Wandern am Rande einer Unbesonnenheit: Latschenkopf (1478 m) und Nojer (1492 m)

Rund um Wörschach habe ich bereits viele Gipfel besucht, aber lange noch nicht alle. Mit Sicherheit befindet sich der Nojer (1492 m) schon viele Jahre in meiner Gipfelvorratsdose. Darum habe ich ihn nach oben gekramt, und heute will ich ihn besteigen. Beim Planen der Wanderung ist überraschenderweise ein Gipfelchen samt Gipfelkreuz aufgetaucht: Der Latschenkopf (1478 m). Ausgesetzt sieht er aus, und weil ich keine Besteigungsberichte im Netz finden kann, macht mich das jetzt neugierig.

Der große Parkplatz am Spechtensee ist leer. 

Die Spechtenseehütte hat schon Saisonschluss, und ich habe in Erwartung eines warmen Tages kurze Hosen an.

Ob das mit den kurzen Hosen so eine gute Idee war, weiß ich gerade nicht.

Es ist bitterkalt und der Nordanstieg verheißt auch für die nächste Stunde keine Wärmebesserung. Von hier unten sieht es so aus, als gäbe es dort oben eine andere, nicht erreichbare und unbekannte Welt. Dieser Anblick bestärkt meine Phantasie. In der ist nämlich der Nojer eine Modellausgabe im Maßstab von 1:1,88 …

… vom Mount Roraima (2810 m) im Guayana Hochland von Venezuela. In meinem Kopf geht’s manchmal zu, ich kann euch das gar nicht sagen.

Also am Fuße meines Modellberges ist es kalt, die Grashalme sind alle ergraut und silberweiß überfroren. Der Reif dampft und …

…der Spechtensee noch mehr. Vom See werde ich heute noch reich beschenkt. Das fühlt sich am Ende Tages gut an, weil Neureich ist einfach das beste Reich.

Ein markierter Wegabschnitt mit Puls führt durch lichten Wald, steil bis zum Leistensattel.

Am Leistensattel (1250 m) ergeben sich die ersten herrlichen Ausblicke:

Meine Überschreitung vom Gwendlingstein über den Hechlstein war eine herrliche Herausforderung: Gwendlingstein und Hechlstein.

Und hier beschreite ich die „neue“ Forststraße, am Bild hinter den gelben Wegweisern zu sehen.

Das Geräusch eines Flugzeugs bohrt sich mir in die Ohren. Und obwohl ich es nicht sehen kann, weiß ich, dass es sich müht und anstrengt. Ich kann seine Plagen hören. Und dann kommt es über die Bäume: ein kleines Motorflugzeug, das ein Segelflugzeug hochschleppt.

Man kann die Forststraße ruhig zu Ende gehen, sie mündet in die Weide namens Farning.

Ein einladender Anblick tut sich hier auf. Ein Bergwald geschaffen aus Fels, Himmel und Zweigen. Wie ich schon aus den Berichten von Leopold und Manfred weiß, geht’s weiter zum riesigen Felsen in der Weide und an diesem links vorbei. 

Im Sonnenlicht blitzt mein erster Gipfel auf, als wollte er mich locken und den Weg weisen.

Ich gehe am Stein links vorbei, immer in etwa die Höhe haltend steige ich nicht viel auf. Ich will zum Wandfuß des Latschenkopfes gelangen.

Ich treffe auf verwirrend viele Pfadspuren, die gelten aber nicht mir. Hier treibt sich wild viel Wild herum. Und weil auch Gämsen ihre Gewohnheiten haben, entstehen diese Pfade. Ich gelange an den Wandfuß und sehe mich nach Anhaltspunkten um.

Für gewöhnlich habe ich ein gutes Auge, und oft liege ich damit richtig, manchmal lächerlich falsch, doch manchmal wunderbar richtig. Ein roter Punkt an der Wand und Wegspuren im schottrigen Untergrund …

… lassen mich links um den Felsvorsprung gehen. Ein Steinmännchen bestärkt mich in meiner Hoffnung.

Da hinauf glaube ich nicht, dass es weitergeht.

Rechter Hand macht jedoch eine steile Gasse auf. Mit der Steifheit der Alten starte ich den Aufstieg.

Ob ich hier richtig bin? Nur ein paar freigetretene, schwarzerdige Stellen lese ich als Hinweis. Ich kann keine Steinmännchen und keine roten Punkte am Fels ausmachen. Und zum Klettern wird’s jetzt auch. Ein paar Verwegenheitsreste sind mir ja geblieben, und mit diesen Überbleibseln lege ich die Stecken ab und versuche hochzukommen.

Ich bin ja nicht bewegungsunbegabt, aber die Naturwüchsigkeit meines Körpers spricht eine andere Sprache. Ich möchte es eine I-er Stelle nennen. Blick zurück. 

Immer mehr habe ich das Gefühl, richtig zu sein.

Und schon gelange ich zur Schlüsselstelle. Über diesen Stein muss ich in den Felsen vor mir kommen.

„Dieser Anblick macht dich nicht zufrieden, wenn du Sicherheit suchst“ denke ich mir. Über meinem Kopf kann ich hinter einer Latsche schon das Kreuz ausmachen. Soll ich das wirklich versuchen? Es ist total ausgesetzt, und das sind acht Meter im Fels, ohne Sicherungen. Sobald es ausgesetzter wird, reagiert mein Haaraufrichtemuskel schnell, und so richtig wohl ist mir gerade nicht. Dieser Abschnitt sieht dann aus größerer Entfernung fotografiert …

… so aus.

Und in einem Anfall von guter Selbsteinschätzung oder Unbesonnenheit (je nachdem, mit wem man darüber spricht) klettere ich zum Kreuz hoch. Wiederum würde ich es für eine I-er-Kletterei oder einen schwachen II-er halten. Fotografiert habe ich da nicht. Erst oben wieder.

Ein Innen-drinnen-Gipfelbild des überglücklichen Monsieur Peter.

So sieht das von außen aus: Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Latschenkopf (1478 m).

Viel Platz ist hier nicht, und gerade noch kann ich ein Gipfelbild machen. Jetzt bin ich neugierig, wer errichtet an solch einer abgehobenen Stelle ein Kreuz? Das Gipfelbuch ist vom Mai 2016.

Die Gipfelkreuz-Errichtungs-Initiatoren werden gleich auf der ersten Seite benannt, samt eines Leistungsnachweises …

… des Kirchgasser Franz. In meinem Wolkenmauer Beitrag habe ich schon einmal angemerkt, dass fast jeder Berg seinen Hausherren hat, der sich um die Steigpflege kümmert, Steinmännchen errichtet und ums Gipfelbuch besorgt ist. Ich vermute, der Franz war so einer. 

Wenn ich mich nicht täusche, könnte das der einzige Punkt sein, von dem man auf den Leistensee blicken kann – außer der Seewand natürlich – irre ich mit da?

Nach einer fantastischen Gindlhorn-Besteigung bin ich mit Reinhard weiter zum Leistenstein und Brandangerkogel gewandert: (Fast) ein Munro im Schatten des Grimmings – Gindlhorn (4129 ft).

Die Tourenbeschreibung zu den Tragln gehört zu meinen liebsten und gelungensten Berichten im Blog: Der Alleinste von allen: Monsieur Peter im Toten Gebirge.

Den Gamsstein und den Almkogel habe ich noch vor der Blogschreiberei von  Baumschlagerreith über das Salzsteigjoch erwandert und die Runde über die Lögerhütte und Hochsteinalm geschlossen.

Das Misslingen meiner Grimmingbesteigung kann man hier nachlesen: Versuch über das Bleibenlassen.

In bravouröser Umständlichkeit klettere ich wieder ab.

Ich wandere an der Felswand entlang zurück und immer weiter. Ich finde Trittspuren bis zu …

… dieser Stelle. Hier finde ich den „Normalanstieg“ auf den Nojer.

Links von mir kann ich auf diesen umgestürzten Baum sehen – und den kenne ich aus Manfreds Bericht.

Unten durch, und nach Überwindung einer Steilstufe bin ich am Plateau des Nojers.

Da fühle ich mich von den roten Punkten und Wegspuren im Kreis geführt. Wegdetails, die ich zu erkennen geglaubt habe, verrätseln sich wieder.

Immer wieder stolpere ich über halb ins Erdreich zurückgekehrte Baumstämme.

Um dann doch auf den Gipfel zu finden.

Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Nojer (1492 m).

Zurück irre ich wie ein geköpftes Hendl durch die Gegend, bis ich meinen Aufstiegsweg wiederfinde.

Erneut beim großen Felsen in der Wiese angekommen, setze ich mich und jausne endlich. Und weil ich, das habe schon einmal so geschrieben und es stimmt immer noch, ein Wanderer bin, der sich viel Zeit nimmt, um nur wenig weit zu kommen, erkläre ich das jetzt zur Tagestour. Den ins Auge gefassten Weiterweg zum Hochschweiz (1603 m) und den Aicherlstein (1180 m) lasse ich bleiben. Die beiden spare ich mir für eine Wanderung zur Burgruine Wolkenstein und durch die Wörschachklamm auf: Verflixt, jetzt geht der Deckel meiner Gipfelvorratsdose fast nimmer zu.

Der Spechtensee wartet mit einer Überraschung auf mich.

Weil ich längere Zeit in der Wiese gesessen bin, fällt mir das Aufstehen schwer, wie einer sehr alten Frau. Mein anfängliches rückensteifes Dahinhumpeln legt sich zum Glück schon bald wieder.

Ausblicke, die ich beim morgendlichen Anstieg übersehen habe.

Die Überschreitung des Hochtausings und den Weiterweg zum Bärenfeuchtmölbing kann man hier nachlesen: Hochtausing und Bärenfeuchtmölbing.

Aus dem Schatten kommend nähere ich mich dem See.

Solch ein Moorsee im Wald, wo viel Laub vermodert, …

… atmet eine gartenerdige Süße aus.

Und wie ein Hütchenspieler zaubert der See eine zweite Wirklichkeit herbei. Was ist hier echt und was gespiegelt?

Diese Augenbetrügereien bereiten mir großes Vergnügen.

Ich bin bei solch unerwarteten Ereignissen immer der Berührte, nie der unberührte.

Es ist herrlich.

Um sich zu bereichern muss man nicht unbedingt kriminell werden, manchmal genügt schon eine kleine Bergtour.

Im Anstieg etwa 515 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 7 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Totes Gebirge (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

In der Open Street Map ist das Gipfelkreuz bereits eingezeichnet:

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Meine Quellen:

Eigene Fotos von rundum:

Im Aufstieg zum Brandangerkogel fotografiert: (Fast) ein Munro im Schatten des Grimmings – Gindlhorn (4129 ft)

Bei meiner Wanderung auf den Hechlstein fotografiert: Gwendlingstein und Hechlstein

Bei der Skitour aufs Feldl fotografiert: Steigfellmeuterei am Feldl (1696 m)

 

Der Blogeintrag von Manfred: Nojer (1492 m), Hochschweiz (1306 m) und Aicherlstein (1180 m) (abgerufen am 18.12.2024)

Der Blogeintrag von Leopold: Vom Spechtensee auf den Nojer (abgerufen am 18.12.2024)

Der Blogeintrag von Albert: Nojer (1492 m), Hochschweiz (1306 m), Aicherlstein (1180 m) (abgerufen am 18.12.2024)

Senft (1994): Wandern im Salzkammergut. Verlag Leopold Stocker, Graz.

 

FIN