hinaufgehoben, und ich werde durch die (heutige) Stärke in meinen Beinen –  hinaufgeschoben.

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Am Schönleitenhaus (offen) vorbei, besuche ich gleich einmal…

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…die Windgrube (1809 m).

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Anschließend wandere ich immer an den Abbrüchen zum Endriegel entlang.

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Dass Landschaften Seele haben, zeigt sich mir immer wieder. Mein Zeitgefühl verliert sich in der weiten grünen Landschaft, bis sich, wie eine graue Wand, der Feistringstein vor mir auftut. Sein Anblick erinnert mich wieder an mein Therapievorhaben.

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Der Blick zurück zeigt mein Herkommen, und jeden dieser aufragenden Schuppen besteige ich,…

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…bis ich das letzte dieser aufgragenden Felsgebilde…

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…nicht mehr überschreiten kann, sondern vom höchsten Punkt durch Latschen auf den markierten Weg absteigen muss.

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Wieder auf der vortrefflichen Blumenwiese, blicke ich zum Höchstein. Bis hierher, mit der Besteigung des Höchststeins (1741 m), ist es eine Wanderung, die ich jedem Landschaftsgourmet ans Herz legen möchte (ca. 4 km und 300 Höhenmeter).

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Ich muss aber weiter, ich habe noch ein Treffen mit dieser Einschartung links der Bildmitte.

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Über den Zlackensattel steige ich in Richtung Feistringstein hoch.

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Ich weiß nicht recht, was ich von mir halten soll. Vorige Woche, als Reinhard und ich die Besteigung abgebrochen haben, war ich in diesem Moment von der Richtigkeit des Abbruches vollkommen überzeugt. Und weil ich weiß, dass viele Gipfel außerhalb meiner Reichweite sind, ist es ganz einfach. Jetzt zählt dieser Gipfel auch dazu, dachte ich mir noch vor einer Woche. Mir verbleiben auch ohne Kletterkünste noch so viele Berge zur Besteigung, dass meine Lebenszeit dafür gar nicht ausreicht.

Aber da ist noch etwas: Der Gedanke an den nicht bestiegenen Feistringstein steckt wie ein mit Widerhaken versehener Pfeil in meinem Kopf. Immer wieder komme ich in Gedanken an diese Stelle zurück. Ich kann Klettersteige mit Schwierigkeiten bis D problemlos klettern. Das soll eine C-Stelle sein. Um diesem Grübeln ein Ende zu setzen bin ich hier.

Im therapeutischen Bereich soll die Konfrontation eine Überprüfung der Befürchtungen des Patienten ermöglichen. Bei der massierten Konfrontation konfrontiert sich der Patient nach der Vorbereitungsphase sofort mit seiner größten Angst, um schnellstmöglichen Erfolg zu erzielen. Und das mache ich jetzt im Pfusch – das habe ich  zumindest vor.

Etwas mulmig ist mir schon. Meine Ausrüstung variiert zum vorwöchigen Besuch nur um einen Helm und zusätzliche Handschuhe. Die Klettersteigausrüstung habe ich bewusst weggelassen. Ich will es wissen.

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Die Aufgabenstellung hat sich zur Vorwoche nicht verändert. Den kalten, feuchten Riss in der Bildmitte möchte ich hochklettern. Gleich zur letzten Woche, empfinde ich gehörigen Respekt. Dieser Respekt weicht mir die Knie auf und lässt mich auch schneller atmen. Wieder stelle ich mir schlimme Situationen vor: Sicherungen reißen aus, ich gleite ab und kann mich nicht mehr festhalten, ich kann nicht mehr vor und nicht mehr zurück – auf den Punkt gebracht: Angst essen Seele auf!

Ich setze mich, trinke ausgiebig und verspeise einen Müsliriegel. Essen hilft fast in jeder Lebenssituation. Ich setze meinen Helm auf, ziehe meine Heimwerkerhandschuhe an, befestige meinen Fotoapparat am Gürtel und lasse meine Stöcke und den Rucksack zurück.

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Ich kann zusehen, wie es gehen könnte, und vor allem sehen dass es geht. Dort wo sich der untere Kletterer befindet, ist die heikle Stelle. An der habe ich mich vorige Woche verkutzt.

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Vor meinem Abstieg komme ich an diesem Schild vorbei, und mit einem Nicken bestätige ich still, was darauf zu lesen ist. Danach folgt mein…

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… Abstieg in die Scharte, wie schon eine Woche zuvor.

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Heute kommt es mir viel leichter vor, vielleicht weil der Überraschungsmoment fehlt. Ohne Anzuhalten oder ins Grübeln zu kommen, gehe ich gleich auf den Einstieg zu. Ich habe mich entschlossen, und mit der Kraft dieses Willensaktes ziehe ich mich hoch.

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Bei der Schlüsselstelle angekommen, reiße ich mich am Stahlseil in die Höhe und finde auf Reibung mit den Fußspitzen guten Halt und – bin drüber. Das war’s.

Sofort verliert der Anstieg seine Schärfe und wird für einige Schritte sogar zum Gehgelände.

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Tenzing Norgay hat einmal geschrieben: „Der Tiger der Fantasie ist grimmiger als der Tiger des Dschungels“. An dieses Zitat muss ich jetzt, nach dem sich alles so einfach gelöst hat, denken.

In der Steigmitte kommen mir die Beiden vom Gipfel entgegen. Zwei junge Tschechen. Wir wechseln ein paar Worte und verabschieden uns mit einem lächelnden „be carefully“.

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Jetzt macht der Anstieg in diesem mephistophelischen Felscrescendo neugierige Freude. Ich klettere an den zerbröselnden gotischen Strebepfeilern eines ehemaligen Kirchenschiffs vorbei und gelange zur letzten Senkrechten.

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Aber die Senkrechte ist gar nicht senkrecht, denn dieser ruinenhafte Risskamin lehnt sich sogar leicht zurück.

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Eine kurze Steilstufe noch und ich bin oben. Das Gipfelplateau des Feistringsteins.

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Kleines Kreuz am Hauptgipfel, und über einen…

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…schmalen Grat…

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…gehe ich zum Gipfelkreuz mit dem Gipfelbuch. Obligatorisch und gehörig erleichtert und ein wenig stolz, und unverzichtbar: Gipfelfoto Feistringstein (1836 m).

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Es pfeift auf diesem sehr kleinen Gipfelflecken überall in die Tiefe hinab. Hier der Übergang zum Kleinen Feistringstein und dahinter der Seewiesensattel.

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Blick zum eben überschrittenen Kamm zur Bürgeralm.

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Der kurze, schmale Grat zum Gipfelkreuz wird auch nicht jedermanns Sache sein, denke ich mir. In solchen Abschnitten hat sich auch bei mir etwas verändert. In Abänderung eines Genazino-Zitates muss ich anmerken: „Wer altert, wird unbemerkt aus der Kurve getragen, bei mir hat es den Gleichgewichtssinn getroffen“.

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Tiefblick in die Dullwitz…

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…bis zum Hochschwab hinauf.

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Ich trage mich ins Gipfelbuch ein, mache meine Fotos und trete den Rückzug an. Hier hinab führt die Seilsicherung in die erste Steilstufe.

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Am Rückweg lasse ich den Fotoapparat stecken und konzentriere mich ganz auf den Abstieg. Selbst die Schlüsselstelle bereitet keine Probleme.

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Als Bergsteiger muss ich manchmal ästhetische Kompromisse eingehen. So werde ich zwar nicht zur Shopping Queen, aber auf den Feistringstein bin ich gekommen. Das ist mir auch bedeutend lieber. So sieht ein freudiger Monsieur Peter nach gelungener Selbstwertstabilisierung aus.

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Der Rückweg geht mir leicht vom Fuß. Sehr beschwingt stiefle ich zurück in den Zlackensattel.

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Ich treffe auf eine Blumengalaxie und ich denke mir, wenn Blumen wirklich die Träume des Winters sind, hat der jetzt einen echten Wohlfühltraum.

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Jetzt leiste ich mir einen kurzen Schwenker in Richtung Höchststein zu dieser fantastograndiosschönen Edelweißwiese.

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Well done.

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Der Oisching (1699 m) lacht mich an. Darum kommt er jetzt in meine Gipfelvorratsdose. Vielleicht im Winter einmal?

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Wildkamm (1874 m) und Veitsch (1981 m) waren einmal in meiner Gipfelvorratsdose und sind es jetzt nicht mehr.

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Meinen Rückweg gestalte ich anders als den Anstieg, denn…

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…den Lärchkogel will ich jetzt auch noch besteigen. Der ist aber wehrhaft, wie sich herausstellt.

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Er ist von einem dichten Latschengürtel umgeben. Wie von einem Dornengürtel oder Stachelhalsband ist er gut geschützt. In kurzer Zeit bin ich von den Latschen mehr zerschunden als vom Fels. Aber ich finde einen Durchschlupf, und auf kuhgebahnten Wegen finde ich zum Gipfel.

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Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Lärchkogel (1731 m).

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Natürlich auf unmarkierten Pfaden gehe ich zur Jauringer Alm weiter. Und da verpasse ich gleich einmal den richtigen markierten Weg.

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Für alle Nachgeher – sobald ihr diesen gelben Briefkasten seht, habt ihr die Abzweigung schon verfehlt.

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Der Weg führt einige Meter davor, entlang des Waldrandes, im Almgelände hoch.

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Jetzt bleibt der Hühnersteigkogel (1636 m) auch nicht links liegen, und ich schaue bei ihm auf einen Kurzbesuch vorbei. Die Schuhe lasse ich an.

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In einfachem Waldgelände steige ich zur nahen Forststraße ab und wandere gemächlich  zurück zur Bürgeralm. Begleitet nur vom Bimmeln der Kuhglocken und dem Scheppern meines Helms am Rucksack findet diese magnifique Alleinetour ihren Abschluss.

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Im Anstieg ca. 790 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 15 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Hochschwab (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Auferbauer (1990): Hochschwab. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Auferbauer (2001): Hochschwab. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.

Buchenauer (1960): Hochschwab. Leykam Verlag, Graz.

Hödl (2003): Wandererlebnis Hochschwab & Hohe Veitsch, Almen, Gipfelwege, Hütten. Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten.

Hödl/Hausegger (1993): Der Hochschwab Bergsteiger von einst erzählen. Verlag Styria, Graz.

 Konfrontationstherapie aus Wikipedia