Mit Gelassenheit, nicht mit Kraft: Niedereck (1829 m), Moditzen (1993 m) und Ahrnspitz (2014 m)

Der Tag ist warm, sonnig, der Himmel blau, alles ist zum Besten. Das ist ein guter Zeitpunkt, um endlich eine Wanderung zu versuchen, deren gelungener Ausgang in der Überwindung einer Kletterstelle gelegen sein wird  – über die ich einfach keine  Informationen finden kann. Schon länger befindet sich diese Tourenidee in meiner Gipfelvorratsdose, und darauf gebracht hat mich wieder einmal der Leopold. Dazu später mehr.

Fast noch am Beginn des Großsölktales liegt der Speichersee „Sperre Großsölk“. Nie habe ich mir die Zeit genommen stehen zu bleiben, um ihn mir anzusehen. Heute ist es endlich so weit. Weil dieses Gewässer fast den Beginn meiner heutigen Tour markiert und ich von meinem letzten Gipfel den See sehen kann,…

…halte ich an und schlendere über die Staumauer.

Wie am Ende eines norwegischen Fjords ragt das letzte meiner heutigen Gipfelziele auf.

Ich will den unscheinbaren Seitenkamm zum Knallstein bewandern, und die Moditzen (1993 m) ist der gipfelige Schlusspunkt dieser Überschreitung.

In der Literatur finde ich keine brauchbaren Informationen. Einzig im Netz gibt es zwei Hinweise bei Leopold, die habe ich am Schluss verlinkt. Etwas oberhalb von Fleiß, in einer scharfen Kurve, vor einem Schranken parke ich meinen felswandgrauen Vauwe.

Fast zärtlich umfasst mich die friedliche Morgenstimmung, und endlich kann ich meinem Tatendrang freien Lauf lassen.

Ob sich Schafe zum Einschlafen gegenseitig zählen? Und wenn sie schlafen, wovon träumen sie?

Wovon Schafe träumen:

© Gary Larson

Die Almstraße ist zuerst sehr steil und verflacht anschließend in das Strickerbachtal hinein. Still ist es. Einzig das Knirschen meiner Schritte im Straßenkies ist zu hören.

Speiereck (2131 m), Zinken (2120 m), Karlspitz (2212 m) und der Kleine Knallstein (2378 m) wärmen sich bereits in der Morgensonne.

Und wenn ich mich umdrehe, leuchtet mir das Gumpeneck (2226 m) sonnenhell zu.

Mir ist der Morgenschatten noch sehr lieb, später wird es bestimmt warm genug. Nach einer Wildfütterung weitet sich…

…unerwartet das Tal. Aufmerksam betrachte ich die gegenüberliegenden Hänge,…

…um vielleicht Aufstiegsspuren auf das Speiereck (2131 m) oder den Zinken (2120 m) zu erspähen.

Nach drei talgeraden Kilometern erblicke ich in verstreuter Ordnung die Almhäuser der Strickeralm. Niemand ist da.

Ein wenig oberhalb befindet sich dieses aufwändige Marterl…

…mit geschnitzten Darstellungen des Hl. Leonhards, seines Zeichens Schutzpatron der Gefangenen und des Viehs. Und natürlich darf der Hl. Hubertus nicht fehlen.

Auffallend ist, dass solche Marterl oftmals gerade von den Jagdpächtern erhalten, gepflegt und mit Jagdtrophäen aufgehübscht werden. Vielleicht schießt ja der eine oder andere Jäger so kläglich, dass es demütige Bitt- und Bettelgebete braucht, damit sich dort und da eine Gams aus freien Stücken in die Kugel wirft.

Der Blick zurück ins Ennstal. Das müssten die westlichen Felsausläufer des Grimmings sein.

Gleich nach der Strickeralm wird die Landschaft sehr ursprünglich und vor allem….

…endet die Forststraße. Nicht einmal Pfadspuren verraten den Weiterweg.

Das Strickerkar abgeschieden zu nennen wäre eine Untertreibung,…

…hübsch geht aber sehr gut.

Noch einmal ein Blick zurück.

Ich wandere auf diesen versteckten Talschluss zu. Rechts ließe sich vielleicht der Kleine Knallstein irgendwie erwandern. Ich suche mit den Augen die Abhänge, unterhalb des Niederecks ab und hoffe, den bestmöglichen Anstiegsweg gefunden zu haben (links der Bildmitte).

An diesem Vogelbeerbaum vorbei…

…nehme ich dieses trügerische Angebot an. Dieser Anblick verspricht ein leichtes Hinaufkommen,…

…aber es ist ein falsches Versprechen. Diese meineidige Leitn erfüllt nach und nach alles mit dem feuchten Duft der Ablehnung und Abwehr.

Die wässrig-rutschige Steilheit, durchfeuchtet, vermoost und verwachsen unter brusthohem Farn, sekkiert mich ordentlich.

Nach einer halben Stunde im Hang denke ich mir: „Jetzt, wo ich mittendrin stehe, ist es auch zu spät, um sich Schwierigkeiten wie diese auch nur auszudenken.“

Links der Bildmitte will ich hin.

Wie steil der Hang tatsächlich ist, kann man auf diesem Bild erahnen.

Noch ein paar dschungelhafte Meter und ich stehe endlich am Bergrücken.

In meiner Planung habe ich für diese 200 Höhenmeter eine Zeitrafferbegehung angesetzt. Eine Zeitlupenvariante ist tatsächlich daraus geworden. Mit diesem Ausblick werde ich jedoch von den vorherigen Jammeraugenblicken befreit. Der müde Geist erwacht und meine Wanderung wird ein Gang durch ein Gemälde.

Bis zum ersten Gipfel ist der Weiterweg mehr schön als weit.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Niedereck (1829 m). Umständehalber habe ich schon ganz schön geschwitzt, und man sieht mir meine Zerupftheit ein wenig an. Für die ästhetische Instandsetzung meines Gesichtes nehme ich mir aber keine Zeit.

Der Bergrücken verlangsamt oder beschleunigt den Pulsschlag in meinen Adern nach Belieben. Weil er nicht gleichmäßig ansteigend ist, sondern einen Steilaufschwung an einen weniger tiefen Abschwung reiht. Und das so eng aneinandergefügt, wie die Extrasystolen auf meinem letzten EKG-Streifen. Eigentlich ist er ohne Weg. Nur eine ganz schmale Gamsspur führt mal bergauf, mal bergab den Grat entlang.

Sehr schwungvoll schreibt sich der Knallbach in den Talboden ein. Dieser Abschnitt befindet sich knapp oberhalb der Knallalm im Knallkar, unterhalb des Knallsteins – bestimmt gibt es hier auch viele Platzhirsche.

Ob es im ansteigenden Knallkar unterhalb der Steinkarlscharte einen Pfad gibt?

Vielleicht ist ja auch ein direkter Anstieg auf den Schönwetter (2144 m) möglich, oder ist die Variante von der Kaltenbachalm doch besser? Wieder einmal werde ich mit mehr Tourenideen und Tourenfragen heimkommen, als zu Beginn der Wanderung.

Den schönen Kamm vom Kleinen Knallstein (2378 m) zum Zinken (2120 m) muss ich ein wenig stopfen, um ihn in die Gipfelvorratsdose zu bekommen.

Zoom aufs Gipfelkreuz vom Großen Knallstein (2599 m).

Weil der Kamm nicht mit einem Blick überschaubar ist, bleibt die Neugier mein ständiger Begleiter: Wie sieht es hinter der nächsten Kuppe aus?

Blick zurück.

Es ist so schön hier und Zeit habe ich genug. Darum mache ich mitten am Grat meine Rast. Es ist spätsommerlich heiß. Vor der Sonne schütze ich mich wieder einmal mit meinem Regenschirm. Dabei fällt mir auf, dass ich wirklich ein verweichlichter Schönwetterwanderer sein muss, weil dieser Schirm von mir fast nur als Schattenspender genutzt wird.

Zum höchsten Punkt meiner Wanderung ist es nicht mehr weit.

Mit einer Karte auf den Knien versuche ich die bereits besuchten und noch unbesuchten Gipfel zu benennen.

Irgendwann ist es dann doch Zeit, meine gewichtige Hinterpartie in die Höhe zu hieven, um den höchsten Punkt meiner heutigen Wanderung zu betreten. Der Ahrnspitz ist ein Gras- und Mückengipfel ohne Kreuz.

Mücken sind jetzt keine Wesen, die Abstand zu halten wissen. Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Ahrnspitz (2014 m).

Das ist jetzt eine auffällig schöne Bergwelt-Nische.

Gleich anschließend bekomme ich einen ersten Blick aus der Nahdistanz auf die Schlüsselstelle der heutigen Wanderung.

Jetzt kommt die echte Herausforderung – kann ich die Kletterei auf die Moditzen wagen, ohne zu viel zu riskieren? Ich muss ja mit meinen Fähigkeiten auskommen. Es beginnt gleich einmal gut für mich. Der Abstieg in die Einschartung ist einfach.

Leopold hat hier wegen Schnee abgebrochen und ist östlich ins Oberkar (Bild) abgestiegen. Seine Tourenbeschreibung habe ich am Schluss verlinkt.

Mit den Augen versuche ich einen für mich machbaren Aufstieg zu erkennen. Das gelingt mir aber nicht. Das ist eine Felsenanhäufung, die sich schnellen Deutungsversuchen entzieht.

Ich verstaue meine Stecken am Rucksack und gehe an den Fuß des Felsenaufschwunges. Die ersten zwei Meter sind einfach zu klettern (1+), anschließend folgt eine kurze Gehquerung und dann kommt es mir vor,…

…als würden mir die Felsen Instruktionen erteilen. Diesen drei Meter hohen Aufschwung klettere ich noch…

…und danach ist alles Gehgelände. Ich bleibe immer unterhalb der hoch aufragenden Zacken. Die müssen nicht überklettert werden.

Und ein Hauch von Trittspuren quert unterhalb dieser Aktenstoßfelsen…

…über steil abfallendes Gelände…

…in die Westflanke der Moditzen, bis…

…der breite bewachsene Gipfelrücken erreicht ist. Freude überkommt mich und voller innerlicher „Schalalas“ quere ich auf deutlicheren Pfadspuren den Berghang.

Blick zurück. Dort wo der Stein aufragt, endete meine Kletterei. Und dort habe ich das vorherige Bild gemacht. Nach der Querung steige ich die wenigen Meter zur Moditzen auf.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Moditzen (1993 m).

Jetzt kann ich dem angekündigten Wind die Hand geben, der hat aber keine Zeit, weil er die Wolken von da nach da und von dort nach überallhin tragen muss. Als würde er in den Hintergrund schrumpfen, schließt der Große Knallstein dieses Gipfelbild.

Durch kniehhohes Gras wandere ich weiter auf den Ahrnspitz zu, um mir mein vorheriges Abstiegsgelände anzuschauen.

Der Abstieg in die Scharte zeigt sich jetzt viel wilder, als er tatsächlich ist – das ist reines Gehgelände.

Dickes hartes Gras auf unsichtbaren kindskopfgroßen Erdhügeln macht die Überschreitung mühsam. Über solche Wiesen zu wandern, und sei es auch nur für kurze Entfernungen, hat etwas Urtümliches an sich und ist anstrengend, „füßisch“ anstrengend. Du solltest eigentlich nicht da sein, wird mir mitgeteilt und das weniger durch die Augen, als durch die Füße.

Bei einem Jagdstand pausiere ich kurz.

Blick vom Jagdstand auf den nach der Kletterei gequerten Hang. Im oberen Bilddrittel kann man die Pfadspur erahnen.

Die herrliche Erinnerung an die Gumpeneck Besteigung mir Ria und Gabi lässt mich ins Gras plumpsen: G wie gewittrig oder G wie genussvoll oder einfach G wie Gumpeneck.

Auch der Anblick der Nachbarberge zergeht förmlich auf meinen verbrauchten Pupillen. Die Überschreitung des langen Kamms gegenüber gehört zu meinen schönsten Wanderungen in den Schladminger Tauern: Unverschämt grüne Gipfel: (Tattermann 2089 m) und (Gasseneck 2111 m).

Um mich leuchtet das letzte Licht des Tages die Landschaft aus.

Wie vor einer idyllisch dekorierten Bühne, einem berglichen Stilleben, halte ich staunend an. Da hat es der Berg-Bühnen-Ausstatter besonders gut gemeint. Hier verharre ich geraume Zeit. Wie ganz am Beginn schon geschrieben, blicke ich auf den „Sperre-Großsölk-Fjord“.

Weil ich die Pfadspuren verliere, steige ich hier in weiten Schleifen ab, um den unmarkierten Steig wieder zu finden. Und das gelingt mir auch. Eher im rechten Bildteil findet man das zarte Weglein.

Dieses Steiglein ist zwar nicht markiert, wenn man es jedoch einmal „hat“, kann man ihm gut folgen. Ich gelange zur Forststraße und den beiden Jagdhäusern.

Den Pfad, der hinter den Jagdhäusern beginnen soll, finde ich jedoch nicht. Und so schreite ich die Forststraße ein paar Kehren hinab. Bis zu…

…dieser Tafel. Hier leitet ein gut ausgetretener, besonderer Pfad zur Strickeralm hinüber. Seine Besonderheit ist, dass er mich an Kilos von Eierschwammerln vorbei führt.

Und vorbei deshalb: ich bin schon bückmüde. Nur fürs Schuhe ausziehen wird es gerade noch reichen.

Das sind jetzt keine Berge, deren Besteigung zur Hebung des Sozialprestiges beiträgt. Jedoch, sie sind um nichts weniger schön als namhaftere Gipfel und kleiden sich wunderbar vorteilhaft in Urwüchsigkeit und große Abgeschiedenheit. Auch die Stille steht ihnen sehr gut.

Im Anstieg etwa 1129 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 17,8 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Niedere Tauern, Schladminger Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Diese Aufnahme habe ich bei meiner Tattermann (2089 m) Wanderung gemacht.

Leopold ist zuerst auf die Moditzen gewandert und hat ganz im Gegensatz zu mir die eingezeichneten Jagdsteige gefunden. Den Weiterweg auf den Ahrnspitz hat er ausgelassen: Moditzen

Diesmal ist er über die Strickeralm auf den Ahrnspitz gewandert. Es lag schon Schnee und darum hat er die Kletterei verfünftigerweise ausgelassen: Ahrnspitz

Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.

Frischenschlager et al. (1996): Ennstal – Vom Dachstein bis zum Gesäuse. Wanderführer, Leopold Stocker Verlag, Graz.

Pürcher (2000): Erlebnis Ennstal, Schladminger Tauern, die schönsten Wanderungen und Bergtouren. Verlag Styria, Graz.

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