Zwölferköpfl (2160 m)

Diese Foto von meinem heutigen Gipfelziel habe ich vom Ostgipfel des K3 (Kerschkernkogel 2202 m) gemacht. Dort stand ich im Vorjahr und dachte darüber nach, wie auch ich auf diesen Felsturm mit dem kleinen Gipfelkreuz gelangen könnte. Auf die Idee, dass ich den Aufstiegsgrat schon sehe, bin ich damals nicht gekommen. Aber besser, ich erzähle die Tour von Beginn an.

Weil ich ein bisschen müde bin, will ich mich nicht überfordern, denn dann gingen mir ja die Freude und der Spaß verloren. Darum krame ich eine spannende Tour mit nicht zu vielen Höhenmetern aus der Gipfelvorratsdose. Ich halte mich an die Devise:

„Man muss den Mantel nicht größer schneidern, als man das Tuch hat“. (Oswald Egger) 

Von Wald am Schoberpass fahre ich den Liesinggraben hoch bis zum letzten Parkplatz beim Beisteiner. Ich bin mir alles andere als sicher, heute auf den Gipfel zu gelangen. Zum einen ist die Tour nicht markiert und nirgends ist eine gute Beschreibung zu finden. Zum anderen wartet am Schluss eine Kletterei auf mich – da weiß ich vorher nie, ob ich mich auch tatsächlich drübertraue.

Somit werde ich mich wieder einmal auf mein GPS und mein Gefühl verlassen. Bereits fünfzig Meter nach dem Parkplatz zweige ich auf die erste Forststraße links ab.

Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht – aber ich vermute, dass das mein heutiger Gipfel ist.

Morgenfeuchte liegt noch auf den Gräsern, nachtkühl ist es nicht mehr. Mein Lange-Autofahrt-Körper ist dem sanft ansteigenden Sträßchen dankbar. So ein Aufwärmkilometer am Beginn einer Tour ist der ideale Amuse-Gueule (Gruß aus der Küche) für eine solche Wanderung.

Nach einem Kilometer bin ich mit dem Amuse-Gueule fertig. In einer starken Linkskurve sehe ich Ziehwegsspuren und Trittspuren. Die führen nur wenige Meter bergauf, um danach über den Bach (rechts) auf einen guten Pfad zu leiten. 

Der Pfad führt durch einen Waldabschnitt und mündet dann wieder in einen breiten verwachsenen Ziehweg.

Wie in den bachdurchströmten, bewaldeten Teilen der Steiermark ortsüblich, duftet es nach feuchtem Moos, modriger Baumrinde und…

…Pilzen jeder Art.

Schon unterhalb der Hühnerkaralm halte ich mich links und dabei verliere ich ein wenig die Spur. Das Gelände ist stark durchnässt. Nicht weit vor mir vermute ich die Forststraße.

Zirka 150 Meter östlich der Alm nimmt der zuvor überschrittene Bach seinen Anfang. Er entspring fast unter der Forststraße, und genau auf der anderen Straßenseite sehe ich einen alten Ziehweg und darin eingebettet Pfadspuren.

Das falsche Grün am alten Ziehweg ist so falsch, es könnte künstlich aufgebracht worden sein, wie in den wasserarmen…

…Teilen Kaliforniens, wo Rasenfarbe aus dem Supermarkt der unkooperativen Natur auf die farblichen Sprünge hilft. Selbst bei uns kann man in Baumärkten bereits solche Rasenfarben kaufen. Die Vorstellung, dass auch bei uns…. Mich gruselts!

Kalifornier beim Rasenfärben.

Diese hellgrüne Farbspur ersetzt jede Markierung, und so gelange ich zur ersten wichtigen Wegvorentscheidung. Hier habe ich diese Schlüsselstelle fotografiert. Wenige Meter vor einem starken Rechtsknick bei diesem Stein zieht eine Spur, ganz ohne Markierung und Steinmännchen, links weg.

Sieht man diesen Hochstand (so wie ich), ist man schon zu weit gegangen. Diese jagdlich genutzte Bretterbude steht gleich nach der Rechtskurve. Meiner unfolgerichtigen Einschätzung gehorchend, beginne ich hier den Weg zu suchen. Umständlich und zeitraubend schlage ich mich durchs Gebüsch. Wäre ich nur ein paar Meter zurückgewandert, hätte ich mir einiges erspart.

Schon bald danach finde ich den Pfad und kann mich jedoch nur kurz darüber freuen, weil ich ihn nicht festhalten kann. Ich verliere ihn an dieser…

…Stelle. An diesem Ast, etwas unterhalb, führt er noch vorbei und verwandelt sich danach in eine sich verlaufende Wildspur. Vollgültig raten und zeigen kann meine Karte den Jagdsteig nicht. Ich drehe wieder um und stehe wieder vor diesem rotgepunkteten Stecken. Fast unwirklich scheint mir die Lösung. Ohne dass Spuren zum entrindeten Ast führen, beginnt exakt auf seiner Höhe ein gut sichtbares, ausgetretenes Weglein. Das ist jetzt ein wenig wie bei Harry Potter am Bahnhof King’s Cross mit seinem geheimen Gleis 9¾.  Auf zwei Meter Entfernung war es nicht zu erkennen.

Hat man erst einmal hierhergefunden, gibt es in der Wegfindung keine großen Schwierigkeiten mehr. Das heißt aber nicht, dass man unachtsam werden darf, das in keinem Fall. Man muss schon noch genau Ausschau halten. Vor allem zwei Abbiegestellen kann man übersehen – muss man aber nicht, weil ich noch besonders darauf hinweise.

Die untere Fichten-Nutzwald-Luft wird durch Gemischte-Bannwald-Luft ersetzt.

Der Steig führt durch immer steiler werdendes Gelände.

Immer häufiger werden die fast von Beginn an vorhandenen Bindi-Wegzeichen (Ein Bindi ist ein hinduistisches Stirnzeichen, ein mitten auf der Stirn zwischen den Augenbrauen aufgemalter Punkt, klassisch rot und rund  .)

Hier befinden sich diese Zeichen bevorzugt auf Bäumen und sind regligionsübergreifend auch für Nichthinduisten sehr hilfreich.

Medidationspraktisch fühle ich mich dem Buddhismus viel näher. Aber noch lieber ist mir…

…das Bergwandern. Denn solch eine Tour ist die beste Möglichkeit, mir selbst zu entkommen, meinem lästigen, allgegenwärtigen komplizierten Kopf. Mit diesem Wegsuchen, Landschaftlesen, Zeichendeuten erreiche ich sie spielerisch und ganz ohne stundenlanges meditieren: Die Freiheit vom eigenen Kopf.

Eine Wanderbeschreibung zum Zwölferköpfl habe ich nirgends gefunden. Ausschließlich in Skitourenführern wird es erwähnt. Beim Anblick dieses Geländes wird mir das verständlicher.

Auch erste Ausblicke…

…und Gipfelblicke sind möglich. Latschen lösen den Wald ab, und ich gelange zum Bergfuß des Gipfelrückens.

Schon vor dieser Gumpe, und besonders danach,…

…gehört alles zur sympathischen, grünen Farbfamilie. Zum Beispiel sind rote Ampeln  böse und grüne sind nett.

Der Boden wird felsiger, und der Steig bleibt auf der linken (Gehrichtung) Seite des Berges.

Blick in die Nordseite des Geierhauptes.

Dort, wo der Steig nah an die Felsen heranführt,…

…gibt es vor der nächsten Latschenverdichtung (mit verräterisch lockenden Pfadspuren, welche aber in die Irre führen) dieses Bindi am Stein-Boden. Hier muss man rechts weg…

…den Hang hinauf. Der Pfad ist nicht gut ausgetreten beziehungsweise führen verschiedene Spuren hoch. Dann geht es auf unübersehbaren Trittspuren weiter.

Viele Steinmännchen und Bindis leiten mich hoch. 

An dieser Stelle (Stein mit rotem Pfeil in der Bildmitte) wechselt man die Seite…

…und gelangt in die Nähe der nur dem Anschein nach organisiert aufgestapelten Trümmerhaufen.

Blick zurück.

Dass die Tour jetzt eine scheinbar wilde Note bekommt, gefällt mir sehr. Turm um Turm ragen vor mir auf. Der Name Zwölferköpfl muss ja irgendwoher kommen. Vor dem Erreichen des höchsten Felsens mit dem Gipfelkreuz durchschreite ich noch eine…

…Einsenkung. Der Grassattel ganz hinten, links vom Big-boss-Turm, ist mein Ziel.

Die krittligste Prüfung steht mir jetzt bevor. So ein Klettergelände richtig einzuschätzen, setzt voraus, immer auch den Abstieg mitzudenken. Hoffentlich gelange ich da nicht in eine Überforderung. Woran merkt man, dass man jetzt eine Torheit begeht – oder nicht? Indem man loslegt und spätestens danach hat man eine Antwort. Ich lege den Rucksack ab und beginne hochzusteigen. Nach wenigen Metern komme ich rechts vom Grat sogar in ein Geh- und Stehgelände mit einer kleinen Höhle. Danach kommt die einzige kritische Stelle, die etwas Überwindung fordert.

Im unteren Abschnitt gibt es keine nennenswerte Herausforderung. Dafür zeigt der Rückblick auf die obere Hälfte des Aufstieggeländes (hier im Bild) mehrere Möglichkeiten, und jede dieser Varianten halte ich für eine Kletterschwierigkeit im unteren 2.°. Wobei ich ja das Hochklettern immer einfacher finde, als das ungesicherte abklettern. Ich fürchte ein Stolpern, Vorwärtsstürzen und das unwillentlich dem eigenen Gewicht Nachgeben. Bei mir wird hier geringeres Hochfürchten durch viel größeres Hinabangsten abgelöst.

Menschen, denen bereits beim Betrachten von Tapeten mit Himmel und Wolken Höhenangst und Sturzgefühle überkommen, sollten den Gipfel am grünen Sattel (das ist ja auch der Wintergipfel) als bestiegen erachten.  

Weil nicht viel Platz vorhanden ist, gibt es diesmal das obligatorische und unverzichtbare Gipfelfoto mit Kinnlinienprofil: Zwölferköpfl (2160 m).

Bitte beim Bildbetrachten auf die vorhandenen rötlichen Fliegen achten (Hals, Oberlippe usw.). Aberhunderte Hautflügler, seltsam aussehende Insekten mit einem gehörigen Rotstich zickzacken torkelnd umher und landen bevorzugt in meinem verschwitzten Gesicht und auf allen bloßen Körperstellen. Mein Achselgeruch ist ihr größtes Geschenk. Fliegenweihnachten im August.

Ich bin aber hart im Fliegennehmen und lasse mich mit fest aneinandergepressten Lippen beim Fotografieren nicht stören.

Vom Ostgipfel des Kerschkerns habe ich das erste Foto dieses Blogeintrags gemacht. Man könnte ohne große Schwierigkeiten herüberwandern bis in die grüne Einsattelung.

Der Goldkogel (2080 m) wird von der Stellmäuer verdeckt.

Blick übers Gipfelkreuz in den Nordosten.

Blick in den Westen.

Wieder am Fuß des Turms angelangt, widme ich mich ganz den mitgebrachten Schluckerein und eßbaren Schätzen. Danach übergeben mich die Anstrengung und die Freude an die Müdigkeit.

Ein Berg ist ja erst erfolgreich bestiegen, wenn er auch abgestiegen wurde. Daran mache ich mich jetzt.

Ich habe die Grattürme nicht gezählt, vermute aber, dass das Zwölferköpfl so aussieht, wie es heißt.

Blick ins Finsterliesingkar…

…und ein Stück tiefer.

…und dann wieder ein Stück höher.

Am selben Weg gehe ich zurück.

Blick auf den gezackten Grat des Schwarzkogels (2026 m). Den werde ich in sieben Jahren besteigen.

Sogar im Abstieg muss ich achtsam bleiben.

Tatsächlich verlaufe ich mich auch.  

Gemeinsam Nektar zu sammeln ist schön, aber alleine zu wandern tut auch gut – ich habe mir heute einen ganzen Berg Privatsphäre gegönnt. 

Ekstase und Grenzerfahrung erwarten einen Wanderer bei dieser Tour nicht, dafür…

…können die Verunstaltungen, die einem das Leben in der Zivilisation zufügt, bei solchen Touren zusammenwachsen und wieder heil werden. Diese Wanderungen sind ein ganz persönlicher Heilsweg – zumindest für mich. 

Im Anstieg etwa 1000 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 12,6 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Niedere Tauern, Triebener Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

 

Aus „Unendlicher Spaß“ von D.F. Wallace habe ich mir diese Formulierung ausgeborgt: „Menschen, denen bereits beim Betrachten von Tapeten mit Himmel und Wolken Höhenangst und Sturzgefühle überkommen.“

Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.

 

Auferbauer (2004): Schitourenparadies Steiermark. Verlag Styria Pichler, Graz.