Wanderung auf den Hausberg der Innervillgratner

Unser erster Tag in Osttirol ist kein wettersorgenloser – darum suchen wir uns eine unkomplizierte, im Wetterernstfall leicht abzubrechende, Tour. All diejenigen, die sich gerne einmal verlaufen, die es lieben, der Spannung und Abwechslung wegen, einen Verhauer in ihre Touren einzubauen, die es schätzen, auf das Unerwartete, das Überraschungsmoment zu treffen, werden bei dieser klaren Wanderung nicht auf ihre Kosten kommen. Alle anderen aber schon.

Sich verlaufen ist ja ganz im Gegensatz zur, trotz eines Termins versessenen Wartezeit bei einem Arzt, nie vertane Lebenszeit und wird von mir auch gerne und häufig praktiziert. Nur heute muss ich ohne eine Landschafts- und Wegzugabe auskommen, weil die Wegfindung so einfach ist: Wir wollen auf die Kreuzspitze wandern (2624 m).

Dazu durchfahren wir Innervillgraten. Scheinbar völlig abgehoben, sogar von den allersteilsten, obersten Berghängen blicken dunkle, hölzern-herrliche Bauernhäuser auf uns herab. 

Berghöfe

Hoch über den Tälern thronen die Höfe einsam und verlassen./In den Höfen verbringen die Bauern mit ihren Kühen das Dasein./Die Einsamkeit weicht auf den Berghöfen nicht von der Stelle./Nur der Mond und die Wolken sind auf den Höfen manchmal zum Greifen nahe./ Die Schulwege der Kinder sind beschwerlich./Die Wege sind steil, und das Schuhwerk muß genau passen./Die Heuernte ist für die Bergbauern aller Mühe Plag./Das Fernsehen bedienen die Bergbauern mit Verwunderung./Die Welt liegt den Bergbauern reich vor den Füßen. (Georg Paulmichl, „Ins Leben gestemmt“)

Unser hoher Ausgangspunkt liegt in Kalkstein (1639 m), quasi am Ende (bzw. vier Kilometer entfernt) von Innervillgraten bei der Wallfahrtskirche „Unserer Lieben Frau Mariä Schnee“. Neben einem Wirtshaus, auf einem großen Parkplatz, können wir unser Fahrzeug abstellen.

Am Beginn der Forststraße ist das Wanderbuffet ausgehängt. In Reih und Glied spitzen gelbe Pfeile Wandermöglichkeiten in die milde Morgenluft. 

Bereits nach zirka dreihundert Metern kommt der allereinzigste Abzweiger am heutigen Tag. Wir nehmen den Weiterweg in Richtung Westen hoch ins Roßtal. Hier bestünde für Weg-finde-Legastheniker die einzige Möglichkeit zu einem Verhauer.

An einem Abzweiger mit der Bezeichnung Pan Ewelanprinnlan vorbei (was für ein seltsamer Name – wie aus Tolkiens Hobbit Universum) wandern wir hoch.

Das Tal öffnet sich, und eine wunderbare Landschaft nimmt uns in Empfang. Von der anderen Bachseite dringt Kuhglockengeläute von unsichtbaren Kühen herüber.

Der frühe Vormittag gehört der Sonne – und uns – und den Bauern. Die schicken sich nämlich daran, Gerätschaften fürs Mähen herzurichten.

Mähende Landwirte sind für mich kompetent wetterfroschiger, als jeder Meterologe in seinem Großstadt-Fernsehstudio. Der katholische Osttiroler Bauer kennt seinen Himmel – nicht nur den mit den Heiligen, sondern auch den mit den Wolken.

In diesen Gegenden sind die Kühe die „Herrschaft“. Sie lassen für sich arbeiten und behandeln ihre Bauern wie Leibeigene. Wer hier wen besitzt, ist unklar. Mit gebeugtem Rücken bearbeiten Bauernsklaven mit riesigen Mähbalken, Sensen und Kleintraktoren laut und raumgreifend die steilen Wiesen, um das Futter für die Priveligierten im Stall herbeizuschaffen. Und es braucht viel Futter, denn die Winter sind lang.

Hier scheint uns alles, durch sorgliche Bauernhände, mehr als leidlich instandgehalten.

Wir gelangen zur Abzweigung auf den Bonner Höhenweg bzw. Schwarzsee. Die lassen wir unbeachtet und wandern die Forststraße die letzten Meter, bis an ihr Ende, weiter.

Wolkenspiele am Himmel und Blumenspiele in den ungemähten Wiesen. Was da alles an „guten“ Sachen wächst. Man braucht nur einmal mit Kuhaugen auf die bunte Vielfalt blicken. 

Die Wiesenlandschaft ist für uns jetzt der Star der Wanderung.

Wie ein übermütiger Schmetterling gaukelt Gabrieles Gesicht…

…von Blume zu Blume.

Und ganz plötzlich, mit einem Flügelschlag, ist sie fort von den Blüten…

…am Ende der Forststraße, zwischen letzten Almrauschbüschen, mitten am markierten Weg.

Auf diesem breit ausgelegten, sanft ansteigenden Hang wandern wir hoch.

Binnen eineinhalb Stunden sind wir der Landschaft restlos in die Hände gefallen. Das Gipfelkreuz ist trügerisch bereits zu sehen – weil es nämlich bestimmt vier Meter hoch ist. Bis dahin dauert es noch.

Die Bodenvegetation verrät uns ein wenig die Höhe, die wir bereits erreicht haben.

Die Wetterstimmung ist sehr wankelmütig. Einmal kauft die Sonne den Wolken die Schneid ab, dann passiert das Gleiche umgekehrt – so geht es ständig hin und her. Aber darauf sind wir eingerichtet.

Jetzt kommen wir in den Genuss einer erwarteten, jedoch angesichts des Wolkenhimmels wiederum unerwarteten Verblüffung: Blick auf die Dolomiten

Da habe ich sofort das Gefühl, ein wenig vom Flügelschlag des schweifenden Geistes der großen südtiroler Bergsteiger zu spüren.

 In einem weiten Bogen zieht der Weg auf den Gipfel,…

…der gerade seine blaue Phase hat, welche bei unserem Eintreffen am Gipfelkreuz wieder in die graue wechselt.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Eggeberg Kreuzspitze (2624 m).

Die Berglandschaft um uns zeigt sich abwechslungsreich…

…und vielgestaltig.

Noch nie habe ich eine solche graue Mischung von auserlesenen Bergpersönlichkeiten – so viele auf so engem Raum – erblickt.

Diese in die Landschaft und in den Himmel gezahnten Kalkberge wecken respektvolle Besteigungswünsche in mir.

Vermutlich sind aber die noch grünen Gipfel der Villgratner Berge eher mein Wohlfühlrevier.

Wir verbringen gerade einmal ein Dutzend Minuten am Gipfel, zu windig und zu kühl ist es gerade jetzt. Wir steigen wieder ab.

Ganz gelingt es uns nicht, Teil der Landschaft zu werden,…

…wie die Schafe an den Hängen über uns.

Diese Wanderung bietet jetzt keinen besonderen Überfluss, aber unter Mangel haben wir zu keiner Zeit zu leiden.

Im Übergang zur Forststraße grasen Kühe, und mittendrin stehen zwei neugierige Urlauberkinder in stadtsauberen Turnschuhen. Wie weit es noch bis zum Gipfel ist, fragen sie uns, und es entwickelt sich ein lustiges Gespräch. Ich frage die beiden, ob ihnen die Kühe gefallen und ob ich ihnen nicht eines von den Kälbern verkaufen soll, weil ich ja der Onkel des Bauern bin, darf ich das. Fast sieht es so aus, als würden sie über dieses Angebot nachdenken. Jedoch habe ich zu hoch gepokert. Die zehn Euro für ein Kalb sind ihnen zu viel. Nein danke bescheiden sie mir nach kurzer Bedenkzeit und machen sich davon. An meinem Hochstapler-Talent muss ich noch arbeiten. Noch ist der Weg weit zur Könnerschaft meines Vorbilds Viktor Lustig (1890 – 1947) dem es 1925 sogar gelang, den Eiffelturm (7000 Tonnen Eisen) um 50.000 Dollar an einen Schrotthändler zu verkaufen. Das ist schon ganz große Kunst.  

Meine Inspiration für den Kuhverkauf entstammt einer modernen Legende, wie sie mittlerweile gerne in sozialen Medien immer wieder unter dem Sigel „tatsächlich ereignet“  erzählt wird. Meine Version dieser Geschichte geht so (Kurzversion): Ein holländischer Urlauber hat sich bei einem Trinkgelade mit der örtlichen, vorwiegend männlichen, Bevölkerung überschätzt, beziehungsweise die Wirkmacht des Schnapses völlig unterschätzt. Und um Mitternacht bot sich ihm eine einmalige Chance, die er sich nicht entgehen ließ. Er erwarb (als erster Holländer, wie ihm versichert wurde) für wenig Geld von einem schmalschultrigen, verschmitzt lächelnden Bergbäuerlein, einen reinrassigen Osttiroler Dalmatiner Welpen.

Wir gelangen wieder auf die Schotterstraße. Dort, wo nicht gemäht wurde, lässt die Sonne die Wiesen jetzt noch bunter aufblühen. Und schon ein wenig ihrer Wärme genügt,…

…und die Wiesen verglühen ihre Düfte.

Wo gemäht wurde, sieht es auch mit Sonne etwas eintönig aus, aber riechen kann man das geschnittene Gras noch immer.

Dieser kleine Frosch hat den Sensenmann im doppelten Sinne ausgetrickst.

Nicht nur die Landschaft mit ihrer überreichen Wegrandflora…

…macht jetzt einen völlig enspannten Eindruck. Wir wandern an meditierenden  Yogakühen vorbei, die sich bei ihren Relax-Asanas nicht stören lassen, zurück zur Wallfahrtskirche und unserem Auto.

Das flimmernd-schimmernde Licht in den Fenstern der kleinen Kirche bezaubert uns – jedoch noch wirkmächtiger auf unsere durstigen Wanderseelen…

…scheint uns das von den Eiswürfeln gebrochene, sonnenorange Licht im Aperol-Glas zu sein, auf der windgeschützten Terrasse beim Wirten.

Nicht ein Regenspritzer aus den Wolken beendet diese pipifeine Wanderung, sondern lediglich ein wunderbar herber Aperol Spritz. Monsieur Peter kann nicht nur Bier.

Der Himmel hört auch weiterhin nicht auf sich wolkig aufzuplustern. Allerdings sieht der morgige Tag ganz anders aus, wie bereits hier nachzulesen ist: Bergsteigerisches Jourgebäck in den Karnischen Alpen: Hochalpl (2384 m).

Im Anstieg etwa 955 Höhenmeter und zurückgelegte Entfernung nahezu 11,6 Kilometer.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Osttirol (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit: PanoLab  Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version: 1.0.3  © Christian Dellwo.

Dolomitenschau von Reihard Drescher auf Alpen-Panoramen.de (abgerufen am 19.4.2019)

Mair (1981): Osttiroler Wanderbuch. Tyrolia Verlag, Innsbruck.

Paulmichl 1994): Ins Leben gestemmt. Haymon Verlag, Innsbruck.

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