Zu zweien allein in den Nockbergen: Gregerlnock (2296 m)

Wenn wir uns auf der Nockalmstraße umblicken, entdecken wir so manche, von uns noch nicht bestiegene Nocken. Diesmal hat es uns der langgezogene Rücken in der Bildmitte besonders angetan. Erstens, weil er hoch genug ist, um von fast überall auf der Nockalmstraße wahrgenommen zu werden und zweitens, weil keine Markierung auf den Gipfel führt. Das ist ein Einsamkeitsversprechen. Das ist ein Berg, wie für uns gemacht.

Im Zoom entfaltet sich erst seine ganze Schönheit.

Es ist der Gregerlnock oder auch Grögerlnock (2296 m) genannt. Liselotte Buchenauer schreibt in ihrem mit Gallin verfassten Kärtner Wanderbuch: „Ausgesprochene Persönlichkeiten in Nähe der Nockstraße sind auch der Gregerlnock und das Simmerleck, durch die Pregatscharte voneinander getrennt. Sie liegen einander wie lauernd gegenüber, und man könnte Märchen über sie erfinden. Waren es Bauernburschen, Gregerl und Simmerl, die feindlichen Brüder, die hier auf ewig zu Stein verwunschen sind? Der Gregerl ist ein besonders Scharfer: nach Osten bricht er geradezu mit einem Grat ab, eine Besonderheit in den Nockbergen. (…)“

Und so sieht diese Ostseite aus. Ganz zum Unterschied zu den Fotos von der Nockalmstraße zeigt sie eine gehörig felsige Steilheit, zwar mit einer grünen Kante, aber trotzdem irgendwie überraschend unnahbar.

Von der Kehre Reidn 49 biegen wir von der Nockalmstraße auf einen Güterweg ab.

Nach zirka 400 m parken wir. Der Parkplatz mag auch schon einmal größer gewesen sein,…

…jetzt benötigt ein großer Anhänger mit campierenden Bienen viel Platz.

Eine Markierung zieht hinauf zur Pregatscharte, aber nur so gut, wie der Specht es will.

Die Forststraße führt durch einen alten Zirbenwald mit dunklen Bäumen und ihren bläulichen unverkennbaren Zapfen. Im nahen Rosental, das wir heute noch durchwandern werden, steht der prachtvollste Zirbenbestand des Landes, und es gibt Ameisen – sehr sehr viele Ameisen. „This ist absolutly Ameising“, wie der engländernde Mostviertler so sagt.

Ameisen sind die Aufräumtrupps der Wälder, und die Vielzahl der der braunen halbkugeligen Ameisenstätten auf die wir treffen, erklären den sichtlich „gepflegten“ Waldboden. Das Gschaftlhuberische bei den Ameisen, dieses wurlnde Leben beobachten wir gerne so lange, bis es in uns selbst wurlt. Dabei sind wir jedoch vorsichtig, um ja nicht unwillentlich zu Zertrümmerern ihrer geordneten Welt zu werden.

Auf andere, weniger schöne Art gepflegt ist der fadgrüne Rasen vor der Schmölzer Boden Hütte. Wenn es so gewünscht ist, dann soll es so sein. Es ist nur ein kleiner Flecken im Weit der Nockberge.

Mich beschäftigt gerade etwas ganz anderes. Er sitzt noch nicht so richtig, mein neuer Rucksack.

Nur ein paar Feineinstellungen braucht er, um sich auf meinem Rücken wohl zu fühlen.

„Gegenstände gewöhnen sich bemerkenswert rasch an ihren Zufallseigner und werden zu schlichten und treuen Bestandteilen seines Lebens. (Nabokov in König, Dame, Bube)“

Keine Sorge, es gibt keinen Produkthinweis mit Kaufverlinkung. Bis ich zu einer Meinung zum Rucksack komme, bin ich schon längst mit ihm befreundet und seine Macken, Schwächen und kleinen Fehler sind mir lieb geworden.

Bei meiner letzten Tourenbeschreibung auf den Hochstubofen (2385 m) habe ich ja den wehmütigen Abschied von meinem gelbgrauen Deuter-Rucksack erwähnt, und jetzt erzähle ich von seiner Besonderheit für mich.

14 Jahre hat mich der Rucksack begleitet, und weil ich zu den Personen gehöre, die annehmen, dass auch unbelebte Dinge eine Seele haben, fällt mir der Abschied sehr schwer. Dabei ist er mir auf sehr tragische Weise im Jahr 2005 zugefallen. Der Deuter war ein Erbstück, das noch wenige Wochen zuvor meinem Freund Heinrich Schnittler gehörte. Seine Eltern haben ihn mir nach seinem Herzinfarkt-Tod am 29.5.2005 als Erinnerungsstück überlassen. Auf meiner letzten Tour mit ihm, auf den Tamischbachturm, zwei Wochen vor seinem Tod, war dieser Rucksack zum ersten Mal dabei.

Heinrich mit dem neuen Rucksack im Aufstieg.

Der Rucksack war nigelnagelneu, und in seinem Neuerwerbungsstolz gab Heinrich am Gipfel eine Produktpräsentation, einer Tupperparty sehr ähnlich. Jeder Reißverschluss wurde geöffnet, an jedem Riemen wurde gezogen, jede Schnalle wurde geöffnet und geschlossen und salbungsvoll wurden die Vorzüge allesamt besungen und gepriesen.

Heinrich entfaltet sich und seine Wanderkarte.

Im Anschluss daran referierte Hein, mit seiner nur ihm gegebenen typischen weitausholenden Gestik, über mögliche Abstiegsvarianten und die Gipfel in der Nähe. Aus der Karte heraus entwarf er mit seiner knorrigen Theaterstimme Ideen für neue Touren und so manche Tourwiederholung. Alle, die jemals mit ihm am Berg waren, werden sich bei diesem Foto gut an diese dozierende, luftzersäbelnde rechte „Schwerthand“ erinnern können.

Heinrich referiert.

Am 13.8.2005 standen wir am Gipfel des Tamischbachturms (2035 m) – acht Tage nach seinem 55. Geburtstag und 16 Tage vor seinem unerwarteten Tod am 29.8.2005. Er fühlte sich die Wochen davor nicht sonderlich gut, und das war seine erste Wanderung nach einer zweiwöchigen Pause. Er freute sich, weil’s so gut ging, es sind ja nicht wenige Höhenmeter auf den tamischen Berg. „Spörer“ war zum diesem Zeitpunkt 55 Jahre alt – so alt wie ich jetzt gerade auch bin.

Tamischbachturm am 13.8.2005

Ein Leben verläuft nicht auf Schienen, es macht dramatische Sprünge. Daran sollten wir beim Ausmalen unserer Zukunftspläne denken. Und es bleibt niemals wie es jetzt gerade ist. Für mich dreht sich das Rad des Lebens noch ein wenig weiter. Ein paar gute Momente kann ich hoffentlich noch in mein Lebensbuch eintragen.

„Wie gesagt, das Leben muss noch vor dem Tod erledigt werden.“ (Erich Kästner)

Jetzt ist es schwer, zur eigentlichen Tourenbeschreibung zurück zu finden. Ich versuche es: Lückenhafter Baumbestand schenkt uns erste Ausblicke…

…auch zu unserem Berg, der taucht auf und kommt langsam zum Vorschein.

Mit einem Mal wird die Steigung sanfter, die Landschaft öffnet sich…

…und wir gelangen zur Grubenbauerhütte (1840 m), unterhalb der Pregatscharte. Vor uns weitet sich ein wunderschönes Hochtal, ein alpiner Garten, der von einem besonderen Geist beseelt zu sein scheint.

Die Almwiesen sind noch ungemäht und zeigen eine ungezügelte Vielfalt.

Duftend schön ist es hier, und es gibt viel zu sehen,…

…sogar so viel, dass die blumenreichen Wiesen um die Pregatscharte ausgewiesene Beobachtungsflächen des Bioversitätsmonitorings sind. Darum wird hier auch erst in den letzten Tagen im Juli gemäht.

Und etwas von diesem besonderen Geist lässt sich auch in Flaschen abfüllen, und weil der Gruberbauer zufällig gerade bei seiner Almhütte werkelt, fragen wir ihn um so ein besonderes Fläschchen vom Zirbengeist – das er uns gegen ein paar Euronen gerne überlässt.

Und dann erzählt er, warum er seinen Brunnen abbauen und ins Tal verfrachten will. Der Brunnen wird zur Bühnendekoration degradiert.

Wie jedes Jahr gibt es ein großes Volksmusik- und Schlagermusik-Treffen in St. Ostwald/Bad Kleinkirchheim. „Wenn die Musi spielt Sommer Open Air“ heißt die Veranstaltung. Viele tausende Besucher kommen hierher – sogar die Generalprobe ist ausverkauft und der ORF überträgt es im Hauptabendprogramm. Über musikalische Befindlichkeiten kann man nur schwer oder gar nicht diskutieren, darum nehme ich mir es gar nicht erst heraus, einen Kommentar abzugeben.

Jedoch hier stoße ich mit meiner Verständnisentgegenbringung doch an Grenzen. Das einzig Echte an dieser Folklore-Veranstaltung dürfte der Brunnen in der Bühnendeko sein, denn alles andere ist Playback. Dieses Openair ist der Analogkäse unter den Musikveranstaltungen. Da ist alles nur „Imideschn“. Nicht einmal die Tralalisten sind echt, denn Sänger, die nicht singen, sind Attrappen.

„Schlagersänger sind junge Männer, die bei Stromausfall keine Sänger mehr sind.“ Danny Kaye

Diese Playback-Ungerechtigkeit stinkt zum Himmel und ich Frage mich, haben Schlagerfans denn auch keine Nasen? So wird für zwei Tage aus den Nockbergen ein „Stampfhanselparadies“ – so nannte die Journalistin Mely Kiyak den ebenfalls playbackenden ZDF-Fernsehgarten. Die Nocken jedoch sind toleranter, als es ich und Mely Kiyak sind – alle, wirklich alle finden hier genügend Platz zum Glücklichsein.

Südlich der Scharte erhebt sich, von einem Wolkenschatten eingedunkelt, das Simmerleck (2079 m). Zu seinem Gipfel führt auch keine Markierung – jedoch ein Gipfelkreuz hat es sehr wohl, wie es auf dem Bild gerade noch zu sehen ist. Sorgsam lege ich es in meine Gipfelvorratsdose.

Über die Pregatscharte (1902 m) führt der Kärntner Grenzweg bzw. der Salzsteigweg. Nördlich der Scharte, nicht weit entfernt, liegen die Pregathütten.

Unser Interesse gilt jedoch der Landschaft über den Pregathütten.

Die Besteigung von der Ostseite schaut verführerisch einfach aus. Wir nehmen die Einladung an und steigen erst gar nich zu den Hütten ab. Kurz unterhalb der Scharte biegen wir auf Kuhpfaden in die Landschaft ein. Auffallend sind die vielen Almrauschbüsche. Das muss hier ein Fest geben, wenn die alle blühen.

Wollgräser winken uns zu sich und…

…Moose leuchten in orangroten Mildfarben am Boden auf.

Wie dicke rundbäuchige, rundköpfige Steinböcke ruhen Kühe auf erhöhten Wiesenmugeln.

Der rastende Blick geht zu Simmerleck und Rinsennock.

Jetzt fällt mir ein, dass ich ja 2014 bei unserer Wanderung auf den Rinsennock ein Foto hin zum Gregerlnock gemacht haben könnte – und ich hab’s gemacht.

So sieht das Foto aus. Wir befinden uns „gerade“ im steilen Grasteil über den Felsabbrüchen.

7. August 2014 Blick vom Rinsennock zu Gregerlnock.

Hier nimmt jeder seinen eigenen Weg, wir entscheiden uns gegen die gleiche Richtung. Ich weiche zur Seite aus, ein schräger Anstieg hoffe ich, wird der Steilheit etwas von ihrer schlagenden Wucht nehmen.

Ganz anders Gabriele. Mit der geradlinigen Sturheit einer Karettschildkröte, die sich ganz ihrer Bestimmung zur Eiablage den Strand hinaufarbeitet, nimmt sie den steilen, viel Widerstand bietenden Weg.

Ein Grasberg ist kein Garant für gemütliches, unsteiles Gelände.

Ihre ganze Haltung strahlt das Unbeirrbare,…

…das Jetzt-will-ich-es-Wissen aus. Immer den windgebleichten, windgeschundenen Zaun vor den felsigen Abbrüchen entlang.

Dagegen fällt mein Blick auf die Bergwarze bereits viel milder aus.

Nicht das erste Mal wartet Gabriele am Gipfel auf mich.

Das ist jetzt ein Winkel für all jene, die die Stille nicht mehr kennen.

Zu zweien allein. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Gregerlnock bzw. Grögerlnock (2296 m).

So ganz allein sind wir aber erst, nachdem der Hase davongehoppelt ist.

Am Gipfel mache ich endlich das, was ich schon die ganze letzte Stunde machen wollte: umsinken.

Nockberge – altersgewaltig.

Der Südwesten.

Der Westen. Die Besteigung der Hohen Pressing (2370 m) haben wir uns für Übermorgen vorgenommen.

Mein Rundblick ist noch nicht abgeschlossen. Der Nordosten

.

Der andere Nordosten.

Blick über die grüne Kante hinab zu unserer „Anstiegsalmstraße“ in der Bildmitte. Auch die hellen Schleifen der Nockalmstraße sind gut zu sehen.

Es wird windiger und kühlt schnell ab. Den Zirbenschnaps kosten wir schon, aber zum Bleiben reicht auch dieser kleine Wärmeschub nicht. Wir beginnen bald mit dem Abstieg.

Zu den Bergen um uns kommen jetzt die Berge über uns.

Der Gipfel offenbart einen alttestamentarischen Anblick. Nur die Stimme aus den Wolken fehlt noch. Ich stell‘ mir das wie…

…bei den Monty Pythons vor.

Aber nein, bei uns bleibt’s so, wie es in den Nockbergen üblich ist. Es kommt zu keiner Ansage von oben.

Im Westen plustert sich der Himmel noch nicht ganz so auf: Hochalmspitze (3360 m).

Wir wandern den langgezogenen Rücken entlang in Richtung Stangscharte (2076 m). Und es ist ein gutes Dahinwandern.

Unsere anstiegsschweren Beine wackeln in wohliger Weise auf einer weichen Decke, deren Grasfäden vom Wind gerade erst gesponnen werden.

Noch vor der Stangscharte lassen wir uns zum Weg hinabfallen, der von der Prießhütte (1700 m) in die Stangscharte führt. Auch vom Karlbad (1693 m) führt ein Weg zu ihr. Hierher zu wandern, und unseren Abstiegsweg im Aufstieg zu gehen, wäre eine gute Variante für die Besteigung dieses schönen Gipfels.

An diesem Lago mucca vorbei…

…öffnet einem der Weg zur Schneegrube das Wanderherz. Völlig schmerzfrei gelingt ihm das. Immer wieder blicke ich auf den Koflernock (2277 m) vor uns – der zieht und lockt auch wie verrückt.

Wir schonen die breitärschige Bequemlichkeit der Kühe und und wandern in einem Bogen an ihren Majestäten vorbei.

Die Kühe sind tiefenentspannt. Kaujoga nennt das der Kuhfachmann.

Der einzig aufgeregte im ganzen Tal ist dieser gefiederte Freund. Vermutlich hormonübersteuert tschirpt und hüpft und flattert er so laut, wie ein ganzer Schwarm.

Blick zurück…

…und Blick nach vor. Der Schneegrubensattel und das Rosental warten auf uns.

Der Schneegrubensattel (2000 m) ist schnell erreicht.

Nach einem Blick zurück auf den Gipfel…

…gelangen wir zu dieser Wegzusammenkunft. Wir könnten wieder zurück auf die Pregatscharte wandern – tun wir nicht, sondern wir steigen in Richung Prießhütte ab.

Nach zirka 800 Metern führt vorm Weidegatter links ein alter unmarkierter Weg (Gabi befindet sich schon auf diesem Pfad) durchs Rosental.

Vielbegangen ist dieser Steig nicht. Abschnittsweise ist er schon sehr verwachsen und man muss achtgeben. An dieser Hütte geht’s geradeaus links vorbei.

Durch uralten Zirbenbestand…

…finden wir an unseren Ausgangspunkt zurück.

Punktlandungen gelingen mir ja eher selten. Hier aber schon.

Im Anstieg etwa 685 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 10,2 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Nockberge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Kolumne „Kiyaks Deutschstunde“ von Mely Kiyak in der Zeit am 21.8.2019 (abgerufen am 22.8.2019)

„Imideschn“ = mostviertler Englisch für „Imitation“

Willemsen (2007): Nur zur Ansicht. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt.

Buchenauer (1977): Sanfte Kuppen, Schroffe Berge. Leykam Verlag, Graz.

Buck (1997): Die Nockberge Natur und Kultur. Verlag Carinthia.

Katschner (1989): Erlebnis Nockberge: Eines der schönsten Wandergebiete Kärntens. Leopold Stocker Verlag, Graz.

Katschner (1994): Die schönsten Bergtouren im Lungau und Nockgebiet. Styria Verlag, Graz.

Lehofer (2003): Nockberge, Nationalpark und Gurktaler Alpen. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.

Buchenauer/Gallin (1976): Kärntner Wanderbuch. Tyrolia Verlag, Innsbruck.