Heute ist „Ausflugstag“ und wir wollen ins Italienische. Ja, es geht auch um Chardonnay, Pasta, Vernatsch, Pizza und Gelati, aber vor allem geht es um MMM. Einige Jahre schon verfolgen wir fasziniert und mit immer drängender Neugier Messners Mountain Museum Projekt. Sechs an der Zahl sind es, und alle befinden sich in Südtirol:
- Firmian in Bozen-Sigmundskron
- Ortles in Sulden
- Juval bei Naturns
- Ripa in Bruneck
- Corones auf dem Kronplatz
- Dolomites am Monte Rite
Jetzt nützen wir die Nähe von Sillian zu Bruneck (43 Kilometer), um endlich zwei der sechs Museen zu besuchen. Zuallererst wollen wir das von Zaha Hadid errichtete „Corones“ am Gipfel des Kronplatzes in Augenschein nehmen. Auf das freue ich mich besonders. Noch fehlen uns 1314 Höhenmeter bis zum Museum – die plagen wir uns allerdings nicht hoch. Die Besteigung eines Gipfels ist uns nicht zumutbar, auf den von drei Richtungen vier Seilbahnen hochsteigen, von allen Richtungen Mountainbikestrecken führen und der sogar das Ziel von Giro d’Italia Etappen war (2008 und 2010). Nicht zumutbar ist jetzt ein wenig hart – wir haben einfach keine Lust dazu.
Die Rolltreppe benutzen wir jedoch auch nicht. Ehrenwort. Wir wollen es nicht übertreiben. Zur Aufhebung der Schwerkraft bedienen wir uns lediglich…
..der Seilbahn.
Ein wenig schäme ich mich, in einem Bergwander-Blog solches zu berichten. Prinzipiell sollten wir ja hochwandern, aber ich halte es da mit Groucho Marx:
„Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie mir nicht gefallen, habe ich auch noch andere.“
Alle diese Denkspiele finden ein rasches Ende, denn der Anblick, der sich uns bereits kurz nach dem Aussteigen aus der Gondel bietet, ist einfach subkutan und geradezu grandios.
Wir zelebrieren unsere Annäherung, und trotzdem werden unsere vorfreudigen Schritte im knirschenden Wegkiesel immer schneller.
Nur dieser Hügel vor der gewaltigen Bergkulisse mit seinem, einem Bergwerkstollen ähnlichen Eintrittstor, ist vom Museum zu sehen.
Das hoch aufragende Spiegelentree von MMM Corones.
Reinhold Messner hat einen Stollen in den riesigen Erinnerungsberg der Alpingeschichte getrieben. Im faszinierenden unterirdischen Museumsgebäude erzählt er mit zahlreichen Ausstellungsstücken von der Entwicklung des Alpinismus. Modelle von Gebirgen, dutzende Bilder, Seile, Kletterhaken, Tourenbücher, Tourenführer, Steigeisen, Pickel, Zelte, Helme, Hämmer, Karabiner, Handschuhe, Stiefel, Gletscherbrillen und vieles mehr, aus allen Zeiten des Bergsteigens, sind ausgestellt.
In schmalen Einlassungen in den glatten Wänden, manche beleuchtet, manche nicht, und in gläsernen Vitrinen, sind die Stücke ausgestellt. Viele Exponate hat Messner von ihren ursprünglichen Benutzern, zumeist weltbekannte, jedoch die meisten auch bei ihrem Tun verunglückte Alpinisten, erhalten. Diese Stücke muten ein wenig wie Berg-Reliquien an.
Sogar ein Stück des Hanfseils wird inszeniert, das bei Edward Whympers Matterhorn (4478 m) Erstbesteigung am 14. Juli 1865 zerbarst und vier Bergsteiger in den Tod stürzen ließ.
Schade finde ich, dass die reichlich angehäuften Ausstellungsstücke mit nur wenigen Zusatzinformationen versehen sind, da hätte ich bei vielen Exponaten gerne mehr gewusst.
Amüsant fand ich manche Bergwanderer vor den Vitrinen, welche die Extrembergsteiger-Bekleidung in Bergsteiger-Extrembekleidung gewandet, begutachteten.
An den Wänden finden sich jede Zahl Zitate – und keines davon können wir ungelesen lassen:
Wer so gar kein Interesse an Bergen und dem Bergsteigen hegt, ist hier trotzdem gut aufgehoben. Die Architektur des Gebäudes im Berg ist schon für sich einen Besuch wert.
Es ist einfach grandios.
Mit jeder Wolke, die vorbei zieht, ändert sich die Stimmung im glatten Haus aus Beton. Man kann beobachten, es regelrecht spüren, wie sich das Licht auf den Wiesen und Bergzacken verändert – und im Museum ebenso. Immer wieder ist das Licht anders, und wir verpassen keine Änderung.
Keine Minute gleicht der vorherigen oder den folgenden.
Aus dem unterirdischen Museum ragen verspiegelte Vorbauten, welche wie Fluggastbrücken auf einem Flughafen den Besucher mit der umliegenden Berglandschaft verbinden. Wie Gatefinger tasten sie sich aus dem Berg heraus,…
…und öffnen das Museum (240° Panorama) fast in jede Richtung…
… und jeden Winkel: Talboden,…
…Berge und Himmel…
…bis in jede einzelne Besucherseele hinein.
Reinhold Messner hat es immer geschafft, für sein jeweiliges Abenteuer nicht nur den richtigen, sondern den kongenialen „Seilpartner“ zu finden. Ob das jetzt Peter Habeler für die Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoff (1978) war, oder die bis heute einzige 8000er Doppelüberschreitung (Gasherbrum I und II) mit Hans Kammerlander (1984) oder die durchaus durchstrittene Durchquerung der Antarktis mit Arved Fuchs (1989). Das sind jetzt nur ein paar seiner Unternehmungen, da gäbe es noch viel mehr zu nennen. Seilpartnerin für dieses architektonische Vorhaben war die aus dem Irak stammende Architektin Zaha Mohammed Hadid. Vermutlich sind bei der Entwicklung und Errichtung dieses Projektes zwischen diesen beiden großen Egos auch gelegentlich die Fetzen geflogen, aber das Ergebnis könnte für mich schöner nicht sein.
Mir gefallen auch die neuen, durchdachten, energetisch meist autarken Berghütten, die eine eigene Form und damit ein ganz eigenes Aussehen besitzen. Mutig umgesetzt von den jungen, nachgewachsenen Verantwortlichen der alpinen Vereine.
Um nur zwei gelungene Beispiele zu nennen: In Österreich das viel und gerne angefeindete Schiestlhaus (2154 m) am Hochschwab,…
…oder in der Schweiz die Monte Rosa-Hütte (2.883 m) im Monte Rosa-Massiv. Beide Gebäude stehen harmonisch-markant in der Landschaft.
Ich mag diese Sentimentalitätsindustrie in den Bergen nicht, die Almhütten nachbaut.
Zaha Hadid folgt auch mit diesem Gebäude einem Credo, das nicht besser in die Welt der Berge passen könnte:
„Wir können nur dann Raum wahrnehmen, wenn wir uns von der Erde loslösen, wenn der Auflagepunkt verschwindet.“ (Malewitsch 1928)
Hadids Abneigung gegen das Primat des rechten Winkels brachte sie so zum Ausdruck:
„Das Wichtigste ist die Bewegung, der Fluss der Dinge, eine nicht-euklidische Geometrie, in der sich nichts wiederholt: eine Neuordnung des Raumes.“
Fast könnte man meinen, sie spricht von Wolken…
Nur zögernd verlassen wir diesen spannenden Ort und wandern noch eine Runde am Gipfelplateau – zu Fuß und mit den Augen, denn…
…rund um die Friedensglocke „Concordia 2000“ ist zur Bestimmung der umliegenden Gipfellandschaft…
…ein beschriftetes, metallenes Bergrelief angebracht.
Mit diesem Relief und seinem optischen Abgleich mit der felsenen Wirklichkeit verbringen wir viel Zeit.
Wer viel und gerne in den Bergen ist, weiß es wie wir: Die Drei, die dir den Tag richtig verderben können, sind Lawinen, Gewitter und Menschen.
Lawinen finden sich maximal in der Marmolatagruppe…
Gewittrig wird es heute auch nicht mehr,…
…nur das mit den Menschen könnte uns noch gefährlich werden.
Gerade als ich dabei bin, diesen Bericht zu verfassen, entbrennt ein Streit zwischen Reinhold Messner und dem Musiker Jovanotti. Dieser will im Rahmen seiner „Jova Beach Party 2019“ in Südtirol – mangels Meer – ein Konzert am Kronplatz spielen, vor der Kulisse der Pustertaler Berge. „Wenn ich es könnte, würde ich das Konzert verbieten, ein solches Event hat in den Bergen nichts verloren. Auf einen Gipfel würde man immerhin wandern, um zur Ruhe zu kommen. Wir müssen die Berge respektieren und nicht kommerzialisieren.“ sagt Messner der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“. Dass er selbst am Kronplatz sein Messner Mountain Museum errichtet hat, sei kein Widerspruch, meint er. Er wolle damit den Menschen die Kultur der Berge näher bringen.
Der letzten Aussage Messners kann ich nur zustimmen. Sein Museum ist den Bergen gewidmet und stellt die Berge in den Mittelpunkt: Das beginnt bei der Architektur seines Museums und allen Betrachtungen, die darin angestellt werden.
Nicht ganz zustimmen kann ich den Überlegungen, dass man Berge nicht kommerzialisieren soll. Das ist doch schon passiert und in vielen Gegenden der Alpen oder gar der Welt hat das den dort lebenden Menschen Einkommen und eine Lebensgrundlage geschaffen. Auch der Kronplatz ist schon lange ein Hort des Massentourismus, und ich sehe ihn als Opfergabe an diesen immer wichtiger werdenden Industriezweig: Je mehr Erschließungsmaßnahmen ein Berg an sich zieht, um so weniger bleiben für die anderen über. Ein bergliches Bauernopfer!
Für die Streichel-Yaks liegt das Plateau des Kronbergs um zweitausend Meter zu tief und noch dazu viel zu südlich. Die beiden sind weder hungrig noch tot, sondern werden von der Hitze niedergehalten.
Den Gipfel dominieren touristische und technische Einrichtungen.
Das ist kein obligatorisches unverzichtbares Gipfelfoto Kronplatz (2275 m). Ich bin da nur vorbeigekommen und habe mich kurz angelehnt. Wirklich völlig unabsichtlich.
Weite Täler erstrecken sich scheinbar sternförmig in alle Himmelsrichtungen.
Der Rummelplatz-Trubel ist erst ganz lustig, dann bald nicht mehr und dann wird es Zeit, dass wir davon kommen. Auch den Abstieg machen wir nicht zu Fuß, man muss nicht gehen, man kann auch…
…gondeln. Unser nächstes Ziel können wir schon erkennen.
Ausgestattet mit einem Kombi-Ticket wollen wir jetzt auch noch das nahe Ripa-Museum in Bruneck besuchen.
Eigentlich wollte ich in diesem Blogeintrag auch unseren anschließenden Besuch im nahen Ripa schildern und entscheide mich jetzt dagegen. Das Ripa hat ganz eigene Qualitäten, und von denen werde ich in einem eigenen kurzen Blogeintrag berichten. Später. Vermutlich viel später.
Senf dazu? Sehr gerne!
Im Anstieg etwa 50 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 3 km.
Meine Quellen:
Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Andere (Auswahl):
- Rote Wand (592 m) und Hoher Stein (725 m)
Rote Wand (592m), Hoher Stein (725m) - Karwendelschnuppern am Lamsenjoch
Hahnkampl (2080m), Gramaijoch (2017m) - Masada מצדה (59 m)
Masada (59m) - Vielleicht am höchsten Grasberg Europas: Geißstein (2363 m)
Geißstein (2363m) - Jauerling
Jauerling (960m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Auf der Homepage (kronplatz.com) finden sich mehrere Möglichkeiten den Kronplatz zu besteigen:
Hompage der Betreiber am Kronplatz (Wandern): https://www.kronplatz.com/de/kronplatz/sommer/wandern abgerufen am 5.5.2019
Artikel aus der Presse zum Jovanotti Konzert: https://diepresse.com/home/ausland/welt/5609531/Warum-Reinhold-Messner-ein-Konzert-von-Jovanotti-verhindern-will abgerufen am 5.5.2019
Hompage von Peter Habeler: https://skimayrhofen.com/peter-habeler abgerufen am 5.5.2019
Hompage von Hans Kammerlander: http://www.kammerlander.com abgerufen am 5.5.2019
Homepage von Arved Fuchs: https://www.arved-fuchs.de/ abgerufen am 5.5.2019
Homepage von Zaha Hadid: https://www.zaha-hadid.com/ abgerufen am 5.5.2019
Homepage Schiestlhaus: http://www.schiestlhaus.at/start.html abgerufen am 5.5.2019
Homepage Monte Rosa Sektion: https://www.section-monte-rosa.ch/fr/cabanes/monte-rosa abgerufen am 5.5.2019
Diesmal habe ich mich gehörig bei Wikipedia bedient: Alle am 5.5.2019 abgerufen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jovanotti
https://de.wikipedia.org/wiki/Zaha_Hadid
https://de.wikipedia.org/wiki/Arved_Fuchs
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kammerlander