Einen der „Schwierigen“ habe ich mir heute mit Stefan vorgenommen. Mein Wollen ist groß, das Gelingen aber ungewiss, denn der Kleine Buchstein befindet sich am Rande meines Mir-möglich-Universums. „Nicht immer ist der kleine Bruder eines berühmten Berges unbedeutend, zahm, oder besonders leicht zu besteigen. Im Gegenteil, oft kann der „Kloane“, berühmter, haariger und schwieriger sein, als sein gleichnamiger Bruder“ schreibt Schwanda in seinem Gesäuse Buch über den Kleinen Buchstein.
Bezeichnungen wie „Kühnste Gipfelgestalt“, „Gralsburg“ oder auch „Monstranz“ werden zu seiner Beschreibung bemüht. Alles trifft’s. Vom Großen Buchstein (2224 m) fotografiert, spitzt sich der Kleine Buchstein (Bildmitte) scheinbar unersteiglich in den blauen Himmel. Daneben die Tieflimauer (1820 m), dann der Tamischbachturm (2035 m), und die Almmauer (1764 m) ist auch noch zu sehen.
Historisches in Kurzform: erste belegte Besteigung am 29.8.1877 (Heß/Gerstenberg/Rodlauer) den nordwestlichen Gipfelblock. Der mittlere und höchste Gipfelblock wurde am 14.4.1884 von (Frischauf/Zsigmondy/Friedmann) erstiegen. Die Einheimischen hielten aber am Mythos der Unbesteiglichkeit fest. Erst als 1885 Pallavicini einen Jäger als Zeugen mitnahm, wurde von den Einheimischen geglaubt, daß auch dieser Berg von nimmermüden Bergsteigern bezwungen sei (Heitzmann).
Ein besonders heißer Tag kündigt sich an. Um 9 Uhr wird das Thermometer in Waidhofen/Ybbs bereits 30 ° anzeigen. Wir haben den weiten Zustieg vom Eisenzieher (ehem. Gasthaus) gewählt. „Mach uns den Sonnenschirm“ sage ich zum Kleinen Buchstein, denn möglichst lange wollen wir im Schatten wandern.
„Mach mir den Hengst“ gehört in ein ganz anderes Genre. Gleich zu Beginn unserer Tour kommen wir an Zorros Hauptquartier vorbei. Seine Pferde grasen vor dem Haus.
Viele Bremsen und Fliegen traktieren uns im Talgrund, was vermutlich auch die Augenschutzbinden bei den Pferden erklärt. Eine alte Mühle bemüht sich um malerischen Verfall.
Im Graben ist es noch dämmrig, als Gestirne leuchten die hellgrauen Wände des Buchsteins über uns.
Wie unermüdliche Bergarbeiter tragen die wasserstarken Naturgewalten die Kalkwände rundum ab und transportieren sie ins Tal. So sieht das Bachbett des Grießbachs (!) in einer Naturgewalten-Arbeitspause aus.
Zuerst auf der Forststraße, später querend auf einem Ziehweg, und…
…danach auf einem Pfad geht es ständig bergauf.
Der Weg ist dicht markiert und gefällt uns gut.
In sehr direkter Bahn, ganz ohne…
…Spompanadeln, viermal die Forststraße querend, zieht der Steig hoch. Wald und hoher Staudenbewuchs erlauben selten Ausblicke, dazu braucht es eine Forststraßenquerung. Hier ist die St. Gallener Spitze (2144 m) zu sehen.
In diesem Windwurf…
…findet sich eine so noch nie gesehene Wegmarkierung.
Der Anstieg wird immer steiler. Bäume und Sträucher weichen Latschen und endlich auch Felsen.
Nach den Gjaidsteinen (2794 m) bin ich mittlerweile schon so auf Felsentzug, dass ich im Aufstieg bereits beginne, Gesteinsarten aufzusagen: Dolomit, Granit, Kalkstein, Gneis, Glimmer usw. usw.
Wenn es nach meiner Müdigkeit geht, sollten wir schon am Gipfel sein. Offenbar habe ich etwas zu wenig Kondition eingepackt. Bevor es jetzt in die pralle Sonne geht, machen wir eine kurze Schatten-Rast.
Gleich in unserer Nähe sind diese Bescheidenen zu sehen: Kleiner Looskogel (1442 m), Großer Looskogel (1450 m) und dahinter der Zinödlberg (1294 m).
Dahinter wird es schon ernster: Großes Maiereck (1764 m), und links davon beginnen die Haller Mauern.
Nach dieser für mich wohlnotwendigen Pause steigen wir erwartungsvoll weiter und…
…haben bald diesen Blick auf unseren Gipfel. Das ist ja noch immer weit, denk‘ ich mir, und heiß ist es jetzt auch. In der glühenden Sonne fühlen wir uns schon bald wie weiße Tiefkühl-Pommes im Backrohr.
Aber Neugierde, Vorfreude und Vornervosität rühren mein Gemüt gehörig auf. Rasch bringen wir die letzten Zustiegsmeter hinter uns.
Endlich stehen wir am Sparerriegel auf 1790 m. Der Blick auf die andere Seite ist fantastisch. Ohne Gipfel, immer am Weg bleibend weiterzuwandern, bis zum Erbsattel oder zur Ennstaler Hütte, das würde mir jetzt auch Freude bereiten. Vielleicht ein andermal. Tieflimauer (1820 m), Tamischbachturm (2035 m) und die Almmauer (1764 m).
Hinter uns die aufragende Nordschulter des Kleinen Buchsteins (1990 m). Den Admonter Reichenstein (2251 m) in Erinnerung, fällt mir eine Formulierung aus einer Kolumne von H. Leswitz ein: „Glücklicher Fels aus Freilandhaltung, überzogen von fleischfressendem Schwimmschotter“.
Wir queren am Wandfuß bis zum Einstieg. Bereits hier gruselt es mich Felsentwöhnten ein wenig. Aber ich habe vorgesorgt; bei meinem Auto heißen die elektronischen Sicherheitssysteme: ABS, ASR, EDS, MSR, crashaktive Kopfstützen, Knieairbag usw. Hier und heute heißt mein biologisches Sicherheitssystem: Stefan! Ganz ohne Elektronik, voll biologisch wird mich mein an Lebensjahren ärmerer Bergkollege ans Seil nehmen,…
…und das scheint mir beim Anblick der Einstiegsstelle nur würdig und recht. Wie soll ich da, mit kaum nachweisbarer Kraft in meinen Armen, hinaufkommen? Wir packen Seil und Gurte aus, und schnell sind wir startbereit. Stefan steigt ein.
Woran erinnert mich Stefans strenger Blick und ausgestreckter Zeigefinger? Wo habe ich das schon einmal gesehen?
Jetzt fällt’s mir wieder ein, er braucht mich, er will, dass ich ihm folge…
Ich hänge im Seil und werde zu seinem Appendix. Die ersten Klettermeter sind gleich einmal hurtig und flößen mir Angst ein. Schaff‘ ich das?
Stefan findet einen Bohrhaken (ca. 25 m Seil ) und sichert mich. Ich steige nach und bin von mir selbst überrascht. Gut komme ich hoch und – es bereitet mir Vergnügen. Ungesichert würde mich die Angst an der Gurgel haben und wie wir alle wissen: Angst essen Seele auf. So aber steige ich hoch und habe nach wenigen Minuten schon das Forderndste geschafft.
Die Kletterei ist ein Zweier (II) und bereitet mir keine Schwierigkeiten, sie ist nur ein wenig moralisch. Gleich nach dem Einstieg folgt eine gehbare, schottrige Querung, bevor es wieder hoch geht. Einige Haken sind vorhanden, und die wenigen, entscheidenden Stellen lassen sich mit einem 25 m Seil sichern.
Schön ist es, einem guten Kletterer beim Steigen zuzusehen, es sieht so einfach aus. Mit großer Ruhe und ganz ohne Anstrengung gleitet Stefan hoch.
Neben einem letzten langen Riss finden sich immer gute Tritte,…
…und danach trennt uns nur noch eine verflixte Felsstufe…
…vom Gipfel.
Viel Platz…
…findet sich nicht am Gipfel, und so geschieht, wovor unsere Eltern uns immer gewarnt haben:…
…wir geraten auf die schiefe Bahn. Dessen ungeachtet machen wir trotzdem das obligatorische und unverzichtbare Gipfelfoto: Kleiner Buchstein (1990 m).
Der Ausblick lässt mich vollkommen vergessen, müde zu sein
Stefan denkt sich wohl: „auf der schiefen Bahn war ich noch nicht“ und reizt die Möglichkeiten der berüchtigten Gipfelplatte für mich fast unzusehbar aus.
Stefan fällt ein Missgeschick unseres Freundes Reinhard auf dieser Gipfelplatte ein. Reinhard rutschte hier einmal die Senftube aus der Hand und rollte bis an die Abgrundkante. In diesem legendären Augenblick endeckte er auf der geneigten Steinplatte seine Abneigung gegen Senf. Senf wird einfach überschätzt. Wer braucht schon Senf?
Unsere Köpfe überragt nur noch der selten erkletterte Mittelfelsen. Den lassen auch wir bleiben.
Unsere Gipfeloxidation ist von langer Dauer.
Wenn man sich sehr geschickt seiner Augen bedient, kann man vieles sehen. Wie zum Beispiel zum Greifen nahe: die Tieflimauer (1820 m), der Tamischbachturm (2035 m) und dahinter die Almmauer (1764 m). Alle habe ich schon bestiegen, allerdings findet sich zur Zeit nur die Almmauer Besteigung im Blog.
Leichter Wind und fernes Grollen zwingt uns völlig gegenwartsgesättigt zum Aufbruch. Jetzt fällt mir ein, dass ich das Ganze als Erster abklettern muss.
Ich habe nicht so lange Beine wie Stefan,…
…meine kurzen gehorchen mir allerdings gut. Wohlbehütet am Seil finde ich mich großartig zurecht.
Ich folge Stefans Anweisungen, und sonst sprechen wir wenig, es sind die Gipfel und Wolken, die miteinander flüstern.
Und schon bald klettern wir die letzte Seillänge zum Wandfuß.
Bien joué!
Sanftes Donnergrollen trägt uns der Wind im Rücken zu. In angemessener Eile ziehen wir uns zurück.
Wie nahezu bei jedem Abstieg finde ich es unglaublich,…
…dass ich den steilen, fast endlosen Weg im Aufstieg gegangen bin.
Kurz vorm Auto erreichen uns nur wenige zarte Regentropfen, während im restlichen Ennstal starke Gewitter niedergehen. Es ist einfach ein guter Tag für uns Götterlieblinge, und frei nach Goethe fühle ich aufs Lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert. Ich war am Kleinen Buchstein!
Im Anstieg ca. 1285 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 10,4 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ennstaler Alpen (Auswahl):
- Gowilalm und Kleiner Pyhrgas (2023 m)
Kleiner Pyhrgas (2023m) - Almmauer
Almmauer (1764m) - Spielkogel
Spielkogel (1731m) - Großer Buchstein
Großer Buchstein (2224m) - Heißhütte und Heißzinödl
Hochzinödl (2191m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
End (1988): Gesäuseberge. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.
Heitzmann, Kren (2002): Gesäuse Nationalpark & Ennstaler Alpen. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz.
Heitzmann (1989): Gesäuse. Landesverlag, Linz
Heß/Pichl (1966): Gesäuseführer. Verlag Adolf Holzhausens Nfg., Wien.
Kren (2011): Tourenbuch Gesäuse Wege, Hütten, Gipfel. Schall Verlag, Alland.
Schwanda (1990): Das Gesäuse: Von der Alpenstange bis zum VII. Grad. Bergverlag Rother, München.