Sehnsucht nach den Ybbstaler Bergen: Vogelnestrücken (1216 m)

Bevorzugst du das Leben in einer großen Stadt oder ist dir das Dasein am Land lieber? Solche Entweder-oder-Fragen mag ich nicht, denn oftmals ist es ein Sowohl-als-Auch, ein Einmal-So und Einmal-So. Das ist mir viel lieber. Weil aber beim Sein kein Nebeneinander möglich ist, muss es das zeitliche Nacheinander auch tun. Diesmal waren wir in New York, und gleich nach der Heimkehr suchte ich den denkbar größten Gegensatz auf. Davon erzählt dieser Blogeintrag.

Es mag wohl keinen größeren Kontrast zu New York geben, als den Sandgraben, die Promau bei Hollenstein an der Ybbs. Mit dem Bild von diesem Häuschen im Unterschied zum Titelbild ist schon viel gesagt. Und ich benötige diesen Stillekontrast, Grünkontrast, Luftkontrast, Menschenleerkontrast nach der Heimkehr aus Amerika ganz dringend.

Wunderbare Tage in New York liegen hinter uns. Genächtigt haben wir in einem für dortige Verhältnisse kleinen Hotel nahe der Fifth Avenue und dem Central Park. Weil es so schmal ist, bietet das Carnegie Hotel lediglich zwei Zimmer auf einem ganzen Stockwerk. Gegenüber der Carnegie Hall gelegen, haben bestimmt schon viele Musiker hier genächtigt.

Mit ein bisserl Jetlag in den Knochen breche ich eine Nacht nach unserer Heimkehr auf. Ich bedarf ganz dringend einer Dosis Ybbstaler Alpen, und wenn es auch nur eine klitzekleine Verabreichung ist.

Ich parke am Beginn des Tischeksteigs (Gamssteinbesteigungen nehmen hier ihren Anfang) und wandere die Straße den Sandgraben weiter hoch. Unglaublich mächtig schaut die Stumpfmauer bzw. Voralm zu mir herab.

Die 3,5 Kilometer auf der asphaltierten Straße ziehen sich ein wenig.

Bei der Kleinpromau entscheide ich mich, das Schaueck „mitzunehmen“. Jedoch nach einigen Metern lässt mich Motorsägenlärm davon Abstand nehmen, und ich gehe zur Straße zurück.

Für ein wenig Abwechslung sorgen Infotafeln…

…und die Objekte der Information.

Ich gelange zum kleinen Niedermoor. Man kann es auf einem markierten Steig durchwandern und in seiner flächenmäßigen Kleinheit weist es doch die gesamte moortypische Fauna und Flora auf.

Bei dieser großen Wiese endet meine Asphaltstraßenmonotonie. Hier befindet sich mein Einstieg auf den Vogelnestrücken.

Begegnet sind mir bis zu diesem Zeitpunkt ein Auto und zwei Radfahrer. Hier werden das ganze Jahr über nicht so viele Menschen vorbeikommen, wie auf der Brooklyn Bridge in fünf Minuten. Wir teilen die Brücke mit Menschen aus aller Welt. Touristen wie wir machen wie wir …

… Touristendinge und finden es vermutlich wie wir: großartig. Wegen ihrer Naturnähe und Abgeschiedenheit wird diese Stadt nicht besucht. Und so begegnen wir mitunter den selben Besuchern an anderen, zumeist baulichen Sehenswürdigkeiten, wieder. Dabei ist die Krönung …

… und das Motiv, überhaupt hierher zu kommen, die Stadt selbst.

Der Big Apple ist überwältigend und beim Überwältigen zugleich unvorstellbar laut. Es zischt, dampft, hämmert,…

… jede Straße hat ihre eigene dröhnende Lärmwolke und dazu einen Foodtruck. Sie verfügen allesamt über ein permanent laufendes Dieselaggregat. Übertönt wird der stete Verkehrslärm nur noch von einem scheinbar endlosschleifigen Sirenengeheul, das sich über die ganze Stadt verteilt.

Der Lärmgegenpool dazu sind die Ybbstaler Alpen. Bereits nach wenigen Minuten …

… hat sie mich gefunden, die Stille. Diesen abgeholzten Rücken steige ich hoch.

Lediglich Holzziehspuren und Trittpfadspuren sind vorhanden.

In Manhattan stehen eng aneinandergereiht riesige Trucks für einen Filmdreh, stets mit laufenden Dieselmotoren.

Schauspieler oder Kameras konnten wir keine sehen, und weil es in meinem Kopf noch unwucht zugeht, fällt mir beim Erreichen eines Forststraßenendes und beim Anblick der hier aufgestellten Bienenstöcke sogleich ein: „Chuck Norris isst keinen Honig, er kaut Bienen“. Filmdreh, Schauspieler, Action ergeben bei mir, so wie es aussieht, Chuck Norris. Es dauert seine Zeit, bis ich den bienenkauenden Norris wieder aus dem Kopf bekomme.

Ich überquere die Forststraße, und steil geht’s weiter.

Nach der ersten Steilheit lehnt sich der Bergrücken zurück, und ein augenschonender, nie überreizender Waldaufstieg führt mich weiter. Gefühlt ist hier weit und breit niemand und nix außer Bäume und Gras.

Selbst gegen diesen schmalen kleinen Bergrücken nimmt sich der Central Park als mageres Fleckchen Natur inmitten der Metropole aus. Die New Yorker sehen das zwar anders,  eingezwängt zwischen der Park Avenue und der Columbus Avenue wird der Park, egal wo man sich darin aufhält, vom steten Verkehrslärm bespielt, und …

… über das frühlingszarte Grün ragen die Wolkenkratzer hoch auf. Es gibt Baseballfelder, Radwege, Zootiere, Bootsverleihe und eine…

…John Lennon Gedenkstätte. An der spielen abwechselnd Musiker Beatles- und vor allem, John-Lennon-Songs.

Und das Maximum an steinerner Wildnis sieht so aus:

Meine sehnsüchtige Suche nach ein wenig Verwilderung und Unwegsamkeit wird dann schon eher hier fündig.

Es tut so gut, alleine zu sein. Denn die unausgesetzte Nähe von Menschen hat mir nach ein paar Tagen bereits zugesetzt. Lange bleibe ich stehen und blicke mich um.

Ich bin keiner, der sich der Masse leicht vermählt. (Baudelaire angelehnt)

Ingeborg Bachmann schrieb einmal, sie möchte nur an Orten sein, „wo was gewesen ist“. Wir haben zwei solcher Orte in der Stadt aufgesucht: Einmal die Freiheitsstatue mit Ellis Island. Das Tor nach Amerika für Millionen von Einwanderern aus aller Welt. Mit einem sehr lebendigen und gestenreichen irischen Guide und amerikanischen Hauptstadtbesuchern aus Texas, Utah, Kalifornien und einer, wie von mir vermutet, sehr modischen Abordnung des südkoreanischen K-Pops.

Mit fantastischem Blick auf die Skyline in der Hudson Bay und der für Gabriele typische Naturverzückung. Da kann ein blühender Baum schon einmal interessanter sein.

Dieses Zitat hat sich Trump ganz offensichtlich ausgeborgt. Mit solchen und ähnlichen Sprüchen wurde den frisch eingetroffenen zukünftigen Amerikanern gleich einmal mitgeteilt, was von ihnen erwartet wurde.

Drei Tage später stehen wir wiederum mit vielen amerikanischen Touristen und hunderten New Yorker Neupolizisten an einem Wendepunkt der jüngeren Geschichte: am Ground Zero.

Eine kirchenruhige und nachdenkliche Atmosphäre obwaltet nicht nur viele Stockwerke unter der Erde, sondern auch…

… an den beiden Oberflächendenkmalen.

Kirchenruhe aber ganz ohne geschichtlichen Hintergrund und ohne Bedrückung erwartet mich auf meinem Weiterweg. Ich quere nochmals eine Forststraße, und die Bäume und Äste und Wurzeln in ihrer Sperrigkeit sind mir willkommen.

Still ist es, so still, dass man den jungen Buchenblättern beim Entfalten zuhören kann und den Ameisen beim Krabbeln. Und der Seidelbast verhält sich wie ein Bodendecker

Bald schon bin ich dem Gipfel sehr nah. Solche Wegabschnitte liebe ich ganz besonders, die sind meins.

Die Wegspur würde jetzt östlich am Gipfel vorbei führen. Darum begebe ich mich in diese hölzerne Unwegsamkeit,…

… um schon nach kurzer Zeit den felsigen Gipfelaufbau vor mir zu sehen.

Unschwierig klettere ich die letzten Meter auf den schmalen „Gipfelspitz“.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Vogelnestrücken (1216 m).

Instagrammposter findet man auf solchen Gipfeln nie, aber dafür ist es gerne und oft windig. Ich verlasse das kleine Gipfelchen…

… und suche mir ein paar Schritte abwärts einen großen Stein im windstillen Eck. Das ist mein Platz für die Mittagszeit. Ein von der Bäckereifachverkäuferin mit Käse, Wurst und Tomaten belegtes Weckerl in Papier gewickelt ist mein Magenglück. Blick zurück auf den Gipfelrücken.

Das Essen ist nicht ganz billig in New York. Lokale finden sich jedoch viele. Hilfreich ist es, wenn man Burger mag. Hier erlaube ich mir einen Tipp. In der Stone Street (im Financial District, parallel zur Pearl Street) gibt es tolle Straßenlokale:

Das mit dem Kaffee ist jedenfalls bei Mc Donalds ein schwieriges Unterfangen, dafür aber spaßig. Selbst nach zweifachem Nachbessern sieht ein Espresso so aus.

Dafür gibt es hier nirgends weichgetastete Früchte oder abgetatschtes Gebäck – weil alles, wirklich alles in Plastik verpackt ist:

Im Weiterwandern mache ich dieses Foto von den steinernen Abbrüchen am Vogelnestrücken.

Dann folgt noch ein kurzer, steiler Aufstieg durch tiefes Laub und über zahlreiche Querulantenbäume …

… zum unbenannten …

… höchsten Punkt dieser Wanderung.

Zu unseren Höhepunkten in New York zählen die Besuche des MoMa …

… und im Besonderen für mich, das Metropolitan Museum of Art. Hier wollte musste durfte ich eine besondere Schönheit, die für mich ohne ihresgleichen ist, besuchen. Ich empfinde beim Anblick dieser Skulptur vermutlich ähnlich wie Fjodor Dostojewski bei Raphaels Sixtinische Madonna.

Von ihm wird erzählt, dass er sich jedes Jahr nach Dresden begab, um sie zu betrachten.  Auf die Frage, warum er vor dem Madonnenbild verweile, sagte der Dichter: „Ich muss wenigstens einmal im Jahr zu etwas Schönem aufschauen können, um nicht an mir selbst und an anderen Menschen und der Welt zu verzweifeln.“ 

 

Mir geht es mit der „La Petite Danseuse de quatorze ans“ von Edgar Degas genauso.

Die knapp einen Meter hohe Wachsfigur wurde ein einziges Mal im Jahr 1881 auf der sechsten Pariser Ausstellung der Impressionisten in einer Vitrine gezeigt und bewirkte unterschiedliche Reaktionen, die von großer Bewunderung bis zu völliger Ablehnung reichten. Die Kritiker sprachen von „schrecklicher Wirklichkeit“. Die Figur der Tänzerin sei „hässlich“, „kümmerlich“ und „bösartig“. Doch das Kunstwerk wurde auch bewundert und geschätzt, besonders von denen, die Degas’ Malerei kannten und seine künstlerischen Absichten verstanden. Von dieser Wachsfigur existieren 29 Bronze-Abgüsse und einer davon im Musée d’Orsay – und dort habe ich sie zum ersten Mal gesehen und mich verliebt. Mehr zur „Kleinen vierzehnjährigen Tänzerin“  findet sich auf Wikipedia. Dort habe ich auch abgeschrieben.

Und weil keine Tänzerin in meiner Nähe residiert, erst in der Pinakothek in München ist sie zu finden, hat mir Gabriele eine Museumsreplik ins Buchregal gestellt. Meine Freude darüber ist anhaltend groß.

Ich verfalle in einen ruhigen Gemütszustand, wie schon seit Wochen nicht mehr. Die Vorurlaubshektik im Job, die Aufregung vor der Reise und die Reise selbst haben schon Spuren hinterlassen.

Spätestens jetzt habe ich mir den Lärm der Stadt abgeschüttelt, aus den Ohren gezogen.

Ich komme an einem Jagdstand vorbei, und danach steige ich einen steilen Holzziehweg zur Forststraße der Niederscheibenbergalm ab.

Rundum weichen der Wald und die Berghänge zurück und geben großzügig dem Tag für Tag fetter werdenden Almboden Raum.

Nach New York ist hier zu wandern fast wie das Jahrhundert wechseln.

New York ist die stadtgewordene leistungsorientiere Wirklichkeit. Eine Stadt, in der der Stärkste gewinnt, und alle leben anscheinend getreu dem Motto „lieber tot als Silber“.

Ein kleines schmales Auto fährt hier niemand, das wäre ein Verzichtsmobil für einen Amerikaner.

Natürlich ist New York auch die Stadt des Konsums – hier ist jeder ein Umsatznützling.

Wer nicht reich wie eine Goldmine ist, hat hier bestimmt ein schweres Leben.

Doch ist diese Stadt in ihrer Überwucht noch so viel mehr. Denn neben dem Wettbewerb geht es hier auch um das Aushalten, Wertschätzen und empathische Zulassen von Differenz.

Und wir sind dieser Stadt trotz allem erlegen. Die Eigentümlichkeiten dieser geschichtsreichen Weltgegend mit ihrem ausufernden städtischen Gesicht sind für uns ohne Vergleich. Vor allem hat uns die Freundlichkeit der New Yorker mit einer tiefen Sympathie für diese Stadt erfüllt heimfliegen lassen. Ein paar Impressionen finden sich noch im Anhang zu dieser Tourenbeschreibung.

Die Tourenbeschreibung findet ihren Schluss…

… mit dem schnell an Höhe verlierenden Tischeksteig.

In meinem Tourenbericht zur Gamssteinbesteigung habe ich diesen Steig als den vielleicht allerschönsten Waldanstieg unter den vielen, auch wohlgestalteten Waldanstiegen, in den Ybbstaler Alpen bezeichnet. Das finde ich jetzt auch noch.

Im Anstieg etwa 800 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 12,5 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Ybbstaler Alpen (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Paulis Tourenbuch: Über den Vogelnestrücken auf den Niederscheibenberg. In diesem Beitrag von Leopold findet sich auch ein interessanter Link zum ehemaligen Skigebiet am Gamsstein. (Abgerufen am 9.12.2023)

Ich bin keiner, der sich der Masse leicht vermählt.  (Baudelaire angelehnt)

Neben dem Wettbewerb geht es hier auch um das Aushalten, Wertschätzen und emphatische Zulassen von Differenz (abgewandelt aus einer Rezension von Daniel Haas)

New York Impressionen:

Wir kommen unserer Touristenpflich in allen Belangen nach:

Vom Rockefeller Center „Top of the Rocks“ hat man von ganz oben, ohne Glasflächen dazwischen, einen großartigen Blick auf die Stadt:

In New York werden weiter Wolkenkratzer errichtet …

…und in der Steiermark Berge. (Aus meinem Beitrag zur Überschreitung des Kaiserschildstocks)

 

An der Südspitze Manhattens, dort wo die Boote für Besucher von Lady Liberty und Ellis Island ablegen:

In den Fähren zu den Inseln geht es dicht gedrängt zu.

Auf den Inseln ist natürlich auch viel los.

Gerade die Kirchen in den USA oszillieren zwischen Trostfabriken und Angstmaschinen.

Jedoch Schlangestehen vorm Beichtstuhl war mir neu.

Nicht geschenkt wurde uns eine Too Many Zooz Begegnung in der U-Bahn. Das wär’s für mich gewesen.

Wer an seinen USA-Vorurteilen festhalten will, sollte nicht nach New York reisen.

Kultur in jeder Form…

…findet man in großem Überfluss:

Tage oder sogar…

… Wochen könnte man allein im Metropolitan zubringen.

Es ist einfach nur fantastisch.

Dabei sind schon die Stadtspaziergänge voller Überraschungen.

Fearless Girl vor der New Yorker Börse.

In der Nähe des WTC findet man dieses architektonische Highlight: „Oculus“. So kann ein Bahnhof auch aussehen (Elf U-Bahnlinien und eine Mal mit Geschäften, Cafes und Restaurants.)

Feuerwehr in Brooklyn.

Und, und, und…

Erzählens- und Zeigenswert wäre noch manch anderes. Ich will jedoch den gesprengten Tourenberichtsrahmen nicht noch weiter explodieren lassen.

FIN