Ein Forststraßen-nomadisches-Ereignis: Wanderung zum Krugsee und auf die Krugspitze (2047 m)

Diese Wanderidee weilt schon lange in meiner Gipfelvorratsdose. Bei der Besteigung des Mödringkogels bin ich die wenigen Höhenmeter auf den Gipfel der Krugspitze „extra“ nicht gewandert, weil ich diesen Gipfel mit seinem See für eine zukünftige Besteigung aus dem Gaalgraben geschont habe. Allein bis heute hat mich die stundenlange Anreise von diesem Vorhaben abgehalten, und heute Morgen erst endet endlich dieser Aufschub in einem mächtigen Aufraffen. Früh-Dunkel-Morgens mache ich mich auf den Weg.

Komfortzonentreue nannte ich mein langes Hinausschieben, und philosophisch untermauerte ich das für mich mit der stoizistischen Aussage: „… dass Glück ein reibungslos verlaufendes Leben ist“.

Nach diesem Tag, und jedenfalls in dieser Wanderangelegenheit, stimme ich jetzt Reinhard Sprengers Postulat mehr zu: „… persönliches Glück ist eine Überwindungsprämie.“

Nach einer Stunde Fahrzeit bis Admont mache ich eine „Hygienepause“ samt Espresso und Jauseneinkauf in der dortigen OMV Tankstelle. Weil Allerorten viel und gerne gejammert und geschimpft wird, möchte ich das jetzt nicht unerwähnt lassen: Die Toilette ist picobello sauber und die junge Frau in der Bedienung ist auch um diese frühe Zeit bereits freundlich, der Kaffee gut und die Jause frisch zubereitet. Geht’s mir gut? Mir geht’s gut!

Meine Anfahrt erfolgt über Trieben, Hohentauern bis St. Oswald-Möderbrugg. Ich muss nicht über Knittelfeld fahren, sondern kann mit der Josef-Krainer-Straße übers Sommertörl abkürzen. In solchen Momenten kann ich den Leopold Pollak (http://www.paulis-tourenbuch.at) gut verstehen, dass er den Bergen näher sein wollte und darum von Wien nach Gröbming übersiedelt ist.

Blick auf die Abzweigung zum Gaalgraben. Links geht’s zum Sommertörl.

Ich parke am Sommerparkplatz bei der Grafenhube und beginne nach ein paar Streck- und Dehnübungen meinen weiten Anmarsch.

Eine Forststraße von ermüdender Länge nimmt hier ihren Anfang. Und weil die Forststraße fast gerade in den Gaalgraben hineinführt, ist sie überhaupt nicht abkürzungstauglich.

Wie so oft in der jagdlichen Steiermark, gibt es Schranken, Zäune und Tafeln, um ein mögliches Einsickern des Feindes zu verhindern, denn jeder Wanderer ist einer und jeder Radlfahrer ist ein Todfeind.

Weiter oben, das könnte die Salzlecken sein, ist der Tag schon in seiner vollen Sonnenpracht angekommen. Die Überschreitung vom Sommertörl zum Amachkogel war ein wind-nebeliges Highlight mit Freunden.

Noch ist es kalt im Grabeneinschnitt, denn Tal ist der Gaalgraben ja nicht – oder heißt es die Gaal?

Die Forststraße verfügt über eine beträchtliche Narkosefähigkeit, und da kommt mir die Gaalwaldhütte als Muntermacher und zur Abwechslung gerade recht.

Jedoch ist nur Schauen gestattet,…

…und Wanderer werden nicht getränkt und verköstigt. Neben dem weiten Anmarsch dünnt auch das Nichtvorhandensein einer Einkehrmöglichkeit die möglichen Wanderinteressenten gehörig aus, und nur noch besonders hartnäckige Einsamkeitssucher machen sich hierher auf den Weg.

Es ist ein Hochherbsttag. Die eingestreuten Kiefern leuchten, jedes Blatt in einer anderen Schattierung und alles zusammen sieht ein wenig wie eine Fototapete aus. Trotz alledem, der Hauch des Winters liegt bereits in der Luft

Bis kurz vorm Verlassen der Forststraße kann ich ohne Abgase in der Nase wandern, dann überholt mich ein dunkelgrün lackierter Waldpanzer. Die Camouflage will ihm nicht gelingen, ich erkenne unter seinem Grün den weltweit 16 Millionen Mal beheimateten Toyota-Pickup. Weil es in vielen Ländern der Welt immer noch keine guten Straßenverhältnisse gibt, ist der Toyota-Pickup das Fahrzeug der ersten Wahl und so auch oft in der waldlichen Steiermark.

Mein Berg. Heute. Bald schon.

Nach dem Musenbach mit seinem unüberhörbaren Sprachfehler (er lispelt) geht es noch ein paar Meter…

… auf der Forststraße entlang, bis endlich der letzte Pfadabschnitt zum Krugsee beginnt.

Da freut sich der Waldenthusiast in mir.

Grünliche Schichten von Waldzwielicht liegen über der Landschaft, und…

…das feuchtrote Moos hält sich für die Augenbrauen…

…der wässrigen Waldaugen, in denen sich die Bäume spiegeln.

Wie so oft beim Wandern, kommt nach dem Wald der Berg. Irgendwo durch diesen Hang müsste mich der Weg führen.

Eher westlich vom Gipfelaufbau beginnt der markierte und gut sichtbare Steig.

Es ist so steil, dass ich mich gerne allen Forderungen des Weges hingebe und nicht nach Abkürzungen Ausschau halte.

Wenige Meter unterhalb des Sees entspringt „junges Wasser“,…

…und das ist ja nicht einmal zu seinem Beginn fadenschwach, sondern von der Entbindung an ein munteres Bürschchen.

Mit dem Erreichen des abgelegenen Krugsees (1850 m) erfüllt sich mir ein langgehegter Wunsch.

Mir bietet sich dieses phantastische Berg-Rondo.

Vom schwachen Wind getragen, vernehme ich zuerst nur Stimmgemurmel, dann kann ich die Wanderer in der herbstdürren Bergflanke auch sehen. Sie steigen in Richtung Krugtörl hoch.

Ich halte mich aber nicht auf und wandere durch einen ausgeschnittenen Latschenpfad in Richtung Steilflanke der Krugspitze. An dessen Ende…

…erschweren massenhafte, mit ihren geraden Flächen wie aus dem Berg gemeißelte Granitblöcke das Weiterkommen. Das ist in ungeahnter Weise fordernder, als es den Anschein hat.

Diese Steinblöcke wurden nicht verlegt, sondern wie gewürfelt geworfen.

Vor mir ein Steinmännchen, in das ich jetzt mein Vertrauen setze, auch wenn ich noch keinen Pfad ausmachen kann. Im Endergebnis ist dieser Blockhaufen nur für Ungeübte und besonders Müde ein bisserl fordernd, und ab den Steinmännchen sind die „Schwierigkeiten“ gegessen.

Mein Aufstieg erfolgt jetzt über die kürzere, aber steilere Flanke.

Unschwierig steil geht’s zum ersten großen Steingebilde. Eingeschobene Atempausen verwende ich zur Umschau und zum Fotografieren.

Hier staune ich über die riesige Waldweite, die ich schon durchschritten habe: der Gaalgraben.

Und der Blick zurück auf den Blockhaufen und natürlich den Krugsee.

Blick auf den Anstiegsweg durch den Wald: Das schaut mir wie ein feines Skitourengelände aus.

Nur eine klitzekleine Bewegung verrät es mir. Ein Schneehuhn, wie aus dem Nichts hingezaubert: „Wo kommst denn du her?“ frage ich das Huhn. Auch ohne eine Antwort rede ich weiter auf das Hendl ein und freue mich wie verrückt über diese unerwartete Begegnung.

Es hat sich bereits in den Winterpyjama geworfen und rührt sich nicht – es ist vorsichtig, misstrauisch und jederzeit bereit abzusegeln, was es bei meinem Näherkommen dann auch macht.

Und mit der Landung wird es für meine Augen sofort zur Entschwundenen.

Es sind nur noch wenige Meter zum Gipfel, und bevor ich ihn erreiche, gelangt von der anderen Seite ein älteres Ehepaar samt misslaunigem Schäferhund auf den höchsten Punkt. Jetzt habe ich den ganzen Tage niemanden getroffen und gerade am Gipfel…

Wir grüßen uns, und der Hund knurrt. Ich biete den beiden das Fotografieren an, was aber sofort abgelehnt wird: „Wir mögen das nicht und am Großglockner hat der Bergführer gesagt  …“. Also ihr sechstes oder siebtes Wort bei dieser Begegnung ist „Großglockner“ – da kenne ich mich dann auch aus.

Der Hund knurrt ständig und zieht in meine Richtung. Dann fletscht er sogar ausgiebig zänkisch die Zähne, und das sieht jetzt sehr bedrohlich aus in der Kleinörtlichkeit des Gipfels. Es ist weniger ein Hund, als ein ständig böse vibrierendes reichlich bezahntes Fellbündel – hinter seinen gefletschten gelbweißen Zähnen kann ich sogar den violetten Gaumen erkennen.

So, oder so ähnlich hat das ausgesehen.

Und bevor mir die Situation meinen ganzen blauen Himmel schwer verwölkt, biete ich an, damit der Hund nicht unruhig bleibt, mich vom Gipfel wegzusetzen. Dieses eng aufeinander eingeübte Ehepaar findet das eine gute Idee, denn wer weiß…

Das Rudel gewinnt immer!

Jetzt sitze ich ein paar Meter unterhalb des Gipfels und wundere mich über mich und die Hundebesitzer. Über die Tierhalter, weil sie das Maß nicht finden, in der Liebe zu ihrem Tier und über mich, weil ich alt genug bin, um nicht immer angenehm sein zu wollen. Vielleicht ist es auch für mich längst an der Zeit, den inneren Engel zu töten.

Weil ich mich von meiner Gipfelroutine (vor der Jause) nicht abbringen lassen will, gibt es  diesmal ein Prä-Gipfelbild: Krugspitze bzw. Kneiselspitze (2047 m).

Und erst nachdem das Rudel die Krugspitze verlassen hat, das obligatorische und unverzichtbare Gipfelfoto: Krugspitze (2047 m).

Sie sind abgestiegen, das eheliche Schweigen und das Hundeknurren hängt noch in der Luft, zu meinem Glück aber nur so lange, bis eine kurze warme Böe den Gipfel durchlüftet.

Ich bin nur zum Fotografieren auf den Gipfel hochgewandert und dann wieder zurück zum Feiglings-Tisch. Vielleicht kommt ja noch jemand, und ich bin gerne ein Allein-Esser und auch ein Allein-Schauer.

Mit langsam umherschweifenden Augen speichere ich alles, was ich sehe. Diesem Anblick ist in meinen zukünftigen Erinnerungen ein Fixplatz reserviert. Schon bei meiner Besteigung des Mödringkogels fand ich diese Ecke der Niederen Tauern zum Niederknien schön.

Das rötliche Rostbraun an der Ostseite der Krugspitze …

… wird von Bachverläufen durchzogen, die dem Nervensystem eines Riesen gleichen und sich zum guten Schluss zum Kneiselbach zusammentun.

Hier heroben lässt es sich gut rekonvaleszieren und zugleich Pläne schmieden: Die Ochsenspitze würde sich auch gut in meinem Tourenbuch machen.

Vielleicht sogar (sie ist von allen Seiten unmarkiert) aus dem Türenkar – das reizt mich jetzt sehr.

Werden wir uns an solch meterologischen Extremismus gewöhnen müssen, dass man auf zweitausend Meter Seehöhe Ende Oktober auf solche Temperaturen trifft?

Die Zeit vergeht mir wieder einmal viel zu schnell. Es heißt Abschied nehmen. Ich überschreite jetzt die Krugspitze, bis ich auf den unmarkierten Pfad treffe, der unterhalb des Krugtörls zum See führt.

Den Hang entlang, im verbrannten Gras, gehe ich zum See zurück.

Hier ist es still. Die Wasseroberfläche bewegt sich nicht und die Felstrümmer könnten auch versteinerte Schildkröten…

…oder Krokodile sein.

Ein letzter Blick zurück, und schon bald …

…stehe ich am Beginn des steilen Aufstiegspfades. Die Gipfel vor mir fehlen mir noch – vielleicht mache ich es wie Leopold und überschreite sie mit einem Übernachter.

Auch den Waldabschnitt lasse ich rasch hinter mir – weniger schnell geht das mit dem Forststraße-hinter-mir-Lassen. Heute morgen habe ich mir Schritt für Schritt die Landschaft erobert und jetzt geht’s in die andere Richtung zur Entroberung.

Beim monotonen Dahinschreiten muss ich unwillkürlich an: „Fahr’n Fahr’n Fahr’n auf der Autobahn…“ von Kraftwerk denken,…

…und dann ist Sigi Marons „A Nocht laung auf da Autobahn“ gefühlsgedanklich auch nicht mehr weit:

Ein gefährlicher Gedanke steigt in mir hoch: Den Parkplatz zwei Kilometer ins Tal hinein zu verlegen, wäre das so schlimm?

Mit Hin- und Rückweg erspart es der Wanderin und dem Wanderer vier Kilometer  Forststraße von zehn. Das heißt, eine ganze Stunde Staubschlucken weniger, und warum keine Fahrräder erlaubt sind, erschließt sich mir auch nicht. Jedoch einen guten Grund gibt es sehr wohl, dass es so bleibt wie es ist.

Diese Abgelegenheit ist der Schutzmantel, die Tarnkappe, der Tarnumhang dieses Sees und seiner Gipfel rundum. Ein Tal weiter ist der wunderschöne Ingeringsee mit dem Auto leicht erreichbar, und entsprechend viel ist dort auch los. Vom touristisch völlig überlaufenen Grünen See in Tragöß will ich gar nicht erst anfangen. Also passt das hier schon ganz gut.

Anfangs habe ich vom Glück als Überwindungsprämie geschrieben, und die  fällt in diesem Fall üppig aus: 360 Minuten Wanderglück, da ändert auch die Forststraße nichts daran – zum Schluss mochte ich sie sogar.

Im Anstieg etwa 805 Hm und zurückgelegte Entfernung nahezu 15,6 km.

Senf dazu? Sehr gerne!

blog@monsieurpeter.at


Darf’s ein bisserl mehr sein?

Weitere Unternehmungen in der Region Niedere Tauern, Triebener Tauern (Auswahl):

Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.

Meine Quellen:

Vom Parkplatz bei der Grafenhube…

…der lange Weg zur Krugspitze.

Ausschnitt aus Kompass Logo Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.

Die Bildbeschriftung erfolgte mit:
PanoLab Beschriftungsprogramm für Panoramabilder Ⓒ Christian Dellwo.

Diesmal gibt es auch ein P.S.:

Am Beginn des Gaalgrabens, etwas abseits und erhöht befindet sich diese Hütte. Die musste ich einfach sehen und besuchen. Danach geht’s wieder über das Sommertörl, in die Heimat.

Bergfex Martin liefert wie immer schöne Bilder: https://bergfexmartin.at/krugsee/

Auferbauer (1987): Niedere Tauern. Verlag Stocker, Graz-Stuttgart.

Zeller (2005): BergErleben, Seckauer Alpen, Seetaler Alpen, Glein- u. Stubalpe. Verlag Gertraud Reisinger, Spielberg.

Hödl (1989): Bergerlebnis Steiermark. Verlag Styria, Graz.

Hödl (2008): Bergerlebnis Wölzer, Rottenmanner, Triebener Tauern und Seckauer Alpen. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz.

Holl (2005): Niedere Tauern. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.

Buchenauer (1976): Bergwandern in der Steiermark. Tyrolia Verlag, Innsbruck.

Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.

Jäckle (1926): Führer durch die Östlichen Niederen Tauern. Sektion Edelraute d. Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Wien.

„Ich bin gerne ein Allein-Esser und auch ein Allein-Schauer.“ (P. Handke abgewandelt)

FIN