Wildalpe (1523 m)

Ganz nach Johann G. Fichte unternehmen Reinhard und ich wieder etwas zu unserer Befreiung von der Erbsünde der Trägheit. Und wie wir uns befreien: Einen ganzen und drei halbe Gipfel besteigen wir. Dabei lassen wir unsere Schuhsohlen 18,5 Kilometer vom Berg schmecken und 975 Höhenmeter erklimmen. 

Reinhard spürt Wetter und hat ein feines Händchen fürs Himmelsgeschehen. Spürt er es nicht, findet er im Internet seine Antworten. Viele unserer Bergziele wurden erst von der Wetterlage in unser Besteigungsradar gezogen. Diesmal meinen die Wetterorakel, dass im Westen bereits mit Regen zu rechnen ist, aber im Osten noch sonnige Abschnitte zu finden sein müssten. Darum hat Reinhard, metergenau wie sich noch herausstellen wird, die Wildalpe als Bergziel ausgesucht.

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Wir starten vom Lahnsattel. Am Parkplatz wird des großen Lawinenunglücks von 1878 gedacht. Bemerkenswert finde ich das Schriftband mit der Aufschrift: „Die grosse Lahn vom 17.1.1878 hat euch verschüttet und dem kargen Leben entrissen“. Damals wurde man dem kargen Leben entrissen, und ich denke darüber nach, welchem Leben man heute entrissen wird.

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Trotz Sonnenschein ist es kühl, und Bewegung ist die einzige Antwort, die uns einfällt. Kurz nach unserem Abmarsch schlagen wir uns auch schon ins Gebüsch. Wir wollen den Kriegskogel erobern. Wir wollen ihn erstürmen und besiegen. Diese Wortwahl ist grauslich und obszön. Die Kriegsrhetorik in der Bergsteigerei kann ich überhaupt nicht leiden. Ebenso abstoßend finde ich Friedensdemos, die in Gewalt und Zerstörung münden weil immer welche dabei sind die ihren Gandhi im Lotto gewonnen haben.

Bernd Orfer allerdings meint im Standard, dass der Sage nach der Kriegskogel einer nichtstattgefundenen Schlacht seinen Namen verdankt und der Berg eigentlich Kriegsverhinderungskogel heißen müsste. (Bernd Orfer, DER STANDARD, Album, 2.2.2013)

Darum Gipfelfoto Kriegskogel (1150 m) ohne „Sieger“.

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Wir gehen in Richtung markierter Forststraße weiter. Gegenüber ist schon der östliche Rücken der Wildalpe…

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…und die Einsattelung mit dem Sulzriegel zu sehen.

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Bis zur Sulzriegelalm zieht die Forststraße und auch eine Markierung. Uns begegnen eine rotköpfige Mountainbikerin bereits abfahrend und zwei Wanderer. Die beiden Wanderer verweilen auf der Alm. Das werden für diesen Tag unsere einzigen menschlichen Begegnungen bleiben.

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Die Wetterscheide ist wie mit dem Lineal gezogen westlich der Wildalpe. Das Schlechtwetter tanzt sich dort selbst schwindelig, und wir bekommen nur ein wenig von den Fallwinden in seinem Nahbereich zu spüren.

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Reinhard erzählt von seiner Osterreise in den Harz und den Besuch der Sankt-Buchardi-Kirche in Halberstadt. Auf der Orgel dieser Kirche wird „gerade“ das langsamste und „längstandauerndste“ Musikstück von Überhaupt gespielt. Das Stück wurde von John Cage 1987 komponiert und mit der Anweisung versehen, es so langsam wie möglich zu spielen. Die Dauer der Aufführung sprengt mit 639 Jahren jeden menschlichen Hörhorizont. Faszinierend. Mehr dazu findet man bei Wikipedia oder auf der Homepage dieses Projektes.

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Unsere Tour ist viel kürzer. Wir werden Beginn und Ende unserer Wanderung jeweils selbst erleben und nicht erst unsere Kinder und Kindeskinder. Warum kann ein Kunstprojekt so vieljährig gedacht werden und unser wirtschaftsökologisches Handeln nicht?

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Am Gipfel des Suzlriegel (1189 m) klopfe ich Reinhard für seine wetterexakte Tourenwahl anerkennend auf die Schulter (das mag er besonders). Aber auch Tadel braucht es: Die Rundumsicht ist mangelhaft, da bin ich Besseres gewohnt. Den Mitterberg (1496 m) können wir gerade noch erkennen.

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Vor uns die Niederalm (Sulzriegelalm oder auch Ochsenalm) und die grüne Schneise unseres Weiterweges. Wobei eigentlich meine Bequemlichkeit solch steile Anstiege nicht schätzt.

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Von der Alm Blick zu: Terzer Göller (1729 m), Göller (1766 m) und Kleiner Göller (1673 m). Alle diese steilen Rinnen und Lawinenbrutkästen (Lahngraben, Südkar, Karlgrube oder Eisgrube) werden bei entsprechender Schneelage mit Schiern befahren.

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Ich habe ihn nicht persönlich kennen gelernt, aber diese Holzbüste zeigt den sanft ironisch dreinblickenden, langjährigen Hiata von der Sulzriegel Alm. Ich kann ihn mir gut vorstellen, wie er mit „Heedoo – Heedoo“ sein Vieh lockt.

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Es ist keine Wegspur zu sehen, aber gewiss ist, dass wir den steilen Wiesenhang hochsteigen müssen. Bei einer kurzen Verschnaufpause, Blick zurück auf Niederalm und Sulzriegel (1189 m).

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Am Grat vor dem Bärenkögerl blutet der Berg aus einem tiefen Forststraßencut.

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Der Himmel ist uns umsonst gegeben. Vielleicht doch nicht ganz – bis zu diesem Foto braucht es ca. 400 Höhenmeter.

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Auf einem völlig verwachsenen Kalkrücken befindet sich das Bärenkögerl (1356 m).

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Endlich aus der Umklammerung des verdschungelten Bärenkögerls befreit, geht’s über die aussichtsreiche Almfläche weiter.

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Markierungen fallen vor allem durch ihre Abwesenheit auf. Vernünftigerweise kann es aber sowieso nur in eine Richtung gehen.

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Am steindurchsetzten Plateau führen Wegspuren an dieser Jagdhütte vorbei, bis sich die Weideflächen…

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…der Hochalm auffalten. Der Winter ist erst vor wenigen Tagen abgereist. Nur nasses Grünbraun hat er zurück gelassen.

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Wieder spielt Zeit eine Rolle. In einer zeitlupenhaften Mahlzeit frisst die Natur die alte Hochalm.

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Jetzt befinden wir uns schon ganz nahe bei den Rundfunksendern und dem Gipfel.   Ganz nah ist die Wolkendecke, und wir können zusehen, wie sie sich von den Sendemasten den Bauch kratzen lässt. Wolkenkratzer auf der Wildalpe.

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Mit gekürzter Aussicht, obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelkreuzfoto Wildalpe (1523 m).

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Um aus dem Wind zu kommen, überschreiten wir den höchsten Punkt (der ist nicht beim Kreuz) und suchen uns ein windschattiges Plätzchen. Wie schon die ganze Zeit sichtbar, besteht der Gipfelaufbau der Wildalpe aus Dachsteinkalk.

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Unser Gipfelsitzen ist nach wissenschaftlichen Grundsätzen bis zur höchsten Kunstfertigkeit ausgebildetes, choreografiertes Faulenzen.

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Wir bleiben den ganzen Tag auf der Sonnenseite des Lebens. Die Wolken bellen nur,  aber beißen nicht.

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Blick zu Proles (1579). Die Tonion (1699 m) ist nur noch schattenhaft zu erkennen.

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Unser nächstes Ziel ist diese Jagdhütte am grünenden Bergrücken auf 1412 Meter Seehöhe. Obwohl südlicher gelegen, ist die Vegetation ca. 2 Wochen hinter der Waidhofens zurück.

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An der Jagdhütte vorbei ein Blick zurück.

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Die Schneerosen feiern ihre Regenbogenparade (Christopher Street Day) lebenszeitbedingt, früher im Jahr.

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Wir lassen uns den westlichen Rücken mit dem eigenwilligen Namen „Tettenhengst“ hinabfallen und schwenken noch vor dem Freinsattel (1106 m) nördlich ab. Weiter geht es zu dieser Alm.

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Wieder ein Blick zurück – wir sind die Forststraße ausgegangen, aber da wäre ein direkter Abstieg über diese Rinne auch leicht möglich gewesen.

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Jetzt ist er unausweichlich, der lange Forststraßenweg zurück. Die vielen Gegensteigungen (ca. 250 Hm) am Rückweg sind ganz schön lästig.

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Wir schlendern an feuchtgelben Waldbuchten vorbei…

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…und können uns um der Abwechslung willen den Aufstieg auf den Brommenkogel  nicht verkneifen.

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Baumgerades Gipfelfoto, obligatorisch und unverzichtbar: Brommenkogel geschätzte 998 Meter hoch.

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Nach einem Abstieg im steilen Waldgelände landen wir am 406er Weitwanderweg (Mariazellerweg). Weil unsere Triebe und unsere Gier nur für lässliche Sünden reichen, wenden wir uns nicht nach Mariazell, sondern zurück zum Lahnsattel.

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Potemkinscher Heustadel.

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Ein wohlfeiler Gipfel ist die Wildalpe. Das Gelände ist immer freundlich, und bei besserem Wetter ist tolle Aussicht garantiert. Im Sommer wird auf der Sulzriegelalm auch ausgeschenkt, und somit gibt es noch einen Anstoß, diese Wanderung zu unternehmen. Den von uns gewählten Abstieg kann ich wegen seiner Länge und Gegensteigungen weniger empfehlen.

Im Anstieg ca. 975 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 18,5 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Mariazeller Berge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Tippelt/Baumgartner (1985): Mariazeller Bergland, Ein Wander und Landschaftsführer. Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten.