Für manche gilt die Landschaft um das Triebental als das Klein-Kanada der Steiermark. Das oberösterreichische Gegenstück dazu ist für mich, vor allem nach dieser Tour, das Sengsengebirge samt dem wasser- und waldreichen Hintergebirge.
Das ist das beste Wetter, um mich für ein paar Stunden vor der garstig-hektischen Zerflatterung im Tal abzusetzen. Wolken ziehen wie schwer beladene Lastkähne langsam über den Gebirgshimmel. Trüb ist es, ganz ohne Versprechen einer Wetterbesserung. Aber 20 cm Neuschnee ist ja schon nicht Nichts, und ein zartes Hoffen auf den einen oder anderen Sonnenstrahl gehört wie der Rucksack zu meiner ständigen Bergausrüstung.
Wie schon bei der Mayrwipfl Tour vor vier Wochen, parke ich mein Auto bei der Muttling Kapelle. Nur heute kommt kein anderes Auto mehr dazu, und das erste Stück muss ich meine Schi tragen.
Der Himmel über dem Warscheneck lässt sich nicht lesen. Wolkensud, der jeden Wahrsager verzweifeln lässt. Werden die Wolken mehr oder weniger? Blitzt da Himmelsblau auf oder sind das dunkle Regenfetzen? Das Himmelsgeschehen ist jedenfalls weniger dramatisch, als das…
…Bodengeschehen. Hier gewittert’s gewaltig, und völlig unerwartet trifft mich ein glühend-kalter, bösartiger, erdig-brauner Blitz. Er hinterlässt in mir alle Traurigkeit, zu der ein Schitourengeher fähig ist.
Die haben die Forststraße geräumt! Nicht geräumt, zerstört haben sie die Straße. „Das meinen die nicht ernst“ geht es mir durch den Kopf. „Zwanzig Schützenpanzer braucht man, um eine Straße so herzurichten“ denke ich mir in meinem Jammer. Am Rande des Nationalparks, bei so einer beliebten Schitour. Schneetaliban? Jägerbarbaren? Bauernrowdies? Berhördenvandalen? Försterscheusale?
Keinen Meter kann ich mit den Schiern gehen, so gründlich wurde geräumt. Aber in meiner unzerstörbaren Begeisterung lasse ich mich von meiner geplanten Tour nicht abhalten.
Ganze zwei Kilometer (Zefix!!!) und 200 Höhenmeter (Zefix!!!) muss ich meine Schi tragen, denn erst am Haslersgatter erstickt diese unsägliche Aktion im noch meterhohen Schnee.
„Wofür und Warum diese Untat?“ schreit es in mir beim Schischuhe säubern. Wie Nutella zwischen Kinderzähnen haftet schwarze Erde an den Schischuhschnallen und im Schuhprofil.
Es gibt die Erklärung am Ende des Tourenberichtes. Eine ganz andere als ich jetzt annehme. Schon in Shakespeares Julius Caesar heißt es: „Doch Menschen deuten oft nach ihrer Weise die Dinge, weit entfernt vom wahren Sinn.“
Die Straße auf den Kleinerberg (1287 m) ruht friedlich unter einer dicken Schneeschicht. Unberührt. Unbeschädigt.
Der Kleinerberg ist heute auch mein erstes Ziel. Auf der tief verschneiten Forststraße erreiche ich ratzfatz den Sender.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Kleinerberg (1287 m).
Der 80 m hohe Sendemast fischt in der Wolkendecke nach Sendesignalen. Mit den Signalen, die er einfängt, versorgt er die topographisch abgelegenste Ecke Oberösterreichs. Unter anderem mit Ö1 (97,8 MHz) Radio OÖ (93,1 MHz), Ö3 (88,3 MHz), FM4 (102,1MHz), Life Radio (95,6 MHz). Diese Informationen findet man auf der Seite Rundfunksender Österreichs.
Wie ein hoher Viertausender schaut das Warscheneck (2388 m) von diesem Standpunkt aus. Weit überragt es seine Umgebung und ist die einzige Bergspitze, die es an diesem Tag bis in den blauen Himmel schafft.
Der Mayrwipfl (1736 m) in der Bildmitte wird einmal von der Wolkendecke frei gegeben, und dann verschwindet er wieder völlig darin. Rechts der Bildmitte ist der lange Rücken mit meinem heutigen Ziel gerade noch zu erkennen.
Ich bleibe nicht lange und rutsche mit den Fellen an den Schiern in meiner Aufstiegsspur zurück.
Ich biege von der Forststraße auf den erst vor einem Monat mit Reinhard, an einem traumschönen Wintertag, begangenen Weg ab. An diesem Tag war alles Sonne. Für heute bin ich immer noch zuversichtlich.
Mein Hoffen könnte sich erfüllen. Die Sonne rüstet sich zum Durchbruch,…
…und meine Seele steigt empor.
Die verfallene Mayralm lugt gerade noch über die Schneedecke.
Grenzenlose Schneeweiten öffnen sich auf der Alm. Die dunklen Wolkenschatten lassen die Landschaft viel ernster dreinschauen, als bei unserer Tour auf den Mayrwipfl (1736 m) (Bildmitte).
Das ist aber heute nicht mein Ziel. Der Schnee patzt schon hemmend und versucht sich unliebsam an meinen Fellen festzupappen. Ich brauche Schattenschnee und verlasse eilig die Mayralm. Ich gehe zum malerischen alten Jagdhaus und tauche in den schneejungfräulichen Wald ein.
Schon ab dem Jagdhaus darf ich meine eigene Fährte legen.
Ich halte mich immer nahe an den Abbrüchen zur Steyrleiten und der Reifmauer. Sehen kann ich diese Abbrüche nicht, denn so nahe will ich ihnen dann doch nicht kommen.
Auf einer Anhöhe reißt die Wolkendecke kurz auf und erlaubt mir einen Blick zum Mayrwipfl (1736 m).
Nur wenige Tierspuren finden sich im tiefen Schnee. Hier wird das Wild nicht über den Winter gefüttert, und das dürfte Selektion genug sein. Noch immer muss ich den Kopf heben, um zum Gipfel hochzuschauen.
Ab der Mayralm ist diese Schitour mehr eine Schiwanderung. Und trotz der wenigen und immer nur kurzen Anstiege habe ich das Gefühl, schon ewig unterwegs zu sein. Heute komme ich nicht vom Weg ab, keine Abweichung widerfährt mir – denn wo ich bin, ist der Weg.
Von mir gefühlt ist dieser Ort am weitmöglichsten vom Alltag abgelegen. Und da wollte ich hin.
Von einer großen Tanne schneegeschützt, weist ein Steinmännchen den unmarkierten Sommerzustieg aus. Aber es bleibt die einzige menschliche Spur am Weg.
Kaltfröstelnd und neugierig gehe ich immer weiter in den Nebel hinein.
Der Vergleich mit Kanada hat schon seine Berechtigung. Bei Nebel sieht Kanada vermutlich auch nicht viel anders aus, als die Steyreckböden über der Reifmauer. Ob sich hinter dem Nebel noch zwei Kilometer oder zweitausend Kilometer erstrecken, ist für den Nebelbetrachter egal.
Dieser Nebel schenkt mir die glücklich-einsamen Stunden, nach denen ich mich schon so gesehnt habe.
Ein letzter Anstieg und wie aufgemalt, ragt aus der weißfarbigen Farblosigkeit das Gipfelkreuz auf.
Obligatorisch und unverzichtbar: das Gipfelfoto am östlichsten Gipfel des Sengsengebirges: Steyreck (1592 m).
Das mit der Aussicht ist jetzt so eine Sache. Ich kann einfach nicht sehen, was meine Wanderkarte so daherplaudert:
So oder so sehe ich mit meinen herabhängenden Hosenträgern wie etwas aus, das in der Wildnis nicht überleben würde. Aber das bloße Aussehen kann fürchterlich täuschen. Vielleicht verbirgt sich ja in der größten Lebensnot ein wilder Wolf in mir?
Stundenfern der nächsten Menschenseele endet auch diese Rast.
Bei der Abfahrt (die mehr ein Zurückwandern ist) will ich einen Gegenanstieg vermeiden und fahre in Richtung Eisgrube ab. Ein Schwung und noch ein Schwung, und weil es so gut geht, noch ein paar Schwünge, bis es deren zu viel ist: „Die Gier is‘ a Hund Schwung“.
Meine tätige Reue besteht aus einem zähen Hatscher zurück zur Mayralm.
Ich bin an der „Spur“ zum Mayrwipfl angelangt. Zwei Schitourengeher dürften diesen, heute sehr einsamen, Gipfel besucht haben. Der Gegenanstieg zur Mayralm ist mir vor einem Monat bereits auf den Wecker gegangen und tut es heute wieder. Weiter geht es über den engen Ziehweg zum Bloßboden.
Beim Durchpflügen dieser weißen See mit ihren gutmütigen Wellentälern hinterlasse ich…
…erstarrtes kaltes Kielwasser. Keine weiche Woge kommt von der Seite, um meine Spur zu tilgen.
Am Haslersgatter eingetroffen, fällt mir wieder die geräumte Forststraße ein.
Ich kann jetzt nicht in fünf vergnüglichen Minuten abfahren, sondern nur in einer schmutzig-halben Stunde hinabgehen. Darum klopft eine große Horde schimpfwilliges, bösartiges Adrenalin an meine Gemütstüre und verlangt Einlass.
Der Zugang zu meinen Gefühlen und Empfindungen bleibt für böse Einflüsterungen verschlossen. Ich bin von innen mit Glück ausgepolstert (W. Herrndorf). So einfach lasse ich mir diesen verträumten Kanada-Illusions-Tag nicht aus den Gedanken und aus dem Herzen drängen.
Wenn ich wieder daheim bin, suche ich Aufklärung für diese brachiale Forststraßenverstümmelung.
Wieder zuhause, schreibe ich dem Gebietsverantwortlichen beim Nationalpark, dem immer freundlichen und sehr engagierten Herrn Paumann. Dieser ist ja bereits einmal in einer Tourenbeschreibung in schriftliche Erscheinung getreten. (Großer Quenkogel, Trompetenmauer,Wasserklotz und Asteiein) Er teilt mir mit, dass die Straße nicht zum Nationalpark gehört und vermutlich zur Senderbetreuung am Kleinerberg oder im Auftrag eines Paraglidervereins geräumt wurde. Ich schreibe ihm zurück, dass die Straße zum Kleinerberg schneeweiß und unberührt ist.
Er hat zwischenzeitlich weitere Informationen eingeholt und verweist mich an den Hänge- und Paragleiter Club Garstnertal. Dessen Obmann rufe ich an. Weil seine Vereinsmitglieder nicht fliegen können, brauchen sie einen hohen Absprungspunkt. Darum sind sie zahlende Pächter am Kleinerberg, und die Räumung wurde völlig zu recht vom Verein in Auftrag gegeben. Schon am 24.03.2015 ist die Straße bis zum Sender geräumt, und das wird auf deren Homepage freudig bekanntgegeben: „Ab sofort ist die Senderstraße wieder befahrbar. Einer Auffahrt zum Startplatz steht nichts mehr im Weg! Vielen Dank an Ernst für die frühe Schneeräumung“.
Das muss ich so anerkennen. Des einen Glück kann des anderen Unglück sein.
Auch die Räumung bis auf den erdigen Grund hat seine Richtigkeit. Herr Paumann erklärt das so:
„Die auf ihren Fotos ersichtliche Schneeräumung ist auf Forststraßen durchaus üblich, es muss bis auf den Straßenkörper hineingeräumt werden, da ansonsten ein „Schneebelag“ entsteht, der dann bei wärmeren Temperaturen aufgeht und dann die Schotterstraße erst unbefahrbar macht. Der Schneepflug kann natürlich nicht so gut geführt werden, wie auf einer Asphaltstraße, daher die Stufen, die entstanden sind. (…) Wenn der Schnee geschmolzen ist, bleibt am Straßenrand nur mehr der Schotter liegen, der dann mit Straßenpflegegeräten im darauffolgenden Sommer wieder anplaniert wird.“
Was lerne ich daraus?
Ich habe nicht nur keine Ahnung von Quantenphysik, sondern auch keinen Tau von Forststraßen und deren Erhaltung.
Im Anstieg ca. 940 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 15,4 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Sengsengebirge (Auswahl):
- Auf den meist besuchten von den selten besuchten Bergen: Hagler (1669 m) im Herbst
Hagler (1669m) - Sengsengebirge erster Tag
Schillereck (1748m), Hochsengs (1838m) - Zuerst staunen in der Eiskapelle und danach aufs Steyreck (1592 m)
Steyreck (1592m) - Wuthering Heights im Sengsengebirge: Spering (1605 m) im Föhnsturm
Spering (1605m), Siebenstein (1246m) - Mayrwipfl (1736 m) – Frühlingsschitour im Februar
Brandleck (1725m), Mayrwipfl (1736m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Heitzmann, Harant (1996): OÖ-Voralpen. OeAV-Führer, Ennsthaler Verlag, Steyr.
Heitzmann, Harant (1999): Reichraminger Hintergebirge (Neuauflage) Ennsthaler Verlag, Steyr.
Stoderegger/Zehetner (2012): Schitourenführer Phyrn – Priel. Verlag Kilian, Vöcklabruck.
Steyreck mit Schneeschuhen von Helmut Seiringer (abgerufen am 13.6.2015)
Steyreck mit Schneeschuhen von Andreas Basch auf bergliste.at (abgerufen am 13.6.2015)