So kleinräumig und kuschelig eng zusammengerückt die Hochtorgruppe auch sein mag, weit und hoch und gar nicht einfach sind die Steige zu ihr. Zwischen den Ufern der Enns und den lockenden weißgrauen Kalkspitzen liegen weite Wege und viel Luft.
Ein echter Klassiker ist der Zugang von der Kummerbrücke über den Wasserfallweg auf die Planspitze. Tausendsechshundert Höhenmeter sind in leichter Kletterei zu überwinden. Eine Tour, die an meinem konditionellen Selbstverständnis kratzen wird. Vermutlich weiß ich am Gipfel nicht einmal mehr, wie ich heiße. Aber Little Joe, mit diesem Hut am Kopf kann ich Stefan nicht anders nennen, wird es mir schon sagen, und so ziehen wir los.
Little Joe (Bonanza erfährt gerade die X-te Wiederholung im Fernsehen) ist auch heute wieder mein Begleiter. Yipiiii! Und wo ein Cartwright ist, kann der nächste nicht weit sein. Denn heute…
…fühl‘ ich mich wie Hoss, sein gewichtiger Bruder. Anders als im prüden amerikanischen Fernsehen, kann man mich am Ende des Blogeintrags sogar nackt sehen. Yihaaa!
Wir erklären diesen Freitag zu einem ungesetzlichen Feiertag und fahren zur Kummerbrücke. Einer der heißesten Tage im August steht bevor. Gleich zu Beginn ist alles toll. Toller Parkplatz, tolles Wetter, tolle Markierung, eine Wegteilung, und wir biegen gleich einmal toll, aber falsch, ab.
Das bringt uns sechzig zusätzliche Höhenmeter ein – und das bei einer Tour, bei der es für mich um jeden Höhenmeter geht – was heißt Meter, um Höhenzentimeter geht es da!
Nicht so sieht der richtige Steig aus…
… sondern so!
Wir dürften in der ersten Unachtsamkeit in diesem Abschnitt, der sich „Im Kummer“ nennt, einem Kletterzustieg gefolgt sein.
Jetzt, am richtigen Weg, kümmert uns das wenig, und ziemlich flott erreichen wir den Wasserfall.
Der Weg führt über große Steine…
…zum schmächtigen, dreihundert Meter mehr herabwehenden, als fallenden Wasser (Schleierfall).
Der Steig wuselt jetzt in engen Kehren über den bewaldeten Erdmugel,…
…immer die hellen Wände entlang. Noch spenden die Bäume Schatten, und die Felswand gibt ihre Nachtkühle großzügig an uns ab.
Little Joe hat das kräftige Herz eines jungen Hengstes und ist vor mir bei der ersten Leiter.
Historisches in Kurzform: Am 5. Juli 1877 von Rodlauer/Hess u. Gefährten erstmals durchstiegen. Bereits 1891 erfolgte die Errichtung und Sicherung des Steiges mit Steigbäumen, Leitern und Seilen. In Schwandas Buch „Im Gesäuse“ findet sich eine wunderbare Beschreibung der schwierigen Erstbegehung von Hess.
Der Blick in die Nordabbrüche der Planspitze. Der Steig macht hier aber eine Linkskehre und zieht…
…immer ansteigend weiter…
…zur Kanzel (1175 m). Ein aussichtsreicher Felsen,…
…der uns auch gehörige Tiefblicke schenkt.
Nächst der Kanzel finden sich jetzt die Sicherungen und Leitern, von denen ich schon so viel gelesen habe. Und alles ist viel einfacher, als zuvor gedacht.
Aus dem ehemals gefährlichen Zustieg, der in den vierzehn Jahren nach der Erstbegehung bis zur Errichtung des Steiges…
…nur dreimal wiederholt wurde, ist jetzt fast Gehgelände geworden.
Das Erreichen der Emesruhe liest sich in der Schilderung der Erstbesteigung so: „Als wir keuchend den First überklettert hatten, öffnete sich unvermutet vor uns eine durch die stark überhängende, pralle Felswand und ein fast ebenes, mäßig breites Band gebildete Nische“. Dieser Teil des Steiges dürfte noch im Urzustand sein, fast so, wie ihn die Erstbesteiger damals antrafen.
Wie gleißende Finger tasten erste Sonnenstrahlen…
…durchs dünner werdende Blätterdach. Wir nähern uns den beiden steilsten und letzten Leitern des Wasserfallwegs.
Die vorletzte hohe Leiter aus Aluminium übergibt ihre Besteiger…
…an die letzte Leiter aus Eisen, und diese spuckt wiederum ihre Überwinder…
…in die felsdurchsetzte Waldstufe vor der Ebnesangeralm.
Dieses Waldstück ist sehr naturbelassen und völlig forstarbeiterfrei.
Nur wenig später glättet sich die Landschaft, und ich werde Zeuge eines Blickspielchens der flirtenden Art. Little Joe und eine Einheimische schauen sich in die Augen, aber nur so lange, bis…
…der Lebensabschnittspartner der Einheimischen dem Spiel ein Ende bereitet. Endlich können wir weitergehen.
Der Alm-Waldboden ist herrlich, und wir bekommen auch einen ersten Ausblick aufs…
…Hochtor (2369 m) – wenn ich mich nicht irre.
Noch zwei Stunden und 644 Höhenmeter auf die Planspitze. Nur eine Stunde und lächerliche 228 Höhenmeter zu einer fantastischen Hopfen-Kaltschale auf der Hesshütte. Natürlich entsagen wir der diabolischen Verlockung und streben weiter himmelwärts.
Wir steigen noch hundert Höhenmeter hoch und machen eine ausgiebige Rast. Die Hitze rastet nicht und legt einen Zahn zu.
Nach der Pause geht es durch lichten Lärchenwald in vielen Kehren hoch. Ich versuche das Hochzinödl (2191 m) zu provozieren, in der Hoffnung, dass es mit Schatten nach mir wirft. Es gelingt mir nicht.
Vor zwei Jahren (2013), bei der Besteigung des Hochzinödls, entstand das folgende Bild. Mein momentaner Standort auf der Kölblplan ist darauf ebenso einsehbar, wie der Weiterweg auf den Planspitzengipfel und der geplante Abstieg fast bis zur Hesshütte.
Selbst der Geheimrat Goethe wusste auch nicht alles, wenn er reimte…
„Du musst steigen oder sinken, du musst herrschen und gewinnen, oder dienen und verlieren, leiden oder triumphieren, Amboss oder Hammer sein.“
…stimmt das nicht immer. Denn ich bin heute der dazwischen. Die Kölblplan wird mir zum Amboss und die Sonne zum Hammer.
Ein Blick über die Latschen hinweg zum Ennseck zeigt mir die Hesshütte. Bin ich schon auf deren Höhe (1699 m) oder erst?
Stefan erweist sich in dieser Phase der Besteigung als sehr duldsamer Gefährte. Endlich bin auch ich am Grat angelangt. Ich freue mich über den fantastischen Blick auf die Buchsteingruppe: Großer Buchstein (2224 m), Kleiner Buchstein (erst vorige Woche mit Stefan bestiegen), Tieflimauer (1820 m)…
…und Tamischbachturm (2035 m).
In Tolkiens „Herr der Ringe“ heißen die Wächter Elendil und Isildur,…
…und am Gesäuseeingang wachen Himbeerstein (1222 m) und Haindlmauer (1435 m).
Wieder einmal nimmt sich ein Berg heraus, den Gipfel dort auszuweisen, wo ich schon weit vorher müde bin.
Noch habe ich das Gefühl, als ob das Gipfelkreuz (rechts der Bildmitte) den Wolken näher steht als mir. Aber so weit ist es nicht mehr.
Vor uns liegen noch ein paar einfache Kletterstellen, vermutlich kommen die jetzt.
Ich bin hier nicht der erste, der sich abmüht. Denn hebt man einen Stein hoch, findet man die versteckten Seufzer und das leise Stöhnen vorheriger Besteiger darunter. Auch stammen nicht alle roten Punkte auf den Felsen von den Markierungen, so manches Knie hat eine blutige Spur am scharfen Fels hinterlassen.
Eine kurze Verschnaufpause erschwindle ich mir mit diesem Foto vom Sonntagskar. Der Ostkamm trennt dieses vom Seekar.
Jetzt braucht es in dieser fantastischen Landschaft nur noch ein paar gut abgesicherte,…
…nicht schwierige Klettermeter,…
…und nach einem letzten Blick zurück, auf die soeben überschrittene Kölblplan, den Tamischbachturm und den Speichersee bei Hieflau…
…gelangen wir auf den doppelkreuzigen Gipfel.
Obligatorisch und unverzichtbar: Gipfelfoto Planspitze (2117 m).
Durch ein Versehen der Verwaltung erhielten zwei Antragsteller die Genehmigung zur Errichtung eines Gipfelkreuzes auf der Planspitze. Somit wurden 1966 beide errichtet (Heitzmann, Gesäuse). Wer stellt den Antrag auf ein drittes Kreuz?
Hochzinödl (2191 m), Gsuchmauer (2116 m) und Stadlfeldschneid (2092 m). Auch die Hesshütte ist gut zu sehen.
Hochtor (2369 m), Festkogel (2269 m) und Ödstein (2335 m). Im Vordergrund die Seekarscharte.
Tiefblick die Nordwand hinab zur Enns.
Ich weiß nicht, wohin ich zuerst schauen soll. Ein grandioser Aussichtsgipfel an einem fabelhaften Sommertag. Unsagbar herrlich ist es hier.
Admonter Reichenstein (2251 m), Sparafeld (2247 m) und Riffel (2106 m).
Am Fuße des Roßkuppen-Ostgrats, die Hesshütte. Und wer die Augen spitzt, sieht auch den Weg durchs Seekar.
Diesen Weg beschreiten wir jetzt. Der Abstieg in die Seekarscharte ist einfacher, als unsere Aufstiegsroute über die Kölblplan.
Trotzdem müssen wir achtsam sein und immer wieder die Hände…
…gebrauchen.
Der Seekarsee (1821 m), über den Kren in seinem bildgewaltigen Gesäusebuch schreibt: „…dessen Wasserlacke vollmundig auch Auge Gottes genannt wird“.
Aus der Seekarscharte (1940 m) sieht die Planspitze so aus,…
…und der Tiefblick zeigt dieses Bild. Ausstiegsspuren aus einer der vielen Kletterrouten sind erkennbar.
Aus der Tiefe der Nordwand steigen Stimmen und Kletterzeuggeklimper hoch. Tatsächlich, am breiten Grasband erkennen wir eine Zweierseilschaft.
Hier im Zoom. Das veranschaulicht ein kleinwenig die Felsdimensionen der Nordwand.
Wegweiser in der Seekarscharte.
Der Weg ist weit,…
…trotz der mirakulösen Pracht der…
…steinernen Ödnis,…
…dauert er Jahrhunderte.
Endlich wird aus Stein Latsche, und…
…schließlich ist sie da, unsere Ponderosa Ranch, andere nennen sie Hesshütte. Yippiii!
Ob hier auch ein chinesischer Koch waltet? Ein Hop Sing des Ennstales sozusagen.
Little John in seiner Sommerfrischler-Anmutung. Es hat ihm sehr gefallen. Darum wird Stefan in den folgenden Tagen noch den Peternpfad begehen, den Roßkuppen-Dachlgrat aufs Hochtor besteigen, den Festkogel besuchen, aufs Hochzinödl wandern und den Ödstein besteigen. Ihm wird die Planspitze zum Gesäuse-Erweckungserlebnis.
Wir steigen den Wasserfallweg auch ab. Ein letzter Blick auf unser Tagwerk,…
…und weiter geht es durch diese zaubrische Landschaft zurück zur Ebnesangeralm. In diesen frühen Abendstunden begegnen uns noch zwei kleine Grüppchen mit großen Rucksäcken. Die werden wohl auf der Hesshütte nächtigen.
Stefan ist, so weit ich weiß, weder tätowiert noch gepierct, aber dafür hat er jetzt ein ordentliches Branding, mitten im Gesicht.
Ein leises Zischen verrät mir, dass Stefan mit seinem heißen Gesicht ins Wasser getaucht ist.
Durch diese aufgetürmte Felsfluchten führt der Wasserfallweg. Einfach unglaublich.
Dort, wo wir am Beginn der Tour abgezweigt sind, steht dieser Wegweiser. Der ist nicht neu, den haben wir einfach übersehen.
Unsere überhitzten Körper betteln still nach einer Abkühlung, und die bekommen sie auch. Wir fahren ein paar Kilometer bis zur Staustufe nach Hieflau.
Von den Kalkspitzen der Hochtorgruppe bis in die Tiefen der Enns. Der heutige Tag ist aus vielen Momenten gemalt. Und weil ich immer einen Moment hinten bin, ist Stefan viel schneller aus der Wäsch‘ und gurgelt und stöhnt bereits vor lauter Vergnügen.
Besonders schöne Menschen werden sich bei meinem Anblick noch schöner fühlen, und alle anderen erfahren Trost in dem Gefühl, nicht alleine zu sein.
Monsieur Peter nackt – weil ich verspreche, was ich halte!
Die Enns ist so kalt, dass selbst ein meinereiner Frontbild jugendfrei wäre. Nach der Abkühlung unserer aufgeheizten Körper steigt die Wassertemperatur in diesem Ennsabschnitt um 1 ° Celsius. Ungemessen und nur geschätzt, denn, wie Stefan gerne zu sagen pflegt: „Wer misst, misst Mist“.
Ich bin ja für lebenslanges persönliches Wachstum, aber in letzter Zeit hat mein Wachstum eher in der Breite stattgefunden, und das machte mich heute zum Hoss. Trotz alledem: Eine gerechte Wanderung findet ihr gelungenes Ende. Schönheit und Schmerz waren gleichmäßig verteilt.
Im Anstieg ca. 1700 Hm und zurückgelegte Entfernung ca. 14 km.
Senf dazu? Sehr gerne!
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Weitere Unternehmungen in der Region Ennstaler Alpen (Auswahl):
- Spielkogel
Spielkogel (1731m) - Wie wir uns Wildfrauen wie wild am Wildfrauensteig wünschen
Frauenmauer (1850m), Bosruck (1992m), Kitzstein (1925m) - Keine Bergtour, bei der man gähnen muss: Riffelspitz (2106 m) und Kreuzkogel (2011 m)
Riffelspitz (2106m), Kreuzkogel (2011m) - Almmauer
Almmauer (1764m) - Im Bannkreis der Haller Mauern: Großes Maiereck (1764 m)
Kleines Maiereck (1594m), Großes Maiereck (1764m)
Besonders Umtriebige können auch noch im Tourenbuch und der Gipfelliste stöbern oder auf der Tourenkarte herum strawanzen.
Meine Quellen:
Ausschnitt aus Karte 4309, Österreich digital.
ⒸKartografie: Kompass-Karten GmbH, Lizenz-Nr.8-0512-ILB.
Auferbauer (2001): Gesäuse mit Eisenerzer Alpen. Wanderführer, Bergverlag Rother, München.
Auferbauer (2000): Bergtourenparadies Steiermark: Alle 2000er vom Dachstein bis zur Koralpe. Verlag Styria, Graz.
End (1988): Gesäuseberge. AV-Führer, Bergverlag Rother, München.
Heitzmann, Kren (2002): Gesäuse Nationalpark & Ennstaler Alpen. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz.
Heitzmann (1989): Gesäuse. Landesverlag, Linz
Heß/Pichl (1966): Gesäuseführer. Verlag Adolf Holzhausens Nfg., Wien.
Kren (2011): Tourenbuch Gesäuse Wege, Hütten, Gipfel. Schall Verlag, Alland.
Mokrejs/Ostermayer (2009): Bergwander-Atlas Steiermark. Schall Verlag, Alland.
Pürcher (2000): Erlebnis Ennstal, Schladminger Tauern, die schönsten Wanderungen und Bergtouren. Verlag Styria, Graz.
Schwanda (1990): Das Gesäuse: Von der Alpenstange bis zum VII. Grad. Bergverlag Rother, München.