Die Altvordere der Pusterwalder Sphinx hielt sich auf dem Berg Sphingion westlich von Theben auf und gab den vorbeikommenden Reisenden ein Rätsel auf. Diejenigen, die das Rätsel der Sphinx nicht lösen konnten, wurden von ihr erwürgt und dann verschlungen. Das Rätsel lautete: „Es ist am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend dreifüßig. Von allen Geschöpfen wechselt es allein mit der Zahl seiner Füße; aber eben wenn es die meisten Füße bewegt, sind Kraft und Schnelligkeit seiner Glieder ihm am geringsten?“
Ödipus wusste ebenso die Antwort auf dieses Rätsel wie ich, etwas später, auf das gleichfalls schwierige Rätsel der steirischen Sphinx. Ödipus anwortete: „Dein Rätsel ist der Mensch. Als Kleinkind krabbelt er auf allen vieren, als Erwachsener geht er auf zwei Beinen, und im Alter braucht er einen Stock als drittes Bein.“ Bei Ödipus ging es um Leib und Leben – bei unserem Rätselspiel nur darum, wer der G’scheite ist und wer einen Vogel hat.
Die Menschen im Paltental glauben um diese Uhrzeit noch, dass der Himmel heute weiß ist – wir wissen es besser. Die Fahrt nach Pusterwald zieht sich gewaltig und erscheint uns endlos. Als wir endlich an der Goldwaschanlage im Scharnitzgraben vorbeifahren, sind wir müder, als nach dem Aufstehen.
Mit steifen Gliedern steigen wir aus dem Auto und erleben gleich danach unsere erste sagenhafte Begegnung an diesem Tag. Denn wenige Minuten nach uns parkt ein Auto aus der fernöstlichen Hauptstadt so unpraktisch ein, dass gleich einmal drei Parkplätze verstellt sind. Gabi macht mit freundlichen Worten darauf aufmerksam und begegnet der titanenhaften Ignoranz des unausgeschlafenen Fahrers und seiner beiden wortlosen Begleiterinnen. Diesen Pfeifenköpfen ist es einfach egal, und sie lassen das Auto dort stehen, wo’s gerade so ungünstig steht. Und ich darf meine zivilcouragierte Gabi einmal sprachlos erleben.
Solche Begegnungen muss man schnell abschütteln, um sich nicht die Freude an der bevorstehenden Wanderung zu verdrießen. Gabi erledigt das mit einem Tänzchen auf der bridge over troubled water:
Ungewöhnlich, lästig und tempospendend sind die vielen Gelsen in Bachnähe.
Schon bald nach der Jaurishütte zweigt der Hannes Weinsteinsteig von der Forststraße ab. Wir können uns eine weitläufige Straßenkehre sparen und noch dazu im kühlen Baumschatten wandern.
Rasch gelangen wir zur wunderbar gelegenen Wildalmhütte (1753 m) und sehen uns um.
In manchen Jahren bewohnen bis zu fünfhundert Schafe die Weiden auf der Wildalm. Das schaut nach purem Schafluxus aus – und Wanderluxus auch.
Noch machen wir keine Rast und steigen den markierten Weg weiter hoch (gleich neben der Hütte beginnend).
Auf einer Steinformation wartet dieses geflügelte Ungeheuer auf uns – die spitznäsige Pusterwalder Sphinx.
Die Sphinx von Pusterwald ist jetzt nicht als Würgerin bekannt, und ihre heutige Rätselfrage kann selbst mit geringer Landeskenntnis oder nach der Lektüre „Aus dem Leben Hödlmosers“ gelöst werden. Die Rätselfrage lautet:
„Ist nur grauer Loden mit grünem Revers und Hirschknöpfen, mit oder ohne Lampas, aber mit Steirerhut und Gamsbart, als Steireranzug zu bezeichnen?“
Meine Antwort (ich habe meinen Hödlmoser mehrmals gelesen) fällt ein wenig streberhaft, wie aus der Pistole geschossen aus: „Nein! Richtig ist vielmehr, dass alles, was ein Steirer anzieht, ein Steireranzug ist.“
Lautes Kreischen und unsagbare Flüche zerschneiden die Luft um uns. So lange, bis zartes…
…Vogelgezwitscher den Verlierer des Rätselspiels markiert.
Am Fuße der besiegten Sphinx nehme ich mit stolzgeschwellter Brust die Applaudierung und Siegerküsse von Gabi entgegen.
Nach einer kurzen Trinkpause und diesem Blick auf unseren Weiterweg durch den steinernen Nabel der Sphinx verlassen wir den Ort des Sieges
Wie Schallplattenrillen durchziehen Schafpfade den grünen Berg. Diese Rillen sind sehr tief und vor allem schmal geritzt. Offensichtlich ist eine Schafshüfte nicht ganz so ausladend, wie die unsrigen Breithüften. Mit einem Bein in der schafkackbraunen Rille und dem anderen am grünen erhöhten Rand, wird unser Wandern zu einem steten Auf und Ab, zu einem fröhlichen Dahinhinken in den irischgrünen Weiden der Wildalm.
Ganz Rechts der Bildmitte, im Gegenlicht, liegt unser nächstes Ziel.
Vorbei an diesen furchtsamen wollenen Blökmaschinen…
…erreichen wir das Gipfelkreuz.
Obligatorisch und unverzichtbar und diesmal auch romantisch: Gipfelfoto (Kleiner Gruber Hirnkogel (2012 m).
Hingesunken ins Gras sind wir nur fürs Foto. Sogleich machen wir uns auf den unmarkierten Weiterweg zum Gruber Hirnkogel. Unklar ist noch, auf welcher Zaunseite wir bleiben wollen, denn Trittspuren gibt es keine.
Abertausendunzählige gelbe Glubschaugen starren uns wildäugig an. Nur diese Seite des Berges (Zaunes) steht unter blumigem Beschuss.
Diese fleurale Überfeuerung…
…lässt die andere Seite des Zaunes, dort wo die Fressmaschinen wohnen, karg aussehen.
Rückblick aufs „soeben“ verlassene Gipfelkreuz.
Und weil wir gerade einmal da sind: Gipfelfoto Gruber Hirnkogel (2080 m).
Dieser sanfte Grat giert nach uns…
…und wir machen ihm den Gefallen. Bis zum Kleinhansl (2217 m) wollen wir wandern.
Blick hinab zur Wildalmhütte.
Gelegentlich wechseln wir die Zaunseite, und zum sadistischen Gaudium von Gabi kann ich in Erfahrung bringen, dass in seinen Drahtadern Strom fließt – genug Strom, um auch einem dicken Schaf oder molligen Mann Vorsicht zu lehren.
Bevor wie den steinernen Rücken des Jauriskampl ersteigen,…
…erblicken wir in der Edelweißwand…
…weit über unseren Köpfen den Namenspaten.
Der Jauriskampel lässt sich ebenfalls leicht erwandern. Hoch über dem Angstloch (so heißt das dort wirklich) obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Jauriskampel (2064 m).
Leichter Wind streicht über die Bergkämme, und Gabi beschließt den Wechsel zur langen Hose. Bevor sie noch ins weiche Gras sinkt, lässt sie eine ringelnde Bewegung innehalten. Und das ist gut so. Eine junge Kreuzotter flieht vor ihrem niedersinkenden Hinterteil, und vermutlich haben beide Glück gehabt.
Während Gabi die Hosen wechselt, wundere ich mich…
…über die klare floral-farbliche Trennung auf diesem Berg.
Über einen Vorgipfel führt der Weiterweg unschwierig auf den Goldbühel. In den Karten ist dieser Gipfel unbenannt, aber bei den Einheimischen und in manchen Publikationen (Auferbauer, Zeller) wird er so bezeichnet.
In unserer Gipfelmanie schon wieder obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Goldbühel (2203 m).
Wir genießen die Gipfelstille. Nicht einmal das unausgesetzte Blöken der Schafe ist hier zu hören. Gabi holt wieder buntes Magenglück aus dem Rucksack. Für jeden Gipfel eine Zutat und sogar noch viel mehr.
Gabi verbleibt hoch über dem umwanderten Tal in einer anhaltenden Verdauungspassivität, während ich…
…die Umgegend erkunde.
Auf den Hohenwart (2363 m) bin ich mit Reinhard von Hinterwinkel über die Pölsenhütte bereits einmal gewandert. Wir haben den Eiskarspitz (2350 m) ausgelassen und sind über…
…das Pölseckjoch und den Grat mit dem Pölseck auf den Großhansl gestiegen (2315 m).
Vom Großhansl ging’s anschließend weglos, durch diesen Karboden, zur Pölsenhütte zurück.
Nach dieser ausgedehnten Gipfelrast besuchen wir noch den nahen Kleinhansl (2217 m). Über einen Wiesensattel ist er schnell erreicht.
„I sogs glei – i woas ned und Gabi a ned!“
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Kleinhansl (2217 m).
Den gezackten schmalen Grat vom Kleinhansl hinüber zum Großhansl kann man auch umgehen.
Großhansl (2315) und daneben das Scharnitzfeld (2282 m). Von unserem heutigen Ausgangspunkt ließen sich diese Gipfel mit einer wunderbaren Runde ebenfalls erwandern: (Kleinhansl – Großhansl – Scharnitzfeld – Hühnerkogel -Kühlnbrein – Steineck – Sandlerkogel)
Wir beginnen mit dem Abstieg und werden überrascht, denn von hier oben können wir die Schönheit des Geländes noch nicht erahnen.
König und Königin sind wir in unserem Reich,…
…die Bienen summen nur für uns…
…und das Almrauschrot gilt Gabi ganz allein.
Kleinhansl (2217 m) im Rückblick.
Jauriskampel (2064 m)
Die Berge geben dir, was du dir nimmst,…
…und manchmal sogar noch viel mehr. Das hier ist ganz bestimmt…
…ein Fetzerl vom Paradies.
„Die Welt um uns muss romantisiert werden, so findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in der alles mit allem zusammenhängt.„ (Novalis)
Zu guter Letzt zickzackt der Pfad immer neben dem Bach, durch den schmalen Latschengürtel vor der Wildalm.
Im Anstieg ca. 1000 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 13,9 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Niedere Tauern, Wölzer Tauern (Auswahl):
- Die Trinität und der Triebenkogel, der leider kein Dreitausender ist
Triebenkogel (2055m) - Attraktionsprogamm bei freiem Eintritt: Hohe Trett (1681 m)
Schmiergereköpfel (1458m), Hohe Trett (1681m), Lärcheck (1550m) - Schitour Gstoder (2140 m)
Gstoder (2140m) - Ein Forststraßen-nomadisches-Ereignis: Wanderung zum Krugsee und auf die Krugspitze (2047 m)
Krugspitze (2047m) - Greim
Sandkogel (2214m), Greim (2471m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Die Bildbeschriftung erfolgte mit: PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version: 1.0.3 © Christian Dellwo.
Die „fernöstliche Hauptstadt“ und die Rätselfrage samt Antwort habe ich mir vom Hödlmoser ausgeborgt.
„I sogs glei – i woas ned und Gabi a ned!“ (abgewandeltes Zitat aus dem Film Muttertag“, als R. Düringer noch nicht so „moralisch“ war)
„König und Königin sind wir in unserem Reich…“ ist ein stark abgewandeltes Robert L. Stevenson Zitat.
Sphinx im Wikipediaeintrag (abgerufen am 27.8.2017)