Mittagstein (1262 m)

Erneut habe ich mich zu Hause rausgeworfen. Ich will wandern. Wie Rousseau will ich der gesundheitsfördernden und gedankenschärfenden Wirkung des Fußmarsches vertrauen. Bemerkenswertes, wie dem französischen Philosophen, fällt mir bestimmt nicht ein, aber was ich morgen zu Mittag essen will und welches Buch ich als nächstes lese, könnte heute schon entschieden werden. Für mich ist das wesentlich. Das sind immerhin zwei der Sonnen, um die meine Welt kreist.

Ich fahre nach Steinbach am Ziehberg, bis ganz ans Ende des Güterwegs Ottenau. Hier befindet sich dieser Parkplatz, und hier beginnt mein Weg auf den Mittagstein. Ich besteige von der Nordseite den Berg und hoffe trotzdem auf ein paar wärmende Stunden in der milden Noch-Oktobersonne.

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Einen „zeitlosen“ Anblick bietet der Beginn meiner Wanderung. Eine lockende Arkade öffnet sich vor mir.

Fast schon erwarte ich, in dieser schattenschweren Allee, einen napoleonischen Soldaten aus dem Jahre 1809 auf seinem Pferd anzutreffen. Ich romantisiere wieder einmal mit offenen Augen. Bestimmt lese ich zu viel Stendhal. Die schwärmerischen Texte des kleinen, häßlichen, aber überaus libidinösen Franzosen verkleben mir die Wahrnehmung und bleiben sehr lange in meinem Kopf. Der Soldat reitet nur in meinem Kopf, und ich durchwandere diese Wandtapete.

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Der Ziehweg mündet allerdings in einem lehmschmierigen Waldaufstieg. Neben der Rinne der Schartenries bringt er mich in einer knappen Stunde bis zu dieser Forststraße, ganz in die Nähe des Hochmoores bei der Wolfwiese.

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Dieses Schild (wieder von meinem Lieblingsschildermaler) trägt auf sehr individuelle und künstlerische Art das Licht der Orientierungserkenntnis in den dunklen Wald.

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Auf industrielle Weise versucht das auch dieser Schilderbaum. Die meisten Namen kenne ich nur vom oftmaligen Kartenlesen daheim, im weit entfernten Wohnzimmer. Nur am Hochsalm (1405 m) und der Enzenbachmühle war ich bereits. Jetzt rückt mir alles näher, und der Gezimmerte Brunnen ist nur noch zwanzig Gehminuten nah. Mit jedem Schritt messe ich die Wanderkartenabstraktion an der Geländewirklichkeit.

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Der Weg zum Gezimmerten Brunnen ist zwar auf der Tafel angeschrieben und markiert, aber offensichtlich wenig begangen. Oder deckt das Laub vorhandene Wegspuren zu? Abschnittsweise ist es mehr ein Wegerahnen als Wegerkennen.

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Ab und zu erfährt die Markierung auch von Steinmännchen Unterstützung.

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Ein felsiger Abbruch wird zuerst unterwandert und danach erstiegen.

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Das Rascheln meiner Schritte im Laub ist weit und breit das einzige Geräusch, das zu hören ist. Wie ausgestorben ist es hier.

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Die Kapelle steht nicht in einer Lichtung, sie steht mitten im Wald. Was ich mir zuvor darunter vorgestellt habe, deckt sich jetzt nicht ganz mit dem, was ich hier vorfinde.

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Das Inventar dieser Marienwallfahrtsstätte kommt mir jetzt doch ein wenig erbärmlich vor. Ohne Sinn für Schönes ist das Hütterl mit wahllos angehäuften Plastikfetischen befüllt. Die große Madonna, mit reichlich Rosenkränzen behangen, hat eine Männernase,…

Männernasenmadonna

…und die Gesichtszüge wirken ein wenig entglitten. Vielleicht ist auch ihr Gesicht übermalt worden. Das soll ja vorkommen. Siehe hier: Von spanischer Rentnerin übermaltes Jesus Fresko in Borja.

borja

„In der Finsternis des radikal Kontingenten, Zufälligen braucht das sinnhungrige Mängelwesen Mensch Licht in der Finsternis und Strukturen des Heiligen (…) spirituelle Sicherheit“ (F.W.Graf)

Aber nicht nur das, der Mensch ist im Besonderen auch eine kitschgebärende, kitschverehrende Spezies.

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Ich höre ihn, bevor ich ihn noch sehe. Das stete Wassergerinsel folgt einer ganz eigenen Melodie und verrät den etwas abseits befindlichen Gezimmerten Brunnen.

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Wirklich schön und feierlich ist er nicht, dieser Ort. Darum halte ich mich auch nicht lange auf. Als echter Freistilwanderer steige ich den nächsten Hang in direkter Linie auf. Ich will den Gamsenbrand besteigen. In den Karten scheint er nur mit seiner Höhenangabe (1246 m) auf.

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Erste Ausblicke sind möglich. Auf den Buchen finden sich bereits die Rostfarben eines langen, fast schon vergangenen Jahres ein.

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Kurz vorm Gipfel staune ich nicht schlecht. Ich finde wieder einmal eine Forststraße, von der meine Karten noch nichts wissen. Die aktuelle OEK (siehe zum Beispiel bei bergfex) kennt die Straße allerdings bereits.

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Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Gamsenbrand (1246 m).

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Trotz der Forststraße versuche ich auf dem alten Fußsteig in Richtung Mittagstein zu wandern. Das ist ein mühsames Unterfangen, weil der Weg aufgegeben wurde. Auf verwachsenem Pfad, im Halbschatten eines lichten Waldes, finde ich trotzdem mein Ziel. Auf der Forststraße gehend hätte ich es einfacher haben können. Aber wer will schon einfach, wenn…

Auch der verwachsene Pfad mündet letztendlich in die Forststraße, und die führt mich  zu diesem Anblick: Der Mittagstein sieht recht selbstbewusst drein. Das ist jetzt keiner,…

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…der sich verstecken will.

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Immer am Grat, durch Latschengassen und an Felsköpfen vorbei, bringt mich ein guter Steig die letzten Höhenmeter zum Gipfel.

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Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Mittagstein (1262 m).

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Es existieren mehrere Höhenangaben zu diesem Gipfel. In manchen Karten und Büchern (Heizmann/Harant) wird die Gipfelhöhe mit 1260 m angegeben. Am „Güpfibuach“ findet sich die Höhe mit 1250 m, und in der „amtlichen“ OEK wird er mit 1262 m ausgewiesen. Im Zweifelsfall halte ich mich immer an die Angaben in der OEK.

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Mein Eintreffen kann zwei junge Frauen nicht vom Verlassen des Gipfels abhalten. Vermutlich, weil ich weder sehr schön noch sehr jung bin, werde ich von ihnen nicht als am-Gipfel-Verweilgrund angesehen. Auch gut, muss ich nicht reden, Smalltalk liegt mir heute gar nicht. Mich beschäftigen ganz andere Fragestellungen:

Kein Lebensmittelchemiker kann mir sagen, warum ein Jausenbrot am Gipfel eines Berges anders schmeckt (soviel besser), als in der Küche daheim. Auf jedem Gipfel versuche ich diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Eines habe ich bereits herausgefunden. Der Geschmack korreliert mit den Anstiegsmühen. Da gibt es einen Zusammenhang.

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Der gar nicht so hohe Berg bietet einen mächtigen Tiefblick. Steinbach am Ziehberg und darüber der Pernecker Kogel (1080 m).

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Der soeben überwanderte Gamsenbrand (1246 m).

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Der Hochsalm (1405 m) und links daneben der felsige Windhagkogel (1334 m). Die beiden habe ich bereits bei einer schönen Rundwanderung, im Oktober 2014, bestiegen.

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Der Blick in den Osten zeigt den möglichen Weiterweg und noch mehr.

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Silhouetten farbloser Berge zeigen sich im Süden (Kasberg und andere).

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Ich verspüre eine Unlust weiterzuwandern, wie ich sie in solchem Grade bisher noch nicht gekannt habe. Ich mag heute nicht. Den Weiterweg zum Hollerberg (1279 m) bis zum Pfannstein (1223 m) hatte ich im Sinn, und jetzt entscheide ich mich dagegen. Es fehlt mir die feste Hand der Disziplin, jeden Gipfel einer Landschaft in kurzer Zeit, buchhalterisch abzuwandern. Vielleicht ein andermal.

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Ich beschließe nur, bis zum Abstieg ins Gschlachtl am Grat zu bleiben und dort abzusteigen. Die Abzweigung ist betafelt, und ein guter Steig führt zuerst weniger steil durch dunklen Wald.

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Der Pfad wird dann immer abschüssiger und heute auch rutschiger. Allerdings vermute ich, dass dieser Weg in der Nordseite des Berges das ganze Jahr über feucht und schlüpfrig ist.

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Die Sauberkeit meiner Hose ist unterwegs verloren gegangen.

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Der Steig führt an der Gschlachtlries-Jagdhütte vorbei,…

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…in laubigen Kehren bergab.

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Weiter unten ragen Felstürmchen aus dem Waldboden. Den ersten besteige ich (Schullehrer Kögerl?). Auf dem zweiten soll sich ein Kreuz befinden – ich habe keine Lust, den Aufstieg zu suchen und steige weiter ab.

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Schon bald danach werde ich aus der dunklen Geschlossenheit des Waldes auf meinen Anstiegsziehweg entlassen.

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Diese Runde hoch über Steinbach am Ziehberg ist die perfekte Wanderung für schnell Ermüdende und leicht zu Unterhaltende. Sollten am Gipfel noch ungenutzte Energien vorhanden sein, kann man entweder den Hochsalm (1405 m) überschreiten oder bei übergroßen Energie- und Zeitreserven auch die Runde bis zum Pfannstein (1223 m) mit dem Abstieg durch den Lackergraben machen.

Im Anstieg ca. 765 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 7,2 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

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Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

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Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit: PanoLab  Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Version: 1.0.3  © Christian Dellwo.

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Sieghartsleitner(2000): Wandern rund um den Nationalpark Kalkalpen. 45 sorgfältig ausgewählte Familienwanderungen. Ennsthaler Verlag, Steyr.

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Heitzmann, Harant (1996): OÖ-Voralpen. OeAV-Führer, Ennsthaler Verlag, Steyr.

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